VPB 68.63
(Auszug aus einem Entscheid des Bundesrates vom 11. Februar 2004 gegen das VBS in Sachen Akteneinsicht)
Art. 13 BGA. Ausnahmsweise Einsichtnahme während der Schutzfrist des Archivguts. Gleichbehandlung im Unrecht.
- Mit der Regelung von Art. 13 BGA wird die historisch-wissenschaftliche Benutzung des Archivguts erleichtert, ohne dass schutzwürdige Interessen verletzt werden (E. 3).
- Da die Bewilligungspraxis, in Bezug auf welche vorliegend Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht geltend gemacht wurde, sich grundsätzlich verändert hat, liegt keine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung vor (E. 6).
Art. 13 LAr. Consultation exceptionnelle pendant le délai de protection des archives. Egalité dans l'illégalité.
- La réglementation de l'art. 13 LAr facilite l'utilisation historique scientifique des archives, sans qu'il soit porté atteinte à des intérêts dignes de protection (consid. 3).
- Vu que la pratique en matière d'autorisations au sujet de laquelle le recourant a invoqué l'égalité dans l'illégalité a été modifiée essentiellement, le principe de l'égalité n'a pas été violé en l'espèce (consid. 6).
Art. 13 LAr. Consultazione eccezionale durante il periodo di protezione degli archivi. Parità di trattamento nell'illegalità.
- Con i disposti dell'art. 13 LAr è facilitato l'utilizzo storico- scientifico degli archivi, senza che vi sia una violazione di interessi degni di tutela (consid. 3).
- Dato che la prassi in materia di autorizzazioni, riguardo alla alla quale il ricorrente ha invocato la parità di trattamento nell'illegalità, è profondamente mutata, nella fattispecie il principio della parità di trattamento non è stato violato (consid. 6).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
A. Am 25. September 2002 stellte P. dem Schweizerischen Bundesarchiv (BAR) ein Gesuch um Einsicht in die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989», Aktenzeichen 322/413, Bestand E 5560 1997/160, Bd. 189.
Das BAR überwies das Gesuch am 9. Oktober 2002 zuständigkeitshalber dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), weil für die betreffenden Akten die Schutzfrist von 30 Jahren noch nicht abgelaufen war und die Einsichtnahme daher der Zustimmung jenes Departements bedurfte, welches dem BAR die Akten eingereicht hatte.
Am 15. Januar 2003 wies die dem Generalsekretariat des VBS angegliederte Eidgenössische Militärbibliothek als erstinstanzlich zuständige Behörde des VBS das Einsichtsgesuch ab.
Die Eidgenössische Militärbibliothek führte aus, dass die fraglichen Akten der Öffentlichkeit auch vor deren Ablieferung an das BAR nicht öffentlich zugänglich gewesen seien. Die Akten seien aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen klassifiziert, und der Inhalt sei auch aus schweizerischer Sicht aktuell und schutzwürdig.
Gegen diese Verfügung erhob P. am 3. Februar 2003 Beschwerde beim VBS. Er machte geltend, anderen Einsichtsgesuchen, welche ebenfalls Israel-Akten betroffen hätten, sei sowohl vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wie auch vom VBS entsprochen worden.
Das VBS wies die Beschwerde von P. am 9. Juli 2003 ab. Es hielt daran fest, dass dem Gesuch um Einsichtnahme in die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» nicht entsprochen werden könne. Die fraglichen Akten enthielten keine Hinweise auf das von P. als Erkenntnisinteresse geltend gemachte Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika. Zum Einwand, dass anderen Gesuchen entsprochen worden sei, führte es aus, dass die Voraussetzungen für eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht erfüllt seien.
B. Gegen diese Verfügung des VBS erhob P. (im Folgenden: Beschwerdeführer) am 24. Juli 2003 Beschwerde beim Bundesrat. Er erneuerte im Wesentlichen die bereits dem VBS gegenüber vorgebrachten Argumente und machte einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht geltend. Er widersprach der Aussage des VBS, die fraglichen Akten enthielten keine Hinweise auf das von ihm als Erkenntnisinteresse geltend gemachte Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika; den Akten könnten entsprechende Hinweise zu entnehmen sein, selbst wenn das Stichwort Südafrika nicht auftauche.
Das VBS beantragte am 13. November 2003 unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde.
In seinen Schlussbemerkungen vom 8. Dezember 2003 legte der Beschwerdeführer die Grundlagen seines Einsichtsgesuchs noch einmal dar. Er machte geltend:
- dass der Bundesrat im Mai 2000 im Rahmen des Forschungsprogramms NFP 42 beschlossen habe, die Beziehungen mit Südafrika aufzuarbeiten;
- dass das VBS im Oktober 2001 im Zusammenhang mit der Beschaffung von zwei russischen Boden-Luftraketen durch den Geheimdienst unter Divisionär Peter Regli eine schonungslose Aufklärung der Südafrika-Verbindungen des militärischen Geheimdienstes angekündigt habe;
- dass der Bundesrat am 27. Februar 2002 in Beantwortung einer einfachen Anfrage Pia Hollenstein deren Interesse an einer aussagekräftigen wissenschaftlichen Klärung der schweizerisch-südafrikanischen Beziehungen zur Apartheid geteilt und alle Bundesstellen aufgefordert habe, eine liberale Akteneinsichtspraxis zu verfolgen;
- dass nicht einsichtig sei, weshalb diese liberale Praxis nicht auch in Bezug auf das Verhältnis zu Israel beziehungsweise das Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika gelten solle, und
- dass der Bundesrat am 4. September 2002 in Beantwortung einer Interpellation de Dardel das Interesse an einer Aufarbeitung der Beziehungen der Schweiz zum Apartheid-Südafrika bestätigt habe. Den Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht begründete der Beschwerdeführer mit der Bewilligung von 2 Akteneinsichtsgesuchen, nämlich:
- seitens des VBS am 6. Juni 2002 bezüglich Israel und
- seitens des EDA am 28. November 2002 betreffend Aktenbestände zum Verhältnis Schweiz-Israel bzw. zum Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika. Im Weiteren habe das BAR am 21. Januar 2003 mitgeteilt, dass das VBS Einsicht in beantragte Aktenbestände gewähre, welche das Verhältnis Schweiz-Israel bzw. das Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika betreffen.
Abschliessend verwies der Beschwerdeführer auf die Verhältnisse zur Zeit des kalten Krieges in den 70er- und 80er-Jahren, in denen im Dreiecksverhältnis Schweiz-Israel-Südafrika ein Informations- und Erfahrungsaustausch stattgefunden habe.
Aus den Erwägungen:
1. Die angefochtene Verfügung des VBS unterliegt nach Art. 44 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021) der Beschwerde.
Nach Art. 100 Abs. 1 Bst. a des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (Bundesrechtspflegegesetz [OG], SR 173.110) ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes, der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe sowie der übrigen auswärtigen Angelegenheiten ausgeschlossen.
Gemäss Art. 13 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1988 über die Archivierung (Archivierungsgesetz [BGA], SR 152.1) und Art. 17 ff. der Verordnung vom 8. September 1999 zum Bundesgesetz über die Archivierung (Archivierungsverordnung [VBGA], SR 152.11) unterliegt die Verfügung daher der Beschwerde an den Bundesrat (Art. 72 Bst. a und Art. 74 Bst. a VwVG).
(…)
2.1. Das Archivierungsgesetz des Bundes regelt die Zugänglichkeit des Archivguts im 3. Abschnitt.
Art. 9 Abs. 1 BGA stellt den Grundsatz auf, dass das Archivgut des Bundes der Öffentlichkeit (erst) nach Ablauf einer Schutzfrist von 30 Jahren unentgeltlich zur Einsichtnahme zur Verfügung steht. Vorbehalten bleiben die Art. 11 BGA (Verlängerte Schutzfrist für Personendaten) und Art. 12 BGA (Weitere Beschränkungen der Einsichtnahme).
Unterlagen, welche bereits vor ihrer Ablieferung an das Bundesarchiv öffentlich zugänglich waren, bleiben auch weiterhin öffentlich zugänglich (Art. 9 Abs. 2 BGA).
Das VBS ging zu Recht davon aus, dass die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» nicht einer verlängerten Schutzfrist gemäss Art. 12 Abs. 1 BGA in Verbindung mit Anhang 3 zur VBGA unterlagen.
Art. 13 BGA regelt die Voraussetzungen der (ausnahmsweisen) Einsichtnahme während der Schutzfrist (s. hinten, Ziff. 3).
2.2. Da die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» vor ihrer Ablieferung an das Bundesarchiv nicht öffentlich zugänglich waren, unterlagen sie der Schutzfrist von 30 Jahren.
Die Schutzfrist bemisst sich gemäss Art. 10 BGA in Verbindung mit Art. 13 VBGA nach der Jahreszahl des jüngsten Dokuments des Dossiers. Geht man davon aus, dass die jüngsten Dokumente aus dem Jahr 1989 stammen, läuft die Schutzfrist des Dossiers «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» nach Art. 9 Abs. 1 BGA bis Ende 2019.
2.3. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, durch die in den Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» enthaltenen Dokumente persönlich betroffen zu sein. Die besondere, sich nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz richtende Regelung betreffend Auskünfte an betroffene Personen (Art. 15 BGA) ist daher nicht anwendbar.
2.4. Per 1. Januar 2004 hat das EDI gestützt auf Art. 14 Abs. 5 VBGA den Anhang 3 zur VBGA insofern geändert, als nun auch Archivgut mit der Bestandssignatur E 5560, wozu die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» gehören, einer Schutzfrist von 50 Jahren unterliegt (AS 2003 4534). Begründet wurde die Verlängerung der Schutzfrist mit der Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft und der Beziehungen zu den Nachbarn.
3. Nach Art. 13 Abs. 1 BGA und Art. 18 Abs. 3 VBGA können die abliefernden Stellen, hier das VBS (Art. 17 VBGA), auf Antrag des Bundesarchivs Archivgut bereits vor Ablauf der in Art. 9, 11 und Art. 12 Abs. 1 BGA festgelegten Schutzfristen für die Öffentlichkeit freigeben oder einzelnen Personen die Einsichtnahme gewähren. Voraussetzung ist, dass kumulativ keine gesetzlichen Vorschriften sowie keine überwiegenden, schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
Mit dieser Regelung soll die historisch-wissenschaftliche Benutzung des Archivguts erleichtert werden, ohne dass berechtigte Schutzinteressen verletzt werden.
Im Sinne dieses Ausgleichs und im Lichte des damaligen Umfelds sind auch die vom Beschwerdeführer angeführten Stellungnahmen des Bundesrates und die Bewilligungen früherer Einsichtsgesuche zu sehen.
Es versteht sich indes von selbst, dass die dabei vorzunehmende Interessenabwägung beziehungsweise die Würdigung der sich gegenüberstehenden Interessen, der historisch-wissenschaftlichen Interessen einerseits sowie des Schutzes privater und/oder öffentlicher Interessen andererseits, im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen sein kann.
4. Hinsichtlich der Südafrika-Akten ist die heute massgebliche Haltung des Bundesrates einer Pressemitteilung des Eidgenössischen Finanzdepartements vom 17. April 2003 sowie der Antwort des Bundesrates vom 10. September 2003 auf die Interpellation Pia Hollenstein (03.3366. Aktensperre betreffend Archivbestände Schweiz/Südafrika. Offene Fragen.) zu entnehmen: Demzufolge wird der Zugang zu Südafrika-Akten des Bundesarchivs, welche die Apartheidzeit betreffen und Namen von Unternehmen enthalten, vorübergehend unterbunden. Zu diesem Schritt sah sich der Bundesrat angesichts der in den USA eingereichten Sammelklagen gegen in- und ausländische Firmen, welche während der Apartheidzeit geschäftliche Beziehungen zu Südafrika unterhielten, gezwungen. Die bisher praktizierte freie Akteneinsicht würde die Gefahr bergen, die Stellung der eingeklagten Schweizer Firmen gegenüber mitbetroffenen ausländischen Firmen im Rahmen der Sammelklagen zu verschlechtern.
5. Da damit zurzeit in die noch einer Schutzfrist unterliegenden Südafrika-Akten nicht mehr Einsicht genommen werden kann, ergibt sich ohne Weiteres, dass eine Einsicht in die ebenfalls noch einer Schutzfrist unterliegenden Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» nicht mit dem Hinweis auf die frühere freie Praxis der Einsichtnahme in die Südafrika-Akten begründet werden kann.
Das VBS hat sich daher zu Recht auf den Grundsatz berufen, dass während der Schutzfrist kein Anspruch auf Einsichtnahme in archivierte Akten besteht, und in Bezug auf die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» auch zutreffend festgehalten, dass hier überwiegende, schutzwürdige öffentliche und private Interessen einer Einsichtnahme entgegenstehen.
Dass überwiegende, schutzwürdige öffentliche Interessen einer Einsichtnahme in die Akten «Zusammenarbeit Schweiz-Israel aus dem Zeitraum 1981-1989» entgegenstehen, ist in der Zwischenzeit vom Gesetzgeber durch die Änderung des Anhangs 3 zur VBGA bestätigt worden.
6. Bewilligungen zu Einsichtsgesuchen gelten nach Art. 13 Abs. 2 BGA unter gleichen Bedingungen für alle Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller. Damit wird bestätigt, dass insoweit Anspruch auf Gleichbehandlung besteht.
Nach schweizerischer Rechtsauffassung setzt der hier geltend gemachte Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht aber nicht nur eine gesetzwidrige Praxis einer Behörde voraus, sondern auch deren mangelnde Bereitschaft, die gesetzwidrige Praxis aufzugeben. Nur unter diesen strengen Voraussetzungen geht das Recht auf Gleichbehandlung dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit vor (BGE 112 Ib 387, BGE 110 II 400 E. 2, BGE 108 Ib 214; Arthur Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 73).
Die Voraussetzungen einer solchen Gleichbehandlung im Unrecht sind hier offensichtlich nicht erfüllt. Da sich die Bewilligungspraxis wie gezeigt grundsätzlich verändert hat, liegt keine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung vor.
7. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Dokumente des Bundesrates