04-04 Verwirkung von nicht veranlagten Vorteilsbeiträgen für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke innerhalb der Bauzone

Die Stundungsmöglichkeit von Vorteilsbeiträgen landwirtschaftlich genutzter Grundstücke innerhalb der Bauzone (früher § 92 Abs. 3 EntG) ist mit dem Inkrafttreten des Raumplanungs- und Baugesetzes per 1. Januar 1999 aufgehoben worden (E. 3).


Eigenständige kommunale Bestimmungen bezüglich der Stundung von Vorteilsbeiträgen für landwirtschaftlich genutztes Land in der Bauzone verstossen seit dem 1. Januar 1999 gegen kantonales Recht und können der Verwirkung der Beiträge nicht entgegen stehen (E. 4.3).


Vorteilsbeiträge für landwirtschaftlich genutztes Land in der Bauzone, welche gestützt auf § 92 Abs. 3 EntG gestundet worden sind, hätten bis zum 31. Dezember 2000 in Rechnung gestellt werden müssen, ansonsten sie verwirkt sind (E. 5.3).



Aus dem Sachverhalt:

A. ist Eigentümer einer Parzelle, die landwirtschaftlich genutzt wird und in der Zone WG2 liegt. Die Strassenbeiträge für seine mit einem Wohnhaus und einem Ökonomiegebäude sowie mit drei Schöpfen überbaute Parzelle sind von der Gemeinde gestützt auf § 92 Abs. 3 EntG gestundet worden. Nachdem die Stundungsbestimmungen im kantonalen und anschliessend auch im kommunalen Recht aufgehoben worden sind, hat die Gemeinde Zunzgen nach durchgeführter Zonenplanrevision dem Beschwerdeführer am 23. September 2003 einen Strassenbeitrag in der Höhe von Fr. 12'920.00 verfügt.


A. erhebt am 1. Oktober 2003 beim Steuer- und Enteignungsgericht Beschwerde gegen die Beitragsverfügung mit dem Begehren, sie sei vollumfänglich aufzuheben.



Aus den Erwägungen:

1.


(…)


2.


(…)


3.


Bevor auf die Rügen des Beschwerdeführers eingegangen werden kann, ist zuerst von Amtes wegen zu prüfen, ob ein von der Gemeinde gestundeter Vorteilsbeitrag am 23. September 2003 noch in Rechnung gestellt werden kann oder ob der Anspruch der Gemeinde auf Beitragserhebung durch Verwirkung untergegangen ist, nachdem die Stundungsvoraussetzungen im kantonalen Recht aufgehoben worden sind. Ist der Anspruch verwirkt, besteht das Recht selber nicht mehr und der Forderung der Beschwerdegegnerin fehlt der Rechtsgrund. In einem solchen Fall ist nicht mehr zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin die Beitragspflicht zu Recht auf § 47 Abs. 2 StrR stützt.


3.1 Im aktuellen Strassenreglement (StrR) der Einwohnergemeinde Zunzgen vom 18. März 2002 (…) fehlen Bestimmungen bezüglich Stundung. In früheren kommunalen Reglementen hat die Beschwerdegegnerin die Stundung der Beiträge von landwirtschaftlich genutzten Parzellen im Baugebiet explizit geregelt, so zuletzt im Strassenreglement vom 25. Juni 1986 (alt StrR). Im Strassenreglement von 1986 ist unter dem Titel Fälligkeit der Beiträge in Ziffer 5.9 Abs. 3 festgehalten: Die Fälligkeit der Beiträge von landwirtschaftlichen Grundstücken richtet sich nach dem kantonalen Enteignungsgesetz. Damit hat das frühere Gemeindereglement von Zunzgen direkt auf die kantonale Bestimmung von § 92 Abs. 3 EntG verwiesen, die wie folgt gelautet hat: Soweit ein Vorteilsbeitrag ganz oder zum Teil unter dem Gesichtspunkte einer vorteilhafteren Verwendung des Grundstückes, wie Überbauung landwirtschaftlichen Bodens, festgesetzt wird, wird er erst in dem Zeitpunkte fällig, in welchem das Grundstück anders benützt oder in welchem es veräussert wird; bei landwirtschaftlich genutztem Boden bewirkt die Veräusserung allein nicht die Fälligkeit des Beitrages.


Mit den zitierten Stundungsbestimmungen ist die Fälligkeit von Beitragsforderungen hinausgeschoben worden, denn es sollte vermieden werden, dass von der Beitragspflicht betroffene landwirtschaftlich genutzte Parzellen hätten verkauft werden müssen, weil der Erschliessungsbeitrag für den Betrieb eine übermässige finanzielle Belastung dargestellt hätte.


3.2 Die Bestimmung des kantonalen Enteignungsgesetzes, die der Erschliessungsträgerin das Recht eingeräumt hat, bei landwirtschaftlich genutzten Parzellen die Bezahlung eines Beitrags zu stunden, ist zwischenzeitlich aufgehoben worden: Das kantonale Raumplanungs- und Baugesetz (RBG, SGS 400) vom 8. Januar 1998 regelt in § 142 RBG, der systematisch bei den Schlussbestimmungen eingeordnet ist, wie das bisherige Recht im Bereich des Enteignungsgesetzes geändert wird, in dem mittels Fussnote 18 auf GS 33.333 und damit auf die kantonale Chronologische Gesetzessammlung verwiesen wird. In Band 33 (1998 - 2000), Seite 333, ist der vollständige Text von § 142 RBG publiziert. Gemäss dieser vollständigen Fassung wird § 92 Abs. 3 EntG aufgehoben. § 142 RBG, und damit die entsprechenden Änderungen des Enteignungsgesetzes, gelten seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Raumplanungs- und Baugesetzes, das heisst seit dem 1. Januar 1999 (vgl. § 153 RBG und Fussnote); eine anders lautende Übergangsbestimmung beinhaltet das RBG nicht. § 92 Abs. 3 EntG ist somit mit Inkrafttreten des RBG per 1. Januar 1999 aufgehoben worden.


4.


Steht fest, dass die kantonale Bestimmung über die Stundung, die auf den vorliegenden Sachverhalt zutrifft (§ 92 Abs. 3 EntG), per Ende 1998 weggefallen ist, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen diese Gesetzesänderung bewirkt.


4.1 Mit der Aufhebung von § 92 Abs. 3 EntG hat der kantonale Gesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz im Gebiet des Beitragsrechts Gebrauch gemacht und die Möglichkeit der Stundung der Vorteilsbeiträge für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in der Bauzone ersatzlos aufgehoben.


Der Kanton Basel-Landschaft ist nicht verpflichtet gewesen, § 92 Abs. 3 EntG aufzuheben. Der Bund überlässt es in Art. 1b WEV den Kantonen, ob sie in dem durch diese Bestimmung vorgegeben Rahmen die Fälligkeit unter bestimmten Bedingungen aufschieben wollen. Diese Erlaubnisnorm zugunsten der Kantone befindet sich nach wie vor in Kraft, kann jedoch keine direkten Rechtswirkungen entfalten. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung erklärt, dass sowohl das Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz vom 4. Oktober 1974 (WEG) als auch das Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) für die Erhebung von Vorteilsbeiträgen nicht direkt anwendbar sind. Die Rechtsetzung im Gebiet des Beitrags- und Gebührenwesens fällt in die Kompetenz der Kantone (vgl. BGE 112 Ib 235 f. und Urteil des Enteignungsgerichts vom 2. März 1989 i.S. S.P. gegen Einwohnergemeinde B., E. 4).


Aus den Materialien zum RBG geht hervor, dass der Gesetzgeber mit der Aufhebung von § 92 Abs. 3 EntG als flankierende Massnahme zur Verflüssigung von Bauland bewusst darauf verzichtet hat, landwirtschaftliche Grundstücke innerhalb der Bauzonen weiterhin beitragsmässig zu privilegieren. Die Zielsetzung des Landrats hat darin gelegen, erschlossene, aber landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in den Bauzonen ihrem eigentlichen Zweck, der Bebauung, zuzuführen (vgl. insbesondere die Erläuterungen des Regierungsrats in der Vorlage Nr. 93/308 [Raumplanungs- und Baugesetz] an den Landrat vom 21. Dezember 1993, Kap. 5.4.1 und § 143). Diese Neuregelung ist in Übereinstimmung mit dem Zweck von Art. 15 RPG erfolgt, wonach Bauzonen Land umfassen, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird.


4.2 Die vom Kanton vorgenommene Gesetzesänderung ist nicht nur ordnungsgemäss erlassen und veröffentlicht worden, sondern es ist darauf auch ausserhalb der vorgeschriebenen Publikationswege verwiesen worden. So weist beispielsweise das Muster-Strassenreglement 2001 des Amts für Raumplanung in Fussnote 75 mit folgendem Text auf die Aufhebung von § 92 Abs. 3 hin: Achtung! Die Stundungsmöglichkeit von Vorteilsbeiträgen landwirtschaftlich genutzter Grundstücke innerhalb der Bauzone (früher § 92 Abs.  EntG) ist mit dem Inkrafttreten des Raumplanungs- und Baugesetzes (RBG) am 1. Januar 1999 entfallen .


4.3 Mit der Aufhebung von § 92 Abs. 3 EntG sind einerseits Verweise auf diese kantonale Bestimmung in Gemeindereglementen bedeutungslos geworden. Andererseits verstossen eigenständige Regelungen der Gemeinden hinsichtlich der Stundung von erschlossenen und landwirtschaftlichen genutzten Grundstücken aus folgenden Gründen gegen höherrangiges kantonales Recht: Das Verwaltungsgericht hat im Entscheid vom 22. Februar 1990 (BLVGE 1990 Nr. 14.1) präzisierend zur Kompetenzabgrenzung im Beitrags- und Gebührenwesen festgehalten, dass sowohl das kantonale Recht, wie auch das Bundesrecht, den Gemeinden keinen Spielraum zur selbständigen Legiferierung in Bezug auf die Umschreibung der Stundungsvoraussetzungen überlässt und dass ein kommunales Gesetz keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Zulassung von Fälligkeitsaufschüben bilden kann (a.a.O., E. 9). Aus diesen Erwägungen folgt, dass eigenständige kommunale Bestimmungen bezüglich der Stundung von Vorteilsbeiträgen für landwirtschaftlich genutztes Land in der Bauzone seit dem 1. Januar 1999 gegen kantonales Recht verstossen und der Verwirkung der Beiträge nicht entgegen stehen können.


5.


Entfällt die gesetzliche Voraussetzung für die Stundung, ist zu prüfen, nach welchen Regeln die gestundete Forderung fällig wird oder geworden ist und welche Rechtsfolgen damit verbunden sind.


5.1 Grundsätzlich werden Vorteilsbeiträge fällig, sobald die wertvermehrende öffentliche Einrichtung, beispielsweise eine Strasse oder eine Kanalisation, fertiggestellt ist, denn § 92 Abs. 1 EntG, der die Überschrift Fälligkeit trägt, bestimmt, dass Vorteilsbeiträge nicht verlangt werden können, bevor das Unternehmen fertig gestellt ist. Der in § 92 Abs. 3 EntG geregelte Fälligkeitsaufschub hat deshalb eine Ausnahmebestimmung dargestellt (Urteil des Enteignungsgerichts vom 2. März 1989 i.S. S.P. gegen Einwohnergemeinde B., E. 3).


Durch die Gewährung der Stundung wird die Fälligkeit einer Forderung während einer bestimmten Frist aufgehoben bzw. aufgeschoben (BGE 94 II 104 f.; Urs Leu, Basler-Kommentar OR I, 3. Aufl., Basel 2003, Art. 76 N 5). Solange eine Forderung gestundet ist, ist sie auch nicht fällig, und solange sie nicht fällig ist, läuft auch keine Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist (Theo Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, § 39 N 31). Fällt der Rechtsgrund für die Stundung weg, entfallen auch die Voraussetzungen für einen Fälligkeitsaufschub. Wird die Forderung fällig, beginnt gleichzeitig auch die Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist.


5.2 Gemäss § 95 Abs. 1 EntG gehen Ansprüche auf Vorteilsbeiträge unter, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, wenn sie gegenüber dem Belasteten nicht innert zwei Jahren geltend gemacht werden, nachdem das Werk fertig gestellt ist. Das im vorliegenden Fall massgebende Reglement über das Strassenwesen der Gemeinde Zunzgen regelt die Verjährungs- respektive Verwirkungsfrist nicht, so dass subsidiär die vorerwähnte kantonale Bestimmung zum Tragen kommt.


Das Steuer- und Enteignungsgericht hat sich in seiner Rechtsprechung zu § 92 Abs. 3 EntG auf den Standpunkt gestellt, zum Zeitpunkt, in dem die Stundung wegen Wegfalls der Voraussetzungen unterbrochen werde, werde die Beitragsschuld fällig und beginne die zweijährige Verwirkungsfrist von § 95 Abs. 1 EntG. Im zu beurteilenden Fall der gänzlichen Aufhebung von § 92 Abs. 3 EntG handelt es sich nicht um die Unterbrechung der Stundungsbedingungen, sondern um den gesetzlich bedingten, generellen Wegfall der Stundungsvoraussetzungen für alle aufgeschobenen Beitragsforderungen. Es liegen keine sachlichen Gründe vor, vom gerichtlichen Standpunkt abzuweichen, wie er bisher bezüglich der Fälligkeit und des Beginns der Verwirkungsfrist bei gestundeten Beiträgen vertreten worden ist.


5.3 Gestützt auf die Praxis des Steuer- und Enteignungsgerichts sind mit der Aufhebung von § 92 Abs. 3 EntG alle gestützt auf diese Bestimmung gestundeten Forderungen per 1. Januar 1999 fällig geworden, da für eine weitere zeitliche Verschiebung der Fälligkeit keine gesetzliche Grundlage im kantonalen Recht mehr besteht und als Folge davon auch keine im kommunalen Recht mehr bestehen kann. Die Fälligkeit hat auch den Beginn der zweijährigen Verwirkungsfrist nach § 95 Abs. 1 EntG ausgelöst. Daraus ergibt sich, dass Vorteilsbeiträge für landwirtschaftlich genutztes Land in der Bauzone, welche gestützt auf § 92 Abs. 3 EntG gestundet worden sind, bis zum 31. Dezember 2000 hätten in Rechnung gestellt werden müssen, ansonsten sie verwirkt sind.


Im vorliegenden Fall ist die Rechnungsstellung am 23. September 2003 erfolgt und somit verspätet. Der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf den Strassenbeitrag ist seit dem 1. Januar 2001 verwirkt und die Beschwerde ist gutzuheissen.


6.


(…)


7.


(…)


8.


(…)


Entscheid Nr. 650 03 127 vom 6. September 2004



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