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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 60.4

(Entscheid des Bundesrates vom 2. Oktober 1995)


Regeste Deutsch
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Regesto Italiano
Sachverhalt
Sachverhalt I
Sachverhalt A.
Sachverhalt B.
Sachverhalt C.
Sachverhalt D.
Sachverhalt E.
Sachverhalt F.
Erwägungen
Erwägung II
Erwägung 1.
Erwägung 2.
Erwägung III
Erwägung 1.
Erwägung 2.
Erwägung IV
Erwägung 1.
Erwägung 2.
Erwägung 3.
Erwägung 4.
Erwägung V
Erwägung 1.
Erwägung 2.

Rechtsverzögerung. Sistierung des Verfahrens in einem Fall von Einreisesperre.

Art. 70 VwVG. Art. 13 Abs. 1 ANAG. Keine Rechtsverzögerung in der Sistierung eines Verfahrens, in dem die Aufhebung einer Einreisesperre verlangt wird, bis zum Entscheid hängiger kantonaler Verfahren, wenn deren Ausgang den Entscheid des sistierten Verfahrens beeinflussen kann. Dem Interesse des Beschwerdeführers zur tageweisen Einreise ist durch Ermächtigungen im Einzelfall Rechnung zu tragen.


Retard injustifié. Suspension de la procédure dans un cas d'interdiction d'entrée.

Art. 70 PA. Art. 13 al. 1er LSEE. Aucun retard injustifié ne résulte du fait qu'une procédure tendant à la levée d'une interdiction d'entrée est suspendue jusqu'à droit connu quant à des procédures cantonales pendantes, si leur issue peut influencer la décision sur la procédure suspendue. L'intérêt du requérant à pouvoir entrer pour une journée doit être pris en compte par le biais d'autorisations spéciales octroyées de cas en cas.


Ritardata giustizia. Sospensione della procedura in un caso di divieto d'entrata.

Art. 70 PA. Art. 13 cpv. 1 LDDS. Nessun ritardo ingiustificato risulta dal fatto che una procedura volta all'abrogazione di un divieto d'entrata sia sospesa fino alla decisione in merito a procedure cantonali pendenti, il cui esito può influire sulla procedura sospesa. Occorre tenere conto dell'interesse del ricorrente a entrare per una giornata, mediante permessi speciali rilasciati di caso in caso.




I

A. Am 13. März 1995 verhängte das Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) über den Beschwerdeführer eine Einreisesperre auf unbestimmte Dauer. Hiergegen erhob dieser beim EJPD am 10. April 1995 Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung der Einreisesperre. Gleichzeitig stellte er ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Beiordnung seines Rechtsvertreters als amtlicher Anwalt.

B. Mit Schreiben vom 21. April 1995 teilte das EJPD dem Beschwerdeführer mit, das Beschwerdeverfahren werde sistiert bis zum Vorliegen der Erkenntnisse im Strafverfahren, im fremdenpolizeilichen Verfahren betreffend Aufenthaltsbewilligung und im Ehescheidungsverfahren.

C. Am 5. Juli 1995 hob die Polizei- und Militärdirektion des Kantons das Verfahren der Fremdenpolizei der Stadt B. auf, im Rahmen dessen der Beschwerdeführer am 13. März 1995 nach seinem Heimatland ausgeschafft worden war. Die Fremdenpolizei der Stadt B. wurde angewiesen, die nötigen Vorkehren zu treffen, damit der Beschwerdeführer wieder in die Schweiz einreisen könne. Am 6. Juli 1995 informierte der Beschwerdeführer das EJPD über diesen Entscheid und beantragte, das Verfahren vor dem EJPD nicht weiter zu sistieren und die Einreisesperre aufzuheben.

D. Mit Schreiben vom 11. Juli 1995 hielt das EJPD an der Sistierung des Verfahrens fest.

E. Hiergegen reichte der Beschwerdeführer beim Bundesrat am 26. Juli 1995 die vorliegend zu beurteilende Beschwerde wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung ein. Er beantragt, die Sistierung des Verfahrens sei aufzuheben und das EJPD anzuweisen, das Beschwerdeverfahren unverzüglich wieder aufzu-nehmen und raschmöglichst einen Beschwerdeentscheid zu fällen. Daneben stellt er auch für das Verfahren vor dem Bundesrat ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und um Beiordnung seines Rechtsvertreters als amtlicher Anwalt.

F. Das EJPD schliesst in seiner Stellungnahme auf Abweisung der Beschwerde.

II

1. Das beim EJPD hängige Beschwerdeverfahren in der Hauptsache hat eine Verfügung des BFA zum Gegenstand, die sich auf Art. 13 des BG vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) stützt. Ein materieller Beschwerdeentscheid des Departements ist daher endgültig (Art. 20 Abs. 1 und 3 ANAG in Vertretung mit Art. 100 Bst. b Ziff. 1 OG und Art. 74 Bst. e VwVG, was auch für die vorliegend angefochtene Zwischenverfügung auf Sistierung des Verfahrens gilt (Art. 45 Abs. 2 Bst. c, Art. 46 Bst. e und Art. 77 VwVG). Der Beschwerdeführer behauptet die Verzögerung des Erlasses einer Verfügung durch das EJPD, welches sich aber nicht grundsätzlich weigert, zu gegebener Zeit einen Entscheid zu fällen. Die Beschwerde ist daher als Rechtsverzögerungsbeschwerde im Sinne von Art. 70 Abs. 1 VwVG entgegenzunehmen. Zur Beurteilung ist der Bundesrat als Aufsichtsbehörde über das EJPD zuständig.

2. Der Beschwerdeführer ist im Verfahren vor dem EJPD Partei und daher zur Rechtsverzögerungsbeschwerde legitimiert (Art. 70 Abs. 1 VwVG). Die Beschwerde kann jederzeit eingereicht werden; es ist daher darauf einzutreten.

III

1. Der Beschwerdeführer rügt, er habe keine Möglichkeit gehabt, sich vor Erlass der Verfügung vom 13. März 1995 zu äussern. Das Recht auf Anhörung sei ihm zugestanden, da es sich um eine selbständig anfechtbare Zwischenverfügung gehandelt habe. Damit sei das rechtliche Gehör verletzt worden. Im weiteren macht er geltend, die Einreisesperre sei nicht gerechtfertigt. Sie verunmögliche es ihm, seinen Sohn in der Schweiz gemäss Trennungsvereinbarung einmal pro Monat zu besuchen, was je länger je mehr einen schweren Eingriff in seine höchstpersönlichen Rechte bedeute. Die Sistierung des Verfahrens verletze den Grundsatz der Achtung des durch die EMRK geschützten Familienlebens. Der Beschwerdeführer habe als unschuldig zu gelten, da das gegen ihn laufende Strafverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Vor Ausfällung der Einreisesperre hätte der rechtskräftige Ausgang aller anderen hängigen Verfahren abgewartet werden müssen. Die Einreisesperre sei daher umgehend aufzuheben, zumal sich der Beschwerdeführer bisher auch sonst nichts habe zuschulden kommen lassen.

2. Das EJPD führt in seiner Vernehmlassung im wesentlichen aus, für das BFA habe auch ohne ein rechtskräftiges Strafurteil genügend Anlass bestanden, die Einreisesperre zu verfügen. Bereits die Trennungsvereinbarung vom 26. September 1994, gemäss welcher der Beschwerdeführer das Recht habe, sein Kind allein unter Aufsicht des Jugendamtes zu besuchen, weise auf mögliche Gefahren hin, die vom Beschwerdeführer ausgingen (zum Beispiel Entführung des Kindes). Die Sistierungsverfügung wird vom EJPD mit dem Umstand begründet, dass ein Strafverfahren wegen angeblichem Versuch schwerer Körperverletzung, ein Ehescheidungsverfahren sowie insbesondere ein fremdenpolizeiliches Verfahren betreffend Aufenthaltsregelung hängig sind, deren Ausgang den Departementsentscheid nicht unwesentlich beeinflussen könnten. Diese Verfahren seien schrittweise abzuwickeln, indem zuerst das Strafverfahren, dann das allenfalls darauf abstellende Ehescheidungsverfahren und schliesslich das Verfahren vor der Fremdenpolizei zur Frage des Aufenthaltsanspruchs abzuschliessen seien. Da ein Aufenthaltsanspruch einer Einreisesperre vorgehen würde, dränge sich eine Sistierung des Verfahrens vor dem Departement bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen kantonalen Entscheids über die Aufenthaltsregelung geradezu auf. Der Beschwerdeführer sei im übrigen darauf hingewiesen worden, dass bei Vorliegen triftiger Gründe einem Gesuch um kurzfristigen Aufenthalt allenfalls durch Suspension der Einreisesperre entsprochen werden könne.

IV

1. Es ist hier allein darüber zu entscheiden, ob die Sistierungsverfügung des EJPD eine Rechtsverzögerung darstellt. Sollte eine Rechtsverzögerung vorliegen, wäre die Sache zum umgehenden Entscheid an das EJPD zurückzuweisen (Art. 70 Abs. 2 VwVG). Nicht einzugehen ist daher einerseits auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, welche sich offenbar auf die Sistierungsverfügung bezieht (am 13. März 1995 wurde entgegen der Schilderung des Beschwerdeführers keine Zwischenverfügung erlassen). Die Rüge wäre im übrigen ohnehin nicht begründet, weil die Sistierungsverfügung gestützt auf Art. 30 Abs. 2 Bst. a VwVG ohne vorgängige Anhörung des Beschwerdeführers gefällt werden konnte. Anderseits ist vorliegend auch nicht zu prüfen, ob die vom BFA verfügte Einreisesperre zu Recht und zum richtigen Zeitpunkt verfügt worden ist oder nicht.

Eine Rechtsverzögerung liegt vor, wenn der Erlass einer Verfügung über Gebühr auf sich warten lässt (VPB 44.21). Auf den vorliegenden Fall bezogen wäre die Sistierung des Verfahrens somit dann gerechtfertigt, wenn die ausstehenden Entscheide vor den kantonalen Behörden den Entscheid des EJPD derart beeinflussen können, dass daneben das Interesse des Beschwerdeführers an einem sofortigen Entscheid zurückzustehen hat.

2. Gemäss Art. 13 Abs. 1 ANAG kann die eidgenössische Behörde über unerwünschte Ausländer eine Einreisesperre verhängen, während derer jeder Grenzübertritt ohne ausdrückliche Ermächtigung der Behörde untersagt ist. Als unerwünscht im Sinne dieser Bestimmung gilt nach der Praxis ein Ausländer, dessen Vorleben darauf schliessen lässt, dass er nicht willens oder nicht fähig ist, sich in die geltende Ordnung einzufügen und dessen Fernhaltung im öffentlichen Interesse liegt. Damit können auch Straftaten Anlass für Fernhaltemassnahmen sein (VPB 58.53).

3. Hieraus ergibt sich, dass der Ausgang des gegen den Beschwerdeführer laufenden Strafverfahrens wegen angeblicher versuchter schwerer Körperverletzung durchaus geeignet ist, den Entscheid des EJPD darüber zu beeinflussen, ob der Beschwerdeführer als unerwünschter Ausländer im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu gelten hat. Das gleiche gilt für das Ehescheidungsverfahren, wenn dort über die Frage Beweis geführt wird, ob der Beschwerdeführer seinen gesetzlichen ehelichen und familiären Pflichten nachgekommen ist. Schliesslich vermag auch das Verfahren über die Aufenthaltsbewilligung den Entscheid des EJPD zu beeinflussen: Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons hat am 5. Juli 1995 über den Aufenthaltsanspruch nicht entschieden, sondern in der Sache festgestellt, dass die Fremdenpolizei der Stadt B. keine umfassende Abwägung aller öffentlichen und privaten Interessen getroffen hat. Die Fremdenpolizei wird somit die notwendigen Abklärungen und Erwägungen nachholen müssen. Aus ihren Feststellungen zum Verhalten des Beschwerdeführers wird die Bundesbehörde sodann Rückschlüsse zur Frage ziehen können, ob dieser als unerwünschter Ausländer zu gelten hat und sich damit eine Einreisesperre rechtfertigt. Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang in einem nicht publizierten Beschwerdeentscheid vom 10. März 1994 in Sachen K. zu einer umstrittenen Aufenthaltsbewilligung festgestellt, dass das BFA eine verfügte Einreisesperre in Wiedererwägung ziehen müsste, wenn das Gericht infolge veränderter Umstände die Voraussetzungen zur Erteilung der Aufenthaltsbewilligung als erfüllt betrachten sollte. Ob der vom Kanton zu beurteilende Aufenthaltsanspruch dabei tatsächlich ohne weiteres einer vom BFA verfügten Einreisesperre vorgeht, wie das EJPD ausführt, ist vom Bundesgericht allerdings offen gelassen worden und braucht auch hier nicht entschieden zu werden (vgl. zur Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen immerhin BGE 120 I 9 E. 3). Massgeblich für die Überprüfung der Sistierungsverfügung ist, ob der Entscheid der kantonalen Behörde die Frage der Einreisesperre beeinflussen kann. Dies ist nach dem Gesagten zu bejahen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das EJPD aus nachvollziehbaren und sachlichen Gründen die Erkenntnisse der Behörden in den kantonalen Verfahren abwarten will, bevor es über die Einreisesperre entscheidet.

4. Nachdem sich damit das Interesse der Verwaltung an der Sistierung des Verfahrens als gerechtfertigt erweist, wäre eine Rechtsverzögerung nur noch dann gegeben, wenn ein überwiegendes Interesse des Beschwerdeführers die umgehende Aufhebung der Einreisesperre verlangen würde. Davon kann hier keine Rede sein. Die einzigen Gründe, die derzeit eine Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz rechtfertigen könnten, sind einerseits das ihm zustehende Recht, einmal pro Monat während vier Stunden seinen Sohn zu besuchen und andererseits seine möglicherweise erwünschte Anwesenheit bei der Durchführung der kantonalen Verfahren. Sollte eine Überprüfung im Einzelfall ergeben, dass der Beschwerdeführer tatsächlich aus einem dieser Gründe für eine beschränkte Zeit in die Schweiz einreisen darf, so wäre dem durch eine jeweils zu erteilende Ermächtigung Rechnung zu tragen, welche bei geltender Einreisesperre gewährt werden kann (Art. 13 Abs. 1 letzter Satz ANAG).

Die Sistierungsverfügung erweist sich deshalb als gerechtfertigt, und die Rechtsverzögerungsbeschwerde ist abzuweisen.

V

1. Der Beschwerdeführer hat für das Verfahren vor dem Bundesrat um unentgeltliche Prozessführung und Beiordnung eines amtlichen Anwalts nachgesucht. Gemäss Art. 70 Abs. 3 VwVG finden die Art. 51, 57, 59, 60, 61 Abs. 2 und 3 und Art. 63 des Gesetzes auf Rechtsverzögerungsbeschwerden sinngemäss Anwendung. Art. 65 VwVG, der die unentgeltliche Rechtspflege vorsieht, befindet sich nicht unter diesen Bestimmungen. Hieraus ergibt sich, dass bei Rechtsverzögerungsbeschwerden keine unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden kann und das entsprechende Gesuch des Beschwerdeführers daher abzuweisen ist.

2. Nach Art. 63 Abs. 1 VwVG auferlegt die Beschwerdeinstanz die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruch- und Schreibgebühr sowie Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Es besteht vorliegend keine Veranlassung, von dieser Regel abzugehen. Die Spruchgebühr beträgt im Normalfall 100.- bis Fr. 5 000.-; sie bemisst sich nach der Bedeutung der Streitsache und dem mit ihrer Erledigung verbundenen Aufwand (Art. 2 der V vom 10. September 1969 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren, SR 172.041.0). Eine reduzierte Spruchgebühr von Fr. 300.- scheint dem hier beurteilten Fall angemessen.





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