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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 60.89

(Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter, 28. August 1996)


Regeste Deutsch
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Regesto Italiano
  Ausführungen
1. Problemstellung
2. Rechtliches
3. Beantwortung der gestellten Fragen

Datenschutz. Internationale Amtshilfe. Bekanntgabe von Asylbewerberdaten an ausländische Staaten.

Art. 6 DSG. Art. 45 AsylG. Art. 2 IRSG.

Die Fingerabdrücke von Asylbewerbern dürfen nicht ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde. Bei der gebotenen Abklärung ist auch zu prüfen, ob die Umstände der Datenbekanntgabe im konkreten Fall zu einer schwerwiegenden Gefährdung führen. Bei der Bekanntgabe solcher Daten an die Asylbehörden von Staaten der Europäischen Union (EU) oder anderer Staaten mit gleichwertigem Datenschutz kann eine solche Gefährdung ausgeschlossen werden.


Protection des données. Entraide administrative internationale. Communication de données concernant des requérants d'asile à des pays étrangers.

Art. 6 LPD. Art. 45 LAsi. Art. 2 EIMP.

Les empreintes digitales de requérants d'asile ne peuvent pas être communiquées à l'étranger si la personnalité des personnes concernées devait s'en trouver gravement menacée. Lors de l'examen exigé, les autorités doivent également vérifier si, dans les circonstances de l'espèce, une communication de données ne constitue pas une menace grave. Lors de la communication de ces données aux autorités d'asile des pays de l'Union Européenne (UE) ou d'autres pays connaissant une protection des données équivalente un tel risque de menace grave peut être exclu.


Protezione dei dati. Assistenza amministrativa internazionale. Comunicazione di dati concernenti richiedenti l'asilo a paesi stranieri.

Art. 6 LPD. Art. 45 LAsi. Art. 2 AIMP.

Le impronte digitali di richiedenti l'asilo non possono essere comunicate all'estero se la personalità delle persone in questione ne sarebbe gravemente minacciata. In occasione dell'esame necessario le autorità devono anche verificare se le circostanze nel caso concreto di una comunicazione di questi dati non costituisca una grave minaccia. Nell'ambito della comunicazione di questi dati alle autorità d'asilo dei paesi dell'Unione Europea (UE) o d'altri paesi con una protezione dei dati equivalente, un tale rischio di grave minaccia può essere escluso.




1. Problemstellung

1.1. Probleme bei der Bekanntgabe von Asylbewerberdaten inkl. Fingerabdrücken an den Heimatstaat beim Vollzug einer Wegweisungsverfügung

Sind in der Schweiz abgelehnte Asylbewerber rechtskräftig weggewiesen worden und verfügen sie über keine Ausweise, müssen die Ausweise bei den zuständigen Behörden des Heimatstaates beschafft werden. Ohne Ausweise ist die Ausreise aus der Schweiz bzw. die Rückreise in den Heimatstaat und somit der Vollzug der Wegweisung nicht möglich. In ungefähr 100 Fällen pro Jahr betrifft dies Personen aus (...). Die genannten Staaten führen Fingerabdruck-Datensammlungen, in denen ein Grossteil ihrer Bürger verzeichnet sind und stellen Ausweise offenbar nur dann aus, wenn die Identität einer Person aufgrund der Fingerabdrücke festgestellt wurde. Andererseits verfügen die genannten Staaten über keinen der Schweiz gleichwertigen Datenschutz. Es handelt sich zudem um Länder, die nicht zu den traditionellen Rekrutierungsländern für Arbeitskräfte in der Schweiz gehören, so dass der Umstand der Datenbekanntgabe bei Personen, die nicht als Straftäter verzeichnet sind, von den Behörden des Heimatstaates leicht als Hinweis auf eine Regimefeindlichkeit gedeutet werden könnte. Aus diesen Ländern sind zudem häufige, gerade auch politisch motivierte, Menschenrechtsverletzungen bekannt. - Es fragt sich, ob unter diesen Umständen beim (zwangsweisen) Vollzug einer Wegweisung Personendaten inkl. Fingerabdrücke gleichwohl an die Behörden der genannten Staaten bekanntgegeben werden dürfen. Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) hat die Datenbekanntgabe vorläufig eingestellt.

1.2. Probleme bei der Bekanntgabe von Asylbewerberdaten inkl. Fingerabdruckdaten während dem Asylverfahren an europäische Staaten, in denen sich ein Asylbewerber möglicherweise vor der Einreise in die Schweiz auch noch aufgehalten hat

In etwa 100 Fällen pro Jahr müssen mit den Flüchtlingsbehörden verschiedener Länder der Europäischen Union (EU) Fingerabdruckdaten von Asylbewerbern ausgetauscht werden, um das sogenannte Erstasylland feststellen und die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens bestimmen zu können. In (praktisch) allen diesen Ländern besteht ein gleichwertiger Datenschutz, und Menschenrechtsverletzungen sind keine zu befürchten. Ein Staat der EU hat nun freilich diesen Datenaustausch - offenbar mangels einer genügenden innerstaatlichen Rechtsgrundlage - unterbunden. Es fragt sich, wie es sich aus schweizerischer Sicht mit derartigen Datenbekanntgaben verhält.

1.3. Probleme bei der Bekanntgabe von Asylbewerber-Fingerabdruckdaten aufgrund von Interpol-Anfragen bzw. zu polizeilichen Zwecken

Sämtliche Begehren um Datenbekanntgaben ausländischer Polizeibehörden, welche Asylbewerber betreffen, werden von der zuständigen Interpol-Stelle im Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) zwecks Begutachtung an das BFF weitergeleitet, welches aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Datenbekanntgabe entscheidet. Dies betrifft sowohl die Bekanntgabe von Fingerabdrücken als auch von anderen Personendaten. Dabei werden in hängigen Asylverfahren in der Regel keine Daten zu polizeilichen Zwecken ans Ausland bekanntgegeben. Es fragt sich, ob dieses Vorgehen insgesamt als datenschutzrechtskonform bezeichnet werden kann.

2. Rechtliches

2.1. Datenschutzrecht

Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG, SR 235.1) lautet wie folgt:

«Personendaten dürfen nicht ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde, namentlich weil ein Datenschutz fehlt, der dem schweizerischen gleichwertig ist.»

Ergänzend bestimmen zudem soweit hier interessierend Art. 19 Abs. 1 und 4 DSG was folgt:

«1 Bundesorgane dürfen Personendaten bearbeiten, wenn dafür Rechtsgrundlagen im Sinne von Art. 17 bestehen oder wenn:

a. die Daten für den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe unentbehrlich sind;

b. die betroffene Person im Einzelfall eingewilligt hat oder die Einwilligung nach den Umständen vorausgesetzt werden darf;

c. die betroffene Person ihre Daten allgemein zugänglich gemacht hat; oder

d. der Empfänger glaubhaft macht, dass die betroffene Person die Einwilligung verweigert oder die Bekanntgabe sperrt, um ihm die Durchsetzung von Rechtsansprüchen oder die Wahrnehmung anderer schutzwürdiger Interessen zu verwehren; der betroffenen Person ist vorher wenn möglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

2 (...)

3 (...)

4 Das Bundesorgan lehnt die Bekanntgabe ab, schränkt sie ein oder verbindet sie mit Auflagen, wenn:

a. wesentliche öffentliche Interessen oder offensichtlich schutzwürdige Interessen einer betroffenen Person es verlangen; oder

b. gesetzliche Geheimhaltungspflichten oder besondere Datenschutzvorschriften es verlangen.»

Demnach gelten im schweizerischen Datenschutzrecht folgende absolute Schranken für eine Datenbekanntgabe: Ins Ausland dürfen keine Personendaten bekanntgegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde (Art. 6 Abs. 1 DSG). Im Vordergrund steht dabei die Bekanntgabe von besonders schützenswerten Personendaten oder von Persönlichkeitsprofilen an einen Staat, der nicht dafür Gewähr zu bieten vermag, dass die an ihn bekanntgegebenen Daten datenschutzrechtskonform bearbeitet werden, so dass mit schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen bereits durch die zu erwartenden Datenbearbeitungen gerechnet werden muss. Erschwerend wirkt sich aus, wenn aufgrund der besonderen Umstände den betroffenen Personen als Folge der Datenbekanntgabe Gefahren für Leib und Leben drohen. Hier besteht zugleich ein Berührungspunkt zum asyl- bzw. flüchtlingsrechtlichen sowie zum menschenrechtlichen Non-Refoulement-Gebot (vgl. hierzu nachstehend Ziff. 2.2.). Weitere absolute Schranken für die Datenbekanntgabe sind im Bestehen einer gesetzlichen Geheimhaltungspflicht (Art. 19 Abs. 4 Bst. a DSG) sowie im Fehlen einer gesetzlichen Ermächtigung für ein Bundesorgan zur regelmässigen Datenbekanntgabe bzw. im Fehlen einer echten Notwendigkeit zur ausnahmsweisen Datenbekanntgabe im Einzelfall (Art. 19 Abs. 1 Bst. a DSG) zu erblicken. Als relative, nicht in jedem Fall bestehende Schranke gelten demgegenüber die einer Datenbekanntgabe entgegenstehenden offensichtlich schutzwürdigen Interessen (Art. 19 Abs. 4 Bst. a DSG). Sie sind mit anderen Interessen abzuwägen und dürfen insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich angerufen werden (Art. 19 Abs. 1 Bst. d DSG).

Ein Blick in den europäischen Raum zeigt, dass dort vergleichbare Vorschriften gelten. Nach Art. 25 der EU-Richtlinie 95/46 vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 23. November 1995 Nr. L 281, S. 30 ff., im folgenden: EU-Datenschutzrichtlinie) setzt die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer ein dort bestehendes «angemessenes Schutzniveau» voraus. Ausnahmen sind nach Art. 26 EU-Datenschutzrichtlinie im Interesse der Betroffenen selber oder zum Abschluss und zur Erfüllung von Individualverträgen zulässig oder «wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche ausreichende Garantien hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre, der Grundrechte und der Grundfreiheiten der Personen sowie hinsichtlich der Ausübung der damit verbundenen Rechte bietet». Indessen gilt gemäss Art. 8 EU-Datenschutzrichtlinie ein - freilich ebenfalls durch Ausnahmen gelokkertes - Verbot für die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie Daten über Gesundheit oder Sexualleben. In diesem Sinn enthält das hier ebenfalls interessierende Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (abgedruckt in: Alberto Achermann / Roland Bieber / Astrid Epiney / Ruth Wehner, Schengen und die Folgen, Bern/München/Wien 1995, Anhang 3, S. 243 ff.; im folgenden: EU-Erstasylübereinkommen) in Art. 15 einen vergleichsweise eng gefassten Katalog der zu übermittelnden Personendaten. Dieser beschränkt sich im wesentlichen auf die Personalien, auf einige verfahrensrelevante Angaben, auf Ausweise und auf «sonstige zur Identifizierung erforderliche Angaben». Das können gemäss einem Gutachten vom 18. März 1993 des juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Gemeinschaften (5546/93/JUR25) in Einzelfällen freilich auch Fingerabdrücke sein. Praktisch gleichlautend fiel der Katalog der zu übermittelnden Daten im Abkommen vom 20. Dezember 1993 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (Rückübernahmeabkommen, SR 0.142.111.368) aus. Die beiden letztgenannten Abkommen betreffen freilich nur europäische Staaten mit gutem Datenschutz.

Im Sinne eines Zwischenergebnisses lässt sich daher sagen, dass im schweizerischen wie im dargestellten europäischen Recht die Datenbekanntgabe an Staaten ohne gleichwertigen bzw. angemessenen Datenschutz absolut untersagt ist, wenn dadurch a) Datenbearbeitungen ermöglicht werden, welche schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen darstellen würden oder b) die Persönlichkeit der betroffenen Personen infolge der Datenbekanntgabe oder Datenbearbeitung auf andere Weise schwerwiegend gefährdet würde. Die insofern etwas ausführlicher gehaltene EU-Datenschutzrichtlinie präzisiert dabei, dass - trotz dem Fehlen eines angemessenen allgemeinen Schutzniveaus - für bestimmte, gut geschützte Bereiche oder wegen der besonderen Gewähr, die ein Datenverarbeiter zu bieten vermag, in konkreten Einzelfällen gleichwohl ein ausreichender Schutz angenommen werden kann, welcher die Datenbekanntgabe in diesen begrenzten Fällen gestatten würde.

2.2. Der Bezug zum Flüchtlingsrecht und zum Prinzip des Non-Refoulement als Gebot des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte

Wie bereits erwähnt, ergeben sich aus dem Gesagten in verschiedener Hinsicht Berührungspunkte zum Flüchtlingsrecht und namentlich zum flüchtlingsrechtlichen und zum menschenrechtlichen Gebot des Non-Refoulement.

Nach Art. 3 Abs. 1 und 2 des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979 (AsylG, SR 142.31) sind Flüchtlinge Ausländer, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthafter Nachteile ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Nach Art. 45 Abs. 1 AsylG darf sodann niemand in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 gefährdet sind oder in dem die Gefahr besteht, dass er zur Ausreise in ein solches Land gezwungen wird. Diese beiden Vorschriften stehen in Einklang mit den Bestimmungen des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 zum genannten Abkommen (SR 0.142.301) und sind auch in die Art. 3 und 5 des bundesrätlichen Entwurfs gemäss Botschaft vom 4. Dezember 1995 zu einem revidierten Asylgesetz (im folgenden: Botschaft E-rev. AsylG, BBl 1996 II 1 ff.) übernommen worden. Nach Art. 4 E-rev. AsylG kann die Schweiz zudem Schutzbedürftigen, welche die Voraussetzungen nach Art. 3 nicht erfüllen, für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges, vorübergehend Schutz gewähren.

Nach Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Gemäss Rechtsprechung der Strassburger Organe verbietet diese Bestimmung auch die Auslieferung oder Ausweisung in ein Land, in welchem mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu rechnen ist, und sie gilt nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Straftäter, welche ausgeliefert oder ausgewiesen werden sollen (Grundsatz des Non-Refoulement; vgl. hierzu etwa Arthur Haefliger, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 63 ff., insb. S. 66). In die gleiche Richtung zielt Art. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG, SR 351.1). Danach wird einem Ersuchen um Zusammenarbeit in Strafsachen nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland den Verfahrensgrundsätzen der EMRK nicht entspricht oder durchgeführt wird, um eine Person wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu verfolgen oder zu bestrafen oder dazu führen könnte, die Lage des Verfolgten aus einem dieser Gründe zu erschweren. Den gleichen Grundsätzen verpflichten sich die Statuten vom 13. Juni 1956 der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL), welche in Art. 2 Bst. a bestimmen, dass die polizeiliche Zusammenarbeit im Geiste der Erklärung der Menschenrechte zu erfolgen hat.

Daraus ist ersichtlich, dass diese - wie auch hier nicht erwähnte weitere - Vorschriften versuchen, Menschen vor ungerechtfertigter, schwerer Verletzung ihrer Persönlichkeit und von Leib und Leben in einem anderen Staat zu beschützen. Diese Vorschriften weisen trotz ihrem gemeinsamen Anliegen je nach dem Rechts- und Lebenszusammenhang, für den sie gelten (Flüchtlingsrecht, Strafrecht, Datenschutzrecht) gleichwohl gewisse Unterschiede in Wortlaut und Bedeutung auf, welche es bei ihrer Anwendung in konkreten Einzelfällen zu beachten gilt. Für den Datenschutz ergibt sich dabei insofern eine Besonderheit, als ungerechtfertigte Datenbearbeitungen in einem Drittland ohne gleichwertigen Datenschutz an sich schon schwere Persönlichkeitsverletzungen darstellen können; hinzu kommen die als Folge der Datenbekanntgabe in bestimmten Staaten unter gewissen Voraussetzungen zu erwartenden Gefährdungen von Leib und Leben.

3. Beantwortung der gestellten Fragen

3.1. Bekanntgabe von Asylbewerberdaten inkl. Fingerabdrücken an bestimmte Herkunftsländer ohne gleichwertigen Datenschutz

In den eingangs beschriebenen Ländern besteht kein dem schweizerischen gleichwertiger Datenschutz, und es ist notorisch, dass dort zur Zeit Personen, welche dem Regime kritisch gegenüberstehen, mit schweren Gefährdungen für Leib und Leben zu rechnen haben. Es bestehen zudem dichte Überwachungsnetze, wobei sämtliche Staatsangehörige mit ihren Fingerabdrücken bei den (Polizei-) Behörden verzeichnet sind. Personen, die das Land aus Furcht vor den herrschenden Verhältnissen unerkannt verlassen haben und in die Schweiz gelangt sind, können mittels Fingerabdruckabgleich sofort identifiziert werden. Weil die genannten Staaten nicht zu den traditionellen Rekrutierungsländern für Gastarbeiter in der Schweiz zählen, wirft die Übermittlung von Identifizierungsdaten aus der Schweiz indessen von vornherein ein ungünstiges Licht auf die betroffenen Personen. Han-delt es sich dabei nicht um über INTERPOL ausgeschriebene Straftäter, ist zu befürchten, dass sie sogleich zu den Regimegegnern gezählt werden und - jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt - bereits aus diesem Grund mit persönlichkeitsverletzenden weiteren Datenbearbeitungen und mit schweren Gefährdungen auch für Leib und Leben zu rechnen haben. Dabei mag es sich in konkreten Einzelfällen mitunter auch anders verhalten. Wollen die Schweizer Behörden indessen heikle (Fingerabdruck-)Daten in eines der genannten Länder ohne ausreichenden Datenschutz und ohne ausreichende allgemeine Garantien für die Wahrung der Menschenrechte übermitteln, müssen sie vorher sorgfältig abklären, ob «der für die Datenverarbeitung Verantwortliche ausreichende Garantien hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre, der Grundrechte und der Grundfreiheiten sowie hinsichtlich der Ausübung der damit verbundenen Rechte bietet» (um es in den - den Sinn von Art. 6 Abs. 1 DSG insofern ebenfalls wiedergebenden - Worten der EU-Datenschutzrichtlinie auszudrücken).

Für die erwähnten Staaten müssten aus allen diesen Gründen Datenübermittlungen zu den genannten Zwecken und an die genannten Behörden jedenfalls im heutigen Zeitpunkt als klarer Verstoss gegen Art. 6 Abs. 1 DSG bezeichnet werden, so dass sich die Einstellung solcher Datenübermittlungen durch das BFF als richtig erweist. - Diese datenschutzrechtliche Beurteilung erfolgt losgelöst von der flüchtlingsrechtlichen Beurteilung des Gesuches um Anwesenheit einer Person in unserem Land, welche nach teilweise anderen Rechtsvorschriften und Kriterien durchgeführt wird. Während im schweizerischen Flüchtlingsrecht beispielsweise eine gezielte Verfolgung nachgewiesen werden muss (vgl. hierzu Walter Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel und Frankfurt a.M. 1990, S. 23 ff. und insb. S. 36; ferner: Alberto Achermann / Christina Hausammann, Handbuch des Asylrechts, 2. Aufl., Bern und Stuttgart 1991, S. 74 und 90), kann gerade im Datenschutzrecht der ungezielte Umgang mit heiklen Personendaten und deren Verfälschung oder unzulässige Verbindung mit anderen Daten usw. zu schweren Persönlichkeitsverletzungen führen (welche dann freilich ebenfalls Anlass zu gezielter Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts geben können).

3.2. Bekanntgabe von Asylbewerberdaten inkl. Fingerabdrücken an Staaten der Europäischen Union

Heute verfügen (mit Ausnahme von Italien und Griechenland, wo die entsprechenden Gesetzgebungsarbeiten noch nicht ganz abgeschlossen sind) alle Staaten der Europäischen Union und eine ganze Reihe weiterer Staaten über einen der Schweiz gleichwertigen Datenschutz. Alle hier interessierenden Staaten sind zudem der Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Hier sind demnach aus dem Umstand der Datenbekanntgabe zu den genannten Zwecken keine schwerwiegenden Gefährdungen der Persönlichkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 DSG zu erwarten.

Indessen gilt es zu beachten, dass nach Art. 19 Abs. 1 DSG Bundesorgane Personendaten nur bekanntgeben dürfen, wenn dafür Rechtsgrundlagen im Sinne von Art. 17 DSG bestehen (formelles Gesetz im Sinne von Art. 3 Bst. k DSG bei besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen, materielles Gesetz bei den übrigen Personendaten) oder wenn die Daten für den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe unentbehrlich sind (Art. 19 Abs. 1 Bst. a DSG). Das bedeutet, dass die regelmässige Bekanntgabe von Asylbewerberdaten zur Abklärung des Erstasyllandes - was beim Datenaustausch mit grösseren (Nachbar-)Staaten der Fall sein dürfte - einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. Demgegenüber fällt der eher sporadische Datenaustausch mit anderen Staaten wohl unter Art. 19 Abs. 1 Bst. a DSG (in Verbindung mit dem AsylG). Wegen fehlenden entsprechenden Rechtsgrundlagen in seinem innerstaatlichen Recht hat ein europäischer Staat unlängst die Übermittlung von Asylbewerberdaten in die Schweiz jedenfalls vorübergehend gestoppt.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die regelmässige Bekanntgabe von Asylbewerberdaten inkl. Fingerabdruckdaten durch das BFF an andere Asylbehörden im europäischen Raum gemäss Art. 19 Abs. 1 DSG einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Der gelegentliche Austausch solcher Daten ist indessen von Art. 19 Abs. 1 Bst. a DSG gedeckt.

3.3. Bekanntgabe von Asylbewerber-Fingerabdruckdaten aufgrund von Interpol-Anfragen bzw. zu polizeilichen Zwecken

Das BAP mit der Sektion INTERPOL und das BFF haben sich dahingehend abgesprochen, dass an das BAP gerichtete Interpol-Anfragen nur mit Zustimmung des BFF beantwortet werden. Das BFF gibt dabei während einem hängigen Asylverfahren grundsätzlich keine Asylbewerber-Daten weiter. Nach abgeschlossenem Asylverfahren gibt es die Daten nur nach einer Interessenabwägung weiter.

Für diejenigen Interpol-Anfragen, für welche nicht auch das DSG sondern lediglich das IRSG oder besondere Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen gelten («Verfahren der internationalen Rechtshilfe» im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Bst. c DSG; vgl. auch Art. 351quinquies StGB [SR 311.0], sowie Art. 2 und 3 der Verordnung vom 1. Dezember 1986 über das Nationale Zentralbüro INTERPOL Schweiz, [SR 172.213.56]), ist die Interessenabwägung gestützt auf das Flüchtlingsrecht und auf die Menschenrechte sowie auf die genannten Strafnormen vorzunehmen, für die anderen Interpol-Anfragen (auch) gestützt auf Art. 19 Abs. 4 DSG. Unabhängig davon gilt das DSG in jedem Fall im internen Verhältnis zwischen den beteiligten Bundesorganen. Bei der umschriebenen Interessenabwägung sind - je nach Rechtslage - gewisse absolute Verbote der Datenübermittlung zu beachten (vgl. vorne Ziff. 2.1. und 2.2.). Detailliertere Wertungsvorgaben können an dieser Stelle indessen nicht gegeben werden. Richtig erscheint jedoch, dass das mit Flüchtlingsfragen betraute Bundesorgan zumal als Inhaber der entsprechenden Datensammlung(en) in die gebotene Interessenabwägung massgebend miteinbezogen wird. Insofern ist die institutionelle Einbindung des BFF in den dargestellten Prozess absolut erforderlich. Art. 95 Abs. 6 und Art. 97 Abs. 3 E-rev. AsylG tragen diesem Erfordernis in sachgerechter Weise Rechnung.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht erweist es sich demnach als richtig und erforderlich, dass das BFF vor der Weitergabe von Asylbewerberdaten an ausländische Polizeibehörden im Einzelfall und gestützt auf die einschlägigen Rechtsvorschriften eine Interessenabwägung vornimmt.





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