03-02 Wiederbeschaffungswert

Die Äufnung finanzieller Rücklagen verletzt das Kostendeckungsprinzip erst, wenn sie objektiv nicht mehr gerechtfertigt sind, was insbesondere dann zutrifft, wenn die Höhe der Reserven den vorsichtig geschätzten Finanzbedarf übersteigt (E. 6b).


Bei bereits erstellten Werken ist für die Bestimmung der Unkosten auf deren Wiederbeschaffungswert abzustützen (E. 6b).


Als Wiederbeschaffungswert wird der Wert gesehen, welcher für ein funktions- und wertgleiches betriebliches Vermögensobjekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgewendet werden muss (E. 6c).



Aus dem Sachverhalt:

Die Einwohnergemeinde Sissach verfügte am 14. Juni 2000 gegen die Erbengemeinschaft A für die Parzelle Nr. [...], GB Sissach, im Halte von 2'917 m 2 einen Erschliessungsbeitrag Abwasser in Höhe von Fr. 47'036.65 (bestehend aus einem Flächenbeitrag von Fr. 43'755.-- und einem Mehrwertsteuerbetrag von Fr. 3'281.65) sowie einen Erschliessungsbeitrag Wasser in Höhe von Fr. 23'872.75 (bestehend aus einem Flächenbeitrag von Fr. 23'336.-- und einem Mehrwertsteuerbetrag von Fr. 536.75).


Mit Schreiben vom 22. Juni 2000 erhebt die Erbengemeinschaft A beim Steuer- und Enteignungsgericht Beschwerde mit dem Begehren, die Beitragsverfügung sei aufzuheben. Sie macht unter anderem geltend, das Kostendeckungsprinzip werde verletzt. Die Gemeinde Sissach beantragt die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde.



Aus den Erwägungen:

(...)


5. c) In einem gleichgelagerten Fall der Gemeinde Sissach hat das Steuer- und Enteignungsgericht die Zulässigkeit der Erhebung von Erschliessungsbeiträgen einerseits und von Anschlussbeiträgen anderseits bereits überprüft (vgl. Urteil des Steuer- und Enteignungsgerichts vom 8. August 2002 i.S. M. S. gegen Einwohnergemeinde Sissach betreffend Wasser- und Kanalisationserschliessungsbeitrag [A 2000/143 W und 144 K; Internet-Entscheid 02-03]).


In diesem Verfahren urteilte das Gericht, dass sich das zweistufige Modell der Erhebung von Erschliessungsbeiträgen einerseits und Anschlussbeiträgen anderseits auf vernünftige und sachliche Überlegungen stützen lasse. Vorteilsbeiträge könnten gemäss Lehre und Praxis bereits dann erhoben werden, wenn der Grundeigentümer bzw. die Grundeigentümerin die Möglichkeit des Anschlusses besitze, da dadurch der Sondervorteil bereits entstehe. Somit bilde die Anschlussmöglichkeit an das Wasserversorgungs- resp. Abwassernetz das massgebende Kriterium. Es sei deshalb sachgerecht, dass Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer einen Teil der auf sie entfallenden Wasserversorgungs- bzw. Kanalisationskosten sofort nach Vorliegen einer Anschlussmöglichkeit entrichten müssten. Damit werde die Wasserversorgungs- bzw. Kanalisationskasse davor bewahrt, über Jahre hinweg grosse Investitionen vorfinanzieren zu müssen, bei denen infolge geringer Bautätigkeit nur bescheidene Anschlussbeiträge zurückfliessen würden.


5. d) (…)


6. Im Folgenden ist die Einhaltung des Kostendeckungsprinzips zu prüfen.


6. a) Das Kostendeckungsprinzip gilt für kostenabhängige Kausalabgaben (BGE 120 Ia 174 E. 2a m.Hw.), unter anderem dann, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich oder sinngemäss zum Ausdruck gebracht hat, dass die von ihm festgelegte Abgabe kostenabhängig sein soll (BGE 126 I 188 E. 3a/aa). Im vorliegenden Fall enthalten weder das Kanalisations- noch das Wasserreglement eine Bestimmung betreffend Kostendeckung. Eine ausdrückliche Verpflichtung auf das Kostendeckungsprinzip findet sich jedoch im eidgenössischen Gewässerschutzgesetz. Nach Art. 60a Abs. 1 GSchG sorgen die Kantone dafür, dass die Kosten für Bau, Betrieb, Unterhalt, Sanierung und Ersatz der Abwasseranlagen, die öffentlichen Zwecken dienen, mit Gebühren oder anderen Abgaben den Verursachern überbunden werden. Zu diesem Zweck müssen - gemäss der in Abs. 2 von Art. 60a GSchG verwendeten Kurzformel - kostendeckende und verursachergerechte Abwasserabgaben erhoben werden. Die durch die Abwasserabgaben sicherzustellende Kostendeckung ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Verlangt wird eine Vollkostenrechnung, in der nicht nur sämtliche Abwasseranlagen (Abwasserreinigungsanlagen, Kanäle, Regenbecken, Pumpwerke etc.), sondern auch alle damit zusammenhängenden Auslagen (Bau, Betrieb, Unterhalt, Sanierung, Ersatz inkl. Abschreibungen und Zinsen) sowie der künftige Investitionsbedarf zu berücksichtigen sind (Peter Karlen, a.a.O., S. 548, m.Hw.). Gemäss § 14 GschG BL können die Gemeinden die Kosten für den Anschluss von Liegenschaften an die öffentliche Kanalisation (Schmutz- und Sauberwasserleitung) in Form von Vorteilsbeiträgen (Anschlussbeiträgen) auf die Liegenschaftseigentümerinnen und -eigentümer überwälzen. Dass die Finanzierung der kommunalen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung nach dem Willen des kantonalen Gesetzgebers kostenabhängig auszugestalten ist, zeigt sich in § 18 der Verordnung über den Finanzhaushalt und das Rechnungswesen der Gemeinden (Gemeindefinanzverordnung) vom 24. November 1998, wo verlangt wird, dass die entsprechenden Kassen als Spezialfinanzierungen zu führen sind, welche mittelfristig ausgeglichen sein müssen. Damit steht fest, dass das Kostendeckungsprinzip im vorliegenden Fall einzuhalten ist.


6. b) Nach dem Kostendeckungsprinzip dürfen die Gesamteingänge an Kausalabgaben den Gesamtaufwand für den betreffenden Verwaltungszweig nicht oder höchstens geringfügig überschreiten (BGE 125 I 196 E. 4h m.Hw.). Mit den Erschliessungs- und Anschlussbeiträgen werden die Kosten für die Erstellung der Wasser- und Abwasseranlagen finanziert, der Unterhalt wird über die jährlichen Gebühren abgegolten. Das Kanalisationsreglement der Gemeinde Sissach bezweckt auch die Finanzierung von Erstellung und Unterhalt der öffentlichen Entwässerungsanlagen. Das Kanalisationsunternehmen wird einerseits mit allen damit verbundenen Ausgaben belastet, anderseits werden ihm auch alle Beiträge des Bundes, des Kantons und der Gemeinde, sowie die Beiträge der Anwänder gutgeschrieben (vgl. §§ 1 und 14 KaR). Die Wasserversorgung der Gemeinde Sissach ist ein Regiebetrieb der Einwohnergemeinde mit getrennter Rechnungsführung. Sie ist selbsttragend zu führen und umfasst alle im Eigentum der Gemeinde stehenden Anlagen zur Gewinnung und Verteilung von Trink- und Brauchwasser (vgl. §§ 1 und 26 WaR). Ausgehend davon liegt es nahe, die Gesamtkosten der Errichtung der kommunalen Wasser- und Abwasserentsorgungssysteme mit dem Ertrag an Beiträgen zu vergleichen, wie er in Anwendung der streitbezogenen Reglemente unter Einbezug der gesamten eingezonten Landfläche erzielbar ist. Mit dieser Sicht soll im Hinblick auf die Kostendeckungsfrage das Verhältnis zwischen Kosten und Beitragsaufkommen verglichen werden. Der Begriff der Gesamtkosten ist dabei nicht eng zu verstehen. Dazu zählen nicht nur die laufenden Ausgaben, sondern ebenfalls angemessene Rückstellungen, Abschreibungen und Reserven (Peter Karlen, a.a.O., S. 545 m.Hw. u.a. auf BGE 125 I 196 E. 4h, 124 I 20 E. 6c). So hielt das Bundesgericht beispielsweise mit Bezug auf den Bereich der Trinkwasserversorgung fest, es entspreche einer Tatsache, dass die öffentliche Hand erhebliche Kosten für den Unterhalt und die Erweiterung der entsprechenden Anlagen zu tragen habe. Einzig die Bildung von Reservefonds biete deshalb Gewähr für die Kontinuität der Tarifgestaltung, was letztlich wiederum dem Gleichbehandlungsgrundsatz zugute komme. Die Äufnung finanzieller Rücklagen verletze das Kostendeckungsprinzip erst, wenn sie objektiv nicht mehr gerechtfertigt sei, was insbesondere zutreffe, wenn die Höhe der Reserven den vorsichtig geschätzten Finanzbedarf übersteige (BGE 118 Ia 324 = Pra 82 [1993] Nr. 139 E. 4b).


Für die gesamtheitliche Sicht ist im Weiteren nicht relevant, ob die Werke in den wesentlichen Teilen bereits gebaut und finanziert sind, vielmehr sind die gesamten Kosten, die für die Erstellung des Werks notwendig sind, zu berücksichtigen. Bei bereits erstellten Werken ist für die Bestimmung der Unkosten auf deren Wiederbeschaffungswert abzustützen. Der Wiederbeschaffungswert darf jedoch, was die kommunalen Abwasseranlagen anbelangt, nicht abstrakt mit den Kosten für eine vollkommene bauliche Neuerstellung dieser Anlagen gleichgesetzt werden. Vielmehr steht die Werterhaltung sowie der Ausbau im Hinblick auf die bundesrechtlichen Gewässerschutzvorgaben im Vordergrund. Aufgrund der Tatsache, dass für die Kontrolle der Einhaltung des Kostendeckungsprinzips eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, ergibt sich schliesslich, dass eine lediglich auf die zukünftige Aufwendungen und Einnahmen beschränkte Gegenüberstellung nicht sachgerecht wäre. Eine derartige beschränkte Gegenüberstellung würde insbesondere nicht berücksichtigen, dass neue Beitragspflichtige ebenfalls einen Anteil an bereits erfolgte Aufwendungen zu leisten haben. Deshalb muss das Beitragsaufkommen nach dem gegenwärtig in Kraft stehenden Reglement ermittelt werden, wenn ausgabenseitig auf den Wiederbeschaffungswert abgestellt wird.


6. c) Als Wiederbeschaffungswert wird der Wert gesehen, welcher für ein funktions- und wertgleiches betriebliches Vermögensobjekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgewendet werden muss. (...) Diesem Wiederbeschaffungswert sind sämtliche für das überbaubare Baugebiet erzielbaren Beiträge gemäss beanstandetem Reglement gegenüberzustellen. (...) Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beitragseinnahmen der Wasserkasse stark rückläufig sind, so dass die vorsichtige Budgetierung der Gemeinde im Hinblick auf die in Zukunft erfolgende Verrechnung der Anschlussbeiträge mit den bereits erhobenen Erschliessungsbeiträgen und aufgrund des knapper werdenden Baulandbestandes als realistisch angesehen werden kann. In Anbetracht der Rückstellungen werden die Eigenmittel, ohne Berücksichtigung des Aufwandüberschusses, in maximal 7 Jahren aufgebraucht sein. (...)


Zusammenfassend ergibt sich, dass das Kostendeckungsprinzip durch die aufgrund der geltenden Wasser- und Abwasserreglemente und den entsprechenden Beitragssätzen berechneten Vorteilsbeiträge nicht verletzt wird. (...)


Entscheid Nr. 2000/163-164 vom 21. August 2003



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