11-01 Kanalisationsanschlussgebühr / Abgrenzung zum Vorteilsbeitrag / Gebührenerhebung bei privater Ableitung in das kantonale Kanalisationsnetz

Bei der Qualifikation von Erschliessungsabgaben ist nicht die Benennung, sondern die konkrete Ausgestaltung massgebend. Bei der Qualifikation ist der Abgabetatbestand und der Erhebungszeitpunkt zu berücksichtigen. (E. 4)


Die Erhebung einer kommunalen Anschlussgebühr setzt grundsätzlich voraus, dass ein tatsächlicher Anschluss der Liegenschaft an das kommunale Netz stattgefunden hat. Erfolgt die Ableitung der Abwasser über eine private Leitung direkt in das kantonale Kanalisationsnetz, steht der Gebührenerhebung keine entsprechende Gegenleistung des Gemeinwesens gegenüber. Die Gemeinde ist nicht befugt, für den Anschluss an das kantonale Netz Gebühren zu erheben. (E. 5)



Aus dem Sachverhalt:

A.____ und B.____ sind Eigentümer der Parzelle Nr. 992 des Grundbuchs Wenslingen. Im Jahre 2006 wurden auf dem Grundstück ein Wohnhaus und ein Pferdestall erstellt. Gemäss Schätzung der Basellandschaftlichen Gebäudeversicherung vom 22. Oktober 2010 beläuft sich der Brandlagerwert des Wohnhauses auf Fr. 127'000.00 und der Brandlagerwert des Pferdestalls auf Fr. 15'500.00. Gestützt auf diese Angaben verfügte die Einwohnergemeinde Wenslingen am 12. November 2010 gegenüber A.____ und B.____ Wasseranschlussgebühren in der Höhe von insgesamt Fr. 49'035.00 und Kanalisationsanschlussgebühren in der Höhe von insgesamt Fr. 21'015.00. Gegen diese Verfügungen erhob A.____ mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 Beschwerde beim Steuer- und Enteignungsgericht, Abteilung Enteignungsgericht, (nachfolgend Enteignungsgericht) und stellte den sinngemässen Antrag, die angefochtenen Verfügungen seien in Bezug auf die Kanalisationsanschlussgebühr aufzuheben.



Aus den Erwägungen:

4.


4.1 Die Beschwerdeführenden bringen im Wesentlichen vor, dass ihr Grundstück nicht an die Gemeindekanalisation angeschlossen sei und deshalb keine Kanalisationsanschlussgebühr geschuldet sein könne. Das Abwasser werde vielmehr über eine bestehende private Leitung in die kantonale Kanalisation abgeleitet. Diese Art der Erschliessung sei bereits beim Grundstückskauf so vorgesehen gewesen, da eine Ableitung des Abwassers in das kommunale Netz aus topographischen Gründen nicht möglich bzw. nicht sinnvoll sei.


Die Beschwerdegegnerin entgegnet den Ausführungen der Beschwerdeführenden, dass es sich bei der erhobenen Abgabe um einen Vorteilsbeitrag handle, der bereits für die Möglichkeit des Anschlusses geschuldet sei. Es sei eine Kanalisationsbewilligung erteilt worden und es bestünde auch aus technischer Sicht eine Anschlussmöglichkeit an die kommunalen Abwasseranlagen. Dass diese Möglichkeit tatsächlich nicht genutzt werde, sei für die Abgabeerhebung irrelevant.


4.2 Umstritten ist vorliegend zunächst die Qualifikation der erhobenen Abgabe als Vorteilsbeitrag oder Anschlussgebühr. Die Abgrenzung von Gebühr und Beitrag kann im praktischen Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, da zwischen den beiden Abgaben viele Gemeinsamkeiten bestehen (Peter Karlen, Die Erhebung von Abwasserabgaben aus rechtlicher Sicht, in: URP 1999, S. 555; Vera Marantelli-Sonanini, Erschliessung von Bauland, Bern 1997, S. 107; Imboden/ Rhinow, a.a.O., Nr. 110, B/I und Nr. 111 B/I/b). So dienen beide Abgaben der Deckung der Erstellungskosten der Abwasseranlagen (Karlen, a.a.O., S. 555). Ausserdem kann bei der Bemessung beider Abgaben schematisch auf das Ausmass des entstandenen Vorteils abgestellt werden (BGE 2P.78/2003 vom 1. September 2003, in: ZBl 105/2004, S. 270 ff., E. 3.3; 2P.205/2005 vom 15. März 2006 E. 3.1).


4.3 Die Anschlussgebühr ist die einmalige Gegenleistung des Grundeigentümers dafür, dass er das Recht erhält, die Kanalisation für die Ableitung des Abwassers zu benutzen. Sie stellt das Entgelt für den tatsächlichen Anschluss einer bestimmten Baute an das öffentliche Ver- oder Entsorgungsnetz dar und bestimmt sich regelmässig nach Art und Grösse der errichteten Baute (BGE 106 Ia 241 E. 3b; BGE 2P.78/2003 vom 1. September 2003, in: ZBl 105/2004, S. 270 ff., E. 3.6; vgl. auch: Imboden/Rhinow, a.a.O., Nr. 110, B/I). Der Anschlussgebühr steht als Entgelt eine individualisierte Leistung des Gemeinwesens gegenüber. Sie wird folglich fällig, wenn der Anschluss an die Erschliessungsanlage erfolgt und deren Benutzung möglich ist. Der Nachweis der tatsächlichen Nutzung ist demgegenüber nicht erforderlich (BGE 106 Ia 241 E. 3.b; Karlen, a.a.O., S. 555).


Vorteilsbeiträge oder Vorzugslasten sind dagegen Abgaben, die als Ausgleich jenen Personen auferlegt werden, denen aus einer öffentlichen Einrichtung ein wirtschaftlicher Sondervorteil erwächst (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 2647; Karlen, a.a.O., S. 554). Der zu entgeltende Sondervorteil wird dabei abstrakt, d.h. nach der möglichen Nutzung des Grundstückes, bestimmt (BGE 2P.78/2003 vom 1. September 2003, in: ZBl 105/2004, S. 270 ff., E. 3.6). Da der Vorteilsbeitrag an den durch die Anlage resultierenden Mehrwert (Sondervorteil) anknüpft, wird er bereits im Zeitpunkt der Fertigstellung der öffentlichen Infrastrukturanlage fällig (BGE 2P.78/2003 vom 1. September 2003, in: ZBl 105/2004, S. 270 ff., E. 3.6; Alexander Ruch, Die Bedeutung des Sondervorteils im Recht der Erschliessungsbeiträge, in: ZBl 1996, S. 534). Er ist demnach geschuldet, sobald die Möglichkeit eines Anschlusses besteht (BGE 106 Ia 241 E. 3.b, m.w.H.; Marantelli-Sonanini, a.a.O., S. 105).


4.4 Die angefochtene Verfügung und das anwendbare kommunale Abwasserreglement bezeichnen die erhobene Abgabe als "Kanalisationsanschlussbeitrag". Massgebend für die Qualifikation ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung jedoch nicht die Benennung, sondern die konkrete Ausgestaltung der Abgabe (BGE 106 Ia 241 E. 3b). Die vorliegend erhobene Abgabe wird gemäss § 14 Abs. 2 lit. a AR für den Anschluss an die Abwasseranlagen erhoben. Die Bemessung richtet sich gemäss § 17 Abs. 1 AR bei Neubauten nach dem indexierten Brandversicherungswert, bei Um- und Erweiterungsbauten nach der Erhöhung dieses Werts. Die Abgabe wird erhoben, wenn die Endschätzung der kantonalen Gebäudeversicherung vorliegt (§ 18 Abs. 1 AR). Aufgrund der zitierten Reglementsbestimmungen wird deutlich, dass mit der erhobenen Abgabe der tatsächliche Anschluss an das Kanalisationsnetz abgegolten werden soll. Dafür spricht nicht nur der klare Wortlaut von § 14 Abs. 2 lit. a AR, sondern auch die Bemessung anhand des Gebäudeversicherungswerts. Dieser berücksichtigt als gebäudebezogenes Bemessungskriterium nicht die maximal mögliche, sondern lediglich die tatsächliche Nutzung des Grundstücks, was für die Einstufung der Abgabe als Anschlussgebühr spricht. Der Gebäudeversicherungswert als Bemessungsgrundlage ist ausserdem auf überbaute und somit in der Regel an das Kanalisationsnetz angeschlossene Parzellen zugeschnitten. Die Beschwerdegegnerin hat anlässlich der Vorverhandlung vom 24. März 2011 bestätigt, dass für unüberbaute Parzellen keine Abwasserabgabe erhoben wird, selbst wenn eine Anschlussmöglichkeit bestünde. Die vorliegende Abgabe ist nach dem Ausgeführten als eigentliche Kanalisationsanschlussgebühr zu qualifizieren, da sie nicht bereits dann geschuldet ist, wenn für ein Grundstück die Möglichkeit des Anschlusses an die kommunalen Abwasseranlagen geschaffen wird, sondern erst dann, wenn das Grundstück überbaut und an das betreffende Entsorgungsnetz tatsächlich angeschlossen wird.


5.


5.1 Die Erhebung jeder Anschlussgebühr setzt voraus, dass ein tatsächlicher Anschluss der Liegenschaft an das öffentliche Netz erfolgt (BGE 106 Ia 241 E. 3b; BGE 2P.78/2003 vom 1. September 2003, in: ZBl 105/2004, S. 270 ff., E. 3.6, 2P.45/2004 vom 25. Mai 2005 E. 4 m.w.H.; Adrian Hungerbühler, Grundsätze des Kausalabgaberechts, in: ZBl 2003 S. 505 ff., S. 510). Die Erstellung eines Anschlusses ist causa , Auslöser der Gebührenpflicht. Steht der Gebühr keine entsprechende Leistung des Gemeinwesens gegenüber, erfolgt die Erhebung ohne causa und somit unrechtmässig.


5.2 Das Grundstück der Beschwerdeführenden verfügt unbestrittenermassen über keinen Anschluss an das kommunale Kanalisationsnetz. Aus den Angaben der Parteien und der eingereichten Kanalisationsbewilligung wird deutlich, dass das anfallende Schmutzwasser des Wohnhauses über die bestehende private Hausleitung, die in den kantonalen Abwasserkanal mündet, abgeleitet wird. Die private Leitung war bereits erstellt, als die Beschwerdeführenden die Parzelle als Bauland erwarben. Die Beschwerdeführenden haben sich an dieser Leitung finanziell beteiligt. Das Sauberwasser des Wohnhauses und des Pferdestalls versickert. Somit ist festzuhalten, dass die Gebäude der Beschwerdeführenden nicht an die kommunalen Abwasseranlagen angeschlossen sind. Die Abwasserinfrastruktur der Beschwerdegegnerin wird von den Beschwerdeführenden nicht in Anspruch genommen. Das Grundstück der Beschwerdeführenden ist lediglich an das kantonale Kanalisationsnetz angeschlossen. Die Beschwerdegegnerin ist an diesem Netz rechtlich jedoch nicht beteiligt und nicht befugt, dafür einmalige Abgaben zu erheben. Der Gebührenbelastung steht nach dem Ausgeführten keine entsprechende Leistung der Gemeinde gegenüber. Für eine Abgabeerhebung aufgrund der blossen Anschlussmöglichkeit - die das Gericht grundsätzlich als gegeben erachtet - besteht indes keine gesetzliche Grundlage.


Entscheid Nr. 650 10 173 vom 26. Mai 2011



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