10-08 Berücksichtigung einer besonderen Erschliessungssituation / Realisierbarkeit des Sondervorteils

Der beitragspflichtige Grundeigentümer oder die beitragspflichtige Grundeigentümerin muss in der Lage sein, den entstandenen Sondervorteil zu realisieren (E. 7.1).


Der erhobene Beitrag ist zu reduzieren, wenn der Sondervorteil zwar entsteht, aber aufgrund von besonderen äusseren Umständen geringer ausfällt als bei anderen beitragspflichtigen Grundstücken (E. 7.2).


Die Zuweisung einer Parzelle in eine Schutzzone kann verhindern, dass die Erschliessungssituation der Parzelle verbessert und der Vorteil vollumfänglich genutzt werden kann (E. 7.4 - 7.6).



Aus dem Sachverhalt:

Am 27. Mai 2009 beschloss die Einwohnergemeindeversammlung Grellingen das Bauprojekt "W.____/X.____" inklusive Verpflichtungskredit. Die Planauflage fand vom 3. August 2009 bis zum 1. September 2009 statt. Mit Schreiben der Gemeinde vom 30. Juli 2009 wurde A.____ seine provisorische Beitragspflicht angezeigt. In der provisorischen Kostenverteiltabelle betreffend Los C (W.____ Süd) wird für die in seinem Eigentum stehende Parzelle Nr. 935 des Grundbuchs Grellingen ein provisorischer Strassenbeitrag von Fr. 19'248.00 verfügt. Mit Eingabe vom 26. August 2009 erhob A.____ gegen die provisorische Beitragsverfügung Beschwerde beim Steuer- und Enteignungsgericht, Abteilung Enteignungsgericht (nachfolgend Enteignungsgericht), mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, er sei in Bezug auf die Parzelle Nr. 935 von der Beitragspflicht zu befreien.



Aus den Erwägungen:

7.


Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, dass ihm aufgrund seiner besonderen Erschliessungssituation kein Vorteil aus der beitragsauslösenden Strasse zukomme. Die Erschliessung der Parzelle sei keineswegs ideal und für heutige Verhältnisse ungenügend. Eine verkehrstechnische Erschliessung der Parzelle sei kaum möglich. Die Liegenschaft stehe ausserdem unter Denkmalschutz, was einer besseren Nutzung und einer Verbesserung der Erschliessung im Wege stehe.


7.1 Wie bereits (…) ausgeführt, tritt eine Beitragspflicht nur dann ein, wenn eine Grundeigentümerin oder ein Grundeigentümer durch eine öffentliche Einrichtung einen Sondervorteil erfährt. Der erwachsene Vorteil muss wirtschaftlicher Art sein, d.h. er muss in Form von Geld realisiert und dem Beitragspflichtigen in konkreter und individueller Weise zugeordnet werden können (Peter J. Blumer, Abgaben für Erschliessungsanlagen nach dem Thurgauer Baugesetz, Zürich 1989, S. 33; Daniela Wyss, Kausalabgaben, Basel 2009, S. 42 f.). Nach überwiegender Auffassung liegt zudem nur dann ein Vorteil vor, wenn dieser als Vermögenszuwachs in Erscheinung tritt (vgl. Blumer, a.a.O., S. 4, Vera Marantelli-Sonanini, Erschliessung von Bauland, Bern 1997, S. 98). Der beitragspflichtige Grundeigentümer oder die beitragspflichtige Grundeigentümerin muss in der Lage sein, durch geeignete Massnahmen den Vorteil zu nutzen, der Vorteil muss mit anderen Worten realisierbar sein (Max Imboden/René Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel und Stuttgart 1976, Nr. 111 B/II/b).


7.2 Das im Kausalabgaberecht geltende Äquivalenzprinzip diktiert ausserdem, dass bei der Bemessung von Vorteilsbeiträgen auf den individuell entstehenden Sondervorteil abzustellen ist (Adrian Hungerbühler, Grundsätze des Kausalabgaberechts, in: ZBl 2003, S. 510; Wyss, a.a.O., S. 58 f.; vgl. auch BGE 131 I 1 E. 4.5). In § 29 Abs. 1 SR ist dementsprechend festgehalten, dass die erhobenen Beiträge nach Massgabe des entstehenden Sondervorteils zu bemessen sind. Die Abgabe muss in einem angemessenen Verhältnis stehen zum Wert, den die staatliche Leistung für die abgabepflichtige Person hat und darf zum objektiven Wert der Leistung bzw. zum entstehenden Vorteil nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis stehen (BGE 132 II 371 E. 2.1 und 2.2; vgl. auch: Blumer, a.a.O., S. 25). Dies bedeutet naturgemäss auch, dass allfällige Nachteile, welche den Sondervorteil verringern, zu berücksichtigen sind (vgl. Jürg van Wijnkoop, Beiträge, Abwasser- und Kehrrichtgebühren im Kanton Bern, Bern 1973, S. 44; Blumer, a.a.O., S. 33 f.). Überwiegen die Nachteile, oder heben entstehende Nachteile und Vorteile sich gegenseitig auf, kann kein Vorteilsbeitrag geschuldet sein (BGE 2P.278/2001 vom 7. Februar 2002, E. 2.2; Alexander Ruch, Die Bedeutung des Sondervorteils im Recht der Erschliessungsbeiträge, in: ZBl 97/1996, S. 532 f.). Im Vordergrund stehen dabei die Nachteile, welche sich aus dem Erschliessungswerk selbst ergeben (van Wijnkoop, a.a.O., S. 44). Massgeblich sind jedoch auch vorbestehende oder mittelbar mit dem Erschliessungswerk zusammenhängende Nachteile, welche verhindern, dass der Sondervorteil in vollem Umfange entsteht. Aus dem soeben Ausgeführten folgt, dass der Beitrag zu reduzieren ist, wenn der Vorteil zwar entsteht, aber aufgrund von besonderen äusseren Umständen geringer ausfällt als bei anderen Grundstücken (vgl. Urteil des Enteignungsgerichts vom 18. Januar 1996 [650 95 50] E. 4b).


7.4 Auf der Parzelle des Beschwerdeführers befindet sich seit Jahrzehnten ein Mehrfamilienhaus. Fussgänger erreichen die Liegenschaft hauptsächlich über das Trottoir der Y.___strasse. Daneben findet sich für Fussgänger ein zweiter Zugang über den W.____weg, welcher zu den hinteren Eingängen der Liegenschaft führt. Verkehrstechnisch ist die Parzelle lediglich über drei Parkplätze an der Seite der Liegenschaft erschlossen. Diese werden über den W.____weg erreicht. Das Grundstück ist überbaut, weshalb eine Baureife zumindest in tatsächlicher Hinsicht zu bejahen wäre. In diesem Sinne ist die Parzelle faktisch als erschlossen zu bezeichnen. Fraglich ist jedoch, ob die Erschliessung dem Nutzungsanspruch des Beschwerdeführers zu genügen vermag. Die vorhandenen Parkplätze genügen dem Bedarf eines Mehrfamilienhauses nicht. Die Zufahrt zum Grundstück ist ausschliesslich über diese Parkplätze gegeben, welche unmittelbar an den W.____weg einerseits und an die Mauer des Gebäudes andererseits angrenzen. Ob das Grundstück in Bezug auf die konkrete bauliche Nutzung im Einzelfall als erschlossen gelten könnte, ist fraglich. Ebenso ist fraglich, ob die vorliegende Überbauung den heutigen rechtlichen Anforderungen an einen Neubau genügen könnte. Die Erschliessungssituation muss insgesamt als suboptimal bewertet werden.


7.5 Die betroffene Parzelle kann ausserdem kaum einer besseren Nutzung zugeführt werden. Gemäss Zonenplan Siedlung vom 6. März 2002 (vom Regierungsrat genehmigt am 3. Dezember 2002) ist das Grundstück der Kern- und Geschäftszone KA zugewiesen. Diese umfasst gemäss § 22 Abs. 1 RBG architektonisch und städtebaulich wertvolle Stadt- und Ortskerne, die in ihrem Charakter erhalten oder saniert werden sollen. In diesen Zonen soll die historische Bausubstanz bzw. das historische Ortsbild erhalten werden. Sie gelten deshalb als gemischte Wohn-, Geschäfts- und Schutzzonen (Kurt Gilgen, Kommunale Richt- und Nutzungsplanung, Zürich 2001, S. 115 f.). Den Nutzungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in Bezug auf die Überbauung seiner Parzelle sind damit enge Grenzen gesetzt. Auch eine Verbesserung in der Erschliessungssituation ist aufgrund der Zonenzugehörigkeit der Parzelle Nr. 935 nicht ohne Weiteres möglich.


7.6 Bei der Bemessung des der betroffenen Parzelle zukommenden Sondervorteils ist somit einerseits die besondere Erschliessungssituation der Parzelle Nr. 935 zu berücksichtigen. Durch diesen speziellen äusseren Umstand erfährt der Beschwerdeführer in erschliessungstechnischer Hinsicht einen Nachteil, welcher sich auf den Umfang des seinem Grundstück entstehenden Sondervorteils auswirkt. Andererseits gilt es zu berücksichtigen, dass die Zuweisung der Parzelle des Beschwerdeführers in die Kern- und Geschäftszone einer Realisierung des entstehenden Sondervorteils entgegensteht. Dennoch ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die verkehrstechnische Erschliessung der Parzelle - selbst wenn sie als unbefriedigend gelten muss - ausschliesslich über den W.____weg erfolgt. Das Gericht erachtet unter Berücksichtigung der gesamten Umstände eine Reduktion des provisorisch erhobenen Beitrags um zwei Drittel (2/3) als angemessen. Die Beschwerde ist somit im Sinne der oben gemachten Erwägungen in diesem Punkt teilweise gutzuheissen.


Entscheid Nr. 650 09 81 vom 18. November 2010



Back to Top