VPB 69.1
(Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 31. August 2004)
Bundesaufsicht im Strassenverkehr. Einzelne Fragen zur Aufsicht des Bundes über die Einhaltung bundesrechtlicher Normen.
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Bundesaufsicht über die Kantone (Art. 49 Abs. 2, Art. 182 Abs. 2 und Art. 186 Abs. 4 BV). Die Wahrnehmung der Bundesaufsicht ist keine Befugnis, sondern eine Pflicht. Sie kommt im autonomen wie im übertragenen Kompetenzbereich der Kantone zum Zuge (Ziff. I).
2. Eine Delegation der Bundesaufsicht vom Bundesrat an eine Verwaltungseinheit ist zulässig, wenn sie weder durch eine gesetzliche Norm ausgeschlossen wird noch im Rahmen der Bundesaufsicht Entscheide von wesentlicher politischer Bedeutung zu treffen sind (Ziff. II A).
3. Das Bundesamt für Strassenverkehr (ASTRA) hat eine generelle Verbandsaufsichtskompetenz im Bereich des Strassenverkehrs (Art. 10 Abs. 1 und 3 OV-UVEK); wenn ein Erlass ein anderes Aufsichtsorgan nennt, ist fallweise zu ermitteln, ob eine Delegation an das ASTRA ausgeschlossen werden soll (Ziff. II B).
4. Die Bundesaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs ist eine Rechtskontrolle; infolge der Detailliertheit der bundesrechtlichen Regelungen im Strassenverkehr fällt der Unterschied gegenüber einer Zweckmässigkeitskontrolle jedoch geringer aus als in anderen Rechtsbereichen (Ziff. II C).
5. Terminologie der Aufsichtsmittel (Ziff. II D 1). Die Aufsichtsmittel benötigen mit Ausnahme der Genehmigung kantonaler Erlasse und der Behördenbeschwerde keine besondere gesetzliche Grundlage, müssen jedoch im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Ziff. II D 2); sie dienen entweder der Informationsbeschaffung (Ziff. II D 3 a) oder sind regulierende Einwirkungen (Ziff. II D 3 b) oder unmittelbare Zwangseingriffe (Ziff. II D 3 c).
Surveillance fédérale en matière de circulation routière. Quelques questions sur la surveillance du respect des règles du droit fédéral.
1. Bases constitutionnelles de la surveillance fédérale sur les cantons (art. 49 al. 2, art. 182 al. 2 et art. 186 al. 4 Cst.). L'exercice de la surveillance fédérale n'est pas un pouvoir, mais un devoir. Elle est applicable tant dans le domaine de compétence autonome des cantons que dans les domaines qui leur sont délégués (ch. I).
2. Le Conseil fédéral peut déléguer la surveillance fédérale à une unité de l'administration fédérale si cela n'est pas exclu par une disposition légale, et s'il n'est pas nécessaire de prendre des décisions de grande importance politique dans le cadre de cette surveillance (ch. II A).
3. L'Office fédéral des routes (OFROU) dispose d'une compétence générale de surveillance de collectivités («Verbandsaufsicht») en matière de circulation routière (art. 10 al. 1 et 3 Org DETEC); lorsqu'un acte législatif désigne une autre autorité de surveillance, il convient d'examiner dans le cas concret si une délégation à l'OFROU est exclue (ch. II B).
4. La surveillance fédérale en matière de circulation routière est un contrôle juridique; vu le caractère détaillé des règles fédérales de la circulation routière, la différence par rapport au contrôle de l'opportunité est toutefois moins grande que dans d'autres domaines du droit (ch. II C).
5. Terminologie des moyens de surveillance (ch. II D 1). Une base légale particulière n'est pas nécessaire pour les moyens de surveillance, mis à part l'approbation d'actes législatifs cantonaux et le droit de recours de l'autorité, mais ces moyens doivent servir l'intérêt public et demeurer proportionnels (ch. II D 2); ils peuvent servir à l'échange d'informations (ch. II D 3 a) ou consister dans des actions régulatrices (ch. II D 3 b) ou des interventions directement coercitives (ch. II D 3 c).
Sorveglianza federale in materia di circolazione stradale. Singole questioni sulla sorveglianza della Confederazione in merito al rispetto delle norme di diritto federale.
1. Basi costituzionali della sorveglianza della Confederazione sui cantoni (art. 49 cpv. 2, art. 182 cpv. 2 e art. 186 cpv. 4 Cost.). L'esercizio della sorveglianza da parte della Confederazione non è una facoltà, ma un dovere. Essa è applicata sia nell'ambito di competenza autonoma che in quello di competenza delegata dei cantoni (n. I).
2. Una delega della sorveglianza della Confederazione dal Consiglio federale ad un'unità amministrativa è possibile, se non è esclusa da una norma legale e se nel quadro della sorveglianza della Confederazione non devono essere prese decisioni di importante rilevanza politica (n. II A).
3. L'Ufficio federale delle strade (USTRA) ha una competenza generale di sorveglianza di collettività (Verbandsaufsicht) nell'ambito della circolazione stradale (art. 10 cpv. 1 e 3 dell'Org-DATEC); se un decreto menziona un altro organo di sorveglianza, occorre stabilire nel caso concreto se deve essere esclusa una delega all'USTRA (n. II B).
4. La sorveglianza della Confederazione nell'ambito della circolazione stradale è un controllo giuridico; dato che le norme di diritto federale nella circolazione stradale sono molto dettagliate; la differenza rispetto ad un controllo dell'opportunità è comunque inferiore rispetto ad altri campi giuridici (n. II C).
5. Terminologia dei mezzi di sorveglianza (n. II D 1). I mezzi di sorveglianza, fatta eccezione per l'approvazione di decreti cantonali e il ricorso di autorità, non necessitano di una base legale particolare, ma devono essere di interesse pubblico e proporzionali (n. II D 2); essi servono all'ottenimento di informazioni (n. II D 3 a) oppure sono interventi regolatori (n. II D 3 b) oppure interventi coercitivi diretti (n. II D 3 c).
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat dem Bundesamt für Justiz (BJ) verschiedene Fragen zur Wahrnehmung der Bundesaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs unterbreitet. Das BJ nimmt nachstehend dazu Stellung.
I. Einleitung: Grundlagen der Bundesaufsicht über die Kantone
Die verfassungsrechtliche Grundlage der Aufsicht des Bundes über die Kantone sind Art. 49 Abs. 2, Art. 182 Abs. 2 und Art. 186 Abs. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101). Gemäss Art. 49 Abs. 2 BV wacht der Bund über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone (Verbandsaufsicht). Art. 182 Abs. 2 BV verpflichtet den Bundesrat, für «den Vollzug der Gesetzgebung, der Beschlüsse der Bundesversammlung und der Urteile richterlicher Behörden des Bundes» zu sorgen. Art. 186 Abs. 4 BV bestimmt schliesslich, dass der Bundesrat ganz generell «für die Einhaltung des Bundesrechts» durch die Kantone sorgt.
Die Wahrnehmung der Aufsicht über die Kantone ist nicht eine blosse Befugnis, sondern eine Pflicht des Bundes. Es geht dabei um die Gewährleistung der rechtsgleichen Anwendung übergeordneter Normen des Bundesrechts, die für alle föderalistischen Ebenen verbindlich sind[1]. Die Aufsicht verbleibt namentlich auch dann beim Bund, wenn er den Kantonen Vollzugsaufgaben überträgt. Aufgaben, welche die Bundesverfassung dem Bund zuweist, können niemals vollständig an die Kantone delegiert werden, weil dies auf eine formell unzulässige Abänderung der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung hinauslaufen würde[2]. Als Instrumentarium zur Kontrolle der Einhaltung der bundesrechtlichen Kompetenzordnung kann der Bund auf die Aufsicht nicht verzichten.
Die Bundesaufsicht kommt sowohl im autonomen als auch im übertragenen (delegierten) Wirkungskreis der Kantone zum Zuge[3]. Im autonomen Wirkungskreis ist sicherzustellen, dass die Schranken des Bundesrechts, darunter insbesondere die Kompetenzordnung und die Grundrechte, eingehalten werden. Im delegierten Wirkungskreis steht die korrekte Umsetzung des Bundesrechts, dessen Vollzug den Kantonen übertragen wurde, im Vordergrund.
II. Einzelne Fragen
A. Rechtliche Anforderungen für eine formell genügende Delegation der Aufsicht an eine Verwaltungseinheit (Departement, Bundesamt)
Die Bundesverfassung weist die Bundesaufsicht grundsätzlich dem Aufgabenbereich des Bundesrates zu (vgl. Ziff. I hiervor)[4]. In der Verfassung selber vorgesehene Ausnahmen betreffen die Gewährleistung der Kantonsverfassungen (Art. 172 Abs. 2 BV) und die Genehmigung von Verträgen zwischen Kantonen bzw. zwischen Kantonen und dem Ausland, wenn der Bundesrat oder ein Kanton Einsprache erhoben hat. (Art. 172 Abs. 3 BV). In diesen Fällen nimmt die Bundesversammlung die Funktion der Bundesaufsicht wahr.
Im Gegensatz zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (aBV[5]) geht die geltende Bundesverfassung nicht mehr von der organisatorischen Fiktion einer Regierung aus, die sämtliche Exekutiventscheide selber trifft[6]. Art. 178 Abs. 1 BV hält die Kompetenz des Bundesrates fest, für eine zweckmässige Verwaltungsorganisation zu sorgen (Organisationsautonomie). Art. 177 Abs. 3 BV sieht vorbehältlich der Sicherstellung des Rechtsschutzes vor, dass «[d]en Departementen oder den ihnen unterstellten Verwaltungseinheiten […] Geschäfte zur selbstständigen Erledigung übertragen» werden. Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG, SR 172.010) konkretisiert diese Verfassungsnorm in drei Bestimmungen, die Delegationscharakter aufweisen: Zum einen legt Art. 43 Abs. 1 RVOG fest, dass die Ämter als «tragende Verwaltungseinheiten» die «Verwaltungsgeschäfte» besorgen. Zum anderen wird der Bundesrat in Art. 43 Abs. 2 RVOG ermächtigt, die Aufgaben der Ämter festzulegen. Vor allem aber bestimmt Art. 47 Abs. 2 RVOG, dass der Bundesrat durch Verordnung festlegt, «welche Verwaltungseinheit für die Entscheidung in einzelnen Geschäften oder in ganzen Geschäftsbereichen zuständig ist».
Art. 47 Abs. 2 RVOG ermächtigt den Bundesrat somit zur Delegation von Entscheidbefugnissen an die einzelnen Verwaltungseinheiten, seien dies Departemente, Gruppen oder Ämter[7]. Diese Bestimmung sagt aber nichts über die Qualität der Entscheidbefugnisse, die an die jeweiligen Einheiten delegiert werden können (Stufengerechtigkeit). Art. 47 Abs. 1 RVOG setzt diesbezüglich Grenzen, indem auf die «Bedeutung eines Geschäfts» abgestellt wird: Je bedeutungsvoller ein Geschäft, desto hochrangiger der Entscheidungsträger. Heute ist allgemein anerkannt, dass der Bundesrat Entscheidzuständigkeiten (und a maiore minus auch andere, weniger einschneidende Exekutivmassnahmen) selbst dann an untergeordnete Verwaltungseinheiten delegieren kann, wenn er vom Gesetzgeber selber als Entscheidungsträger eingesetzt worden ist, es sei denn, ein Gesetz schliesse die Delegation explizit oder implizit aus[8].
Letzteres ist durch Auslegung zu ermitteln. So folgt aus den das Kollegialprinzip konkretisierenden Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 13 Abs. 1 RVOG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 RVOG ohne weiteres, dass der Bundesrat Entscheide von wesentlicher politischer Bedeutung nicht an die Verwaltung delegieren darf[9].
Somit lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten:
1. Die Delegation der Aufsicht des Bundes über die Kantone an eine Verwaltungseinheit (Departement, Gruppe, Amt) ist zulässig, wenn (kumulativ):
- keine gesetzliche Norm existiert, die eine Delegation an eine Verwaltungseinheit ausdrücklich oder implizit ausschliesst;
- wenn und solange im Rahmen der Aufsicht (bezogen auf den Aufsichtsbereich und die Aufsichtsmittel) keine Entscheide oder Massnahmen von wesentlicher politischer Bedeutung getroffen werden müssen.
2. Die Delegation von Aufsichtsbefugnissen des Bundesrats an Verwaltungseinheiten kann auf dem Verordnungsweg erfolgen. Die Art. 43 Abs. 1, Art. 47 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 2 RVOG bilden die erforderliche gesetzliche Grundlage dafür. B. Wer fungiert im geltenden Recht als Aufsichtsorgan im Bereich des Strassenverkehrs, wenn das Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG, SR 741.01) keine besondere Regelung trifft?
Im Bereich des Strassenverkehrs betrifft die Bundesaufsicht in besonderem Masse Sicherheitsaspekte. Die Gewährleistung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer erfordert eine hohe Regelungsdichte[10]. Namentlich die Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV, SR 741.11), die Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV, SR 741.21) und die Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge vom 19. Juni 1995 (VTS, SR 741.41) zeichnen sich durch sehr detaillierte technische Bestimmungen aus.
Die Verkehrssicherheit erfordert eine einheitliche Anwendung und konsequente Durchsetzung dieser ausgeprägt technischen Normen. Dabei macht die für den Strassenverkehr typische Parallelität von Vollzugsorganen aller drei föderalen Ebenen eine Koordination bei der Aufsicht besonders notwendig. Die Bundesaufsicht über die Kantone setzt eine genaue Kenntnis der Aufsichtsmaterie voraus. Das erforderliche Fachwissen ist am ehesten beim zuständigen Fachamt zu finden.
Art. 43 Abs. 2 RVOG ermächtigt den Bundesrat, mittels Verordnung die Gliederung der Bundesverwaltung in Ämter festzulegen und diesen Sachbereiche und Aufgaben zuzuweisen. Gestützt darauf erliess er die Organisationsverordnungen der einzelnen Departemente, darunter auch die Organisationsverordnung vom 6. Dezember 1999 für das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (OV-UVEK, SR 172.217.1). Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung bezeichnet das ASTRA als «Fachbehörde für die Strasseninfrastruktur und den individuellen Strassenverkehr». Abs. 3 derselben Bestimmung zählt in nicht abschliessender Weise die Funktionen des ASTRA auf: Dort heisst es unter anderem, dass das ASTRA «Entscheidungen für eine kohärente Politik im Bereich des Strassenverkehrs, einschliesslich des Strassengüterverkehrs und der Verkehrssicherheit» vorbereitet und umsetzt. Neben der Strasseninfrastruktur geht es dabei auch um «Anforderungen an Fahrzeuge und Personen im Strassenverkehr» und um das «Verhalten im Strassenverkehr». Leider fehlt diesen wortreich formulierten Bestimmungen die textliche Klarheit bezüglich der Aufsicht, wie sie noch der inzwischen ausser Kraft gesetzte Art. 1 Bst. d der Verordnung vom 9. Mai 1979 über die Aufgaben der Departemente, Gruppen und Ämter (AS 1979 684) besass: Dort wurde die «Aufsicht über den Vollzug der Bundesgesetzgebung durch die Kantone» ganz allgemein als Aufgabe der Gruppen und Ämter bezeichnet. Im Zuge der in den neunziger Jahren vorgenommenen Überarbeitung des departementalen Organisationsrechts wurde die alle Departemente erfassende Verordnung durch einzelne Organisationsverordnungen ersetzt, womit diese klar gefasste generelle Bestimmung zur Funktion der Gruppen und Ämter bei der Bundesaufsicht über die Kantone leider entfiel[11]. Eine materielle Änderung war jedoch nicht beabsichtigt. So statuiert beispielsweise Art. 10 Abs. 3 Bst. b OV-UVEK - eine Bestimmung, die allerdings nicht den Strassenverkehr, sondern im Wesentlichen die Strasseninfrastruktur betrifft - explizit die Oberaufsicht[12] des ASTRA über die «Strassen von gesamtschweizerischer Bedeutung».
Somit kann aus Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 Bst. a OV-UVEK eine generelle Verbandsaufsichtskompetenz des ASTRA im Bereich des Strassenverkehrs abgeleitet werden. Die Funktion des ASTRA als «Fachbehörde» für den «individuellen Strassenverkehr» (Abs. 1), die Entscheidungen in den Bereichen des Strassenverkehrs und der Verkehrssicherheit «umsetzt» (Abs. 3 Bst. a), setzt die Zuständigkeit für die Aufsicht über die Kantone voraus. Denn Umsetzung impliziert stets Kontrolle, und diese wiederum umfasst die Informationsbeschaffung über den Stand des Vollzugs, die Anordnung geeigneter Durchsetzungsmassnahmen sowie gegebenenfalls die direkte Umsetzung durch unmittelbar wirkende Eingriffe (vgl. Bst. D hiernach).
Nennt ein Erlass ein anderes Aufsichtsorgan (Bundesrat oder Departement), ist durch Auslegung fallweise zu ermitteln, ob eine Delegation der Aufsichtskompetenz an das ASTRA wirklich ausgeschlossen werden sollte. Ein Delegationsausschluss kann etwa dort gewollt sein, wo es um politisch sensible Angelegenheiten geht, um die sich die Departemente oder der Bundesrat selber kümmern sollen (vgl. Bst. A, Text vor Fussnote 7 hievor)[13]. Ist dies zu verneinen, so muss angesichts der technischen Komplexität und Detailliertheit des Strassenverkehrsrechts gestützt auf Art. 10 Abs. 1 und 3 Bst. a OV-UVEK davon ausgegangen werden, dass das ASTRA als kompetente Fachbehörde allgemein für die Verbandsaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs zuständig ist.
C. Inhalt und Umfang der Bundesaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs
Die Bundesaufsicht über die Kantone hat eine zentrale Funktion: Die Sicherstellung, «dass die Kantone bei der Erfüllung ihrer Aufgaben das Bundesrecht mit Einschluss des Völkerrechts einhalten»[14]. Die Kantone haben in all ihren Tätigkeiten das Bundesrecht zu respektieren, bei der Rechtsetzung ebenso wie bei der Rechtsanwendung und der Rechtsprechung. Die Bundesaufsicht erstreckt sich auf alle kantonalen Tätigkeiten (Rechts- und Realakte, Verfahren, Unterlassungen); sie erfasst auch die Gemeinden[15].
Hinsichtlich des Umfangs der Aufsichtspflicht wird in der Lehre gelegentlich zwischen dem autonomen und dem übertragenen Wirkungskreis unterschieden: Danach soll die Aufsicht im autonomen Wirkungskreis der Kantone auf eine Rechtskontrolle (Übereinstimmung mit dem Bundesrecht) beschränkt sein, während im übertragenen Wirkungskreis zusätzlich eine Ermessenskontrolle (Zweckmässigkeitskontrolle, Kontrolle der Angemessenheit einer Massnahme) möglich sei[16]. Die Mehrheit der Lehre hält allerdings eine Ermessenskontrolle im übertragenen Wirkungskreis nur für zulässig, wenn sich eine entsprechende Befugnis aus dem Delegationserlass ergibt[17]. Für die Auffassung der Mehrheit spricht, dass mit der Delegation von Bundesaufgaben an die Kantone eine Dezentralisierung beabsichtigt ist. Eine Zweckmässigkeitskontrolle stünde dazu in einem gewissen Widerspruch[18]. Art. 46 Abs. 2 BV verpflichtet denn auch den Bund, den Kantonen «möglichst grosse Gestaltungsfreiheit» zu belassen und ihren Besonderheiten Rechnung zu tragen[19].
Die Differenzierung zwischen Rechts- und Zweckmässigkeitskontrolle hat bei der Aufsicht über den Bereich des Strassenverkehrs eher weniger Bedeutung als in anderen Aufgabenbereichen. Die zwangsläufig erforderliche hohe Dichte und Detailliertheit der bundesrechtlichen Regelungen lässt den Kantonen häufig einen geringen Spielraum, womit die Rechtskontrolle sich der Ermessenskontrolle annähert. Umgekehrt muss dort, wo noch Spielräume bestehen, besonders auf die kantonale Eigenständigkeit geachtet werden, wenn die Vollzugsübertragung an die Kantone überhaupt einen Sinn haben soll.
Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen, dass:
- die Bundesaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs sicherstellen muss, dass die Kantone das Bundesrecht in den an sie übertragenen Aufgabenbereichen vollumfänglich einhalten;
- sich die Bundesaufsicht im Bereich des Strassenverkehrs auf eine Rechtskontrolle beschränkt, es sei denn, das Bundesrecht selber sehe punktuell eine Zweckmässigkeitskontrolle vor. D. Welche Aufsichtsmittel stehen den Bundesbehörden zur Verfügung, um dem Bundesrecht Nachachtung zu verschaffen?
1. Terminologie
In einem weiten Sinn sind alle Instrumente als Aufsichtsmittel zu bezeichnen, die dem Bund dazu dienen, die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone sicherzustellen[20]. Gelegentlich wird zwischen Aufsichtsmassnahmen ohne Zwangscharakter und eigentlichen Zwangsmassnahmen differenziert, wobei letztere unter dem Begriff der Bundesexekution zusammengefasst werden[21]. Als Zwangsmassnahmen werden regelmässig die Ersatzvornahme, finanzielle Druckmittel wie die Streichung von Subventionen und die militärische Durchsetzung aufgezählt[22]. Diese Unterscheidung ist fragwürdig, weil die Kontrollfunktion der Aufsicht stets auch einen gewissen Zwang impliziert und sich die Aufsichtsmittel in dieser Hinsicht allenfalls graduell unterscheiden[23]. Praktische Konsequenzen, etwa bezüglich der Zuständigkeiten von Parlament und Bundesrat, hat diese Unterscheidung in der geltenden Bundesverfassung jedenfalls kaum mehr[24].
2. Gemeinsames
Der Bund kann seine Aufsichtspflicht mit unterschiedlichsten Instrumenten wahrnehmen (vgl. Ziff. 3 hiernach). Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten.
- Die Aufsichtsmittel haben sich über Jahrzehnte hinweg in der Praxis herausgebildet. Sie benötigen gemäss herrschender Lehre grundsätzlich keine besondere gesetzliche Grundlage, sondern stützen sich unmittelbar auf Art. 186 Abs. 4 BV (früher: Art. 102 Ziff. 2 aBV)[25]. Eine besondere gesetzliche Grundlage verlangt die Mehrheit der Lehre nur für zwei Aufsichtsmittel: Die Genehmigung von kantonalen Erlassen durch den Bund (Art. 186 Abs. 2 BV) und die Behördenbeschwerde (wegen der Formstrenge des Prozessrechts)[26].
- Die Aufsichtsmittel sind im öffentlichen Interesse und verhältnismässig einzusetzen[27]. Das Verhältnismässigkeitsprinzip begrenzt auch hier das staatliche Handeln: Es ist dasjenige Aufsichtsmittel zu wählen, das unter den konkreten Umständen geeignet und erforderlich ist, um die Umsetzung des Bundesrechts sicherzustellen. Die Aufsichtsbehörde wird den Kanton erst einmal auffordern, die bundesrechtswidrige Situation selber zu beheben («Selbstberichtigung»). Zunächst wird man es beispielsweise eher mit allgemein gehaltenen Weisungen versuchen als mit einem konkreten Verweis. Und die Kassation einer Verfügung durch die Aufsichtsbehörde kommt aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips nur dann in Frage, wenn es kein Behördenbeschwerderecht gibt[28].
- Wo einzelne Bundeserlasse Aufsichtsmittel für bestimmte Konstellationen genauer fassen, hat sich die Aufsichtsinstanz daran zu halten. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die ausdrücklich genannten Aufsichtsmittel abschliessend zu verstehen sind[29]. 3. Einzelne Aufsichtsmittel
Die einzelnen Aufsichtsmittel können grob in verschiedene Kategorien gegliedert werden:
a. Informationsbeschaffung
Um abzuklären, ob überhaupt ein Aufsichtsfall vorliegt, kann die Aufsichtsbehörde Berichte einholen, Akten herausverlangen oder auch Inspektionen vor Ort vornehmen. Art. 44 Abs. 2 BV verpflichtet die Kantone zur Amtshilfe[30]. Welches Informationsbeschaffungsinstrument eingesetzt wird, ist nicht zuletzt eine Frage der Verhältnismässigkeit. So ist beispielsweise die Inspektion eine relativ scharfe Intervention. Bei der Informationsbeschaffung gibt es einen fliessenden Übergang von der im Föderalismus selbstverständlichen alltäglichen Kommunikation zwischen Bundesorganen und den Kantonen hin zu aufsichtsrechtlichen Eingriffen des Bundes.
b. Regulierende Einwirkungen
Konkrete und allgemeine Weisungen
Regulierende Aufsichtsmittel sind neben Mahnungen konkrete Weisungen für den Einzelfall oder aber generalisierte Weisungen, die auch als Kreisschreiben bezeichnet werden. Da es sich bei den Kreisschreiben nicht um (rechtsetzende) Rechtsverordnungen, sondern um Verwaltungsverordnungen handelt, die klärende Hinweise zur Auslegung bestimmter bundesrechtlicher Vorschriften enthalten[31], braucht es dafür keine besondere gesetzliche Ermächtigung. Denn jeder Vollzug heisst auch Auslegung der zu vollziehenden Normen. Es muss den zuständigen Aufsichtsinstanzen frei stehen, Auslegungsanordnungen auch generell-abstrakt festzulegen, müssten sie doch diese sonst in jedem gleichartigen Einzelfall wiederholen[32].
Kassation kantonaler Einzelakte
Regulierende Wirkung hat auch die aufsichtsrechtliche Kassation kantonaler Einzelakte. Im Vordergrund steht dabei die Kassation von Verwaltungsentscheiden, während die Kassation von Entscheiden kantonaler Gerichte höchst problematisch und umstritten ist. Die aufsichtsrechtliche Kassation von Verwaltungsentscheiden ist ein starker Eingriff in die kantonale Autonomie, weshalb unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit hohe Anforderungen zu stellen sind. Die herrschende Lehre und Praxis geht davon aus, dass die aufsichtsrechtliche Kassation eines kantonalen Verwaltungsentscheides durch eine Bundesbehörde im Sinne der Subsidiarität nur zulässig ist, wenn der Rechtsweg von vornherein nicht erfolgversprechend beschritten werden kann, sei es weil er überhaupt nicht zur Verfügung steht (Fehlen einer Behördenbeschwerde) oder weil die prozessrechtliche Lage (z. B. die eingeschränkte Kognition des Gerichts) es nicht erlaubt, eine aufsichtsrechtlich relevante Frage sachgerecht zu thematisieren[33]. Die aufsichtsrechtliche Kassation kantonaler Gerichtsentscheide wird in der Lehre noch immer am Beispiel des nun bereits dreissig Jahre zurückliegenden «Fextal-Entscheids» des Bundesrats diskutiert[34], was bestens zeigt, dass es sich dabei allenfalls um einen absoluten Ausnahmefall handelt. Auch wenn dies ein wesentlicher Teil der Lehre etwas zu relativieren scheint[35], wiegt der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit als Voraussetzung eines wirksamen Individualrechtsschutzes im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung doch so schwer, dass die Kassation eines kantonalen Gerichtsurteils höchstens als ultima ratio in Frage kommt[36].
Behördenbeschwerde
Ein wirksames und aus rechtsstaatlicher Sicht ideales Aufsichtsmittel ist die Behördenbeschwerde. Der Rechtsweg hat grundsätzlich Vorrang vor einer aufsichtsrechtlichen Kassation (vgl. Absatz unmittelbar hiervor). Allerdings kommt die Behördenbeschwerde nur dann zum Zuge, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist (vgl. Ziff. 2 hiervor), und dies auch nur im gesetzlich vorgesehenen Umfang. Hier liegt häufig das Problem: Gemäss Art. 103 Bst. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG, SR 173.110) ist «das in der Sache zuständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der Bundesverwaltung gegen Verfügungen […] einer letzten kantonalen Instanz» zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht legitimiert. Während sich die Beschwerdelegitimation des Departementes auf das OG stützt, muss die Beschwerdelegitimation eines Amtes somit zusätzlich in einem besonderen Bundeserlass verankert sein[37]. Die in Art. 103 Bst. l OG genannte Behördenbeschwerde richtet sich jedoch nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide. Kommt es nicht zum einem letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, etwa weil eine Verfügung zu Gunsten des Adressaten ergeht und sie deshalb gar nicht angefochten wird oder weil ein Beschwerdeverfahren vor einer Vorinstanz endet, so steht die Behördenbeschwerde nur offen, wenn ein Bundeserlass auch diese Konstellationen einbezieht. Aus gelegentlich übergewichteter föderalistischer Zurückhaltung beschränken gesetzliche Regelungen die Beschwerdelegitimation jedoch häufig auf letztinstanzliche kantonale Entscheide[38]. Dazu zählt auch Art. 24 Abs. 5 Bst. c des SVG, der dem ASTRA im Regelungsbereich des zweiten Titels des Strassenverkehrsgesetzes eine Beschwerdelegitimation nur «bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht» einräumt, was gemäss Art. 98 Bst. g OG einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid voraussetzt.
Staatsrechtliche Klage
Ein weiteres Mittel der Rechtsprechung, das als Aufsichtsinstrument des Bundes gegenüber den Kantonen genutzt werden kann, ist die staatsrechtliche Klage[39]. Die staatsrechtliche Klage ist gegenüber anderen möglichen Rechtsmitteln subsidiär[40], tritt mithin auch hinter die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zurück, wenn die Bundesbehörde dazu legitimiert ist (vgl. Absatz unmittelbar hiervor). Mit der staatsrechtlichen Klage können Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Kantonen vor das Bundesgericht gezogen werden, welches als erste Instanz urteilt. Es handelt sich somit um einen Fall der ursprünglichen Gerichtsbarkeit. Für das Aufsichtsrecht bedeutsam ist, dass das Bundesgericht dem Begriff des Kompetenzkonflikts eine enge Bedeutung gegeben hat. Obwohl dies aufgrund der Bundesverfassung nicht erforderlich wäre[41], tritt das Bundesgericht auf staatsrechtliche Klagen wegen Kompetenzkonflikten zwischen Bund und Kantonen gemäss ständiger Praxis nur dann ein, wenn über eine falsche Anwendung von Bundesrecht hinaus die Kompetenz an sich umstritten ist, sei es, dass sie von beiden Parteien beansprucht wird (positiver Kompetenzkonflikt), sei es, dass sie beide Seiten ablehnen (negativer Kompetenzkonflikt)[42]. Diese übermässig restriktive Praxis wurde von prominenten Vertretern der Lehre schon früh kritisiert[43]. Auch im Rahmen einer solchen engen Auslegung wäre es aber durchaus denkbar, dass das Bundesgericht beim Fehlen anderer Rechtsmittel[44] auf eine staatsrechtliche Klage des Bundes eintreten würde, wenn beispielsweise ein Kanton eine Bewilligung für eine sportliche Veranstaltung auf Autobahnen erteilen würde, obwohl Art. 35 Abs. 4 VRV solche Veranstaltungen generell verbietet und gemäss Art. 97 VRV nur das ASTRA «in besonderen Fällen» Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen der VRV gestatten kann. Hier hätte man es mit einem positiven Kompetenzkonflikt bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen zu tun.
c. Unmittelbare Zwangseingriffe
Streichung finanzieller Beihilfen
Als unmittelbarer aufsichtsrechtlicher Zwangseingriff kommt eine Kürzung oder eine vollständige Streichung finanzieller Beihilfen an die Kantone in Frage. Allerdings ist sich die Lehre einig, dass eine Verweigerung, Zurückhaltung oder Rückforderung bereits geleisteter Subventionen nur zulässig ist, wenn zwischen der verweigerten Finanzleistung und der aufsichtsrechtlich zu beanstandenden kantonalen Pflichtverletzung ein Zusammenhang besteht. Finanzielle Leistungen können demnach nur verweigert werden, «wenn Bedingungen oder Auflagen, die mit der Subvention verknüpft sind», vom Kanton nicht eingehalten werden[45]. Wegen dieses Konnexitätserfordernisses muss die Massnahme auch nicht in einem besonderen Bundeserlass erwähnt sein, kann doch gestützt auf Art. 28 und Art. 30 des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 1990 über Finanzhilfen und Abgeltungen (Subventionsgesetz, [SuG], SR 616.1) nicht verlangt werden, dass Bundesmittel ausgerichtet werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind.
Ein ausführlich geregeltes Beispiel der Ausrichtung bzw. Streichung finanzieller Beiträge durch den Bund im Verkehrsbereich findet sich in der Verordnung vom 8. April 1997 über die Hauptstrassen (SR 725.116.23): Gemäss Art. 8 Abs. 4 der Verordnung können an die Zusicherung von Bundesbeiträgen an den Bau von Hauptstrassen «besondere Bedingungen und Auflagen» geknüpft werden. Art. 11 Abs. 2 der Verordnung bestimmt, dass Bundesbeiträge für eine Hauptstrasse, die nachträglich zweckentfremdet oder durch bestimmte Massnahmen entwertet wurde, ganz oder teilweise zurückgefordert werden können. Art. 12 besagt schliesslich, dass zusätzliche Beitragsansprüche bei unbegründeten Kostenüberschreitungen entfallen.
Ersatzvornahme
Die Ersatzvornahme erlaubt es der zuständigen Bundesbehörde, eine Handlung, die der Kanton zu Unrecht verweigert, an dessen Stelle und auf dessen Kosten selber auszuführen oder durch Dritte ausführen zu lassen[46]. Die herrschende Lehre hält die Ersatzvornahme auch ohne besondere gesetzliche Grundlage für zulässig[47]. Dies wird unter anderem damit begründet, dass mit der Ersatzvornahme keine neue Pflicht geschaffen, sondern nur eine «sachgesetzlich bereits bestehende Pflicht» umgesetzt werde[48].
Eine explizite Regelung der Ersatzvornahme im Bereich des Strassenverkehrs findet sich im fünften Abschnitt des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG, SR 725.11), welcher der Aufsicht gewidmet ist. Gemäss Art. 55 Abs. 1 NSG kann der Bund die einem Kanton gemäss NSG obliegenden Aufgaben «ganz oder teilweise übernehmen», wenn der Kanton « […] ausserstande ist, die entsprechenden Aufgaben selbst gehörig zu besorgen» oder wenn «die Sicherstellung des Werkes es erfordert und sich der Kanton weigert, innerhalb einer vom Bundesrat festzusetzenden angemessenen Frist die ihm übertragenen Aufgaben auszuführen».
Militärische Mittel
Der Einsatz militärischer Mittel, der in die Zuständigkeit der Bundesversammlung (Art. 173 Abs. 1 Bst. d BV) und bei Dringlichkeit in diejenige des Bundesrates fälllt (Art. 185 Abs. 4 BV), war bisher glücklicherweise keine ernsthafte Option. Diese aufsichtsrechtliche ultima ratio wurde bis heute noch nie in Anspruch genommen[49].
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass:
- sich die einzelnen Aufsichtsmittel in der Praxis entwickelt haben und deren Anwendung in der Regel keiner besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf, sondern sich unmittelbar aus Art. 186 Abs. 4 BV ergibt. Ausnahmen sind die Genehmigung kantonaler Erlasse durch den Bund und die Behördenbeschwerde (vgl. Ziff. 2 hiervor);
- die Aufsichtsmittel der Durchsetzung des öffentlichen Interesses dienen und durch das Verhältnismässigkeitsprinzip begrenzt werden (Ziff. 2 hiervor);
- Verfahren, Inhalt und Umfang einzelner Aufsichtsmittel in einzelnen Gesetzen konkretisiert werden, womit dann diese Regelungen zu beachten sind, dadurch jedoch zusätzliche, nicht explizit erwähnte Aufsichtsmittel nicht ausgeschlossen werden. Bei den einzelnen Aufsichtsmitteln stehen neben der Informationsbeschaffung (Ziff. 3, Bst. a hiervor) insbesondere regulierende Einwirkungen (konkrete Weisungen und Kreisschreiben, Instrumente der Rechtsprechung wie die Behördenbeschwerde und in beschränktem Umfang die staatsrechtliche Klage, mangels Beschwerde- oder Klagemöglichkeiten auch die Kassation kantonaler Verwaltungsakte) im Vordergrund (Ziff. 3, Bst. b hiervor). Bei den unmittelbaren Zwangseingriffen können die Kürzung bzw. Streichung finanzieller Mittel oder die Ersatzvornahme fallweise Bedeutung haben (Ziff. 3, Bst. c hiervor).
[1] Vgl. auch Gutachten des Bundesamtes für Justiz [«Surveillance Fédérale»] vom 10. November 1998, VPB 64.24 S. 307 ff., 315.
[2] Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern 2004, § 21, Rz. 16.
[3] Tschannen, (Fussnote 2), § 26 Rz. 2; René A. Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, Basel/Genf/München 2003, Rz. 731; Alexander Ruch in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/ Klaus A. Vallender (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2002 (im Folgenden: St.Galler Kommentar), zu Art. 49 BV, Rz. 26.
[4] Vgl. auch - noch auf die Verfassung von 1874 bezogen - das Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 325, wo der Bundesrat als «autorité de surveillance de droit commun» bezeichnet wird.
[5] Zu lesen auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz unter http://www.ofj.admin.ch/etc/medialib/data/staat_buerger/gesetzgebung/bundesverfassung.Par.0006.File.tmp/bv-alt-d.pdf
[6] Bernhard Ehrenzeller, St.Galler Kommentar (Fussnote 3), zu Art. 177 BV, Rz. 25.
[7] Vgl. Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 326.
[8] Botschaft vom 20. Oktober 1993 zum RVOG, BBl 1993, S. 997 ff., 1097; Ehrenzeller, St.Galler Kommentar, (Fussnote 3), Rz. 26.
[9] Vgl. auch Botschaft vom 20. Oktober 1993 zum RVOG, ( Fussnote 8), S. 1097.
[10] In zahlreichen Fällen ermächtigt das SVG den Bundesrat zum Erlass detaillierter Ausführungsbestimmungen: Vgl. z. B. Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, 3 und 4, Art. 13 Abs. 2 und 4, Art. 14 Abs. 2 Bst. a, Art. 15 Abs. 4 und 6, Art. 18 Abs. 2, Art. 20 SVG. In anderen Fällen wird dem Bundesrat die Zuständigkeit für gewisse hoheitliche Rechtsanwendungsakte eingeräumt, z. B. zur Öffnung von Strassen, die für den allgemeinen Durchgangsverkehr notwendig sind (Art. 2 Abs. 1 Bst. a SVG), zum Erlass von Fahrverboten für einzelne Arten von Motorfahrzeugen (Art. 2 Abs. 1 Bst. b SVG), zur Erteilung von Ausnahmebewilligungen für verbotene öffentliche Rundstreckenrennen (Art. 52 Abs. 1 SVG) oder zur Anordnung von Massnahmen zur Lenkung des motorisierten Verkehrs auf dem Strassennetz von nationaler Bedeutung (Art. 53a Abs. 1 Bst. a SVG).
[11] Die Verordnung wurde etappenweise aufgehoben. Nachdem das Eidgenössische Finanzdepartement als letztes Departement am 11. Dezember 2000 ebenfalls eine eigene Organisationsverordnung erhalten hatte, fielen auch die bisher noch geltenden allgemeinen Bestimmungen, darunter Art. 1 Bst. d, dahin, vgl. Art. 32 Bst. a der Organisationsverordnung vom 11. Dezember 2000 für das Eidgenössische Finanzdepartement (OV-EFD, AS 2001 267 ff., 277).
[12] Terminologisch ist hier nicht die Art von Oberaufsicht, wie sie nach Art. 169 Abs. 1 BV die Bundesversammlung über den Bundesrat, die Bundesverwaltung und das Bundesgericht ausübt, gemeint. Diese ist durch die Gewaltenteilung begrenzt und im Rahmen des parlamentarischen Instrumentariums (Legislativ- und Budgetkompetenzen) auszuüben; es fehlen dagegen direkte Entscheidungs- und Weisungsrechte, vgl. Philippe Mastronardi, St.Galler Kommentar (Fussnote 3), zu Art. 169 BV, Rz. 6; Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 2001, Rz. 1538. Demgegenüber geht es bei der «Oberaufsicht» in Art. 10 Abs. 3 Bst. b OV-UVEK um eine Verbandsaufsicht des Bundes über die Kantone, die Entscheidungs- und Weisungsrechte bis hin zu eigentlichen Zwangsmassnahmen umfasst, Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 1 und 10; Ruch, St.Galler Kommentar, (Fussnote 3), zu Art. 49 BV, Rz. 25. Im Bereich der Verbandsaufsicht sind die Begriffe «Aufsicht» und «Oberaufsicht» austauschbar, vgl. ausführlich Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 317-320, mit weiteren Hinweisen. In der alten Bundesverfassung von 1874 wurde für die Umschreibung von Bundeskompetenzen gelegentlich von «Oberaufsicht» gesprochen (so z. B. in Art. 24 Abs. 1 aBV). Diese Terminologie wurde nicht mehr in die neue Verfassung übernommen. Vgl. auch Art. 54 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG, SR 725.11).
[13] Solche Konstellationen könnten sich, wenn man an die gesellschaftliche Umstrittenheit der Wiederzulassung von Formel-1-Rennen denkt, im Anwendungsbereich von Art. 52 Abs. 1 SVG ergeben, der dem Bundesrat die Kompetenz zur Erteilung von Ausnahmebewilligungen für öffentliche Rundstreckenrennen einräumt. Ein Delegationsausschluss wäre auch in einzelnen Fällen von Art. 53a Abs. 1 Bst. a SVG zu prüfen: Danach kann der Bundesrat zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit «Massnahmen zur Lenkung des motorisierten Verkehrs auf dem Strassennetz von nationaler Bedeutung anordnen». Politisch kontroverse temporäre Verkehrsbeschränkungen oder die Ausscheidung von Stauräumen etwa auf der Gotthardstrecke können unter Umständen eine Übertragung der Entscheidbefugnis an die Verwaltung ausschliessen.
[14] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 1; ebenso: Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 312.
[15] Kurt Eichenberger, in: Jean-François Aubert et al. (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (aBV), zu Art. 102 aBV, Rz. 30; Rhinow, (Fussnote 3), Rz. 731; Ruch, St.Galler Kommentar, (Fussnote 3), zu Art. 49 BV, Rz. 26.
[16] Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1208.
[17] Jean-François Aubert, in Jean-François Aubert/Pascal Mahon, [Hrsg.], Petit Commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, zu Art. 49 BV, Rz. 15; Tobias Jaag, Die Rechtsstellung der Kantone in der Bundesverfassung, in Daniel Thürer/ Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 30, Rz. 39; Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 5; Rhinow, (Fussnote 3), Rz. 733; Eichenberger, Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 36.
[18] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 5; vgl. auch Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1208.
[19] Vgl. dazu Tschannen, (Fussnote 2), § 16, Rz. 10-12.
[20] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 1.
[21] So z. B. Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 26; Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1226.
[22] Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1232; Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 26.
[23] Hoheitlicher «Zwang» steckt in jeder Verfügung, die als Anordnung zu verstehen ist.
[24] Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 317.
[30] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 14.
[31] Vgl. dazu die detaillierten Ausführungen im Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 10. November 1998, (Fussnote 1), S. 321-24 und, die gängige Terminologie teilweise kritisch hinterfragend, Biaggini, (Fussnote 25), S. 80-104.
[32] Vgl. die entsprechenden Ausführungen im Gesetzgebungsleitfaden des Bundesamtes für Justiz, 2. Aufl., Bern 2002, Ziff. 364 (S. 139).
[33] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 23; Entscheid des Bundesrates vom 15. August 1990, abgedruckt in VPB 55.29; detailliert und differenzierend Biaggini, (Fussnote 25), S. 230-34.
[34] Entscheid des Bundesrates vom 4. September 1974, abgedruckt im Schweizerischen Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (ZBl) 75 (1974), S. 529 ff. Der überwiegende Teil der Lehre ist nach wie vor der Meinung, dass eine solche Kassation unter besonderen Umständen zulässig sei, vgl. Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 25; Ruch, St.Galler Kommentar, (Fussnote 3), zu Art. 186 BV, Rz. 21; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 45; Biaggini, (Fussnote 25), S. 147. Anderer Auffassung sind Rhinow, (Fussnote 3), Rz. 732; Yvo Hangartner, Bundesaufsicht und richterliche Unabhängigkeit, ZBl 76 (1975), S. 1 ff. und Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1224.
[35] Es wird geltend gemacht, dass die richterliche Unabhängigkeit nur innerhalb einer bestimmten gliedstaatlichen Ebene, nicht aber über verschiedene Ebenen hinweg Geltung beanspruchen könne, vgl. z. B. Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 25; Ruch, St.Galler Kommentar, (Fussnote 3), zu Art. 186 BV, Rz. 21; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 45.
[36] In diesem Sinne auch Biaggini, (Fussnote 25), S. 146 und 147.
[37] Dies kann ein Gesetz oder allenfalls auch eine Verordnung sein, vgl. Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 20.
[38] In solchen Fällen wird in der Literatur auch von einer «Aufsichtslücke» gesprochen, vgl. z. B. die Diskussion zu Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14) bei Ulrich Cavelti, Die Durchsetzung der Steuerharmonisierungsgrundsätze, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht (ASA) 63 (1994/1995), S. 355-69 und Adrian Kneubühler, Durchsetzung der Steuerharmonisierung, ASA 69 (2000/2001), S. 209 ff., 260 f. Eine Lücke besteht allerdings nur hinsichtlich des konkreten Aufsichtsmittels der Behördenbeschwerde; ein Rückgriff auf andere Aufsichtsmittel ist nicht ausgeschlossen.
[39] Der Anwendungsbereich der staatsrechtlichen Klage geht allerdings über die Bundesaufsicht hinaus. So können z. B. die Kantone auch gegen den Bund (Art. 189 Abs. 1 Bst. d BV und Art. 83 Bst. a OG) oder gegeneinander (Art. 189 Abs. 1 Bst. d BV und Art. 83 Bst. b OG) klagen.
[40] Häfelin/Haller. (Fussnote 12), Rz. 2060.
[41] Art. 189 Abs. 1 Bst. d BV spricht ganz generell von «öffentlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Kantonen».
[42] Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 2050-2055 sowie BGE 125 II 152 ff., 160, BGE 117 Ia 202 ff., 209, BGE 117 Ia 221 ff., 226 und BGE 81 I 35 ff.
[43] So Hans Huber, Der Kompetenzkonflikt zwischen dem Bund und den Kantonen, Diss., Bern, 1926, S. 96 f.; Walter Burckhardt, Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, 3. Aufl. 1931, S. 774 f.
[44] Was beispielsweise bei der fehlenden Beschwerdelegitimation einer Bundesbehörde der Fall ist.
[45] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 29; Jaag, (Fussnote 17), Rz. 43; Häfelin/ Haller, (Fussnote 12), Rz. 1239; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 53.
[46] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 30-32; Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1233-38; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 53; Auer/Malinverni/Hottelier, (Fussnote 27), Rz. 1057.
[47] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 32; Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1236; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 53; abweichend Biaggini, (Fussnote 25), S. 163.
[48] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 32.
[49] Tschannen, (Fussnote 2), § 26, Rz. 33; Häfelin/Haller, (Fussnote 12), Rz. 1240 f.; Eichenberger, (Fussnote 15), zu Art. 102 aBV, Rz. 53.
Dokumente des BJ