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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 68.28

(Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 27. Juni 2003; b. 467)


Regeste Deutsch
Résumé Français
Regesto Italiano
 
Sachverhalt
 
Erwägungen
 

Radio und Fernsehen. Politische Werbung im Fernsehen.

Art. 18 Abs. 5 RTVG. Art. 10 EMRK.

- Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen kann prüfen, ob ein im Werbeblock ausgestrahlter Spot unzulässige politische Werbung darstellt (E. 2.3 f.).

- Auch ein im Werbeblock unentgeltlich ausgestrahlter Spot stellt Werbung im Sinne von Art. 18 RTVG dar (E. 4).

- Politische Werbung ist nach wie vor unzulässig, wenn im konkreten Fall ausreichende und relevante Gründe für ein Verbot bestehen (E. 4.3).

- Der vorliegend beanstandete Spot der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Asylpolitik stellt keine unzulässige politische Werbung dar. Da er erst nach der Abstimmung zur Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» ausgestrahlt wurde, konnte er die Meinungsbildung dazu nicht mehr beeinflussen (E. 4.5 f.).


Radio et télévision. Publicité politique à la télévision.

Art. 18 al. 5 LRTV. Art. 10 CEDH.

- L'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision est compétente pour examiner si un spot publicitaire représente une publicité politique inadmissible (consid. 2.3 s.).

- Un spot diffusé gratuitement constitue lui aussi un message publicitaire au sens de l'art. 18 LRTV (consid. 4).

- La publicité politique est inadmissible lorsque, dans un cas concret, il existe des motifs pertinents et suffisants pour l'interdire (consid. 4.3).

- Le spot incriminé de l'Organisation suisse d'aide aux réfugiés ne constitue pas une publicité politique inadmissible. Comme il n'a été diffusé qu'après la votation sur l'initiative populaire «contre les abus dans le droit d'asile», il ne pouvait dès lors plus influencer la formation de l'opinion politique (consid. 4.5 s.).


Radio e televisione. Propaganda politica alla televisione.

Art. 18 cpv. 5 LRTV. Art. 10 CEDU.

- L'Autorità indipendente di ricorso in materia radiotelevisiva può esaminare se, mediante uno spot pubblicitario, viene diffusa propaganda politica illecita (consid. 2.3 seg.).

- Anche uno spot trasmesso gratuitamente costituisce un messaggio pubblicitario ai sensi dell'art. 18 LRTV (consid. 4).

- La propaganda politica è tuttora illecita se, nel caso concreto, si ravvisano motivi rilevanti e sufficienti a giustificarne il divieto (consid. 4.3).

- Lo spot al centro delle critiche dell'Organizzazione Svizzera d'aiuto ai rifugiati non costituisce propaganda politica illecita. Poiché diffuso soltanto dopo la votazione sull'iniziativa popolare contro gli abusi in materia d'asilo, esso non ha influenzato la formazione dell'opinione pubblica (consid. 4.5 seg.).




Zusammenfassung des Sachverhalts:

A. Mit Eingabe vom 28. März 2002 erhob S (im Folgenden: Beschwerdeführer) Beschwerde gegen den Werbespot der Schweizerischen Flüchtlingshilfe («Wer andere ausschliesst, schliesst sich selber ein»), der u. a. am 15. Januar 2003 auf Schweizer Fernsehen DRS (SF DRS, SF 1) ausgestrahlt worden war. Er beantragt, die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im Folgenden: UBI, Beschwerdeinstanz) solle feststellen, dass es sich beim beanstandeten Spot um verbotene politische Werbung im Sinne von Art. 18 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG, SR 784.40) handle. Das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) solle anschliessend die notwendigen Sanktionen ergreifen (Einzug des widerrechtlich erzielten Gewinns). Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass ein öffentliches Interesse an der Behandlung seiner Eingabe im Sinne von Art. 63 Abs. 3 RTVG bestehe. (…)

Aus den Erwägungen:

1. (…)

2. Der Beschwerdeführer hat sich hinsichtlich der Beschwerdelegitimation auf Art. 63 Abs. 3 RTVG berufen. Er erachtet ein öffentliches Interesse an der Behandlung seiner Beschwerde als gegeben, weil die Ombudsstelle von SF DRS der darin behandelten Thematik einige Bedeutung zugemessen und den Fall im Monatsmagazin LINK veröffentlicht habe.

2.1. Art. 63 RTVG umschreibt die Beschwerdebefugnis. Zur Beschwerde ist u. a. legitimiert, wer im Beanstandungsverfahren vor der Ombudsstelle beteiligt war, mindestens 18 Jahre alt ist, über das Schweizerbürgerrecht oder als Ausländer über eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung verfügt und eine Beschwerde einreicht, die von mindestens 20 weiteren Personen unterzeichnet ist, die ebenfalls zur Beschwerdeführung legitimiert wären, wenn sie selber an die Ombudsstelle gelangt wären (Abs. 1 Bst. a; sogenannte Popularbeschwerde).

2.2. Liegt ein öffentliches Interesse an einem Entscheid vor, kann die UBI gemäss Art. 63 Abs. 3 RTVG auch auf eine Beschwerde eintreten, die nicht von mindestens 20 Personen unterstützt wird (vgl. zur Praxis der UBI, VPB 60.94A S. 854). Der Entscheid liegt im Ermessen der Beschwerdeinstanz. Diese bejaht in ständiger Praxis ein solches öffentliches Interesse bei Sendungen, deren Gegenstand neue rechtliche Fragen aufwirft, die von grundlegender Tragweite für die Programmgestaltung sind (VPB 60.94A S. 854).

2.3. Vorliegend steht die Auslegung der Bestimmung über das Verbot von politischer Werbung (Art. 18 Abs. 5 RTVG) im Vordergrund. Das Verbot der politischen Werbung wird in Art. 15 Abs. 1 Bst. a der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober 1997 (RTVV, SR 784.401) - ohne zusätzliche Ausführungen - wiederholt. Es gilt vorab abzuklären, ob die UBI für die Anwendung dieser Bestimmung(en) und generell für den vorliegend zu beurteilenden Werbespot zuständige Instanz ist. Die UBI hat auf Beschwerde hin zu prüfen, ob durch Radio- oder Fernsehsendungen relevante Programmbestimmungen verletzt worden sind (Art. 58 Abs. 2 RTVG, Art. 65 Abs. 1 RTVG). Es können grundsätzlich alle ausgestrahlten Radio- und Fernsehsendungen von schweizerischen Veranstaltern Gegenstand einer Beschwerde bei der UBI sein, also auch Werbespots. Dies hat das Bundesgericht in mehreren Entscheiden implizit bestätigt (BGE 126 II 7 ff. E. 3c mit weiteren Hinweisen, BGE 126 II 21 ff.). Dass auch Werbung zum Programm eines Veranstalters gehört und damit eine beschwerdefähige Sendung darstellt, ergibt sich ebenfalls aus Art. 18 Abs. 1 RTVG, der festhält, dass Werbung vom übrigen Programm deutlich getrennt werden müsse. Entscheidend für die Zuständigkeit der UBI ist demnach nicht, ob die beanstandete Sendung im Werbe- oder im eigentlichen Programmteil ausgestrahlt worden ist, sondern, ob die zu beurteilende Frage von programmrechtlichem Charakter ist. Spezifische Programmbestimmungen wie etwa die Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit und das Verbot der Gewaltverherrlichung bzw. Gewaltverharmlosung (Art. 6 Abs. 1 RTVG) gelten auch für Werbespots.

2.4. Soweit es im Zusammenhang mit Werbespots in erster Linie technische bzw. finanzrechtliche Fragen zu beurteilen gilt, ist das BAKOM als allgemeine Aufsichtsbehörde zuständig (BGE 126 II 11). Dies betrifft etwa Dauer der Werbung, die Bestimmungen über die Unterbrecherwerbung und gemäss Praxis des Bundesgerichts auch das Werbeverbot für alkoholische Getränke und Tabakwaren. Das Bundesgericht hat im Entscheid 126 II 11 f. festgehalten, dass die UBI bei Werbespots insoweit zum Entscheid berufen sei, «als vorrangig Aspekte der freien Willensbildung zur Diskussion stehen, deren Beurteilung ihr aus staats- und medienpolitischen Gründen übertragen ist (BGE 118 Ib 356 E. 3c S. 361). Betreffen die zur Diskussion stehenden Werbebeschränkungen die Transparenz und unverfälschte Meinungsbildung, geht der mit Schaffung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz verfolgte Zweck (verwaltungsunabhängige Sicherung der freien Meinungs- und Willensbildung des Zuschauers und Schutz der Programmautonomie) den formellen Kriterien vor. Dies ist etwa der Fall, soweit zur Diskussion steht, ob ein im Werbefernsehen ausgestrahlter Spot das Verbot politischer Werbung verletzt […]». Beim vorliegend beanstandeten Spot steht diese Frage im Zentrum, weshalb die Zuständigkeit der UBI grundsätzlich gegeben ist.

2.5. Das in Art. 18 Abs. 5 RTVG statuierte Verbot der politischen Werbung bedarf im Lichte des Urteils Nr. 24699/94 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 28. Juni 2001 i.S. Verein gegen Tierfabriken (VgT) einer neuen Auslegung. Der EGMR hat festgestellt, dass ein absolutes Verbot von politischer Werbung nicht mit der in Art. 10 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) festgehaltenen Freiheit der Meinungsäusserung vereinbar ist, welcher auch für die Schweiz Gültigkeit hat. Im Zusammenhang mit der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde stellen sich daher neue rechtliche Fragen, die von grundsätzlicher Bedeutung für das Programmrecht sind. Es gilt dabei auch, die bisherige UBI-Praxis zum Verbot politischer Werbung (siehe insbesondere VPB 57.49 S. 410 ff.) den Anforderungen von Art. 10 EMRK anzupassen. Die UBI erachtet aus diesen Gründen ein öffentliches Interesse im Sinne von Art. 63 Abs. 3 RTVG an der Behandlung des vorliegenden Falls als gegeben.

2.6. Die Eingabe des Beschwerdeführers ist im Sinne von Art. 62 Abs. 2 RTVG hinreichend begründet, weshalb grundsätzlich darauf eingetreten werden kann. (…)

3. Im beanstandeten Spot, der 34 Sekunden dauert, ist zuerst auf der ganzen Bildschirmfläche einzig ein Schweizer Kreuz zu sehen. Anschliessend verändert sich der Blickwinkel auf das Kreuz und nacheinander werden die vier Schenkel des Kreuzes aufgeklappt. Das Rot um das weisse Kreuz verschwindet parallel dazu und der Hintergrund bleibt schwarz. Am Schluss ist nur noch ein kleiner Lichtkegel über dem zusammengeklappten Kreuz sichtbar. Der ganze Vorgang wird durch eine entsprechende musikalische Dramaturgie untermalt. Das Heraufklappen der Schenkel des Schweizer Kreuzes erinnert an das Zuschlagen einer Gefängnistür. Es folgt der Text «Wer andere ausschliesst, schliesst sich selber ein», bevor am Ende des Spots «Schweizerische Flüchtlingshilfe» und das entsprechende Logo eingeblendet werden. Der Spot wurde auf den verschiedenen SRG-Programmen zwischen dem 27. Dezember 2002 und dem 10. Februar 2003 insgesamt 53 Mal ausgestrahlt, u. a. auch am 15. Januar 2003 auf SF DRS. Die Ausstrahlung des Fernsehspots erfolgte kostenlos. Die SRG bzw. die mit der Werbung betraute Publisuisse strahlt zuweilen Spots mit gemeinnützigem Charakter ohne das übliche Entgelt aus, um Werbeblöcke zu füllen. Dies war etwa auch der Fall bei einem Spot der Organisation der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR).

4. Gemäss Art. 11 Abs. 1 RTVV gilt als Werbung «jede öffentliche Äusserung zur Förderung des Abschlusses von Rechtsgeschäften über Waren oder Dienstleistungen, zur Unterstützung einer Sache oder einer Idee oder zur Erzielung einer anderen von Werbetreibenden gewünschten Wirkung, wofür dem Werbetreibenden gegen Bezahlung oder eine ähnliche Gegenleistung Sendezeit zur Verfügung gestellt wird». Die Beschwerdegegnerin hat für die Ausstrahlung des Spots keine Gegenleistung verlangt. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die rundfunkrechtlichen Werbebestimmungen auf diesen Sachverhalt nicht anwendbar sind. Der Gesetzgeber hat bei seiner Definition von Werbung offenbar nicht in Betracht gezogen, dass Veranstalter, etwa um Werbeblöcke zu füllen, unter bestimmten Voraussetzungen (gemeinnütziger Charakter) Spots auch unentgeltlich bzw. ohne eigentliche Gegenleistung ausstrahlen. Allenfalls könnte man davon ausgehen, dass die unentgeltliche Ausstrahlung eines Werbespots dem Veranstalter Goodwill verschafft. Der Goodwill würde die Gegenleistung darstellen. Die Unentgeltlichkeit der Ausstrahlung war allerdings für das Publikum nicht erkennbar. Aus programmrechtlicher Sicht entscheidend ist ohnehin, dass der Spot im Rahmen der als Werbung gekennzeichneten Blöcke, welche klar vom übrigen Programm abgegrenzt sind, ausgestrahlt wurde. Die Beziehung zwischen Veranstalter und dem Werbeauftraggeber wie insbesondere auch die Höhe der Gegenleistung ist im Übrigen primär zivilrechtlicher Natur und nicht durch die Rundfunkgesetzgebung geregelt. Unabhängig von der Höhe des Entgelts bzw. der Gegenleistung gelten aber für alle in den Werbeblöcken ausgestrahlten Spots die relevanten Bestimmungen inhaltlicher Natur, wozu auch das Verbot politischer Werbung gehört.

4.1. In einem nächsten Schritt gilt es zu prüfen, ob dem beanstandeten Spot politischer Charakter im Sinne von Art. 18 Abs. 5 RTVG zukommt. Die Beschwerdegegnerin bestreitet dies mit Verweis auf die Gemeinnützigkeit und das humanitäre Engagement der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Dem ist insofern beizupflichten als die SFH von der Zentralstelle für Wohlfahrtsunternehmen (Stiftung ZEWO; Fachstelle für gemeinnützige, Spenden sammelnde Organisationen) als gemeinnützige Institution mit Gütesiegel zertifiziert ist. Die SFH ist als Dachverband verschiedener Hilfswerke eine eigenständige, parteipolitisch und konfessionell unabhängige Organisation. Sie setzt sich als Anwältin für die Flüchtlinge und insbesondere für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik ein. In der seit langem dauernden und sehr emotional geführten politischen Debatte um das schweizerische Asylrecht spielt die SFH als Sprachrohr der Anliegen der Flüchtlinge eine wichtige Rolle.

4.2. Aus dem Inhalt des Spots geht primär die Botschaft hervor, dass sich die Schweiz nicht einschliessen und insbesondere für Flüchtlinge offen sein solle. Letzteres kann nicht zuletzt aufgrund der Urheberschaft des Spots abgeleitet werden. Die SFH dokumentiert damit ihre humanitären Anliegen. Dagegen ist der Spot nicht ein (direkter) Spendenaufruf, da keine Kontonummer der SFH eingeblendet wurde. Ob es sich bei einem Spot um politische Werbung im Sinne des RTVG handelt, hängt nicht nur vom Inhalt und der explizit ausgedrückten Botschaft ab, sondern auch vom Kontext und dem Zeitpunkt der Ausstrahlung (VPB 57.49 S. 410 ff.). Entscheidend für die programmrechtliche Beurteilung ist dabei die Wirkung auf das Publikum. Die Gestaltung und Dramaturgie des Spots erinnern einerseits an die Diskussionen um die schweizerische Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs. Insbesondere aufgrund der Arbeiten der Unabhängigen Expertenkommission «Schweiz-Zweiter Weltkrieg» (UEK) wurde die damalige Politik in den letzten Jahren zunehmend kritisch hinterfragt (siehe insbesondere Band 17 der Studien des UEK, Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Zürich 2001/2002) und auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Anderseits dürfte ein Grossteil des Publikums den beanstandeten Spot als pointierte Meinungsäusserung zu Gunsten einer humanitären Asylpolitik und gegen eine Verschärfung des bisherigen Asylrechts verstehen. Der Spot wurde relativ kurz nach der Abstimmung über die Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» ausgestrahlt, welche am 24. November 2002 knapp abgelehnt wurde (BBl 2003 726). Im Vorfeld, aber auch im Nachgang zu dieser Abstimmung bildete das Asylrecht eines der zentralen Themen in der politischen Debatte. Die Symbolik im inkriminierten Spot, insbesondere mit der Verwendung des Schweizer Kreuzes, erinnert an Plakate aus dem Abstimmungskampf. Die SFH war eine erklärte Gegnerin der Initiative. In Berücksichtigung dieses Kontextes kommt dem beanstandeten Spot auch ein erheblicher politischer Charakter zu und stellt dieser deshalb im Prinzip politische Werbung im Sinne von Art. 18 Abs. 5 RTVG dar.

4.3. Der EGMR hat nun im erwähnten Urteil i.S. VgT festgestellt, dass das Verbot politischer Werbung mit der Freiheit der Meinungsäusserung von Art. 10 EMRK - zumindest im konkreten Fall - nicht vereinbar sei. Er führte in Ziff. 75 seiner Erwägungen aus, dass der VgT keine finanzstarke Organisation sei, die mit ihrer Werbung für eine Verminderung des Fleischkonsums die Unabhängigkeit des Veranstalters in Frage stelle, die öffentliche Meinungsbildung wesentlich beeinflusse oder daraus politische Wettbewerbsvorteile ziehe. Diese generell von den Schweizer Instanzen für ein Verbot von politischer Werbung angeführten Gründe würden im Fall VgT nicht ausreichen, um eine Ausnahme von der Meinungsäusserungsfreiheit zu rechtfertigen. Es müssen relevante und ausreichende («relevant and sufficient») Gründe im Einzelfall bestehen, damit das Werbeverbot mit Art. 10 EMRK vereinbar sei.

4.4. Der Bundesrat hat in der Botschaft zur Totalrevision des RTVG vom 18. Dezember 2002 (BBl 2003 1569 ff.) und im Entwurf zu einem neuen RTVG (E-RTVG) dem Entscheid des EMGR Rechnung getragen. Das vorgesehene Verbot von politischer Werbung soll - wie die bisherige Gesetzgebung (siehe Botschaft zum RTVG vom 28. September 1987, BBl 1987 III 734) - primär verhindern, dass die demokratische Willensbildung durch finanzstarke Akteure einseitig beeinflusst werden kann. Überdies soll das Verbot die Unabhängigkeit der Rundfunkveranstalter gegen politischen Einfluss sichern. Im Vergleich zum geltenden RTVG ist das Verbot aber bedeutend enger gefasst. Unzulässig ist demnach nur noch Werbung für «politische Parteien, für Personen, die politische Ämter innehaben oder dafür kandidieren sowie für Themen, welche Gegenstand von Volksabstimmungen sind» (Art. 10 Abs. 1 Bst. c E-RTVG).

4.5. Im Zusammenhang mit dem vorliegend zu beurteilenden Spot gilt es zu prüfen, ob im Sinne des Entscheids des EGMR relevante und ausreichende Gründe für eine Unterstellung des betreffenden Sachverhalts unter das Verbot politischer Werbung bestehen. Die Flüchtlingshilfe äusserte sich in ihrem Spot zur schweizerischen Asylpolitik. Dieser wurde allerdings erst gut einen Monat nach der Abstimmung über die Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» ausgestrahlt. Nach der umstrittenen Abstimmung wurde die Debatte um den zu wählenden Weg bei der Asylpolitik zwar unvermindert fortgesetzt. Dabei ging es aber vorwiegend um die allgemeine Stossrichtung für die nach dem Volksentscheid zu verfolgende Asylpolitik. Der beanstandete Spot war deshalb nicht (mehr) geeignet, die politische Meinungsbildung zur Abstimmung über die Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» zu beeinflussen.

4.6. Dem Einwand des Beschwerdeführers, dass das Kriterium des Abstimmungstermins für die Zulässigkeit eines Werbespots willkürlich sei, gilt es entgegenzuhalten, dass ein generelles Verbot politischer Werbung nach dem Entscheid des EGMR nicht mehr möglich ist (siehe dazu auch Denis Barrelet, Faut-il autoriser la publicité politique à la radio-TV?, in: medialex 3/02, S. 143 ff.). Art. 10 EMRK schützt eben auch Meinungsäusserungen, welche im Rahmen von Wirtschaftswerbung erfolgen (vgl. dazu im Einzelnen, Denis Barrelet, Droit de la communication, Bern 1998, Rz. 340). Es gilt daher, Kriterien zu definieren, welche es ermöglichen, unzulässige Tatbestände von politischer Werbung, für welche relevante und ausreichende Gründe für ein Verbot bestehen, von den übrigen abzugrenzen. Der EGMR hat in mehreren Entscheiden ausgeführt, dass sich beim Fernsehen - auch im Lichte von Art. 10 EMRK - aufgrund der unmittelbaren und starken («immediate and powerful») Wirkung dieses Mediums auf das Publikum in gewissen Fällen stärkere Beschränkungen als etwa bei der Presse rechtfertigen (vgl. etwa Urteil des EGMR vom 10. Juli 2003 i.S. Murphy gegen Irland, Nr. 00044179/98, Ziff. 69 und 74). Volksabstimmungen stellen ein zentrales Element der schweizerischen Demokratie dar und eignen sich daher im besonderen Masse als Abgrenzungskriterium. Während der eigentlichen Willensbildung, also im Abstimmungskampf, gilt das Verbot entsprechender Werbung daher nach wie vor. Abstimmungen sollen insbesondere am Fernsehen mit seiner besonderen Wirkung nicht durch finanzstarke Kreise beeinflusst werden. Allgemeine Stellungnahmen einer Organisation wie der SFH, welche keine politische Partei ist, zu einem politischen Thema reichen dagegen nicht aus, um sie weiterhin unter die verbotene politische Werbung zu subsumieren. Es liegen deshalb keine relevanten und ausreichenden Gründe vor, welche eine Unterstellung des vorliegend beanstandeten Spots unter die auch im Lichte von Art. 10 EMRK verbotene politische Werbung legitimieren würde.

4.7. Der Beschwerdeführer hat zusätzlich beanstandet, dass der Spot vor allem die Befürworter eines verschärften Asylrechts angreife, statt sich auf die Propagierung der eigenen Meinung zu beschränken. Die SFH behauptet im Spot, dass man sich selber einschliesse, wenn man andere ausschliesse. Es werden keine Namen von Personen, Gruppierungen oder Parteien genannt. Die Werbung bringt es mit sich, dass sie mit Techniken der Gestaltung und Elementen der Dramaturgie arbeitet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die erwähnte Äusserung und die visuelle Umsetzung des Spots sind aber in keiner Weise verletzend oder herabwürdigend. Es ist für das Publikum überdies klar erkennbar, dass es sich um die Darstellung der Sicht der SFH handelt. Der beanstandete Spot bzw. die beanstandete Äusserung ist daher nicht geeignet, relevante Programmbestimmungen wie die Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit (Art. 6 Abs. 1 letzter Satz RTVG) oder die Menschenwürde zu verletzen.

5. Da der beanstandete Spot der SFH keine Programmbestimmungen verletzt, ist die dagegen erhobene Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.





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