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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 68.103

(Entscheid des Bundesrates vom 21. April 2004 in Sachen Verwaltungsbeschwerde der santésuisse gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Bern vom 18. Juni 2003 [RRB Nr. 1745] betreffend Festsetzung der Spitextarife für den Spitex Verband des Kantons Bern)


Regeste Deutsch
Résumé Français
Regesto Italiano
 
Sachverhalt
Sachverhalt A.
Sachverhalt B.
Sachverhalt C.
 
Erwägungen
Erwägung 1.-4.
Erwägung 5.
Erwägung 5.1.
Erwägung 5.2.
Erwägung 5.3.
Erwägung 5.4.
Erwägung 6.
Erwägung 6.1.
Erwägung 6.2.
Erwägung 6.2.1.
Erwägung 6.2.2.
Erwägung 7.
Erwägung 7.1.
Erwägung 7.2.
Erwägung 7.3.
Erwägung 8.
Erwägung 9.
Erwägung 10.
Erwägung 11.-14.
 

Krankenversicherung. Spitextarif. Gesetzeskonformität von Art. 9a Abs. 1 KLV. Begriff des Rahmentarifs. Einheitstarif.

- Art. 9a KLV stützt sich auf Art. 59a KVV in Verbindung mit Art. 43 Abs. 7 KVG sowie Art. 104a KVG und ist somit gesetzeskonform (E. 6.1).

- Art. 9a KLV verstösst nicht gegen das indirekt im Gesetz verankerte Kostendeckungsprinzip (E. 6.2.1).

- Damit die Rahmentarife gemäss Art. 9a KLV überschritten werden dürfen, braucht es vorbehältlich eines rechtmissbräuchlichen Verhaltens seitens eines Tarifpartners eine gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlage (formelle Voraussetzung). Zudem muss diese transparent und erschöpfend die Kosten des Leistungserbringers ausweisen (materielle Voraussetzung; E. 7; Bestätigung der Rechtsprechung in RKUV 4/2002 331 f.).

- Die Festsetzung eines Einheitstarifs verstösst gegen Art. 9 Abs. 3 und Art. 9a Abs. 1 KLV in Verbindung mit Art. 7 KLV (E. 8).


Assurance-maladie. Tarif Spitex. Légalité de l'art. 9a al. 1 OPAS. Notion de tarif-cadre. Tarif uniforme.

- L'art. 9a OPAS est basé sur l'art. 59a OAMal en corrélation avec l'art. 43 al. 7 LAMal et l'art. 104a LAMal; il est donc conforme à la loi (consid. 6.1).

- L'art. 9a OPAS n'est pas contraire au principe de la couverture des frais, institué indirectement par la loi (consid. 6.2.1).

- Les tarifs-cadres prévus à l'art. 9a OPAS ne peuvent être dépassés qu'en présence d'une base de calcul des coûts établie en commun (condition formelle), sauf comportement abusif d'un des partenaires tarifaires. Cette base doit en outre indiquer les coûts du fournisseur de prestations de manière transparente et exhaustive (condition matérielle; consid. 7; confirmation de la jurisprudence parue dans RAMA 4/2002 331 s.).

- La fixation d'un tarif uniforme est contraire à l'art. 9 al. 3 et à l'art. 9a al. 1 OPAS en corrélation avec l'art. 7 OPAS (consid. 8).


Assicurazione contro le malattie. Tariffa Spitex. Conformità alla legge dell'art.  9a cpv. 1 OPre. Nozione di tariffa quadro. Tariffa unica.

- L'art. 9a OPre si basa sull'art. 59a OAMal in relazione con l'art. 43 cpv. 7 LAMal e l'art. 104a LAMal ed è quindi conforme alla legge (consid. 6.1).

- L'art. 9a OPre non viola il principio della copertura dei costi previsto indirettamente dalla legge (consid. 6.2.1).

- Le tariffe quadro secondo l'art. 9a OPre possono essere superate se vi è una base di calcolo elaborata congiuntamente (condizione formale) ed è escluso un comportamento abusivo da parte di un partner tariffale. Inoltre, questa base di calcolo deve essere trasparente ed esaustiva nella dimostrazione dei costi del fornitore di prestazioni (condizione materiale; consid. 7; conferma della giurisprudenza in RAMI 4/2002 331 seg.).

- La fissazione di una tariffa unica viola l'art. 9 cpv. 3 e l'art. 9a cpv. 1 OPre in relazione con l'art. 7 OPre (consid. 8).




Zusammenfassung des Sachverhalts:

A. Mit Beschluss vom 18. Juni 2003 setzte der Regierungsrat des Kantons Bern gestützt auf den Art. 47 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG, SR 832.10) für die in der Grund- und Behandlungspflege sowie in der Abklärung und Beratung zu Lasten der Krankenversicherer erbrachten Leistungen einen Tarif von 66.60 Franken pro Stunde beziehungsweise 5.50 Franken pro 5 Minuten fest. Dieser Tarif trat rückwirkend auf den 1. Januar 2003 in Kraft.

B. Gegen diesen Beschluss führte santésuisse am 10. Juli 2003 Beschwerde an den Bundesrat. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des festgesetzten Tarifs sowie eine Neufestsetzung des Betrages durch den Bundesrat in der Höhe von maximal 55.20 Franken pro Stunde beziehungsweise maximal 4.60 Franken pro 5 Minuten.

Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 9a Abs. 1 Bst. a-c der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 29. September 1995 (KLV, SR 832.112.31). Die in dieser Bestimmung festgelegten maximalen Vergütungen dürften solange nicht überschritten werden, als die Leistungserbringer nicht über eine mit den Versicherern gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlage verfügten. Ebenso sei die materielle Voraussetzung für eine Abweichung von den in Art. 9a KLV festgelegten Tarifen nicht erfüllt. Zudem seien die Kostenträger bezüglich KVG zu undifferenziert, sodass die in Art. 7 Abs. 2 KLV vorgesehenen Kategorien nicht unterschieden werden könnten.

C. In seiner Vernehmlassung vom 22. August 2003 beantragte der Spitex Verband des Kantons Bern, die Beschwerde sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdeführerin abzuweisen.

Zur Begründung führt der Verband im Wesentlichen aus, der Spitextarif müsse gemäss der Rechtsprechung des Bundesrates kostendeckend sein. Es sei zu prüfen, ob Art. 9a KLV gesetzeskonform sei. Der vom Regierungsrat festgelegte Rahmentarif entbehre einer gesetzlichen Grundlage und verstosse gegen den im KVG verankerten Grundsatz kostendeckender Spitextarife. Diese Bestimmung könne jedoch auch noch aus einem anderen Grund nicht angewendet werden. Die Beschwerdeführerin habe sich konstruktiven Verhandlungen widersetzt, um dadurch den Tarif auf einem für sie günstigen und tiefen, den gesetzlichen Vorgaben widersprechenden, Niveau zu halten. Ein solches Verhalten erweise sich als rechtsmissbräuchlich.

Aus den Erwägungen:

1.-4. (…)

5. Für die Krankenpflege zu Hause werden die gleichen Leistungen vergütet wie beim Aufenthalt in einem Pflegeheim oder bei ambulanter Krankenpflege (Art. 50 KVG). Dass die gleichen Leistungen vergütet werden müssen, bedeutet nicht Kostenidentität. Preisvergleiche können zwar durchgeführt werden, was aber nicht zwingend bedeutet, dass die entsprechenden Leistungen in allen Bereichen gleich viel kosten.

5.1. Art. 43 Abs. 2 KVG legt fest, dass der Tarif als Grundlage für die Berechnung der Vergütung dient. Diese kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen: nach Zeitaufwand (Bst. a), auf Grund von Taxpunkten und der Bestimmung von Taxpunktwerten für einzelne Leistungen (Bst. b), mittels Pauschalen (Bst. c) oder im Sinne eines Tarifausschlusses (Bst. d). Letzteres bedeutet, dass zur Sicherung der Qualität bestimmte Leistungen ausnahmsweise von Bedingungen abhängig gemacht werden, welche über die Voraussetzungen nach den Art. 36-40 KVG hinausgehen, wie namentlich vom Vorliegen der notwendigen Infrastruktur und der notwendigen Aus-, Weiter- oder Fortbildung eines Leistungserbringers.

5.2. Während bei den Spitälern und Pflegeheimen die Führung einer Kostenstellenrechnung vorgeschrieben ist (Art. 49 Abs. 6 und Art. 50 KVG), fehlt eine entsprechende Bestimmung für andere Leistungserbringer (insbesondere für Organisationen der Krankenpflege zu Hause). Dennoch ist zur Festsetzung der Tarife eine Berechnungsgrundlage erforderlich, die sich an den verrechenbaren Kosten der Spitexorganisationen orientiert.

5.3. Art. 59a der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 (KVV, SR 832.102; Änderung vom 17.9.1997; in Kraft seit 1.1.1998) besagt, dass bei ungenügender Kostenberechnung für die Leistungen nach Art. 7 KLV der Krankenschwestern und Krankenpfleger, der Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause oder der Pflegeheime das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) für diese Leistungen Rahmentarife festlegen kann. Diese haben die Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit der Leistungsvergütung nach Art. 32 KVG sicherzustellen. Art. 9a KLV (Änderung vom 18.9.1997, in Kraft seit 1.1.1998) enthält Tariflimiten. Nach Abs. 1 dürfen, solange die Leistungserbringer nach Art. 7 Abs. 1 Bst. a und b KLV nicht über mit den Versicherern gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlagen verfügen, bei der Tariffestsetzung bestimmte Rahmentarife pro Stunde nicht überschritten werden:

- Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 Bst. c KLV in einfachen und stabilen Situationen: 30-45 Franken (Bst. a)

- Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 Bst. c KLV in instabilen und komplexen Situationen sowie für Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 Bst. b KLV: 45-65 Franken (Bst. b)

- Leistungen nach Art. 7 Abs. 2 Bst. a KLV: 50-70 Franken (Bst. c).

Eine analoge Regelung wurde auch für die Tariffestsetzung in den Pflegeheimen erlassen.

5.4. (…)

6. Der Spitex Verband wie auch die Gesundheits- und Fürsorgedirektion sind der Ansicht, dass Art. 9a KLV einer gesetzlichen Grundlage entbehre und gegen das indirekt im Gesetz verankerte Kostendeckungsprinzip verstosse.

Die Beschwerdegegner verlangen mit ihrer Rüge sinngemäss eine konkrete Normenkontrolle durch den Bundesrat. Art. 191 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) erklärt Bundesgesetze, nicht aber Verordnungen für massgeblich. Zur vorfrageweisen Normenkontrolle berechtigt - und dementsprechend auf Rüge hin verpflichtet - sind insbesondere das Bundesgericht, die Rekurskommissionen und der Bundesrat (Ulrich Zimmerli/Walter Kälin/Regina Kiener, Grundlagen des öffentlichen Verfahrensrechts, Bern 2004, S. 23). Die eingelebte Bezeichnung Normenkontrolle hat die Überprüfung der Gültigkeit von Rechtssätzen im Unterschied zu Verfügungen zum Gegenstand. Die Gültigkeit von Rechtssätzen kann in Frage stehen, weil sie nicht auf dem ordnungsgemässen Weg zustande gekommen sind, von einer unzuständigen Instanz erlassen oder nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form veröffentlicht worden sind (formelle Gesetzesmässigkeit). Nach dem Stufenbau der Rechtsordnung kann sich die Gültigkeit des Weiteren aus einem Widerspruch von Rechtssätzen der unteren Stufe zu der höheren Stufe ergeben (materielle Gesetzesmässigkeit; vgl. Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. überarbeitete Auflage, Bern 1983, S. 227).

6.1. Art. 43 Abs. 7 KVG ermächtigt den Bundesrat zum Aufstellen von Grundsätzen für eine wirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur sowie für die Anpassung der Tarife. Er hat für die Koordination mit den Tarifordnungen der anderen Sozialversicherungen zu sorgen. Der Bundesrat hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und Art. 59a KVV erlassen. Gemäss dieser Bestimmung kann das Departement, wenn die Kostenberechnungen für die Leistungen nach Art. 7 KLV der Krankenschwestern und Krankenpfleger, der Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause oder der Pflegeheime ungenügend sind, Rahmentarife für diese Leistungen festlegen (Abs. 1). Die Rahmentarife stellen die Wirtschaftlichkeit und die Zweckmässigkeit der Leistungsvergütung nach Art. 32 KVG sicher (Abs. 2). Art. 48 Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG, SR 172.010), welcher die Ermächtigung des Bundesrates zur Übertragung der Zuständigkeit zum Erlass von Rechtssätzen auf die Departemente ausdrücklich vorsieht, lässt eine solche Subdelegation zu. Gestützt auf Art. 59a KVV hat das EDI den umstrittenen Art. 9a KLV erlassen, welcher am 1. Januar 1998 in Kraft trat. Diese Kompetenz wurde durch den am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Art. 104a KVG bestätigt. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung kann das Departement, solange für die Leistungen der Krankenpflege keine von Leistungserbringern und Versicherern gemeinsam erarbeiteten Grundlagen der Tarifberechnung bestehen, durch Verordnung festlegen, in welchem Ausmass diese Leistungen übernommen werden dürfen. Die Voraussetzungen für eine zulässige Delegation beziehungsweise Subdelegation sind vorliegend folglich erfüllt.

6.2. Ob Art. 9a KLV den Delegationsrahmen sprengt, ist eine Frage der materiellen Gesetzesmässigkeit. Bei unselbstständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüfen die Gerichte beziehungsweise die rechtsanwendenden Behörden, ob sich der Verordnungsgeber in den Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Soweit das Gesetz den Verordnungsgeber nicht ermächtigt hat, von der Verfassung abzuweichen, befinden sie auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbstständigen Verordnung. Wird dem Verordnungsgeber allerdings durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, so ist dieser Spielraum nach Art. 191 BV für die anzuwendenden Behörden verbindlich; sie dürfen in diesem Fall bei der Überprüfung der Verordnung nicht ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Verordnungsgebers setzen, sondern beschränken sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Verordnungsgeber im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetzes- oder verfassungswidrig ist (BGE 114 Ib 17, S. 19; Ulrich Zimmerli/Walter Kälin/Regina Kiener, a.a.O., S. 21 f.).

6.2.1. Der Beschwerdegegner rügt namentlich, Art. 9a KLV verstosse gegen das indirekt im Gesetz verankerte Kostendeckungsprinzip.

Obwohl das Gesetz sich nicht dazu äussert, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Tarife kostendeckend zu sein haben. Dies lässt sich e contrario aus Art. 49 Abs. 1 KVG ableiten. Bei öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern haben die Krankenkassen nämlich höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten zu decken (RKUV 4/1998 326, E. 4.4). Das BSV (Bundesamt für Sozialversicherungen; heute Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung) ist der Ansicht, die Kostentransparenz sei die unabdingbare Voraussetzung für kostendeckende Vergütung. Wenn die Kosten nicht transparent ausgeschieden seien, könne somit auch das Kostendeckungsprinzip nicht zum Tragen kommen. Die Praxis des Bundesrates betreffend die Spitaltarife erhärtet diese Auffassung. Der Bundesrat hat entschieden, dass Tariferhöhungen nicht ausgeschlossen sind, auch wenn eine Kostenstellenrechnung im Sinne von Art. 49 Abs. 6 KVG noch fehlt. Die Übergangslösung muss sich am Grundsatz orientieren, dass die Annäherung an die maximale Deckungsquote einerseits und die Anforderungen an den Nachweis der Kosten andererseits im Gleichschritt steigen müssen. Je stärker sich die Tarife der maximalen Kostendeckung annähern, umso höhere Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, dass diese Kosten tatsächlich so hoch sind, das heisst umso grösser muss die Kostentransparenz sein (vgl. Beschwerdeentscheide betreffend die Kantone Zürich und Genf: RKUV 6/1997 343 ff. und 375 ff.). Der Bundesrat geht folglich davon aus, dass das Prinzip der Kostendeckung nicht absolut gilt und nur dann volle Kostendeckung gewährt wird, wenn die Kosten transparent ausgewiesen sind, weil nur dann geprüft werden kann, ob die Leistungserbringer auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten (vgl. Art. 46 Abs. 4 KVG). Diese Rechtsprechung muss analog für die Spitextarife angewendet werden. Demzufolge gilt das Kostendeckungsprinzip auch im Spitexbereich nicht absolut. Der Grundsatz der Kostendeckung kommt somit nur dann zum Tragen, wenn Kostentransparenz gegeben ist. Art. 9a KLV verstösst demzufolge nicht gegen das Gesetz.

6.2.2. Der Spitex Verband ist ausserdem der Ansicht, die umstrittene Verordnungsbestimmung gehe über den vom Gesetzgeber beabsichtigten Rahmen hinaus, indem sie eine gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlage verlange.

Art. 104a KVG sieht explizit eine gemeinsam erarbeitete Grundlage der Tarifpartner vor. Inwiefern die Verordnung über den Rahmen des Gesetzes hinausgehen soll, ist nicht ersichtlich. Art. 9a KLV ist gesetzeskonform und somit anwendbar.

7. Von den Tarifpartnern gemeinsam erarbeitete und für die Befreiung von den in Art. 9a Abs. 1 KLV vorgesehenen Rahmentarifen zulässige Kostenberechnungsgrundlagen (Art. 59a KVV) liegen dann vor, wenn sie die Tarifpartner gemeinsam vereinbart haben (formelle Voraussetzung) und sie auf einem Modell beruhen, welches erlaubt, die Kosten zu Lasten der Krankenversicherung transparent und abschliessend auszuweisen und die Tarife nach der Schwierigkeit und Art der notwendigen Leistungen abzustufen (materielle Voraussetzung; vgl. RKUV 4/2002 331 f.).

7.1. Folgt man dem Wortlaut der Verordnung braucht es zur Überschreitung des Rahmentarifs als formelle Voraussetzung eine gemeinsam erarbeitete Kostenberechnungsgrundlage. Weigert sich eine Tarifpartnerin jedoch zu verhandeln und gemeinsam Lösungen zu finden, stellt sich die Frage des Rechtsmissbrauchs. Das Rechtsmissbrauchsverbot ist nach der Auffassung des Bundesgerichts Teil des Grundsatzes von Treu und Glauben (BGE 110 Ib 332, S. 336). Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (BGE 110 Ib 332, S. 336 f.). Das Tarifwesen im Spitexbereich wird vom Grundsatz der Vertragsautonomie geprägt. Indem sich eine Partei stets den Verhandlungen widersetzt, unterläuft sie diesen Grundsatz und verstösst gegen das Rechtsmissbrauchsverbot. In diesem Fall muss entgegen dem Wortlaut von Art. 9a KLV eine Überschreitung der Rahmentarife möglich sein.

7.2. Das Gebot der Kostentransparenz gilt auch für den Spitexbereich, selbst wenn richtig ist, dass das KVG nur für Spitäler und Pflegeheime eine Kostenrechnung verlangt. Damit die Rahmentarife überschritten werden können, müssen die Kosten transparent ausgewiesen sein (materielle Voraussetzung). Während bei den Spitälern und Pflegeheimen die Führung einer Kostenstellenrechnung vorgeschrieben ist (Art. 49 Abs. 6 und Art. 50 KVG), fehlt eine entsprechende Bestimmung für andere Leistungserbringer (insbesondere für Organisationen der Krankenpflege zu Hause). Dennoch ist zur Festsetzung der Tarife eine Berechnungsgrundlage erforderlich, die sich an den verrechenbaren Kosten der Spitexorganisationen orientiert. Die Kosten sind dann transparent dargestellt, wenn die effektiven Kosten der Leistungserbringer für die effektiv erbrachten Leistungen bewiesen sind. Das Berechnungsmodell muss erlauben, die Kosten der Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abschliessend und transparent auszuweisen und die Tarife nach Schwierigkeit und Art der Leistung abzustufen (Spitextarif Neuenburg, RKUV 4/2002 331 f.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. (…) Die Pflegekosten können nicht nach den in Art. 9a Abs. 1 KLV unterschiedenen drei Kategorien ausgewiesen werden. Kostentransparenz liegt im vorliegenden Fall nicht vor, weshalb die Rahmentarife gemäss Art. 9a KLV nicht überschritten werden dürfen. (…)

7.3. (…)

8. Schliesslich stellt sich die Frage, ob ein Einheitstarif überhaupt zulässig ist. Der Spitex Verband macht diesbezüglich geltend, der vorläufige Verzicht auf einen abgestuften Tarif und die Anwendung eines Einheitstarifs beruhe auf dem gemeinsamen Entschluss der Tarifpartner. Dieser Entschluss sei nach Inkrafttreten von Art. 9a KLV gefasst und von keiner Seite je in Frage gestellt worden.

Auch wenn das Tarifwesen vom Vertragscharakter geprägt ist, geht es nicht an, im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens einen gesetzeswidrigen Tarif zu schützen. Dies gilt selbst dann, wenn die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung nicht die Anordnung des Einheitstarifs als solche rügt. Die richterliche Prüfung ist nicht auf die in den Rechtsschriften vorgetragenen Rechtsauffassungen beschränkt (Fritz Gygi, a.a.O. S. 212). Massgeblich sind nur die Rechtsbegehren, welche den Streitgegenstand bestimmen. Der vorliegende Streitgegenstand ist der Tarif als Ganzes. Der Bundesrat prüft somit von Amtes wegen, ob der Einheitstarif gesetzesmässig ist. Art. 9 Abs. 3 KLV schreibt vor, dass die Tarifpartner oder bei vertragslosem Zustand die zuständigen Behörden die Tarife nach Art und Schwierigkeit der notwendigen Leistungen abzustufen haben. Indem der Regierungsrat in seinem Beschluss einen Einheitstarif festsetzt, verstösst er gegen diese Norm. Gestützt auf diese Bestimmung ist es nicht zulässig, einen undifferenzierten Einheitstarif festzulegen.

(…)

9. (…)

10. Im Ergebnis ist somit Folgendes festzuhalten:

Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen und der angefochtene Beschluss des Regierungsrates aufzuheben. Die Pflegeleistungen können auf Grund der Akten nicht entsprechend den in Art. 7 KLV beziehungsweise Art. 9a Abs. 1 KLV aufgeführten drei Kategorien ausgewiesen werden. Die Sache ist daher zur Sachverhaltsergänzung an den Regierungsrat des Kantons Bern zurückzuweisen. Der Regierungsrat ist anzuweisen, einen Staffeltarif im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 und Art. 9a Abs. 1 KLV in Verbindung mit Art. 7 KLV zu erlassen.

11.-14. (…)





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