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VPB 57.41

(Entscheid des Bundesrates vom 21. Oktober 1992)


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Résumé Français
Regesto Italiano
 
Sachverhalt
Sachverhalt I
Sachverhalt II
 
Erwägungen
Erwägung III
Erwägung 1.
Erwägung 2.
Erwägung a.
Erwägung b.
Erwägung 3.
Erwägung 4.
 

Art. 232a-d MStG. Begnadigung.

- Die Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse wegen Dienstverweigerung ist eine Strafe sui generis, die der Gnade zugänglich ist.

- Die Strafart der Arbeitsleistung, welche zeitlich verteilt werden kann und mit einem Kündigungsschutz verbunden ist, bildet für sich allein genommen keine unbillige Härte.

- Die Strafzumessungsregel von Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG ist vom Gesetzgeber für die Soldaten konzipiert worden; ihre Anwendung auf einen Offizier, der 680 Diensttage geleistet hat, führt einzig wegen seiner Kaderfunktion zu einer unverhältnismässig langen Arbeitsleistung, die eine unbillige Härte bildet; gnadenweise wird sie auf eine die verweigerten Diensttage angemessen übersteigende Dauer reduziert.


Art. 232a-d CPM. Grâce.

- L'astreinte à un travail d'intérêt général sanctionnant le refus de servir est une peine sui generis sujette à la grâce.

- La nature pénale de l'astreinte au travail, qui peut être répartie dans le temps et est assortie d'une protection contre le licenciement, ne constitue pas à elle seule une rigueur excessive.

- La règle de calcul de la peine de l'art. 81 ch. 2 al. 2 CPM a été conçue par le législateur à l'égard des soldats; son application à un officier qui a accompli 680 jours de service conduit, uniquement à cause de sa fonction de cadre, à une astreinte d'une longueur disproportionnée, qui relève de la rigueur excessive; elle est réduite par voie de grâce à une durée dépassant dans une mesure convenable les jours de service refusés.


Art. 232 a-d CPM. Grazia.

- Il lavoro di pubblico interesse imposto per rifiuto del servizio è una pena sui generis per cui è accordabile la grazia.

- La natura penale del lavoro imposto, che può essere ripartito nel tempo ed è connesso con una protezione contro il licenziamento, non costituisce, in quanto tale, un rigore eccessivo.

- La regola per stabilire la pena secondo l'art. 81 n. 2 cpv. 2 CPM è stata concepita dal legislatore per i soldati; la sua applicazione a un ufficiale, che ha prestato 680 giorni di servizio, porta, unicamente in ragione della funzione di quadro, a una durata sproporzionatamente lunga del lavoro imposto, durata che costituisce un rigore eccessivo; a titolo di grazia, viene ridotta a una durata che supera in misura appropriata i giorni di servizio rifiutati.




I

Mit Urteil vom 30. April 1991 hat ein Divisionsgericht I. wegen Dienstverweigerung im Sinne von Art. 81 Ziff. 2 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927 (MStG, [alte Fassung] AS 1968 212) zu einem Monat Gefängnis verurteilt. I. war als Oberleutnant zum Nachhol-Wiederholungskurs vom … nicht eingerückt, weil er aus religiösen und ethischen Gründen das Leisten von Militärdienst nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Der Auditor appellierte gegen dieses Urteil, weil er die ausgesprochene Strafe im Vergleich zu einem aus dem Jahre 1982 stammenden ähnlichen Fall für zu gering erachtete.

Das Militärappellationsgericht verurteilte I. am 29. Oktober 1991 in Anwendung von Art. 81 Ziff. 2 MStG (neue Fassung [AS 1991 1352]) zu einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse von neun Monaten. Eine gegen dieses Urteil gerichtete Kassationsbeschwerde wies das Militärkassationsgericht mit Urteil vom 20. März 1992 ab.

II

Am 11. Juni 1992 unterbreitet der amtliche Verteidiger von I. ein Begnadigungsgesuch mit dem Antrag, es sei die I. auferlegte Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse ganz oder bis auf einen Rest von zwei Monaten zu erlassen.

Der Verteidiger macht geltend, die Arbeitsleistung von neun Monaten stelle für seinen Klienten subjektiv insbesondere deshalb eine ausserordentliche Härte dar, weil er mit grosser Wahrscheinlichkeit seinen Arbeitsplatz verlieren würde. Es sei auch schwer einfühlbar, dass sich die Änderung des Militärstrafgesetzes für I., dem alle Gerichtsinstanzen eine aufrichtige und ehrliche Haltung zugebilligt hätten, nun deutlich schlimmer auswirke als eine Gefängnisstrafe nach altem Recht, und zwar sogar dann, wenn das erstinstanzliche Gericht seinerzeit dem Antrag des Auditors auf eine Gefängnisstrafe von drei Monaten gefolgt wäre.

Auch in objektiver Hinsicht stellt der Vollzug der Arbeitsleistung von neun Monaten nach Auffassung des amtlichen Verteidigers eine ausserordentliche Härte dar; er begründet dies in erster Linie mit dem Hinweis darauf, die Novelle von Art. 81 MStG sei nicht auf Offiziere, sondern auf Soldaten zugeschnitten, was auch das Militärkassationsgericht nicht habe von der Hand weisen können. Er betont ferner, die für eine Gleichbehandlung von Offizieren und Soldaten herangezogenen Argumente der Vorbildfunktion und der grösseren Verantwortung des Offiziers seien nicht tauglich.

(Wesen der Begnadigung, VPB 57.40.)

III

1. Vorweg stellt sich die grundsätzliche Frage, ob angesichts des Umstandes, dass eine Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse zur Diskussion steht, auf das Gesuch überhaupt eingetreten werden könne. Dies ist zu bejahen. Zwar stellt die Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse keine Freiheitsstrafe im üblichen Sinn dar; sie ist aber nicht etwa eine Massnahme (was eine Begnadigung ausschliessen würde), sondern vielmehr eine Strafe sui generis, die gestützt auf einen Schuldspruch des Gerichts verhängt wird. Der Umstand, dass die Arbeitsleistung nicht im Strafregister eingetragen wird, vermag am Strafcharakter nichts zu ändern.

2. Im weiteren ist zu prüfen, ob der Vollzug der gegen I. ausgesprochenen Verpflichtung zur Arbeitsleistung von neun Monaten im konkreten Fall eine unangemessene Härte bedeuten würde. Der Verteidiger von I. sieht eine solche einerseits in der Strafart, andererseits aber - und dies zur Hauptsache - in der Strafdauer.

a. In der Strafart kann zum vornherein keine unbillige Härte erblickt werden. Auch wenn I. noch als Offizier Militärdienst leisten müsste, wäre er durch Dienstleistungen während 115 Tagen im Landwehralter und (wenigstens formell) 69 Tagen im Landsturmalter, also insgesamt während rund 6 Monaten vom Arbeitsplatz getrennt. Allerdings würden diese Dienstleistungen jeweils wenige Wochen betragen und sich auf einen relativ grossen Zeitraum verteilen, doch kann nach Art. 6 der V vom 1. Juli 1992 über die Arbeitsleistung infolge Militärdienstverweigerung (VAL, SR 824.1) auch die Arbeitsleistung (wenn auch nur höchstens auf sechs Jahre) aufgeteilt werden. Die Einsatzdauer pro Jahr ist demnach zwar bei einer Arbeitsleistung länger, als beim Militärdienst, erscheint jedoch deswegen allein nicht als unbillige Härte. Sie ist bedingt durch das mit der Strafzumessungsregel verbundene Element des Tatbeweises und durch den Umstand, dass Strafen grundsätzlich rasch zu vollziehen sind. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang übrigens die Tatsache, dass gemäss Art. 24 VAL zugunsten des Arbeitspflichtigen ein Kündigungsschutz besteht.

b. Die Gesamtdauer der Arbeitsleistung von neun Monaten wird von I. als unangemessene Härte betrachtet, weil er nach einer klaglos erfüllten Dienstleistung von 680 Tagen, also mehr als dem Doppelten der Dienstleistungspflicht eines Soldaten, nun zu einer Arbeitsleistung verpflichtet wurde, bei deren Bemessung von den Grundsätzen ausgegangen worden sei, die für Soldaten gelten. Tatsächlich hat das Militärkassationsgericht die vom Militärappellationsgericht nach der Regel des Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG berechnete Dauer des Arbeitsdienstes bestätigt mit der Überlegung, bereits geleisteter Militärdienst sei (nur) insoweit zu berücksichtigen, als sich damit die Dauer des verweigerten Militärdienstes verkürze. Das Gericht übersah dabei nicht, dass sich aus der Anwendung der Regel auf Offiziere (bei Unteroffizieren stellt sich, wenn auch weniger akzentuiert, das gleiche Problem) Härten ergeben können. Es hielt jedoch dafür, diese Härten seien nicht derart stossend, dass sich die Annahme einer Gesetzeslücke (die der Richter schliessen könnte) rechtfertigen würde. Es führte in diesem Zusammenhang aus, es möge zutreffen, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der Zumessungsregelung nicht in erster Linie an die Dienstverweigerung von Offizieren dachte.

Es rechtfertigt sich, der Frage nachzugehen, ob und allenfalls inwieweit der Gesetzgeber tatsächlich bei der Formulierung der Regel von Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG nicht an die Dienstverweigerung von Kaderangehörigen der Armee gedacht hat. Eine Durchsicht der Gesetzesmaterialien ergibt in dieser Hinsicht ein klares Bild:

- In der Kommission des Nationalrates äusserte sich Bundesrat Koller wie folgt: «Wenn wir eine neue eigene Sanktion einführen, müssen wir aus Gründen der Wehrgerechtigkeit deren Dauer daran messen, was die normalen Wehrpflichtigen leisten. Ein Wehrpflichtiger leistet in unserem Lande mindestens ein Jahr Militärdienst.»

- Bei der Behandlung des Geschäftes im Nationalrat (Amtl. Bull. 1989 N 2196) erklärte der Berichterstatter der Kommission zur Dauer des Arbeitsdienstes, «… dass die Kommission und der Bundesrat davon ausgingen, dass ein Schweizer Soldat zwischen dem 20. und dem 50. Altersjahr etwa zwölf Monate Militärdienst zu leisten hat, und von dort her ergibt sich auch der Faktor für die Dauer des Arbeitsdienstes.»

- In der Militärkommission des Ständerates erklärte Ständerat Gadient: «Es sind etwa zwölf Monate Militärdienst, die man vom 20. bis zum 50. Altersjahr absolvieren muss. Das ist mindestens ein Faktum für die Bestimmung der Dauer der Arbeitsleistung».

- Sinngemäss gleich äusserte sich der Berichterstatter der Militärkommission des Ständerates im Plenum an der Sitzung vom 26. September 1990 (Amtl. Bull. 1990 S 717). Die Problematik der differenzierten Dienstpflicht für verschiedene Angehörige der Armee, insbesondere auch Kader, warf zwar Ständerat Schoch auf (Amtl. Bull. 1990 S. 718), dies allerdings bezogen auf einen vom Ständerat in der Folge abgelehnten Minderheitsantrag, wonach generell der Arbeitsdienst in der Regel die gleiche Dauer haben sollte, wie der verweigerte Militärdienst und nicht etwa bezogen auf die Frage, ob die Regel für Soldaten und Kader in gleicher Weise zur Anwendung gelangen sollte.

Aus allen diesen Voten geht ein Punkt mit unmissverständlicher Deutlichkeit hervor: Die vorberatenden Kommissionen wie auch das Parlament bezogen die in Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG enthaltene «Regel» auf die normale Gesamtdienstleistungspflicht eines Soldaten, nicht aber auf die eines Unteroffiziers oder eines Offiziers. Die Frage, wie sich die Anwendung der «Regel» auf Kader der Armee auswirke, wurde weder in den Kommissionen noch im Parlament auch nur aufgeworfen.

3. «Die Strenge des Rechts kann im einzelnen Fall unbillige Härte hervorrufen, die zwar nach objektivem Recht unvermeindlich sind, aber dennoch das allgemeine Rechtsempfinden verletzen.» (Sigrist Dieter, Die Begnadigung im Militärstrafrecht, Zürich 1976, S. 77). Die strikte Anwendung der Strafzumessungsregel des Art. 81 Ziff. 2 Abs. 2 MStG führt im vorliegenden Fall dazu, dass ein Wehrmann, der 680 Diensttage geleistet hat, bloss wegen seiner Kaderfunktion zu einer Arbeitsleistung verpflichtet wurde, die ganz erheblich über jenem Mass liegt, das bei einem gleichaltrigen Soldaten (nämlich Verweigerung eines Wiederholungskurses sowie der Landwehr- und Landsturm-Dienste multipliziert mit dem Faktor 1,5, also rund 100 Tage) zur Anwendung gelangen würde. Dieses Ergebnis erweist sich als eine unbillige Härte, die auf dem Wege der Begnadigung zu mildern ist. Es kommt denn auch nicht von ungefähr, dass auch das Militärkassationsgericht in seinem Urteil anerkannte, I. mache nicht zu Unrecht allfällige Härten im Übergang vom alten zum neuen Recht geltend (sie können sich übrigens, wenn auch weniger augenfällig, auch bei Fällen ergeben, die ausschliesslich dem neuen Recht unterliegen). Das Gericht hatte jedoch den Härtefall nicht nach Billigkeit zu beurteilen, sondern im Zusammenhang mit der Rechtsfrage, wie weit die Lückenfüllung im Strafrecht zulässig sei.

4. I. lässt durch seinen Verteidiger beantragen, es sei ihm die Arbeitsleistung ganz oder zumindest bis auf einen Rest von zwei Monaten zu erlassen; in der Gesuchsbegründung wird auch auf die Möglichkeit des Erlasses bis auf 115 oder 184 Tage hingewiesen.

Ein Erlass der Arbeitsleistung über das Mass der verweigerten 184 Diensttage hinaus fällt zum vornherein ausser Betracht, weil der Gesuchsteller damit für seine auch unter dem neuen Recht strafbare Handlung im Vergleich zu anderen Offizieren quasi privilegiert würde. Er macht übrigens zu Recht auch nicht geltend, eine Arbeitsleistung in diesem Umfang würde für ihn eine unbillige besondere Härte bedeuten. Ferner darf nicht ausser Acht bleiben, dass das im nun geltenden Gesetz enthaltene Element des Tatbeweises nicht auf dem über eine Begnadigung eliminiert werden darf, falls nicht besondere Gründe in der Person des Gesuchstellers vorliegen. Solche sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Schliesslich ist zu Gunsten des Gesuchstellers der mit seiner Kaderfunktion verbundene Umstand zu berücksichtigen, dass die Leistung eines Arbeitsdienstes von längerer Dauer einen älteren, fest im Berufsleben integrierten Dienstverweigerer härter trifft, als einen 20jährigen, der beispielsweise soeben seine Lehre abgeschlossen hat oder vor dem Beginn seines Studiums steht. Werden alle diese Umstände in Betracht gezogen, so scheint es angemessen, die Dauer der Arbeitsdienstleistung, zu welcher der Gesuchsteller verpflichtet wurde, gnadenweise auf 200 Tage zu reduzieren.





Dokumente des Bundesrates

 

 

 

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