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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 55.26

(Entscheid des Schweizerischen Schulrates vom 14. November 1990)


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Sachverhalt
Sachverhalt I
 
Erwägungen
Erwägung II
Erwägung 1.a.
Erwägung b.
Erwägung 2.
Erwägung 3.
Erwägung 4.a.
Erwägung b.
Erwägung c.
Erwägung 5.
 

Art. 2, Art. 5 Bst. b, Art. 6 Abs. 1 ETH-Zulassungsverordnung. Zulassungsverfahren für Architekturstudium aufgrund eines europäischen Maturitätszeugnisses.

- Übergangsrecht.

- Die Prüfungsfächer einer reduzierten Aufnahmeprüfung dürfen nicht allgemein, sondern müssen anhand des konkreten Einzelfalls festgelegt werden; die reduzierte Aufnahmeprüfung darf gesamthaft nicht höhere Anforderungen stellen als diejenigen, die für eine prüfungsfreie Zulassung gelten.


Art. 2, art. 5 let. b, art. 6 al. 1er O d'admission aux EPF. Procédure d'admission aux études d'architecture sur la base d'un certificat de maturité européen.

- Droit transitoire.

- Les branches de l'examen d'admission réduit ne doivent pas être fixées d'une manière générale, mais au vu de chaque cas particulier; l'examen réduit ne doit pas poser dans l'ensemble des exigences supérieures à celles qui président à une admission sans examen.


Art. 2, art. 5 lett. b, art. 6 cpv. 1 O d'ammissione ai PF. Procedura d'ammissione allo studio d'architettura sul fondamento di una licenza liceale europea.

- Diritto transitorio.

- Le materie di un esame d'ammissione ridotto non devono essere fissate in modo generico, ma in base a ogni singolo caso concreto; l'esame d'ammissione ridotto non deve, nel complesso, porre esigenze superiori a quelle richieste per un'ammissione senza esame.




I

Der Beschwerdeführer, geboren 1971, bewarb sich um Zulassung als Studierender der Abteilung für Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Als Maturitätsausweis legte er ein «Zeugnis der Europäischen Abiturprüfung» der Europäischen Schule in Brüssel vor, das er im Juli 1989 erworben hatte. Der Rektor der ETHZ verfügte, dass der Beschwerdeführer nur nach Bestehen einer reduzierten Aufnahmeprüfung in den Fächern Mathematik, Darstellende Geometrie, Physik, Chemie und Biologie zugelassen werden könne.

Mit Eingabe vom 21. Mai 1990 erhob der Beschwerdeführer gegen diese Verfügung Beschwerde bei der Schulleitung, mit dem Antrag um prüfungsfreie Zulassung und der Begründung, dass sein Maturitätsausweis einem schweizerischen gleichwertig sei. Eventualiter sei ihm eine reduzierte Aufnahmeprüfung nur im Fach Physik aufzuerlegen. Die Schulleitung hiess die Beschwerde am 8. August 1990 teilweise gut und bestimmte als Fächer der reduzierten Aufnahmeprüfung Darstellende Geometrie (schriftlich und mündlich), Physik (schriftlich und mündlich) sowie Chemie (mündlich).

Am 21. August 1990 reichte der Beschwerdeführer beim Schweizerischen Schulrat eine Verwaltungsbeschwerde gegen den Entscheid der Schulleitung vom 8. August 1990 ein. Er begehrt einen Erlass der Prüfung im Fach Chemie.

II

1.a. Die angefochtene Verfügung erging zur Zeit, als die Revision der V des Schweizerischen Schulrates vom 28. Mai 1986 über die Zulassung zu den Studien an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH-Zulassungsverordnung [ZV], SR 414.131.5) vom 28. März 1990 noch nicht in Kraft war. Die angefochtene Verfügung ist infolge der Beschwerde noch nicht rechtskräftig geworden. Die Revision ist unterdessen am 1. Mai 1990 in Kraft getreten. Eine übergangsrechtliche Regelung fehlt. Im Zweifel ist deshalb das für den Beschwerdeführer günstigere Recht anzuwenden.

Die frühere Regelung von Art. 2 ZV (AS 1986 1349) ist für den Beschwerdeführer insoweit günstiger, als sie als Unterrichts- und Prüfungsfach in den Bst. a und b das Fach Biologie alternativ zum Fach Chemie verlangte. Die neue Regelung hingegen ist für den Beschwerdeführer insofern vorteilhafter, als die Fächer Physik und Chemie alternativ verlangt werden (Art. 2 Bst. a ZV). Ausgeschlossen ist selbstverständlich eine Kumulation der Vorteile beider Regelungen. Da die neue Regelung ausdrücklich die europäischen Maturitätsausweise betrifft, eine im vorliegenden Fall eindeutige Aussage über den verlangten Notendurchschnitt enthält, dem aktuellen Rechtszustand entspricht und eine Erleichterung der Zulassungsbedingungen bezweckt, ist grundsätzlich sie anzuwenden.

b. Gemäss dem mit Wirkung ab 1. Mai 1990 revidierten Art. 2 ZV berechtigen Maturitätsausweise aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zur prüfungsfreien Zulassung zum ersten Semester des Diplomstudiums aller Abteilungen der ETH, wenn die Fächer Mathematik, Physik oder Chemie, Muttersprache (Basissprache) und eine weitere moderne Sprache (Fremdsprache) in den letzten zwei Schuljahren vor der Maturität ununterbrochen Unterrichts- und Prüfungsfächer waren und der Notendurchschnitt der Maturitätsprüfung in diesen vier Fächern mindestens 70% erreicht.

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, berechtigt der Maturitätsausweis jedoch im Ausstellerland allgemein zum Hochschulstudium, so wird der Kandidat aufgrund von Art. 5 Bst. b ZV nach Bestehen einer reduzierten Aufnahmeprüfung zugelassen. Die Fächer der reduzierten Aufnahmeprüfung werden von den ETH im Einzelfall festgelegt, unter Berücksichtigung der Vorbildung und der Sprachkenntnisse des Kandidaten sowie der besonderen Anforderungen des angestrebten Studiums (Art. 6 Abs. 1 ZV).

2. Das von der Europäischen Schule Brüssel ausgestellte Maturitätszeugnis des Beschwerdeführers berechtigt in den Staaten der EG zum Hochschulstudium. Es ist demnach den in Art. 2 ZV genannten Maturitätszeugnissen gleichzustellen. Doch kann der Beschwerdeführer zum Studium nicht prüfungsfrei zugelassen werden, da weder Physik noch Chemie in den letzten zwei Schuljahren ununterbrochen Unterrichts- und Prüfungsfach war. Darüber hinaus erreichte der Beschwerdeführer bei der Maturitätsprüfung in den massgebenden Fächern eine Durchschnittsnote von rund 64,5% (bei Einbezug der Biologie: 66,5%) und einzig im Falle der Mathematik (und der Biologie) eine Note von mehr als 70%. Gemäss Art. 2 ZV kann der Beschwerdeführer somit nur aufgrund einer reduzierten Aufnahmeprüfung zum Studium an der ETHZ zugelassen werden.

Die Aufnahmeprüfungskommission der ETHZ (APK) legte in Anwendung von Art. 5 Bst. b und Art. 6 Abs. 1 ZV für die reduzierte Aufnahmeprüfung zum Studium an der Abteilung für Architektur die Fächer Mathematik, Darstellende Geometrie, Physik, Chemie und Biologie fest (Art. 8 Abs. 1 Ziff. 1 bis 5 und 10 ZV). Die Prüfung in einem dieser Fächer kann nach dem Beschluss der APK und aufgrund von Art. 6 Abs. 4 ZV nur dann erlassen werden, wenn der Kandidat gemäss Art. 8 Abs. 3 ZV darin Kenntnisse vorweist, die dem Niveau einer eidgenössischen Maturität entsprechen.

Im Fall des hier einzig zur Diskussion stehenden Faches Chemie rechtfertigt sich die Prüfung nach Ansicht der APK, auch wenn diese Disziplin beim Studium der Architektur nur indirekt involviert sei und nicht direkt als Prüfungsfach in Erscheinung trete, da von einem ETH-Absolventen erwartet werden müsse, dass er auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet auf ein Grundwissen zurückgreifen könne, dessen Hintergrund niveaumässig von der Maturitätsanerkennungsverordnung (MAV) definiert werde. Die Vorinstanz macht ferner geltend, dass beim Studium der Architektur im Fach Baustoffkunde, das im ersten Vordiplom Prüfungsfach sei, chemische Belange neben anderen Materialeigenschaften von Bedeutung seien. Ein Entgegenkommen gegenüber dem Beschwerdeführer würde nach ihrer Ansicht gegen den in Ausführung von Art. 6 Abs. 1 ZV gefassten generellen Beschluss der APK, die gängige Praxis und die Rechtsgleichheit verstossen.

3. Demgegenüber führt der Beschwerdeführer an, gemäss Art. 2 Bst. a ZV (alte Fassung) genüge es, wenn eines der Fächer Chemie oder Biologie in zwei Schuljahren vor der Maturität Unterrichtsfach war. Im Fach Biologie, das zudem auch bei der Maturität geprüft worden sei, sei diese Voraussetzung erfüllt. Der Pflichtstoff im Fach Chemie sei an der Europäischen Schule nicht weniger umfangreich als an schweizerischen Mittelschulen, da in kürzerer Zeit mehr Wochenstunden eingesetzt würden. Zudem sei Chemie für ein Architekturstudium wohl kaum bedeutsam.

4.a. Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid auf einen generellen Beschluss, in welchem die APK die Fächer der reduzierten Aufnahmeprüfung für Kandidaten eines Studiums an der Abteilung für Architektur festgelegt hat. Die Festlegung wurde mit der Relevanz der Fächer für das Studium sowie im Hinblick auf die Wahrung der Rechtsgleichheit begründet. Jedoch auferlegt Art. 6 Abs. 1 ZV der ETH ausdrücklich die Pflicht zur Ausübung des Ermessens im Einzelfall, unter Beachtung der konkreten Vorbildung und des geplanten Studiums. Die Festlegung der Fächer in einem generellen Beschluss ist eine schematische Entscheidung, die mit dem Auftrag zur Einzelfallgerechtigkeit nicht vereinbar ist und als Ermessensunterschreitung gewertet werden kann. Die Bestimmung der Zulassungsverordnung bezweckt, dass die zuständige Stelle die Mühe einer sorgfältigen Ermessensabwägung im Einzelfall auf sich nimmt. In der Ermessensunterschreitung liegt eine Rechtsverletzung (BGE 98 Ib 51; Gygi Fritz, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, 2. Aufl., S. 314; Grisel André, Traité de droit administratif, Neuenburg 1984, S. 333).

Die Zulassung zum ersten Semester des Diplomstudiums an den ETH wird in den Art. 1-8 ZV geregelt. Diese Bestimmungen sind nicht voneinander unabhängig, vielmehr geht aus ihrer Gesamtheit hervor, aufgrund welcher Voraussetzungen ein Kandidat an den ETH ein Studium aufnehmen kann. Ihre Auslegung und Anwendung ist so aufeinander abzustimmen, dass Ungleichheiten vermieden werden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz können Art. 6 und 8 ZV nicht unbesehen von Art. 2 ZV angewendet werden. Im vorliegenden Fall ist von Bedeutung, dass der Sinn von Art. 6 Abs. 1 ZV in der Ermöglichung der Aufnahme eines ETH-Studiums aufgrund einer reduzierten Aufnahmeprüfung liegt, dies im Falle, dass - soweit hier relevant - ein ausländischer, an sich hochschulfähiger Maturitätsausweis nicht zur prüfungsfreien Zulassung berechtigt. Art. 6 Abs. 1 ZV bezweckt hingegen nicht eine Erschwernis der Zulassung. Unverhältnismässig wäre es deshalb, einem Kandidaten eine reduzierte Aufnahmeprüfung aufzuerlegen, die gesamthaft gesehen höhere Anforderungen stellte als Art. 2 ZV.

Art. 8 ZV regelt die umfassende Aufnahmeprüfung, die von denjenigen Kandidaten abzulegen ist, die namentlich keinen in- oder ausländischen hochschulfähigen Maturitätsausweis, noch ein Lehrerpatent, noch die Diplomurkunde einer vom Bund anerkannten Höheren Technischen Lehranstalt besitzen. Es geht nicht an, die reduzierte Aufnahmeprüfung einseitig auf die Anforderungen auszurichten, die an die umfassende Aufnahmeprüfung gestellt werden. In diesem Sinn ist der Verweis von Art. 6 Abs. 4 ZV zu verstehen.

Zu Recht hat die Vorinstanz im Rahmen des ersten Beschwerdeverfahrens die Fächer der reduzierten Aufnahmeprüfung unter Beachtung der konkreten Vorbildung des Beschwerdeführers und unter Bezugnahme auf Art. 2 ZV neu festgelegt. Ein Einbezug von Art. 2 ZV in eine differenzierte Anwendung von Art. 6 Abs. 1 ZV im Einzelfall führt zum Schluss, dass der Beschwerdeführer insoweit, als er die Voraussetzungen von Art. 2 ZV erfüllt, eine reduzierte Aufnahmeprüfung nicht abzulegen hat. Ein anderer Schluss würde zur Erschwernis der Zulassung führen und erschiene in Anbetracht des Sinnes der massgebenden Bestimmungen als unverhältnismässig (vgl. Gygi, a. a. O., S. 314 f.).

b. Entgegen Art. 2 ZV war weder Physik noch Chemie Maturitätsfach des Beschwerdeführers, und er verpasste den in Art. 2 Bst. b ZV verlangten Notendurchschnitt in den massgebenden Maturitätsfächern um 5,5 (bei Einbezug der Biologie um 3,5) von 70%. Im übrigen erfüllt er die Voraussetzungen, unter welchen eine prüfungsfreie Zulassung erfolgen kann.

Die reduzierte Aufnahmeprüfung hat das Manko, das eine prüfungsfreie Zulassung verhindert, auszugleichen. Bei der Festlegung der reduzierten Aufnahmeprüfung ist von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer nach den Anforderungen von Art. 2 Bst. a ZV in der Mittelschule nur in einem der zwei Fächer Physik und Chemie hätte unterrichtet und bei der Maturität geprüft werden müssen. Die Verpflichtung zur Ablegung von Prüfungen sowohl in Physik als auch in Chemie kommt einer Sanktionierung des Beschwerdeführers dafür gleich, dass seine Mittelschule den Stoff dieser Fächer allenfalls rascher durchnahm und der Beschwerdeführer den Notendurchschnitt in den massgebenden Fächern relativ knapp verpasste.

c. Durch eine je schriftliche und mündliche Prüfung in den Fächern Darstellende Geometrie und Physik erscheinen die Mängel des vorgelegten Maturitätsausweises gegenüber den Anforderungen von Art. 2 ZV als aufgewogen, zumal die APK selbst dem Fach Chemie eine marginale Bedeutung zuerkennt und die Maturitätsnoten des Beschwerdeführers in den naturwissenschaftlichen Fächern Geographie und Biologie über 70% lagen.

Das Vorbringen der Vorinstanz, eine umfangreichere Aufnahmeprüfung erhöhe wegen den Kompensationsmöglichkeiten die Chancen für ihr Bestehen, schlägt fehl. Die Festlegung der Fächer der reduzierten Aufnahmeprüfung kann nicht mit Notenspekulationen begründet werden. Einzig massgebend ist, ob der Beschwerdeführer sachlich eine im Sinne der Art. 1-8 ZV genügende Vorbildung für ein Studium an einer ETH besitzt. Für die Entscheidung hierüber können generelle, von der APK ausgearbeitete Richtlinien als Hilfsmittel herangezogen werden, doch sind die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

5. Zusammenfassend ergibt sich, dass unter Berücksichtigung der Vorbildung, der Anforderungen des angestrebten Studiums und der Zielsetzung der Art. 2, 6 und 8 ZV eine Reduktion der Aufnahmeprüfung um das Fach Chemie als gerechtfertigt erscheint.

Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen.

Der Schweizerische Schulrat als Beschwerdeinstanz entscheidet in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück (Art. 61 Abs. 1 VwVG). War die Vorinstanz bereits Beschwerdeinstanz, so kann eine Rückweisung an die Verwaltungsbehörde erfolgen, die in erster Instanz verfügt hat (BGE 106 Ib 76; Gygi, a. a. O., S. 231). Vorliegendenfalls kommt somit eine Rückweisung an den Rektor der ETHZ zur Neuentscheidung im Sinne der vorstehenden Erwägungen in Betracht. Doch soll eine Rückweisung laut Art. 61 Abs. 1 VwVG nur ausnahmsweise erfolgen. Da zudem die Rückweisung das Verfahren verlängert, ist von ihr abzusehen (vgl. Ktilz Alfred, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1978, S. 243).

Die Verfahrenskosten werden gemäss Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt, nicht jedoch Vorinstanzen. Im vorliegenden Fall sind deshalb keine Verfahrenskosten zu erheben.





Dokumente des ETH-Rats

 

 

 

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