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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

bund/vpb/60-71.html 

VPB 60.71

(Nationalrat, 4. Dezember 1995. Auf Einladung des Nationalrats erliess der Bundesrat am 29. Mai 1996 ein Kreisschreiben an die Kantonsregierungen über Probleme bei der Gesamterneuerungswahl des Nationalrates vom 22. Oktober 1995, BBl 1996 II 1297 Ziff. 2 und 3, FF 1996 II 1292 ch. 2 et 3, FF [ital.] 1996 II 1184 n. 2 e 3)


Regeste Deutsch
Résumé Français
Regesto Italiano
Sachverhalt
Sachverhalt b.
Sachverhalt a.
Sachverhalt b.
Sachverhalt c.
Erwägungen

Nationalratswahlen. Finanzielle Beiträge eines Kantons an die Kosten des Wahlkampfs.

Art. 91 BPR. Genehmigungspflicht für kantonale Ausführungsbestimmungen zu den politischen Rechten des Bundes.

Rechtscharakter.

Art. 4 BV. Verhältnismässigkeit der Massnahmen zur Behebung einer allfälligen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bei Nationalratswahlen.

Art. 86 BPR. Kostenpflicht für trölerische oder gegen den guten Glauben verstossende Beschwerden.

Begriff der Verletzung des guten Glaubens.


Elections au Conseil national. Participation financière d'un canton aux frais de campagne électorale.

Art. 91 LDP. Obligation de faire approuver les dispositions cantonales d'exécution des droits politiques de la Confédération.

Caractère juridique.

Art. 4 Cst. Proportionnalité des mesures destinées à corriger une éventuelle violation du principe de l'égalité lors des élections au Conseil national.

Art. 86 LDP. Imposition des frais pour des recours dilatoires ou contraires à la bonne foi.

Notion de violation du principe de la bonne foi.


Elezioni del Consiglio nazionale. Partecipazione finanziaria di un Cantone alle spese della campagna elettorale.

Art. 91 LDP. Obbligo di approvare disposizioni cantonali esecutive concernenti i diritti politici della Confederazione.

Carattere giuridico.

Art. 4 Cost. Proporzionalità delle misure destinate alla soppressione di un'eventuale violazione del principio di uguaglianza durante le elezioni del Consiglio nazionale.

Art. 86 LDP. Obbligo di sostenere le spese processuali in caso di ricorsi temerari o contrari alla buona fede.

Nozione di violazione della buona fede.




Aus dem Sachverhalt:

1.1. Mit Novelle vom 14. November 1990 wurde das Gesetz des Kantons X vom 18. März 1976 über die Ausübung der politischen Rechte (GABR) durch neue Art. 31bis, 31ter und 31quater über finanzielle Beiträge des Kantons an die Kosten des Wahlkampfs bei kantonalen und eidgenössischen Wahlen ergänzt.

1.1.1. Die für Bundeswahlen massgebenden Bestimmungen des novellierten GABR haben dabei folgenden Wortlaut:

 

(Finanzieller Beitrag an die Kosten des Wahlkampfs)

b. Eidgenössische Wahlen

Art. 31ter

 

Bei den Wahlen in den Nationalrat wird der Beitrag an die Kosten des Wahlkampfs den politischen Parteien und Wählergruppen gewährt, die mindestens 5 % der gültig abgegebenen Listenstimmen erreichen.

Bei den Wahlen in den Ständerat wird der Beitrag an die Kosten des Wahlkampfs den politischen Parteien und Wählergruppen gewährt, die mindestens 20 % der auf der Zahl der gültigen Listen des ersten Wahlgangs berechneten Stimmen erreichen.

Für jede dieser Wahlen setzt sich der Beitrag zusammen aus:

a. einem pauschalen Grundbeitrag von Fr. 10 000.- und

b. einem Beitrag von Fr. 4 000.- für jeden gewählten Abgeordneten.

 

c. Auszahlung des Beitrags

 

Art. 31quater

 

Der nach den Art. 31bis und 31ter festgelegte Beitrag wird aufgrund der endgültigen Wahlergebnisse ausbezahlt.

 

1.1.2. Diese Novelle unterlag dem fakultativen Referendum. Ein solches wurde nicht ergriffen, und die Vorlage wurde vom Staatsrat des Kantons X auf den 1. März 1991 in Kraft gesetzt, ohne dass zuvor oder je seither eine bundesrechtliche Genehmigung für einen der erwähnten drei Artikel eingeholt worden wäre.

(...)

1.5. Mit Entscheid vom 7. November 1995 wies der Staatsrat des Kantons X eine Beschwerde gegen die Nationalratswahlen ab, soweit darauf einzutreten sei. Wegen trölerischer Beschwerdeführung wurden der Beschwerdeführerin Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 200.- auferlegt.

1.6. Zur Begründung seines Entscheids führte der Staatsrat namentlich folgendes an:

1.6.1. Die behauptete Verfassungswidrigkeit der staatlichen Wahlkampffinanzierung erfolgreicher Parteien sei entweder mangels Verfassungsrang der behaupteten Rechte (Sinn der Wahlen als Neuverteilung der Macht, staatliche Wettbewerbsneutralität bei Wahlen, Verbot der Zweckentfremdung eines Urnengangs) überhaupt nicht dargetan, oder aber (hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes, dem allein Verfassungsrang attestiert wird) der Kantonsregierung fehle die Befugnis, kantonale Gesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Insoweit könne auf die Beschwerde gar nicht eingetreten werden.

1.6.2. Auch der Nationalrat als Rekursinstanz sei eine politische, keine richterliche Behörde; daher habe auch er keine Befugnis zur Prüfung der Verfassungsmässigkeit der beanstandeten Gesetzesnormen. Weder das kantonale noch das Bundesrecht eröffne einen Rechtsweg an eine gerichtliche Instanz, der diese Prüfungsbefugnis zustünde.

1.6.3. Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, Beiträge an die etablierten Parteien verzerrten das natürliche Kräfteverhältnis, weil dabei kleine und neue Gruppierungen leer ausgingen, gehe fehl, weil die Beiträge an die Parteien erst nach dem Wahlkampf festgelegt und ausbezahlt würden.

1.6.4. Im Kostenpunkt sei zufolge des Verstosses «gegen elementare Logik» (Ziff. 1.6.3. hiervor) und angesichts des juristischen Abschlusses der Rekurrentin, die also die Regeln der Normenkontrolle und die verfassungsmässigen Rechte kennen müsste, die Überbindung einer Gebühr wegen trölerischer oder gegen den guten Glauben verstossender Beschwerdeführung angebracht.

(...)

Aus den Erwägungen:

3.1. Der Nationalrat als Beschwerdeinstanz hat zu prüfen, ob der Staatsrat des Kantons X mit seinem Entscheid vom 7. November 1995 Bundesrecht verletzt habe. (...)

(...)

Sinngemäss laufen die beiden Gesuche der Beschwerdeführerin auf ein Rechtsbegehren hinaus, die Nationalratswahlen im Kanton X vom 22. Oktober 1995 zu kassieren und den kritisierten kantonalen Gesetzesbestimmungen die bundesrechtliche Genehmigung zu versagen.

3.3. Die Beschwerdeführerin ersucht des weiteren darum, dass der Nationalrat «im Interesse des Rechtsschutzes der Stimmbürger» der Frage die gebührende Aufmerksamkeit schenke, ob Art. 31ter GABR des Kantons X überhaupt auf seine Übereinstimmung mit dem Bundesrecht hin überprüft worden sei.

Eine Rückfrage bei der federführenden Bundeskanzlei hat ergeben, dass die kantonale Novellierung vom 14. November 1990 des Gesetzes des Kantons X vom 18. März 1976 über die Ausübung der politischen Rechte (GABR) durch neue Art. 31bis, 31ter und 31quater über finanzielle Beiträge des Kantons an die Kosten des Wahlkampfs bei kantonalen und eidgenössischen Wahlen vom Staatsrat des Kantons X auf den 1. März 1991 in Kraft gesetzt wurde, ohne dass zuvor oder je seither eine bundesrechtliche Genehmigung für einen der erwähnten drei Artikel eingeholt worden wäre. Hingegen war die Genehmigung des Bundesrates eingeholt worden für den Erlass vom 18. März 1976 sowie für seine Änderung vom 15. Februar 1995.

(...)

3.4.1. Zur Genehmigung - sie hat nach Art. 91 Abs. 2 Satz 1 des BG vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR, SR 161.1) und Art. 7a Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 19. September 1978 (VwOG, SR 172.010) konstitutiven Charakter - der gerügten Normen zuständig ist in streitigen Fällen der Bundesrat (Art. 7a Abs. 2 Satz 2 VwOG), in den übrigen Fällen der Bundeskanzler (Art. 7a Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 1 VwOG und mit dem BPR). Mangels Zuständigkeit braucht sich der Nationalrat daher nicht über die Gültigkeit der beanstandeten drei Gesetzesartikel zu äussern; er kann lediglich den Staatsrat des Kantons X einladen, seine gesetzlichen Obliegenheiten zu erfüllen und bei der Bundeskanzlei um Einleitung des Genehmigungsverfahrens nachzusuchen.

3.4.2. Soweit freilich die Beschwerde darauf hinausläuft, die Kassation der Nationalratswahlen vom 22. Oktober 1995 im Kanton X zu verlangen, erweist sie sich als unbegründet. Denn für 1995 hat der Staatsrat des Kantons X nach eigenem Bekunden den Parteien bisher noch keine Beträge ausbezahlt.

Der vom Bundesgesetz über die politischen Rechte (Art. 77-79 und Art. 82) vorgezeichnete Instanzenzug sowie das Erfordernis, wesentlichen Einfluss der behaupteten Unregelmässigkeiten auf das Wahlergebnis glaubhaft zu machen (vgl. Art. 79 Abs. 2bis BPR), zeigen an, dass behauptete Unregelmässigkeiten mit dem beanstandeten Wahlergebnis in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen müssen.

Sollten sich die Rechtsgrundlagen für diese Wahlkampfkostenbeiträge daher als bundesrechtswidrig erweisen, so würde es vollkommen genügen, sie nicht auszubezahlen, damit das Wahlergebnis in bundesrechtskonformer Weise zustandegekommen wäre, weil bei Wegdenken des als Unregelmässigkeit gerügten Umstands keine Gruppierung mehr privilegiert gewesen wäre. Schon allein dieser Gedankengang verbietet es bei Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, weitergehende Massnahmen ins Auge zu fassen. (...)

4.1. Der Staatsrat des Kantons X hat der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren wegen trölerischer oder gegen den guten Glauben verstossender Beschwerdeführung die Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 200.- überbunden.

4.2. Dieser Teil des Entscheides des Staatsrates des Kantons X ist vor der anzuwendenden Bundesgesetzgebung nicht haltbar: Einer Beschwerdeführerin, welche bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Frage aufgeworfen hat, ob für die angefochtene kantonale Wahlkampfkostenregelung die Genehmigung des Bundesrates eingeholt worden sei, trölerische oder gegen den guten Glauben verstossende Beschwerdeführung vorzuwerfen, ohne auch nur dieser aufgeworfenen (und wie sich gezeigt hat: zwar unangenehmen, aber berechtigten) Frage nachzugehen, ist offensichtliche Rechtsverweigerung. Wenn Art. 86 BPR die Auferlegung von Kosten für den Regelfall verbietet, so dürfen erst recht keinerlei Kosten auferlegt werden, wo sich eine Rüge als berechtigt erweist. Im Kostenpunkt ist daher der Beschwerdeentscheid des Staatsrates des Kantons X aufzuheben.





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