VPB 60.68
(Entscheid des Bundesrates vom 24. Januar 1996)
Beschränkung der Akteneinsicht im Verfahren zum Erlass einer Einreisesperre.
Art. 27 Abs. 1 Bst. a und Art. 28 VwVG. Verweigerung der Akteneinsicht, wenn wesentliche öffentliche Interessen, insbesondere die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft die Geheimhaltung erfordern.
Bekanntgabe der wesentlichen Gründe, die zur Verhängung der Einreisesperre geführt haben. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz gebietet, die Möglichkeit einer partiellen Einsichtsgewährung zu prüfen.
Art. 1 Prot. Nr. 7 zur EMRK. Anwendung beschränkt auf Entfernungsmassnahmen, unter Ausschluss der Fernhaltemassnahmen.
Restriction du droit de consulter les pièces dans une procédure tendant au prononcé d'une interdiction d'entrée.
Art. 27 al. 1er let. a et art. 28 PA. Refus d'autoriser la consultation du dossier lorsque des intérêts publics importants, en particulier la sécurité intérieure et extérieure de la Confédération, exigent que le secret soit gardé.
Communication des motifs essentiels qui ont conduit à prononcer l'interdiction d'entrée. Le principe de la proportionnalité exige que soit examinée la possibilité d'autoriser une consultation partielle.
Art. 1er Prot. N° 7 à la CEDH. Son application se limite aux mesures d'éloignement, à l'exclusion des mesures de tenue à l'écart.
Limitazione del diritto di consultare i documenti nella procedura volta a pronunciare un divieto d'entrata.
Art. 27 cpv. 1 lett. a e art. 28 PA. Rifiuto d'autorizzare la consultazione dei documenti allorquando interessi pubblici importanti, in particolare la sicurezza interna ed esterna della Confederazione, esigono che sia mantenuto il segreto.
Comunicazione dei motivi essenziali che hanno indotto a pronunciare il divieto d'entrata. Il principio della proporzionalità esige che sia esaminata la possibilità d'autorizzare una consultazione parziale.
Art. 1 Prot. n. 7 alla CEDU. Applicazione limitata alle misure d'allontanamento, escluse le misure di divieto d'entrata.
I
1. Mit Verfügung vom 28. März 1995 verhängte die Schweizerische Bundesanwaltschaft (BA) gegen den Beschwerdeführer eine Einreisesperre bis 27. März 2000. Die BA stützte sich dabei auf Art. 70 BV und Art. 12 Bst. b der V vom 28. März 1990 über die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften (Delegationsverordnung, SR 172.011). Einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Zur Begründung führte die BA an, der Beschwerdeführer (...) habe sich gegenüber den libyschen Behörden verpflichtet, seine Sachkenntnisse (...) zur Verfügung zu stellen (...). Libyen könne dadurch in die Lage versetzt werden, im Rahmen seines Raketen- und Lenkwaffenprogramms Träger für Waffensysteme zu entwickeln, mit denen die Sicherheit vieler Länder gefährdet werden könne. Dies widerspreche den internationalen Intentionen und Abkommen zur Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Der Beschwerdeführer habe sich im Zusammenhang mit seinen Diensten zugunsten der libyschen Behörden oft in der Schweiz aufgehalten. Die Benutzung des schweizerischen Gebietes für derartige Zwecke sei geeignet, die Schweiz international zu diskreditieren und ihre Sicherheit zu gefährden.
2. Am 21. April 1995 erhob der Beschwerdeführer beim EJPD Beschwerde. Er stellte sämtliche Vorhaltungen der BA in Abrede, ersuchte um Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und verlangte, es sei ihm im Beschwerdeverfahren umfassende Akteneinsicht zu gewähren. In ihrer Vernehmlassung vom 24. Juli 1995 beantragte die BA gegenüber dem EJPD Abweisung der Beschwerde.
3. Am 18. September 1995 wies das EJPD das Begehren um Akteneinsicht im Rahmen einer selbständig anfechtbaren Zwischenverfügung ab. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer Frist zur Einreichung einer Replik angesetzt.
4. Am 28. September 1995 erhob der Beschwerdeführer beim Schweizerischen Bundesrat Verwaltungsbeschwerde, mit den Begehren, die Zwischenverfügung des EJPD sei aufzuheben, und es sei ihm im Beschwerdeverfahren betreffend Einreisesperre umfassende Akteneinsicht zu gewähren. Er machte geltend, die Verweigerung der Akteneinsicht stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar und verstosse gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 vom 22. November 1984 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (SR 0.101.07).
(...)
II
1. Die Beschwerde richtet sich gegen eine selbständig anfechtbare Zwischenverfügung nach Art. 45 Abs. 2 Bst. e VwVG. Der Rechtsmittelzug für die Anfechtung von Zwischenverfügungen folgt nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens dem Rechtsweg, der für die Anfechtung der Endverfügung massgebend ist (Gygi Fritz, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, 2. Aufl., S. 143). Die Zuständigkeit des Bundesrates zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ergibt sich somit aus Art. 72 Bst. a in Verbindung mit Art. 74 VwVG sowie Art. 100 Bst. a und b OG.
2. (Legitimation und Eintreten)
III
1. Die eidgenössische Behörde kann die Einreise von Ausländern untersagen, wenn diese unerwünscht sind oder in schwerwiegender Weise gegen fremdenpolizeiliche oder andere gesetzliche Bestimmungen und gestützt darauf erlassene behördliche Verfügungen verstossen haben (vgl. Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG], SR 142.20). Gemäss Art. 12 Bst. b der Delegationsverordnung ist die BA zur Handhabung der politischen Fremdenpolizei ermächtigt, unter Einschluss der Verhängung von Einreisesperren gegenüber Ausländern, welche die innere oder äussere Sicherheit gefährden.
2. Gestützt auf diese Bestimmungen hat die BA gegen den Beschwerdeführer eine Einreisesperre verhängt. Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesrat bildet die Zwischenverfügung des EJPD, mit der das Begehren um Akteneinsicht abgewiesen wurde. Über die Beschwerde gegen die Einreisesperre wird das EJPD nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens entscheiden müssen.
3. Im Besitz des Beschwerdeführers befinden sich die Verfügung der BA vom 28. März 1995, deren Vernehmlassung gegenüber dem EJPD vom 24. Juli 1995 sowie die Kopie eines Einvernahmeprotokolls, welches die Bundespolizei anlässlich einer Befragung des Beschwerdeführers am 31. Januar 1995 erstellt hatte. In die übrigen Akten haben BA und Vorinstanz dem Beschwerdeführer keine Einsichtnahme gewährt.
(...)
4. Der Beschwerdeführer hält es mit dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht für vereinbar, dass ihm sämtliche übrige Akten der BA vorenthalten werden. Ohne Kenntnis der entscheidrelevanten Beweismittel sei er nicht in der Lage, sich gegen die tatsachenwidrigen Behauptungen wirksam zur Wehr zu setzen. Er vermutet, die Bundespolizei habe aus den ihr vorliegenden Informationen die falschen Schlüsse gezogen oder sei bewusst von dritter Seite falsch informiert worden. Der Beschwerdeführer weist die Auffassung der Vorinstanz zurück, wonach der Vernehmlassung der BA der wesentliche Inhalt der von den schweizerischen Geheimhaltungsinteressen erfassten Dokumente entnommen werden könne. Im übrigen sei nicht anzunehmen, dass sämtliche Akten der BA überhaupt vom Geheimhaltungsinteresse gemäss Art. 27 Abs. 1 Bst. a VwVG erfasst würden. Das rechtliche Gehör fordere, dass auch interne Akten einsehbar seien, da ihr Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens ganz allgemein nicht auszuschliessen sei. Die Offenlegung von Akten müsse zudem nicht notwendigerweise auch die Preisgabe von Informationsquellen bedeuten. Entscheidend sei nicht, ob bei einer Offenlegung aller Akten Informationsquellen gefährdet würden, sondern einzig und allein, ob eine allfällige Gefährdung dieser Informationsquellen für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz derart schwerwiegende Folgen hätte, dass das Geheimhaltungsinteresse dem rechtlich geschützten Anspruch des Beschwerdeführers auf umfassende Akteneinsicht unbedingt vorzugehen habe. Art. 27 Abs. 1 Bst. b VwVG stelle entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine taugliche Basis zur Beschränkung des Akteneinsichtsrechts dar, da nicht ersichtlich sei, welche privaten Interessen Dritter bzw. einer Gegenpartei tangiert sein könnten. Die von der Bundespolizei nachweislich auch an Drittstaaten weiterverbreiteten Informationen hätten dem Beschwerdeführer nicht nur wirtschaftlichen Schaden zugefügt, sondern seien darüber hinaus geeignet, ihn an Leib und Leben zu bedrohen.
5. Der Anspruch auf Akteneinsicht nach Art. 26 VwVG unterliegt Ausnahmen, welche durch Art. 27 Abs. 1 VwVG bezeichnet werden. Wird einer Partei die Einsichtnahme in ein Aktenstück verweigert, so darf auf dieses zum Nachteil der Partei nur abgestellt werden, wenn ihr die Behörde von seinem für die Sache wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis und ihr ausserdem Gelegenheit gegeben hat, sich zu äussern und Gegenbeweismittel zu bezeichnen (Art. 28 VwVG). Entsprechend dem Verhältnismässigkeitsprinzip darf das Einsichtsrecht nicht bezüglich des ganzen Dossiers verweigert werden, wenn sich das Geheimnis lediglich auf einzelne Aktenstücke bezieht (Art. 27 Abs. 2 VwVG; VPB 48.34).
6. Der Entscheid der Vorinstanz stützt sich auf Art. 27 Abs. 1 Bst. a VwVG, wonach das Akteneinsichtsrecht dann verweigert werden darf, wenn wesentliche öffentliche Interessen, insbesondere die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft die Geheimhaltung erfordern.
Die Bestimmung von Art. 9 der V vom 20. Januar 1993 über die Einsicht in Akten der Bundesanwaltschaft (SR 172.213.541) stellt - allerdings für den Staatsschutzbereich - eine Konkretisierung von Art. 27 Abs. 1 VwVG dar und kann als Auslegungshilfe dienen, wenn es um die Beurteilung des überwiegenden öffentlichen Interesses nach Art. 27 Abs. 1 Bst. a VwVG geht. Für den vorliegenden Fall kann daraus abgeleitet werden, dass ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse namentlich dann besteht, wenn es aus Gründen der inneren und äusseren Sicherheit unbedingt zu verhindern gilt, Quellen und Methoden der Informationsbeschaffung offen zu legen; auch die Einhaltung von Geheimhaltungsverpflichtungen gegenüber ausländischen Nachrichten- und Sicherheitsdiensten kann die BA zur Einsichtsverweigerung berechtigen.
7. Die BA hat in ihrer Verfügung und Vernehmlassung die wesentlichen Gründe bezeichnet, welche zur Verhängung der Einreisesperre geführt haben (Art. 28 VwVG); sie hat dabei auf die Existenz von Beweismitteln hingewiesen, ohne jedoch konkrete Aktenstücke zu bezeichnen. Die Kernbehauptung der BA, der Beschwerdeführer habe sich verpflichtet, seine Sachkenntnisse (...) zur Verfügung zu stellen (...), stützt sich auf ein bestimmtes Aktenstück, dessen Offenlegung wie auch Benennung aus Gründen des Quellenschutzes unterbleiben muss (Art. 27 Abs. 1 Bst. a VwVG).
8. Wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung zu Recht ausführt, bestehen die Akten der BA vorliegend hauptsächlich aus Übermittlungen von Dritten oder an Dritte. Es handelt sich dabei zumeist nicht um Originalkorrespondenz, sondern um protokollartige Niederschriften von Mitteilungen, die teils personenbezogen, teils sachbezogen (libysche Beschaffungsbemühungen) sind. Bereits aus diesen Gründen rechtfertigt sich eine Differenzierung zwischen Akten, die als Beweismittel dienen und solchen, die für die Entscheidfindung unerheblich sind. Der Vorinstanz ist auch beizupflichten, wenn sie geltend macht, in bezug auf die vorhandenen Beweismittel (einschliesslich amtsinterner Akten, soweit diese entscheidrelevant sind) gelte es, Quellen und Methoden der Informationsbeschaffung, aber auch den Wissensstand im Zusammenhang mit den libyschen Rüstungsprogrammen nicht offen zu legen. Diese Interessen können durch die Abdeckung einzelner Aktenstellen oder die Beschränkung des Einsichtsrechts auf gewisse Aktenstücke (zur partiellen Einsichtsgewährung vgl. Dubach Alexander, Das Recht auf Akteneinsicht, Zürich 1990, S. 133 f.) im konkreten Fall nicht hinreichend gewahrt werden, was die Verweigerung der Akteneinsicht auch im Lichte des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen vermag.
9. Wenn die Schweiz als Drehscheibe für die Beschaffung sensibler Güter missbraucht würde, wäre zweifellos die innere und äussere Sicherheit tangiert. Will die Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Non-Proliferation nachkommen, so ist sie auf Drittinformationen angewiesen. Vor diesem Hintergrund ist das Interesse, die Akten nicht offen zu legen, höher zu gewichten als das Interesse des Beschwerdeführers an der Akteneinsichtnahme (VPB 56.33, E. 18). Durch die Offenlegung von Informationsquellen könnten im übrigen mit der Informationsbeschaffung in Zusammenhang stehende Personen gefährdet werden, was die Verweigerung des Akteneinsichtsrechts insoweit auch unter dem Blickwinkel von Art. 27 Abs. 1 Bst. b VwVG rechtfertigt.
10. Der Beschwerdeführer beruft sich zur Geltendmachung seines Akteneinsichtsrechts ferner auf Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 vom 22. November 1984 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (SR 0.101.07). Diese Bestimmung enthält zugunsten eines Ausländers, der seinen rechtmässigen Aufenthalt im
Hoheitsgebiet eines Staates hat, gewisse Verfahrensgarantien für den Fall, dass er aus diesem Staat ausgewiesen wird. Für Ausweisungen, welche durch Beschluss des Bundesrates gestützt auf Art. 70 BV wegen Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz erfolgen, hat die Schweiz einen Vorbehalt zu Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 angebracht.
Die Verhängung der Einreisesperre gegenüber dem Beschwerdeführer basiert auf Art. 13 Abs. 1 ANAG in Verbindung mit Art. 12 Bst. b Delegationsverordnung. Thema des vor dem EJPD hängigen Verfahrens ist eine Fernhaltemassnahme und keine Entfernungsmassnahme (zu dieser Unterscheidung vgl. Sulger Büel Peter, Vollzug von Fernhalte- und Entfernungsmassnahmen gegenüber Fremden nach dem Recht des Bundes und des Kantons Zürich, Diss. Zürich, Bern 1984, S. 73 ff.; Hofmann Emil, Die fremdenpolizeilichen Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen, Schweizerische Juristen-Zeitung [SJZ], 67 [1971], S. 285 ff., insb. Ziff. III und IV). Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur Europäischen Menschenrechtskonvention nimmt demgegenüber auf die Ausweisung als Entfernungsmassnahme Bezug, was die Frage nach einer Verletzung dieser Norm vorliegend hinfällig macht. Wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung überdies zu Recht ausführt, besteht für Ausländer grundsätzlich kein Anspruch auf Einreise. Die aus sicherheitspolizeilichen Gründen verfügte Administrativmassnahme tangiert die Rechtsposition des Beschwerdeführers in weit geringerem Masse, als dies bei einer Ausweisung der Fall wäre.
IV
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
Dokumente des Bundesrates