10-06 Entstehung eines Erschliessungsvorteils beim Ausbau einer bisher nicht als Strasse ausgeschiedenen Verkehrsanlage / Berücksichtigung von auf der Verkehranlage lastenden Geh- und Fahrrechten

Der Ausbau einer bisher nicht als Strasse ausgeschiedenen Parzelle, welche durch die Einräumung von Geh- und Fahrrechten den Anwohnern als Verkehrsanlage gedient hat, kann eine Beitragspflicht auslösen, wenn den Pflichtigen durch den Ausbau neue oder vermehrte Erschliessungsvorteile zukommen (E. 4.1- E. 4.4)


Die aus der Verbreiterung der Verkehrsanlage und der neuen Qualifikation als Sammelstrasse entstehenden Lärmimmissionen stellen einen Nachteil dar, der den entstehenden Sondervorteil nicht zu verringern vermag (E. 4.5).


Durch den Wegfall der Geh- und Fahrrechte entsteht den bisher Dienstbarkeitsberechtigten kein beitragsrelevanter Schaden. Die bisherige Erschliessung mittels Dienstbarkeiten wird von der Erschliessung über die neue öffentliche Strasse überschrieben. (E. 5)



Aus dem Sachverhalt:

Am 3. November 2004 genehmigte der Einwohnerrat der Stadt Liestal das Strassenbauprojekt "Neubau X.____weg". Die öffentliche Planauflage des Strassenbauprojekts einschliesslich des Beitragsperimeterplans sowie der provisorischen Kostenverteiltabelle fand vom 28. April 2005 bis zum 27. Mai 2005 statt. Mit Schreiben vom 27. Mai 2005 erhob A.____, vertreten durch Michael Kunz, Advokat in Liestal, Einsprache beim Stadtrat der Stadt Liestal. Sie stellte die Anträge, das Bauprojekt "Neubau X.____weg" sei bis zur rechtskräftigen Erledigung des Auflageverfahrens betreffend den Bau- und Strassenlinienplan des X.____wegs vom Februar 1999 zu sistieren und dem Bauprojekt "Neubau X.____weg" sei die Genehmigung zu verweigern. Ferner beantragte sie, es sei festzustellen, dass sie als Eigentümerin der Parzelle Nr. 1556 des Grundbuchs Liestal keine Beitragspflicht treffe, weshalb diese Parzelle aus dem Perimeter zu entfernen sei und die provisorische Kostenverteiltabelle entsprechend zu ändern sei. Ausserdem berief sich die Beschwerdeführerin auf die zu ihren Gunsten eingeräumten Geh- und Fahrrechte, welche die als "X.____weg" bezeichnete Parzelle belasteten, und verlangte deren Berücksichtigung, eventualiter die Enteignung mit Entschädigung. Anlässlich der Einspracheverhandlung am Stadtbauamt Liestal vom 14. Dezember 2006 zog A.____, weiterhin vertreten durch Michael Kunz, Advokat in Liestal, die Einsprache gegen das Strassenbauprojekt zurück. Die Beitragspflicht blieb weiterhin bestritten. Mit Schreiben vom 4. Mai 2007 informierte die Stadt Liestal das Steuer- und Enteignungsgericht, Abteilung Enteignungsgericht (nachfolgend Enteignungsgericht) über die eingegangenen Einsprachen gegen die provisorische Kostenverteiltabelle und ersuchte um Behandlung derselben.



Aus den Erwägungen:

4.


Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, durch den Ausbau des X.____wegs sei die Erschliessung ihrer Parzelle nicht verbessert worden und es sei ihr kein zusätzlicher Sondervorteil erwachsen. Die Erschliessungssituation hänge nicht vom Ausbaustandard der Strasse ab. Im Gegenteil erfahre sie durch den Ausbau des X.____wegs und dessen dadurch neu entstandene Funktion als Durchgangsstrasse Nachteile. Das vergrösserte Verkehrsaufkommen mache die Zufahrt zu ihrer Parzelle schwieriger und führe zu erhöhten Lärmimmissionen. (…)


4.1 Gemäss § 90 EntG können diejenigen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer, welchen durch ein öffentliches Unternehmen besondere Vorteile erwachsen, zu einer angemessenen Beitragsleistung herangezogen werden. Aus der Definition der Beitragslast ergibt sich, dass eine Beitragspflicht nur dann eintritt, wenn eine Grundeigentümerin oder ein Grundeigentümer durch eine öffentliche Einrichtung einen wirtschaftlichen Sondervorteil erfährt. Diesen Vorteil und den daraus resultierenden Wertzuwachs in jedem einzelnen Fall zu schätzen, wie es an sich wünschbar wäre, erweist sich aus verschiedenen Gründen als unmöglich. Nach der Praxis ist es daher zulässig, auf schematische, nach der Durchschnittserfahrung aufgestellte und leicht zu handhabende Massstäbe abzustellen (BGE 109 Ia 328 E. 5, 106 Ia 244 E. 3b). Ein Sondervorteil liegt regelmässig dann vor, wenn ein Grundstück durch den Bau von Zufahrtsstrassen erschlossen wird und es dadurch einen Vorteil in Form eines Vermögenszuwachses erfährt (vgl. BGE 2P.278/2001, E. 2.2).


4.2 Die Schaffung einer genügenden strassenmässigen Erschliessung ist im Grundsatz etwas Einmaliges, weshalb auch die Beitragserhebung regelmässig als einmaliger Vorgang zu qualifizieren ist. Keine Wertsteigerung bewirkt in der Regel der Ausbau einer Erschliessungsanlage, soweit die Grundstücke bereits durch die vorhandene Anlage erschlossen sind. Ein Sondervorteil kann hingegen entstehen, wenn durch den Ausbau einer Anlage die Erschliessung einzelner Grundstücke wesentlich verbessert wird (vgl. BGE 2P.278/2001, E. 2.2). Dies ist der Fall, wenn ein Grundstück durch den Ausbau oder die Korrektion einer Strasse rascher, bequemer oder sicherer erreicht werden kann (vgl. Peter J. Blumer, Abgaben für Erschliessungsanlagen nach dem Thurgauer Baugesetz, Zürich 1989, S. 68). Die beitragspflichtige Korrektion zeichnet sich nach dem Gesagten dadurch aus, dass eine Strasse gegenüber dem bisherigen Zustand eine Verbesserung erfährt, welche den bereits vorhandenen Sondervorteil vermehrt (vgl. Urteil des Enteignungsgerichts [A 97/139] vom 18. Juni 1998, E. 4e).


Bei einer Neuanlage findet hingegen nicht nur eine (technische) Verbesserung der Strasse statt, sondern es wird eine neue Anlage erstellt. Die Neuanlage bewirkt nicht nur, dass der bereits vorhandene Vorteil gesteigert wird, sondern, dass neue Vorteile entstehen, welche die alte Zufahrt nicht geboten hat. Als Neuanlage ist stets der erstmalige Ausbau einer Verkehrsfläche durch die Gemeinde zu behandeln (VGE vom 24. April 1985, in: BLVGE 1985, Ziffer 15.1, S. 64 ff., E. 3a). Nebst der erstmaligen Erstellung einer Verkehrsanlage zur Neuerschliessung ist darunter auch der Ausbau von vorbestandenen Fahr- und Fusswegen zu subsumieren. Selbst einmal geleistete Beiträge können konsumiert werden, wenn eine Neuanlage gemäss Strassennetzplan erstellt wird, dem aktuellen Stand der Technik entspricht und z.B. ein "Provisorium" ersetzt.


4.4 Anlässlich des Augenscheins konnte sich das Gericht ein Bild davon machen, in welcher Weise der X.____weg durch das Bauprojekt verändert wurde. Die Verkehrsfläche wurde von vier auf sechs Meter verbreitert, wodurch die Strasse nun auf der gesamten Länge zweispurig befahrbar ist. Die Strasse erhielt einen frostsicheren Kieskoffer, durchgehende Randabschlüsse und eine funktionierende Entwässerung. Ausserdem wurde der Belag komplett erneuert. Es wurde in Erfahrung gebracht, dass der X.____weg ursprünglich ein Feldweg gewesen ist, welcher im Laufe der Jahre geteert wurde. Durch die getätigten Ausbauarbeiten wurde der X.____weg erstmals nach einem Bau- und Strassenlinienplan und nach den technischen Regeln der Baukunde erstellt. Damit wurde das "Provisorium", welches der alte X.____weg darstellte, und welches aus kaum mehr als einem überteerten und an vereinzelten Stellen ausgebautem Fahrweg bestand, ersetzt. Die vorgenommenen Bauarbeiten gehen weit über das hinaus, was gemäss § 24 Abs. 1 lit. b SR zu einer Halbierung der Beiträge führen würde. Nach dem Gesagten hat die Beschwerdegegnerin das Bauprojekt "Neubau X.____weg" zu Recht als Neuanlage qualifiziert. Der geplanten neuen Funktion des X.____wegs als Durchgangs- und Sammelstrasse trägt die Beschwerdegegnerin dadurch Rechnung, dass sie die Kostenverteilung schon heute nach den Regeln für Sammelstrassen, wonach die Anwohner 70% und das Gemeinwesen 30% der Baukosten übernehmen, vorgenommen hat und nicht nach denjenigen für Erschliessungsstrassen, wo der Kostenanteil der Anwohner 80% beträgt. Ob die reglementarisch vorgeschriebene Kostenverteilung für Sammelstrassen dem öffentlichen Interesse der Stadt an der Erstellung von Sammelstrassen gerecht wird, wurde nicht gerügt und kann vorliegend offen gelassen werden.


4.5 Durch die Neuanlage des X.____wegs hat sich - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin - auch die Erschliessungssituation bezüglich ihrer Parzelle verändert. Durch die neue Zweispurigkeit, der geplanten Qualifizierung des X.____wegs als Sammelstrasse und dem damit verbundenen vergrössertem Verkehrsaufkommen erfährt die Beschwerdeführerin zwar Nachteile bezüglich Lärmimmissionen und möglicherweise der Sicherheit, die Verbesserungen in der Erschliessung wiegen diese Nachteile jedoch mehr als auf. Dadurch, dass die Strasse nun den bautechnischen und rechtlichen Vorgaben entspricht und verbreitert wurde, kommen der Beschwerdeführerin neue Überbauungs- und somit Nutzungsmöglichkeiten zu. Ebenfalls neue Vorteile entstehen der Beschwerdeführerin durch die Strassenentwässerung und den Einbau von Randabschlüssen. Diese haben die Funktion, das Oberflächenwasser der Fahrbahn schnell abfliessen zu lassen und zu verhindern, dass es auf anliegende Grundstücke abfliesst. Dadurch wird gleichzeitig verhindert, dass sich nach Niederschlägen auf der Fahrbahn Wasserlachen bilden, welche insbesondere im Winter die Sicherheit der Strassenbenützer gefährden und die Benutzbarkeit der Strasse einschränken. Mit dem Anbringen von Randabschlüssen wird sodann der Strassenraum klarer abgegrenzt, was ebenfalls der Sicherheit dient (vgl. AGVE 2001 S. 457 E. 5.3.2.3). In der Rechtsprechung anerkannt ist, dass den an eine Strasse angrenzenden Grundstücken aus dem Bau eines Trottoirs ein Sondervorteil zukommt (SOG 1983 N 19; vgl. auch AGVE 2002 S. 173 E. 4c). Dieser liegt in der erhöhten Verkehrssicherheit respektive darin, dass die Anwohner und allfällige Besucher das Grundstück ohne Behinderung und Gefährdung durch den Strassenverkehr erreichen können. Dieser Sondervorteil kommt auch bei einseitigen Trottoiren den Grundeigentümern und Grundeigentümerinnen beider Seiten zu (Peter J. Blumer, a.a.O., S. 69 f.). Der Beschwerdeführerin kommt folglich ein erheblicher Sondervorteil im Sinne von § 90 EntG zu, der die Auferlegung eines Vorteilsbeitrags rechtfertigt.


5.


Die Beschwerdeführerin fordert des Weiteren die Berücksichtigung des ihr eingeräumten Geh- und Fahrrechts bei der Beitragserhebung. Sie macht geltend, dass die grundbuchlich gesicherte Erschliessung ihrer Parzelle über den X.____weg der Beitragserhebung im Wege stehe. Eventualiter verlangt sie die Enteignung zu voller Entschädigung des Geh- und Fahrrechts. (…)


5.1 Das Geh- und Fahrrecht bestand zu Lasten des ehemals nicht als Strassenparzelle ausgeschiedenen und zum Kasernenareal gehörenden X.____wegs und sicherte die Erschliessung der Parzelle der Beschwerdeführerin über den X.____weg. Mit der Übertragung der Parzelle des X.____wegs vom Kanton Basel-Landschaft auf die Beschwerdegegnerin und der Ausscheidung derselben als öffentliche Strassenparzelle wurden die den Anstössern eingeräumten Geh- und Fahrrechte unnötig. Die Erschliessung mittels Geh- und Fahrrecht wurde "überschrieben" durch die Erschliessung über eine öffentliche Strasse. Für die soeben unter Ziffer 4 ausgeführten Erwägungen und die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin ändert sich dadurch nichts. Wie bereits ausgeführt, erfährt die Beschwerdeführerin durch das Bauprojekt "Neubau X.____weg" neue, zusätzliche Vorteile. Diese neu entstandenen, die Erschliessung verbessernden Vorteile begründen die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin.


5.2 (…) Die Ausscheidung des X.____wegs als öffentliche Strassenparzelle führte bei der Beschwerdeführerin nicht zu einer Verschlechterung der Vermögenslage. Im Gegenteil wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin durch die Übernahme und den Ausbau des X.____wegs einen wirtschaftlichen Sondervorteil erfuhr, der einen Ausgleich in Form eines besonderen Kostenbeitrags rechtfertigte.


5.3 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Beschwerdeführerin durch die Löschung der ihr eingeräumten Dienstbarkeit kein Schaden erwachsen ist. Demzufolge hat sie dadurch auch keinen Nachteil erfahren, welcher Einfluss auf dem ihr erwachsenden Vorteil durch den Neubau des X.____wegs und ihre daraus entstehende Beitragspflicht hat. Ob vorliegend ein Enteignungsverfahren durchzuführen gewesen wäre, bildet nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. (…)


Entscheid Nr. 650 07 39 vom 9. November 2009 (eine dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Kantonsgericht mit Urteil vom 29. September 2010 abgewiesen)



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