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 Bund Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

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VPB 69.71

(Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 20. August 2004 [b. 489])


Regeste Deutsch
Résumé Français
Regesto Italiano
 
Sachverhalt
Sachverhalt A.
Sachverhalt B.
Sachverhalt C.
 
Erwägungen
Erwägung 4.
Erwägung 5.
Erwägung 6.
Erwägung 6.1.
Erwägung 6.2.
Erwägung 6.2.1.
Erwägung 6.2.2.
Erwägung 6.2.3.
Erwägung 6.2.4.
Erwägung 6.2.5.
Erwägung 6.2.6.
Erwägung 6.3.
Erwägung 6.3.1.
Erwägung 6.3.2.
Erwägung 6.3.3.
Erwägung 6.3.4.
Erwägung 6.4.
Erwägung 6.5.
Erwägung 7.
Erwägung 7.1.
Erwägung 7.1.1.
Erwägung 7.1.2.
Erwägung 7.1.3.
Erwägung 7.1.4.
Erwägung 7.2.
Erwägung 7.3.
Erwägung 7.4.
Erwägung 8.
 

Radio und Fernsehen. Schutz der Privatsphäre. Nennung von Namen und Ausstrahlen von Bildern einer Person.

Art. 7 Ziff. 1 EÜGF. Art. 3 Abs. 1 RTVG.

- Gesetzliche Grundlagen für die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen zur Prüfung von Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz der Privatsphäre (E. 7.1.1).

- Im Rahmen der programmrechtlichen Prüfung gilt es, die informationellen Selbstbestimmungsrechte der betroffenen Person einerseits und die Interessen der Medien an einer Berichterstattung anderseits zu berücksichtigen (E. 7.1.2 f.).

- Liegen wie im vorliegenden Fall weder überwiegende öffentliche Interessen an einer Nennung eines Namens bzw. der Ausstrahlung eines Bilds noch eine explizite oder implizite Einwilligung der betroffenen Person vor, sind diese Gestaltungselemente zu anonymisieren (E. 7.1.4).


Radio et télévision. Protection de la sphère privée. Mention du nom d'une personne et diffusion de photographies de celle-ci.

Art. 7 ch. 1 CETT. Art. 3 al. 1 LRTV.

- Bases juridiques pour l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision s'agissant de l'examen de questions en rapport avec la protection de la sphère privée (consid. 7.1.1).

- Dans le cadre de l'examen basé sur le droit des programmes, il s'agit, d'une part, de prendre en considération le droit d'autodétermination de la personne concernée en matière d'information et, d'autre part, de prendre en compte l'intérêt des médias à diffuser un reportage (consid. 7.1.2 s.).

- Si, comme dans le cas présent, il n'y a ni présence d'intérêts publics prépondérants à nommer une personne et à diffuser sa photo ni consentement implicite ou explicite de celle-ci, ces éléments doivent être anonymisés (consid. 7.1.4).


Radio e televisione. Protezione della sfera privata. Menzione del nome di una persona e diffusione di fotografie della stessa.

Art. 7 § 1 CETT. Art. 3 cpv. 1 LRTV.

- Basi legali dell'Autorità indipendente di ricorso in materia radiotelevisiva per l'esame di questioni inerenti alla protezione della sfera privata (consid. 7.1.1).

- Nel quadro di un esame basato sul diritto in materia di programmi, si tratta, da una parte, di prendere in considerazione i diritti di autodeterminazione della persona interessata nell'ambito dell'informazione e, dall'altra, di tenere conto dell'interesse dei media alla diffusione di un servizio (consid. 7.1.2 seg.).

- Se, come nella fattispecie, non vi sono interessi pubblici preponderanti tali da giustificare la menzione di un nome o la diffusione di una fotografia e non vi è il consenso implicito o esplicito della persona interessata, questi elementi devono essere anonimizzati (consid. 7.1.4).




Zusammenfassung des Sachverhalts:

A. Am 16. Februar 2004 strahlte Schweizer Fernsehen DRS (SF DRS) im Rahmen des Nachrichtenmagazins «10 vor 10» den Beitrag «IV-Rente» aus, der insbesondere die Rolle der Anwälte bei Verfahren im Zusammenhang mit der Invalidenversicherung (IV) thematisiert (Dauer: rund sechseinhalb Minuten).

B. Mit Eingabe vom 19. Mai 2004 erhoben D. (im Folgenden auch Beschwerdeführer 1) und S. (im Folgenden auch Beschwerdeführer 2) gegen den erwähnten Beitrag Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI, Beschwerdeinstanz). Sie beantragen, es sei festzustellen, dass die beanstandete Sendung gegen Art. 4 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG, SR 784.40) verstossen habe. Der Eingabe lag u. a. der Ombudsbericht bei.

C. In Anwendung von Art. 64 Abs. 1 RTVG wurde die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR idée suisse (SRG, Beschwerdegegnerin) zur Stellungnahme eingeladen. In ihrer Antwort vom 12. Juli 2004 beantragt sie mit Verweis auf Art. 64 Abs. 3 RTVG, auf die Beschwerde nicht einzutreten, soweit den Beschwerdeführern zivilrechtliche Rechtsbehelfe offenstehen. Im Übrigen beantragt sie, die Beschwerde abzuweisen. Die beanstandete Sendung habe keine Programmbestimmungen verletzt.

Aus den Erwägungen:

4. (Zusammenfassung des beanstandeten Beitrages)

5. (Grundsätze zum Sachgerechtigkeitsgebot)

6. Die Beschwerdeführer rügen ausschliesslich Sequenzen des zweiten Teils des Filmberichts, in welchem sie beide eine zentrale Rolle spielen. Da aber der Fall von Beschwerdeführer 2 als Beispiel für die allgemeinen Erörterungen im ersten Teil des Filmberichts und der Anmoderation dient und bei der Prüfung eines Beitrags im Lichte der Sachgerechtigkeitsgebots überdies der Gesamteindruck von entscheidender Bedeutung ist, muss auch der erste Teil in die programmrechtliche Beurteilung miteinbezogen werden.

6.1. Dieser erste Teil des Filmberichts verfolgt den Zweck, die Behauptung in der Anmoderation, wonach IV-Fälle für Rechtsanwälte ein «gutes Geschäft» seien, zu belegen. Beatrice Breitenmoser und Hans-Heinrich Brunner als Experten erklären, die Anwälte hätten die IV entdeckt und würden «fleissig» Einsprachen gegen negative Rentenentscheide machen. Erwin Murer als weiterer Experte spricht von 12'000 Einsprachen im letzten Jahr. Der Off-Kommentar folgert daraus, dass dies offensichtlich ein Geschäft für die Anwälte sei. Als weiterer Beleg dafür dient «10 vor 10» die «hohe» Zahl der auf der Web-Site des Schweizerischen Anwaltsverbandes angeführten spezialisierten Anwälte. Die Rechtsanwälte seien gemäss Off-Kommentar im Übrigen auch verantwortlich dafür, dass mehr IV-Renten zugesprochen würden, was zu einer Steigerung der Verluste der IV führe («1.5 Milliarden Franken Verlust allein im letzten Jahr. Der Grund: Immer mehr Menschen erhalten eine IV zugesprochen, nicht zuletzt dank der Hilfe von Rechtsanwälten»).

6.2. Die Behauptung, wonach erfolgreiche IV-Einsprachen Rechtsanwälten «happige Honorare» ermöglichen, begründet «10 vor 10» mit der angeblich hohen Zahl von Einsprachen gegen IV-Entscheide und mit den angeblich vielen auf das Sozialversicherungsrecht spezialisierter Anwälte. Für den Grossteil der Zuschauer mag diese Schlussfolgerung vor allem auch aufgrund der Statements von Experten, welche sich nicht auf die Honorare, sondern auf die Zahl involvierter Anwälte beziehen, zutreffend erscheinen. «10 vor 10» hat es denn auch unterlassen, die genannten Zahlen kritisch zu hinterfragen bzw. zusätzliche Begründungen für das angeblich lukrative Geschäft der Anwälte mit IV-Renten anzuführen.

6.2.1. Das Statement von Prof. Erwin Murer, wonach in der Schweiz im ersten Jahr rund 12'000 Einsprachen gegen IV-Entscheide eingegangen seien, dürfte zutreffen, wird aber ohne weitere Erklärung im Raum stehen gelassen. Die Aussage «im ersten Jahr» bezieht sich auf das erste Jahr seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1). Der Grossteil des Publikums überhört «das erste Jahr», da er keine Kenntnis vom Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 hat. Das Publikum kommt zum Schluss, dass die Anwälte nun wirklich die IV entdeckt hätten und ein wahrer Boom eingesetzt habe. Auch die nachfolgenden, allgemein gehaltenen Aussagen von Prof. Murer bringen für das Publikum keine Aufklärung. Erst mit dem Wissen über die neue gesetzliche Grundlage könnte dieses die Anzahl der mutmasslichen Einsprachen von 12'000 im vergangenen Jahr und die Aussage, wonach der Markt zu beobachten sei, einordnen. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht zwangsläufig alle Eingaben von Rechtsanwälten verfasst wurden.

6.2.2. Die Aussage, wonach die Anwälte bei erfolgreichem Ausgang in einem Verfahren um eine IV-Rente ein happiges Honorar erzielen würden, ist in diesem Kontext unzutreffend. Erfolgshonorare für Anwälte sind im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren verboten (Art. 12 Bst. e des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA], SR 935.61). Vielmehr sind die Entschädigungen bei Einsprachen und Beschwerden im IV-Verfahren relativ bescheiden; sie werden zum grössten Teil nach dem angemessenen Zeitaufwand, zum Teil auch nach festen Tarifen festgesetzt. Bei Einsprachen muss in Sozialversicherungsverfahren in der Regel keine Parteientschädigung ausgerichtet werden (Art. 52 Abs. 3 ATSG). Gemäss Botschaft soll damit ermöglicht werden, einer Partei, welcher eine unentgeltliche Vertretung bestellt wurde, bei Gutheissung der Einsprache eine Parteientschädigung zuzusprechen (BBl 1999 4612; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, N. 28 zu Art. 52). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass im Einsprache- und Einsprachebeschwerdeverfahren der Partei ohnehin häufig ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt wird. In solchen Fällen kommt regelmässig ein reduzierter Ansatz zur Anwendung (vgl. Kieser, a.a.O., N. 92 zu Art. 61 ATSG). Schliesslich bleibt zu berücksichtigen, dass im Beschwerdeverfahren die Parteientschädigung an die obsiegende Partei ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses zu bemessen ist (Art. 61 Bst. g ATSG; auch Kieser, a.a.O., N. 101 ff. zu Art. 61 ATSG).

6.2.3. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin musste «10 vor 10» die Honorarordnungen für Anwälte nicht im Detail darlegen. Zumindest ein Hinweis auf den neuen gesetzlichen Rahmen und die Grundsätze wären aber notwendig gewesen, damit sich das Publikum eine Meinung darüber hätte bilden können, ob erfolgreiche IV-Einsprachen den Anwälten tatsächliche «happige Honorare» sichern.

6.2.4. Davon zu unterscheiden ist der Fall, in welchem der Geschädigte neben einem IV-Anspruch zusätzlich Haftpflichtansprüche gegenüber einem Dritten geltend machen kann. Daran scheint der Beitrag insbesondere im zweiten Teil anzuknüpfen. Bei Haftpflichtfällen kann sich die Höhe des Honorars nach dem Streitwert bestimmen. Daraus können für den Anwalt unter Umständen weit höhere Honorare resultieren als bei reinen IV-Fällen. Die Möglichkeit einer Verknüpfung von IV- mit haftpflichtrechtlichen Verfahren findet im ersten Teil des Filmbeitrags aber keine Erwähnung.

6.2.5. Ob die Zahl der spezialisierten Anwälte tatsächlich als so hoch zu werten ist, wie dies «10 vor 10» insbesondere mit dem Verweis auf die Web-Site des Schweizerischen Anwaltsverbandes tut, ist zumindest anzuzweifeln. Die Zahl (489) mag auf den ersten Anschein zwar beeindruckend wirken. Dabei gilt es aber in Betracht zu ziehen, dass es sich beim Sozialversicherungsrecht um einen grossen Rechtsbereich handelt. «10 vor 10» unterlässt es ebenfalls, Vergleiche mit anderen Rechtsgebieten anzuführen. So finden sich auf der gleichen Web-Site rund 1'500 spezialisierte Scheidungsanwälte. Die Behauptung, die Zahl der auf das Sozialversicherungsrecht spezialisierten Anwälte sei hoch, muss relativiert werden, was aber für das Publikum aufgrund der vom Beitrag vermittelten Informationen nicht möglich gewesen ist.

6.2.6. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der erste Teil des Filmbeitrags erhebliche Mängel aufweist. Fakten, welche zur Meinungsbildung über die Attraktivität von IV-Einspracheverfahren für Anwälte beigetragen hätten, werden nicht erwähnt. Der Grund für diese Mängel dürfte nicht zuletzt im Umstand liegen, dass weder Beschwerdeführer 1 noch ein anderer auf Sozialversicherungsrecht spezialisierter Rechtsanwalt oder ein Vertreter des Schweizerischen Anwaltsverbands sich zur Rolle der Anwälte in IV-Verfahren äussern konnten. Diese Mängel gilt es auch bei der Beurteilung des von den Beschwerdeführern vorab beanstandeten zweiten Teil des Filmbeitrags zu berücksichtigen, da dieser nicht losgelöst vom ersten Teil und der Anmoderation, welche das Thema vorgeben, beurteilt werden kann.

6.3. Die beiden Beschwerdeführer stehen im Zentrum des zweiten Teils des Filmbeitrags. Der Fall von S., vertreten durch Rechtsanwalt D., soll offenbar die Rolle von Anwälten bei IV-Verfahren, wie sie im ersten Teil des Filmbeitrags in genereller Weise dargestellt wird, exemplarisch veranschaulichen.

6.3.1. Angesichts der im ersten Teil des Filmbeitrags vertretenen Behauptung, die Anwälte hätten die IV insbesondere im letzten Jahr entdeckt, erstaunt, dass ein Fall aus dem Jahre 1991 als Beispiel dient. Die Sendung «Kassensturz» hatte damals über den Fall von Beschwerdeführer 2 berichtet, weshalb auch Archivaufnahmen von ihm bestehen, woraus im beanstandeten Beitrag mehrere Sequenzen gezeigt werden. «10 vor 10» hat, mit der nicht ganz unwesentlichen Ausnahme der Schlusssequenz, die entsprechenden Bilder mit der Einblendung «Archiv» gekennzeichnet. Nicht Erwähnung findet dagegen, dass S. im damaligen «Kassensturz»-Beitrag sehr positiv dargestellt worden ist, als einer, der lange kämpfen musste, um sich und damit auch anderen Schleudertraumapatienten zum Recht zu verhelfen.

6.3.2. Im vorliegend beanstandeten Beitrag wird Beschwerdeführer 2 in einem ganz anderen Licht gezeigt. Der Off-Kommentar führt etwa aus, dass sein Hausarzt ihn als Person erlebt habe, die auf eine IV-Rente aus gewesen sei. Der Hausarzt bestätigt dies im nachfolgenden Statement und bemerkt zusätzlich, dass sein Patient Umschulungsmassnahmen auf Drängen seines Anwalts abgelehnt habe. Weiter wird im Beitrag aus einem Gutachten eines anderen Arztes vorgelesen, wonach sich keine Unfallfolgen mehr objektivieren liessen. Später führt der Off-Kommentar aus: «S. fand schlussendlich einen Arzt, der ihm seine Invalidität bescheinigte. Die IV musste zahlen. […]». Der Beitrag endet mit der Aussage, dass der Beschwerdeführer dank der Hilfe seines Anwalts nun bis zu seiner Pension wahrscheinlich 1 Mio  Fr. aus der Invalidenversicherung erhalten werde. Insgesamt vermittelt die Darstellung des Falls von Beschwerdeführer 2 dem Publikum den Eindruck, die Berentung sei ungerechtfertigt erfolgt.

6.3.3. Unerwähnt bleibt, dass der Zusprechung einer IV-Rente an S. ein langes Verfahren vorausgegangen ist. Das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte in einem Grundsatzurteil von 1991 die vorhandenen Beschwerden und Einschränkungen sowie den Kausalzusammenhang zum Strassenverkehrsunfall (BGE 117 V 359). Anschliessend hatte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die Versicherungsansprüche festzulegen. Schliesslich musste die SUVA ihre Regressansprüche und diejenigen der Invalidenversicherung mit dem betroffenen Haftpflichtversicherer klären. Dies erfolgte in einem Vergleich, der 1997 zustande gekommen ist. In diesem ganzen Verfahren wurden wiederholt und in umfassender Weise fachärztliche Abklärungen durchgeführt und berufliche Wiedereingliederungsmassnahmen geprüft, welche den im Filmbeitrag gemachten Aussagen des damaligen Hausarztes von S. und dem zitierten Gutachten widersprechen. Diese Fakten werden dem Publikum vorenthalten. Der Filmbeitrag vermittelt den Eindruck, dass S. dank einem willfährigen Arzt und den damit verbundenen Bemühungen seines Anwalts ohne weiteres zu einer IV-Rente gekommen ist. Da zum ganzen Verfahren einzig gesagt wird, es handle sich um ein Präjudiz, ohne weiter darauf einzugehen, erhalten die Aussagen seines Hausarztes und das zitierte Gutachten ein viel zu hohes Gewicht, was zu einer Verzerrung des Sachverhalts führt. Das Publikum erhält den falschen Eindruck, es handle sich dabei um ganz neue Erkenntnisse, welche im Zusammenhang mit der Berentung von S. hätten geprüft werden müssen. Im Lichte der Transparenz gilt es zusätzlich zu bemängeln, dass in der Schlusssequenz, welche den Beschwerdeführer 2 mit seinem Kind zeigt, keine Einblendung erfolgt, welche den Archivcharakter der Aufnahmen klarstellt. Der Standpunkt der Beschwerdeführer zu verschiedenen relevanten Punkten (z. B. Aussagen des Hausarztes, Gutachten, Verfahren) kommt überhaupt nicht zum Ausdruck. Diesbezüglich spielt keine Rolle, ob sich die Beschwerdeführer zu allen Aspekten des Falles geäussert haben oder auf eine Aussage (in schriftlicher oder mündlicher Form) verzichtet haben.

6.3.4. Hinsichtlich der Darstellung von Beschwerdeführer 1 gilt es festzuhalten, dass «10 vor 10» explizit erwähnt, dass er kein Erfolgshonorar erhalten habe. Ein Satz seiner schriftlichen Stellungnahme wird vorgelesen. Gleichwohl wird aber die Betonung im Beitrag auf den finanziellen Anreiz für den Anwalt gelegt («Für den Anwalt war dieser Haftpflichtfall ein lukratives Geschäft.»). Die nachfolgenden Statements von Prof. Murer und dem Hausarzt von S. unterstützen diese Aussage. Unerwähnt bleiben aber auch in diesem Zusammenhang wesentliche Fakten. Die durch die Berentung von Beschwerdeführer 2 entstandenen und noch entstehenden Kosten gehen nicht bzw. nur zu einem geringen Teil zu Lasten der IV, wie man dies aufgrund des Filmbeitrags vermutet. Die Regressansprüche der IV gegenüber der Haftpflichtversicherung fanden ebenso wenig Eingang in den Beitrag wie der Umstand, dass im beschriebenen Fall nach Aufwand (Stundenlohn) abgerechnet wurde und keine Streitwertzuschläge erhoben wurden. Die diesbezüglichen Erklärungen von Prof. Murer treffen für den Fall von S. also nicht zu, obwohl das Publikum dies aus dem Zusammenhang so annehmen musste. Der Standpunkt von Beschwerdeführer 1 zu anderen, vor allem vom Hausarzt von S. gegen ihn erhobenen Vorwürfe (z. B. er habe S. gedrängt, eine Umschulung abzulehnen) kommen im Beitrag ebenfalls nicht zum Ausdruck.

6.4. Insgesamt war es für das Publikum aufgrund des ausgestrahlten Beitrags nicht möglich, sich eine zutreffende Meinung zum Fall von S. zu bilden. Wesentliche Fakten wie das ganze umfangreiche Verfahren bleiben unerwähnt. Statements des früheren Hausarztes von S. und Auszüge aus einem Gutachten verwendet der beanstandete «10 vor 10»-Beitrag in tendenziöser Weise. Nicht korrekt sind überdies die Darstellungen zu den für die IV aus dem Fall S. entstehenden Kosten und zum Honorar des Anwalts. Der Standpunkt der Beschwerdeführer kommt nicht bzw. in ungenügender Weise zum Ausdruck. Der Fall von S. taugt im Übrigen nicht dazu, die im ersten Teil des Filmbeitrags und der Anmoderation ausgesprochene Behauptung, wonach IV-Einspracheverfahren für Anwälte attraktiv seien und zu erhöhten Kosten für die IV führe, zu unterstützen. So handelt es sich um einen alten Fall, der noch nach einem anderen Verfahren durchgespielt wurde. Auch das dem Beschwerdeführer 1 effektiv ausbezahlte Honorar (nach Aufwand und nicht nach Erfolg, keine Streitwertzuschläge) und die der IV effektiv entstandenen Kosten (Regressforderung gegen Haftpflichtversicherer) eignen sich eher dazu, die pauschalen Behauptungen von «10 vor 10» stark zu relativieren als sie zu unterstützen. Dies war aber für das Publikum aufgrund der im Beitrag präsentierten Fakten zum Fall S. nicht möglich. Die aufgezeigten Mängel im zweiten Teil des Filmbeitrags haben damit nicht nur Auswirkungen auf die Darstellung des Falls von S., sondern auch auf den Gesamteindruck. Hinsichtlich letzterem kommt noch erschwerend hinzu, dass schon die Ausführungen im ersten, allgemeinen Teil des Filmbeitrags zur Rolle der Anwälte in der IV Mängel aufweist (vgl. dazu Ziff. 6.2 ff.). Das Publikum konnte sich deshalb weder zum Beitrag als Ganzem noch zum Teil, welcher sich mit dem Fall S. auseinandersetzt, eine zutreffende Meinung bilden.

6.5. Im Rahmen der Prüfung des Beitrags auf die Vereinbarkeit mit dem Sachgerechtigkeitsgebot gilt es in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob journalistische Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Dies trifft zu. Indem «10 vor 10» wesentliche Fakten nicht erwähnt, verletzt der Veranstalter das Transparenzgebot (Art. 4 Abs. 2 RTVG). Die mangelhafte Darstellung des Standpunkts der Beschwerdeführer und die damit verbundene tendenziöse Gewichtung von Informationen verletzt die Pflicht zu einer fairen Berichterstattung. Die von der Redaktion angeführte Kürze des Beitrags rechtfertigt nicht, wesentliche Fakten nicht zu vermitteln und einen bekannten Sachverhalt (Fall S.) verzerrt darzustellen. Überdies hat keine zeitliche Dringlichkeit für die Ausstrahlung des Beitrags bestanden. Da sich das Publikum keine zutreffende Meinung zum Beitrag «IV-Rente» hat bilden können und «10 vor 10» dabei gegen journalistische Sorgfaltspflichten verstossen hat, wurde das Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 1, 1. Satz RTVG verletzt.

7. Die Beschwerdeführer rügen zusätzlich die ungenügende Anonymisierung. Sie verweisen einerseits auf die gezeigten Archivaufnahmen von Beschwerdeführer 2 (S.) und anderseits darauf, dass Beschwerdeführer 1 als Rechtsanwalt D bezeichnet und die Hausfassade seines Büros gezeigt wurde. Beide seien deshalb ohne weiteres zu erkennen gewesen. Beschwerdeführer 1 betont, dass er mit eingeschriebenem Brief vom 23. Januar 2004 an den verantwortlichen Redaktor «10 vor 10» ersucht habe, zur Wahrung des Anwaltsgeheimnisses keine Namen zu nennen und alles zu unternehmen, damit sein Klient nicht erkannt würde.

7.1. Die Nennung von Namen und/oder das Zeigen von Personenbildern berührt nicht nur den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz und insbesondere Art. 28 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210), sondern kann auch programmrechtlich relevant sein (siehe UBI-Entscheid b. 449 vom 15. März 2002, E. 5.1.1 ff.). Eine Anonymisierung gebietet sich regelmässig, wenn Medien über laufende Verfahren berichten (vgl. dazu im Einzelnen, Denis Barrelet, La publication du nom des auteurs d'infractions par les médias, in: medialex 4/98, S. 204 ff.; siehe dazu ebenfalls unveröffentlichter BGE vom 12. September 2000, 2A.32/2000, E. 2b/cc). Programmrechtlich stützt sich dieser Grundsatz auf die Unschuldsvermutung, welche ihrerseits Teil des Sachgerechtigkeitsgebots bildet.

7.1.1. Eine Namensnennung oder die Ausstrahlung eines Bildes kann jeweils aber auch die Privatsphäre der betroffenen Person berühren, unabhängig davon, ob ein Verfahren hängig ist. Durch die Nennung eines Namens und/oder die Ausstrahlung eines Bildes in einer Sendung ohne Einverständnis der betreffenden Person kann deren soziales Ansehen in gravierender Weise beeinträchtigt werden. Zudem wird die Person ihrer Freiheit beraubt, selber darüber zu entscheiden, ob sie in der Öffentlichkeit erscheinen will oder nicht. Der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz und insbesondere der in Art. 13 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) verankerte Schutz der Privatsphäre gewährleisten deshalb einen Schutz vor der Veröffentlichung solcher privaten Daten, wozu auch Bilder gehören. Lehre und Rechtsprechung gehen in diesem Zusammenhang von einem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus (BGE 128 II 259 E. 3.2 S. 268; siehe dazu auch Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 44 ff.). Obwohl Grundrechte im Prinzip ein Mittel gegen Eingriffe des Staates darstellen, müssen sie von den Rundfunkveranstaltern ebenfalls eingehalten werden. Dies ergibt sich aus dem Programmrecht. Für Fernsehveranstalter wie die Beschwerdegegnerin, welche dem Europäischen Übereinkommen vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen (EÜGF, SR 0.784.405) aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters ihrer Ausstrahlungen unterstehen, schreibt Art. 7 Ziff. 1 EÜGF vor, dass alle Sendungen im Hinblick auf ihren Inhalt die Menschenwürde und die Grundrechte anderer achten müssen. Aber auch die übrigen Veranstalter haben die Grundrechte anderer sinngemäss zu respektieren. Behörden wie die UBI haben aufgrund von Art. 35 Abs. 3 BV dafür zu sorgen, dass «Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden». Die UBI zählt im Übrigen verschiedene grundlegende Werte wie die Menschenwürde, den Jugendschutz oder die religiösen Gefühlen zu den sensiblen Bereichen innerhalb des kulturellen Mandats von Art. 3 Abs. 1 RTVG, für welche erhöhte Anforderungen bezüglich des positiven Erfüllens gelten (vgl. zur Rechtsprechung der UBI, VPB 66.17 E. 4.1 S. 180 f.). Auch die Privatsphäre ist darunter zu subsumieren.

7.1.2. In die programmrechtliche Prüfung müssen deshalb die aus dem Grundrecht von Art. 13 BV abgeleiteten Grundsätze im Zusammenhang mit der Nennung von Namen und dem Zeigen von Bildern einer Person miteinbezogen werden. Im Prinzip verbietet sich die Veröffentlichung des Bilds einer Person ohne dessen Einwilligung (vgl. zur zivilrechtlichen Dimension des Rechts auf Bild, BGE 129 III 715 E. 4.1 S. 724 ff., BGE 127 III 481 E. 3a S. 492 ff.; Marc Bächli, Das Recht am eigenen Bild, Diss. Basel, 2002). Hinsichtlich der Nennung eines Namens ohne Einwilligung der betroffenen Person erscheint eine solche Erwähnung unzulässig, wenn dadurch deren soziales Ansehen herabgemindert wird oder Einzelheiten aus ihrem Privatleben preisgegeben werden.

7.1.3. Die erwähnten Grundsätze sind aber zu relativieren. So stehen ihnen insbesondere die ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Bestimmungen über die Autonomie der Veranstalter in der Programmgestaltung (Art. 93 Abs. 3 BV) und die Medienfreiheit (Art. 17 BV) gegenüber. Das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung muss in diesem Zusammenhang ebenfalls Berücksichtigung finden. Zwischen diesen divergierenden Positionen ist im Einzelfall eine Güterabwägung vorzunehmen. Wenn jemand in der Öffentlichkeit bewusst die Aufmerksamkeit beansprucht und damit aus seiner Privatsphäre tritt, ist es erlaubt, den Namen der betroffenen Person zu nennen. Gegen Bilder einer öffentlichen Veranstaltung wie von einer Demonstration können sich gezeigte Teilnehmerinnen und Teilnehmer ebenfalls nicht auf ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht berufen. Bei der Güterabwägung ist zu gewichten, dass das Bild im Medium Fernsehen ein zentrales Gestaltungselement darstellt (VPB 64.120 E. 6.4 S. 1217). Was Personen des öffentlichen Lebens betrifft, müssen diese in Kauf nehmen, dass sie unabhängig von einem öffentlichen Auftritt Erwähnung finden oder ein Bild von ihnen gezeigt wird (vgl. zum Begriff der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte, BGE 127 III 481 E. 2c/aa S. 488). Schliesslich ist bei der Güterabwägung im Einzelfall ebenfalls zu berücksichtigen, dass eine Berichterstattung über einen Sachverhalt ohne Namensnennung oder identifizierende Elemente vielfach keinen Sinn macht (BGE 129 III 529 E. 4.3 S. 543).

7.1.4. Liegen in einem konkreten Fall weder überwiegende öffentliche Interessen an einer Nennung des Namens oder der Ausstrahlung des Bildes noch eine explizite oder implizite Einwilligung der betroffenen Person vor, gebietet sich eine Anonymisierung dieser Gestaltungselemente. Die Nennung des Namens hat sich beispielsweise auf ein Kürzel oder ein Pseudonym zu beschränken und das Gesicht ist unkenntlich zu machen. Trotzdem wird ein Kreis von Insidern aufgrund der Beschreibung des Sachverhalts die anonymisierte Person identifizieren können. Dies gilt es hinzunehmen. Eine vollständige Verschleierung der Fakten, welche eine Identifizierung ermöglichen, würde faktisch eine Einschränkung der Themenwahl zur Berichterstattung bewirken und damit im Widerspruch zur Programmautonomie sowie zum öffentlichen Interesse am Empfang von Informationen stehen.

7.2. Hinsichtlich Beschwerdeführer 1 hat «10 vor 10» auf eine vollständige Namensnennung verzichtet und ihn im Beitrag als Rechtsanwalt D. bezeichnet und damit seinem Wunsch nach Anonymisierung Genüge getan. Das Zeigen einer Hausfassade, in denen sich die Büroräumlichkeiten von D. befinden, ist überdies nicht geeignet, seine Privatsphäre in Frage zu stellen.

7.3. Bezüglich Beschwerdeführer 2 erfolgt zwar ebenfalls keine Namensnennung (Kürzel S.), dafür werden aber wiederholt Archivaufnahmen von ihm aus einem «Kassensturz»-Beitrag von 1991 gezeigt. Sein Gesicht wird nicht unkenntlich gemacht und er wird damit der Öffentlichkeit preisgegeben. Die Beschwerdegegnerin argumentiert, es sei keine explizite Abmahnung, also ein Ausstrahlungsverbot, bezüglich des «Kassensturz»-Berichts erfolgt. Dies war aber nicht notwendig. Die in «10 vor 10» gezeigten Archivaufnahmen mit S. thematisierten zwar im «Kassensturz» im Prinzip den gleichen Sachverhalt, nämlich die Frage, ob sein IV-Rentenanspruch berechtigt sei. Der Ansatz des «10 vor 10»-Beitrags unterscheidet sich aber diametral von demjenigen des «Kassensturz». Da überdies zwischen den beiden Ausstrahlungen ein beträchtlicher Zeitraum liegt, stellt die Einwilligung von S. zur Ausstrahlung der Bilder im Rahmen des «Kassensturz»-Berichts keine Rechtfertigung dar, die gleichen Bilder Jahre später in einem gegenteiligen Sinn zu verwenden. «10 vor 10» wurde überdies noch ausdrücklich mit eingeschriebenem Brief darüber informiert, dass S. nicht erkannt werden wollte. Obwohl der «Kassensturz»-Beitrag rund 13-jährig ist, dürfte S. aufgrund der beanstandeten Bilder ohne weiteres identifiziert werden können.

7.4. Es bestehen vorliegend keine überwiegenden öffentlichen Interessen, die für eine Ausstrahlung des Bildmaterials im erwähnten Umfang gesprochen hätten. Im Gegenteil: Wie schon erwähnt, konnte der Fall S. seine ihm im Rahmen des Beitrags zugedachte Funktion, nämlich als Beispiel für die zunehmende Rolle der Anwälte in IV-Einspruchverfahren zu dienen, nicht erfüllen (vgl. vorne Ziff. 6.4). Die von S. gezeigten Archivaufnahmen unterstützen einzig die an sich schon tendenziöse Wortberichterstattung. So erwecken die Bilder, die ihn u. a. bei Spaziergängen mit seinem Hund oder bei der Betreuung seines Kinds zeigen, kaum den Eindruck, dass es sich um eine Person handelt, die bis zur Pensionierung eine IV-Rente benötigt. Die ohne Einwilligung von S. gezeigten Archivaufnahmen sind daher zusätzlich geeignet, sein soziales Ansehen in erheblicher Weise zu beeinträchtigen, ohne dass im Gegenzug ein öffentliches Interesse an der Ausstrahlung dieser Bilder bestehen würde.

8. Der vorliegend beanstandete Beitrag verletzt sowohl das Sachgerechtigkeitsgebot wie auch den programmrechtlich gebotenen Schutz der Privatsphäre von Beschwerdeführer 2. Die Beschwerde erweist sich, soweit darauf eingetreten werden kann, als begründet.





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