04-06 Nachträgliche Errichtung einer Sauberwasserleitung

Bei Gesamthandverhältnissen ist eine Verfügung bezüglich des gemeinsamen Eigentums jeder betroffenen Person individuell und in der Höhe des gesamten geschuldeten Beitrags zu eröffnen (E. 2.1).


Bei der nachträglichen Errichtung einer Sauberwasserleitung handelt es sich um eine zusätzliche Erschliessungsmassnahme (E. 4.2).


Die Erstellung einer Sauberwasserleitung schafft einen wirtschaftlichen Mehrwert für ein Grundstück, weil noch nicht an das Trennsystem angeschlossene Liegenschaften mit einer latenten Abgabe für künftige Kosten bei der Einführung des Trennsystems belastet sind (E. 4.2.).


Eine Gemeinde als Urheberin eines Reglements muss sich nicht nur die unklaren gesetzlichen Grundlagen einer angefochtenen Verfügung, sondern auch die bei der Eröffnung und Begründung der Verfügung vorkommenden gravierenden Mängel anrechnen lassen (E. 9.1).



Aus dem Sachverhalt:

B. und C. sind Eigentümerin und Eigentümer zu gesamter Hand der Parzelle Nr. Y, Grundbuch (GB) Sissach. Das darauf stehende Wohngebäude mit Garage ist bereits seit längerer Zeit an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Eine 1993 durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass die Mischwasserkanäle im Gebiet "X." zu sanieren sind. Im Jahre 1998 ist eine neue GEP-konforme Anlage erstellt worden, bestehend aus Schmutz- und Sauberwasserleitung.


Gestützt auf den indexierten Brandlagerwert (Basis 1939) hat die Gemeinde am 05. Mai 1999 beziehungsweise am 31. März 1999 B. und C. je eine Beitragsverfügung für den hälftigen Anteil eines Grundbeitrags für den Kanalisationsanschluss, bzw. für den hälftigen Anteil von bisher nicht erbrachten Anschlussbeiträgen in der Höhe von Fr. 9'544.15 ausgestellt.


Am 17. Mai 1999 erheben B. und C. je einzeln Beschwerde gegen die Beitragsverfügung mit dem Begehren, es sei die Nichtigkeit der Verfügungen festzustellen, die Verfügungen eventualiter aufzuheben und subeventualiter, falls die Möglichkeit der Anschlussbeitragserhebung nicht grundsätzlich verneint werde, der Anschlussbeitrag auf 2 % des Brandlagerwerts berechnet auf den Zeitpunkt der Erstellung der Liegenschaft abzüglich bereits entrichteter Beiträge festzusetzen.



Aus den Erwägungen:

1.


(…)


2.


(…) Um eine verbindliche Zahlungspflicht zu begründen, hat eine Verfügung den formellen Erfordernissen des massgeblichen Verfahrensgesetzes zu genügen. § 18 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Kantons Basel - Landschaft vom 13. Juni 1988 (VwVG, SGS 175) schreibt den Behörden insbesondere vor, dass sie ihre Verfügungen zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen haben. Ist eine Verfügung falsch eröffnet oder haftet ihr ein Verfahrensfehler an, wie zum Beispiel die Verletzung des rechtlichen Gehörs, so ist die Verfügung fehlerhaft (Thomas Fleiner-Gerster, Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts, 2. Auflage, Zürich 1980, S. 257 ff.) Zu einer richtigen Eröffnung gehören unter anderem die richtige Zustellung, die korrekte Rechtsmittelbelehrung und die ausreichende Begründung der Verfügung.


2.1 Gemäss Grundbuchauszug der Parzelle Nr. Y bilden die Beschwerdeführenden ein Gesamthandverhältnis nach Art. 652 ZGB. Bei diesem Rechtsinstitut ist eine Verfügung bezüglich des gemeinsamen Eigentums jeder betroffenen Person individuell zu eröffnen (René Rhinow/Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 84 B I). Wo dies nicht der Fall ist, leidet die Verfügung an einem schwerwiegenden Eröffnungsfehler. Im vorliegenden Verfahren ist den Beschwerdeführenden nur der hälftige Anschlussbeitrag und wohl individuell, jedoch nicht als Mitglied einer Erbengemeinschaft, eröffnet worden. Die angefochtene Verfügung ist schon diesbezüglich fehlerhaft.


2.2 Die Beschwerdeführenden, Verfügungsadressaten und Eigentümer der streitbetroffenen Parzelle Nr. Y zur gesamten Hand, rügen, die von der Beschwerdegegnerin erlassenen Beitragsverfügungen seien nichtig, weil die Formvorschriften nicht erfüllt seien und sie nicht auf einem im Gesetz vorgesehenen Verfahren beruhten.


Zutreffend ist, dass die Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Verfügung § 96 Abs. 2 EntG und § 29 Abs. 2 AbwR widerspricht und die Verfügung daher mit einem Mangel versehen ist. Da die Beschwerde dank der anwaltlichen Vertretung richtig und rechtzeitig eingereicht worden ist, hat die mangelhafte Rechtsmittelbelehrung den Parteien nicht zum Nachteil gereicht.


2.3 Die Beschwerdeführenden rügen weiter, die Verfügung enthalte keine Unterschrift. Diese Argumentation verkennt, dass es im Bereich der Massenverwaltung aus Effizienzgründen üblich und anerkannt ist, Rechnungen nicht zu unterzeichnen. Diesem Punkt ist deshalb keine weitergehende Beachtung zu schenken (siehe auch Lorenz Kneubühler, Die Begründungspflicht, Diss., Bern, 1998, S. 189 ff.).


2.4 Die Beschwerdeführenden beanstanden auch die Unverständlichkeit der Verfügung und zweifeln deshalb an der Erfüllung der Begründungspflicht (…).


Die Begründung der angefochtenen Verfügung lautet im Wortlaut wie folgt:


"Auf Ihrer Liegenschaft wurde bisher kein Grundbeitrag für den Kanalisationsanschluss erhoben, sondern lediglich bei allfälligen Revisionsschätzungen sind die dem geschaffenen Mehrwert entsprechenden Anschlussbeiträge in Rechnung gestellt worden. Gemäss § 20 des Abwasserreglements ist die Gemeinde verpflichtet, nach Erneuerung der Kanalisation die bisher nicht erbrachten Anschlussbeiträge einzufordern. Allfällig geleistete Teilbeiträge werden indexbereinigt angerechnet."


Die Beschwerdeführenden rügen, der Begriff "Grundbeitrag" sei verwirrend, da er im Abwasserreglement nicht existiere. Die Berechnungsart der Gemeinde sei weder mit kantonalen noch mit kommunalen Bestimmungen nachvollziehbar.


Den Beschwerdeführenden ist beizupflichten, dass die Begründung und die Berechnungsart der angefochtenen Verfügung unverständlich ist und keine Abstützung im Reglement findet. (…) Der Sinn der Begründungspflicht liegt darin, dass die Betroffenen die Tragweite der Verfügung beurteilen und in voller Kenntnis der wesentlichen Umstände eine Beschwerde erheben können. Oft ermöglicht es ihnen erst die Begründung der Verfügung, dass sie zu den wesentlichen Punkten Stellung nehmen können. Mindestanforderungen zur Begründungspflicht sind deshalb verfassungsrechtlich in Art. 29 Abs. 2 BV (Anspruch auf rechtliches Gehör) garantiert. Je grösser der Entscheidspielraum der Behörde und je komplexer die Sach- oder Rechtslage, desto höhere Anforderungen werden an die Begründungspflicht gestellt.


Das kantonale Recht räumt den Gemeinden in § 13 GSchG bezüglich Beitragserhebung grosse Autonomie ein. So können die Gemeinden unter anderem die Kosten für den Anschluss (Anschlussmöglichkeit) von Liegenschaften an die öffentliche Kanalisation auch in Form von Vorteilsbeiträgen auf Liegenschaftseigentümerinnen und Liegenschaftseigentümer überwälzen. Die Umsetzung der Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes, das eine Umwandlung vom Mischwassersystem ins Trennsystem vorsieht, setzt technisches Fachwissen und Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten voraus, weshalb der Sachverhalt relativ komplex erscheint. Die Gemeinde muss deshalb erhöhten Anforderungen der Begründungspflicht genügen. Diesen Anforderungen ist die Gemeinde Sissach weder in der angefochtenen Verfügung oder in der Vernehmlassung noch in den diesem Zwecke dienenden Vorverhandlungen gerecht geworden, und es liegt eine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.


Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird nach ständiger Bundesgerichtspraxis formell behandelt, d.h. die Rechtsmittelinstanz, welche die Verletzung feststellt, muss den angefochtenen Hoheitsakt aufheben, auch wenn der Inhalt des Entscheides dadurch allenfalls nicht verändert wird.


Streng rechtlich betrachtet müsste im vorliegenden Fall zur Neuverfügung an die Gemeinde zurückgewiesen werden. Es geht hier aber nicht darum, die Behörde zu disziplinieren. Vielmehr dient das Verfahrensrecht der Verwirklichung des materiellen Rechts. In der Regel ist es für Betroffene günstiger, wenn sie ihre materiellen Argumente trotz Verletzung des rechtlichen Gehörs direkt vor der oberen Instanz vorbringen können (vgl. Hansjörg Seiler, Abschied von der formellen Natur des rechtlichen Gehörs, in: SJZ 100 [2004], S. 377 ff.), insbesondere wenn anzunehmen ist, dass die Vorinstanz (im vorliegenden Fall die Gemeinde) die Verfügung mit gleichem Inhalt erneut erlassen würde. Prozessökonomisch und im Dienste der Verwirklichung des materiellen Rechts erscheint deshalb eine Rückweisung oft stossend, eine Heilung nahe liegender.


(…) Vorliegend ist das Verfahren in fortgeschrittenem Stadium, hat viele Jahre gedauert und sind schon mehrere Verhandlungen durchgeführt worden, wobei ersichtlich geworden ist, dass die Gemeinde ihre Verfügung grundsätzlich als berechtigt erachtet. Sie würde voraussichtlich auch nach erfolgter Rückweisung gleich verfügen.


Das Interesse der Beschwerdeführenden liegt mittlerweile - wie sie in der Hauptverhandlung bestätigt haben - darin, dass die angefochtenen Verfügungen in der Sache geändert werden, d.h. materiell beurteilt werden. Die Zurückweisung der Verfügungen wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs erübrigt sich aus diesem Grund.


Wesentlich ist, dass der Umstand, dass die Gemeinde trotz oder gerade wegen der Komplexität der Sachlage erst nach mehreren Vorverhandlungen in der Lage gewesen ist, die Verfügungen zu begründen, die Beschwerdeführenden zum Verfahrensobjekt gemacht hat. Zur Klärung der aufgeworfenen Fragen sind die Beschwerdeführenden gezwungen gewesen, Beschwerde zu ergreifen. Die ungenügend begründete Verfügung, die falsche Rechtsmittelbelehrung, die verfahrensrechtlichen Mängel und die daraus resultierenden Unsicherheiten haben den Beizug einer anwaltlichen Vertretung für die Beschwerdeführenden notwendig werden lassen. Den Beschwerdeführenden ist teilweise nur deshalb kein Nachteil entstanden, weil sie anwaltlich vertreten gewesen sind. Diese Umstände sind, wie auch von der Lehre verlangt, bei der Kostenfolge zu berücksichtigen. Wegleitend muss dabei sein, dass die Beschwerdeführerin nicht schlechter gestellt werden dürfen, als sie ohne Gehörsverletzung gestellt wären (vgl. Lorenz Kneubühler, a.a.O., S. 230).


3.


Materiell rügt die Beschwerdeführerin, dass § 20 Abs. 2 AbwR rechtswidrig sei, da gestützt auf § 13 Abs. 4 des Gewässerschutzgesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 18. April 1994 (GSchG BL; SGS 782) und § 20 Abs. 1 AbwR Beiträge nur im Falle eines Erstanschlusses oder allenfalls eines Umbaus einer Liegenschaft erhoben werden könnten.


3.1 Die Beschwerdegegnerin hat die Sanierung des Gebiets "X." noch vor dem Erlass des Generellen Entwässerungsplans (GEP) vorgenommen. Das Amt für Umweltschutz und Energie hat die Planunterlagen geprüft, als Planungsinstrument für die Abwasserentsorgung im Gebiet X. genehmigt und befunden, dass sich diese später in den Generellen Entwässerungsplan (GEP) integrieren liessen (Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrats Nr. 142 vom 16. Januar 1996.). Die vorgenommenen Änderungen des Entwässerungskonzepts haben demnach Vorleistungen im Hinblick auf die Umsetzung des GEP gebildet, denn das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer (GSchG) vom 24. Januar 1991 schreibt in Art. 7 Abs. 2 vor, dass nicht verschmutztes Oberflächenwasser in erster Linie zu versickern ist. Wenn das nicht möglich ist, kann es in ein oberirdisches Gewässer geleitet werden. Art. 7 Abs. 2 GSchG stellt nicht bloss ein Gebot dar, Meteorwasser versickern zu lassen, sondern statuiert eine Pflicht (Urteil Nr. 810 03 235/117 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 23. Juni 2004, E. 7). Diese Regelung zielt auf eine bestmögliche Trennung von Schmutzwasser und nicht verschmutztem Regenwasser oder Quellwasser. Das neue Gewässerschutzgesetz des Bundes will erreichen, dass wieder mehr Grundwasser gebildet wird. Dieses Ziel soll erreicht werden, in dem das Trennsystem eingeführt und - wo möglich - versickert wird. Dabei darf aber nur Abwasser versickern, das ein Gewässer nicht nachteilig verändern kann (vgl. Jaya Rita Bose, Der Schutz des Grundwassers vor nachteiligen Einwirkungen, Zürich 1996, S. 123 ff.). Verunreinigte und verminderte Grundwasservorkommen haben erhebliche wirtschaftliche Folgen, da sie zu erhöhten Kosten für die Trinkwasseraufbereitung (falls dies technisch überhaupt noch möglich ist) führen. Auch können Änderungen des Grundwasserstandes zu Schäden an Bauten und Liegenschaften führen, land- und forstwirtschaftliche Erträge können vermindert werden, ganz zu schweigen von den fatalen Konsequenzen auf die Oekosysteme (Jaya Rita Bose, a.a.O., S. 9 f.). § 20 Abs. 2 des kantonalen Gewässerschutzgesetzes verlangt, dass spätestens bei der Erneuerung der bestehenden Anlage oder bei Neuerschliessung das Trennsystem umgesetzt wird. Dies bedeutet, dass, wer noch über kein Trennsystem verfügt, gewässerschutzrechtlich nicht korrekt erschlossen ist. Die Gemeinde hat mit ihrem Sanierungskonzept den kantonalen und eidgenössischen Gewässerschutzvorgaben entsprochen.


3.2 Das kantonale Raumplanungs- und Baugesetz (RBG) vom 8. Januar 1998 überträgt in § 36 RBG den Gemeinden die Kompetenz zum Erlass von Erschliessungsreglementen, in denen unter anderem die Finanzierung der Erschliessungsanlagen geregelt wird. Das geltende Abwasserreglement der Einwohnergemeinde Sissach (AbwR) vom 22. Dezember 1997 und in Kraft getreten am 1. Januar 1998, ermächtigt die Gemeinde in § 20 Abs. 2 AbwR, bei Ersatz einer Leitung durch eine neue, dem GEP entsprechende Anlage Beiträge zu verlangen. Im vorliegenden Fall ist unbestrittenermassen eine vorbestandene (Mischwasser-) Leitung durch ein neues System, nämlich eine dem GEP entsprechende (Trennkanalisations-) Anlage ersetzt worden. Der Einwand der Beschwerdeführenden, dass die kommunale Regelung gegen höherrangiges Recht verstosse, weil bei Ersatz oder Sanierung einer Leitung keine Beiträge erhoben werden dürften, verkennt, dass im vorliegenden Fall eine Neuanlage erstellt worden ist. Dabei ist die bisherige Mischwasserleitung umfunktioniert und mit einem zusätzlich angelegten und unabhängigen Sauberwassernetz ergänzt worden. Dadurch erst wird die getrennte Abführung von verschmutztem und nicht verschmutztem Abwasser in zwei völlig getrennten Kanalnetzen ermöglicht. Nicht relevant ist, ob anstelle der früheren Mischwasserleitung eine neue GEP-konforme Anlage entsteht, bei der gleichzeitig beide Leitungsnetze (Schmutzwasser und Sauberwasser) neu verlegt werden. An die Sauberwasseranlage hat klarerweise ein Neuanschluss der Liegenschaft der Beschwerdeführenden im Sinne von § 13 Abs. 4 GSchG BL stattgefunden. Der erfolgte Erstanschluss der Parzelle der Beschwerdeführenden an ein zusätzliches Netz (Sauberwasseranlage) bildet den Anknüpfungspunkt für die Erhebung des Anschlussbeitrags gemäss § 20 Abs. 2 AbwR.


4.


Die Beschwerdeführenden verneinen, dass ihnen aus dem Anschluss an das sanierte Kanalisationssystem ein Sondervorteil erwachsen ist, weil ihre Liegenschaft bereits vor den vorgenommenen Kanalisations- und Hausanschlussarbeiten an die Kanalisation angeschlossen gewesen sei. Ohne Vorteil sei die Erhebung von Anschlussbeiträgen nicht zulässig.


4.1 Wohl trifft es zu, dass die Beschwerdeführenden bereits vor der Sanierung an die Kanalisation angeschlossen waren, doch liegt die Begründung des Vorteils im vorliegenden Fall nicht in der sanierten früheren Misch- und heutigen Schmutzwasserleitung. Gestützt auf das Kostendeckungsprinzip, das es der Gemeinde erlaubt, für die Errechnung des Ansatzes von Vorteilsbeiträgen auch den Wiederbeschaffungswert der Anlagen einzubeziehen, ist davon auszugehen, dass bei einem Ersatz der Leitungen nach jahrzehntelangem Gebrauch ihr Wiederbeschaffungswert durch frühere Beiträge abgegolten worden ist. Es erscheint deshalb folgerichtig, dass ein allfälliger Mehrwert der ersetzten oder sanierten Schmutzwasserleitung nicht mittels einmaligen Beiträgen, sondern durch Gebühren eingefordert wird. Dafür spricht auch der Anhang 1 AbwR, der die Planungs- und Baukosten für die Umsetzung des GEP bei den jährlichen Gebühren auflistet.


4.2 Bei der nachträglichen Errichtung der Sauberwasserleitung hingegen handelt es sich um eine zusätzliche Erschliessungsmassnahme. Der Sondervorteil, welcher den Beschwerdeführenden durch den Erstanschluss an die Sauberwasserleitung entstanden ist, liegt in der gesetzeskonformen Erschliessung der Liegenschaft. Im Gebiet der Parzelle Nr. Y zeigten die Untersuchungen, welche die Gemeinde ausführen liess, dass es notwendig war, eine Sauberwasserleitung zu verlegen, damit das Trennsystem eingeführt werden konnte. Nimmt die Gemeinde diese Aufgabe wahr, so liegt der Sondervorteil der einzelnen Person darin, dass sie nicht selbst diese Aufwendungen betreiben und finanzieren muss. Die Erstellung der Sauberwasserkanalisation schafft auch einen wirtschaftlichen Mehrwert am Grundstück, der sich unter anderem im Preis der Liegenschaft niederschlägt, indem noch nicht an das Trennsystem angeschlossene Liegenschaften mit einer latenten Abgabe belastet sind, eben den künftigen Kosten für die Einführung des Trennsystems. Dies ist vergleichbar mit latenten Grundstückgewinnsteuern, die beim Liegenschaftswert mitberücksichtigt werden (Urteil Nr. 810 03 235 / 117 des Kantonsgerichts vom 23. Juni 2004, E. 8 ff.).


Die Beitragspflicht der Beschwerdeführenden gestützt auf 20 Abs. 2 AbwR ist somit auch unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Sondervorteils nicht zu beanstanden.


5.


Die Beschwerdeführenden erachten das Legalitätsprinzip im Abgaberecht als verletzt, weil § 20 Abs. 2 AbwR sich nicht über die Höhe der Abgabe äussert. Gemäss konstanter Rechtsprechung muss nicht nur das Abgabesubjekt und -objekt, sondern auch die Bemessungsgrundlage von Abgaben in einem formellen Gesetz umschrieben sein (BGE 112 Ia 43 f. mit Hinweisen). Für die pflichtige Person muss der zu entrichtende Kostenbetrag anhand der Angaben im rechtsetzenden Erlass bestimmbar sein.


Den Beschwerdeführenden ist beizupflichten, dass § 20 Abs. 3 AbwR nur die Berechnung des Anschlussbeitrags bei Neu-, Um- und Erweiterungsbauten regelt. Die Bestimmung steht in Zusammenhang mit § 20 Abs. 1 AbwR, der festhält, dass Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer einen Beitrag zu leisten haben, wenn sie ihr Grundstück durch Neu- oder Umbau an die Abwasseranlagen anschliessen.


§ 20 Abs. 2 AbwR begründet die Anschluss- und Beitragspflicht an die gemäss GEP an die neue Anlage anzuschliessenden Liegenschaften. Beitragsauslösendes Moment ist nicht die Liegenschaft, sondern die neue Anlage. Abs. 3 berechnet den Anschlussbeitrag bei Neubauten, also für den Fall, dass zum ersten Mal angeschlossen wird, nach dem indexierten Brandversicherungswert. § 20 Abs. 2 ergibt in Verbindung mit Abs. 3 nur dann einen Sinn, wenn zu den Neubauten auch das neue Werk gezählt wird, an das zum ersten Mal angeschlossen wird. Dies bedeutet, dass auch im Falle eines Erstanschlusses an eine Sauberwasseranlage die Beitragspflicht in analoger Anwendung von § 20 Abs. 3 AbwR berechnet wird, welcher als genügend bestimmte generell abstrakte Norm für die Regelung der Abgabehöhe bei nachträglicher erstellter Sauberwasserleitung angesehen werden kann.


Es muss jedoch mit Deutlichkeit hervorgehoben werden, dass der Beschwerdegegnerin aufgrund der Vielzahl unklarer und auslegungsbedürftiger Bestimmungen in ihren Wasser- und Abwasserreglementen eine baldige Überarbeitung derselben empfohlen wird.


6.


Nach den Ausführungen in der angefochtenen Verfügung vom 05. Mai 1999 ist die Gemeinde der Meinung, sie sei verpflichtet gewesen, gemäss § 20 des kommunalen Abwasserreglements nach Erneuerung der Kanalisation die bisher nicht erbrachten Anschlussbeiträge einzufordern. An den Vorverhandlungen in den Parallelfällen wurde ausgeführt, dass es sich beim so genannten Grundbeitrag gemäss Verfügung um den ursprünglichen Anschlussbeitrag beim Erstanschluss der Liegenschaften an die alte Mischwasserleitung handelt, welcher in einigen Fällen nach Meinung der Gemeinde nicht eingefordert worden ist. Vom Vertreter der Beschwerdeführenden wurde an der Hauptverhandlung dargelegt, dass bereits im Reglement vom 05. Oktober 1949 eine Anschlusspflicht festgelegt worden ist und davon ausgegangen werden müsse, dass die Beschwerdeführenden reglementskonform ihre Anschlussbeiträge bezahlt hätten und allfällige Ansprüche der Gemeinde verwirkt seien.


Es ist offensichtlich, dass die nachträgliche Verfügung der von der Gemeinde als Grundbeitrag bezeichneten Beiträge einer unzulässigen Rückwirkung gleich käme und die von den Beschwerdeführenden erhobene Einrede der Verwirkung gutgeheissen werden müsste. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch trotz der falschen Wortwahl auf der Verfügung nicht um eine Einforderung nicht erbrachter und verwirkter Beiträge, sondern um den Anschlussbeitrag der Beschwerdeführenden für den erfolgten Neuanschluss an die Sauberwasserleitungsanlage, welcher sich gestützt auf § 20 Abs. 2 AbwR nach dem indexbereinigten Brandversicherungswert errechnet. Es wird also nicht ein bestehender Vorteil ausgeglichen, sondern ein neu entstandener. Eine Nachforderung verwirkter Beiträge liegt somit nicht vor.


7.


Steht fest, dass im vorliegenden Fall Beiträge für den Erstanschluss an die Sauberwasseranlage geschuldet werden, muss die Bedeutung von § 20 Abs. 2 AbwR geklärt werden, wonach im Falle des Anschlusses an eine neue GEP-Anlage die bereits geleisteten Beiträge indexbereinigt anzurechnen sind.


7.1 An der Hauptverhandlung hat der Vertreter der Beschwerdegegnerin erklärt, bei der Anrechnung bereits geleisteter Beträge handle es sich nicht um Akontozahlungen von Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern für die neue Anlage, sondern es sei allen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern (indexiert) angerechnet worden, was nach den Unterlagen der Gemeinde bereits an die frühere Anlage bezahlt worden sei. Im Falle der Beschwerdeführenden sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich, dass diese den ursprünglichen Anschlussbeitrag bezahlt hätten. Dazu ist festzuhalten, dass in Sissach seit 1949 eine reglementarisch festgelegte Anschlusspflicht an die Kanalisation der Gemeinde (Reglement vom 05. Oktober 1949) besteht, und die Gebäude auf der streitberufenen Parzelle teilweise lange vor dieser Zeit entstanden sind. Die Gemeindekanalisation ist nach den Ausführungen der Beschwerdegegnerin an der Hauptverhandlung in den Jahren 1940 und früher erstellt worden und gemäss § 8 des Reglements von 1949 hatte der Anschluss bei bestehenden Bauten innerhalb von zwei Jahren seit der Erstellung der jeweiligen Kanalisationsanlage oder bei bestehenden Anlagen zwei Jahre nach Inkrafttreten des Reglements zu erfolgen.


Die Beschwerdegegnerin hat keinerlei Unterlagen eingereicht, aus denen hervorgeht, dass die Beschwerdeführenden die Anschlussbeiträge gemäss der Buchhaltung der Gemeinde nicht erbracht haben. Die Beschwerdeführenden im Gegenzug haben die Zahlung behauptet und geltend gemacht, dass keine Aufbewahrungspflicht für Zahlungsbelege bis zum Verfügungsdatum im vorliegenden Verfahren bestanden hat. Ohne Gegenbeweis der Beschwerdegegnerin muss aber die Vermutung der Zahlung gelten, weil sonst die Möglichkeit besteht, dass einer Person nicht angerechnet wird, was sie bereits bezahlt hat. Es widerspricht dem Gleichbehandlungsgebot, wenn nicht allen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern im selben Masse Beiträge angerechnet werden, bei denen davon auszugehen ist, dass sie aufgrund der klaren Gesetzeslage reglementskonform erhoben worden sind.


7.2 Die Anrechnungspraxis der Beschwerdegegnerin verstösst jedoch auch aus einem anderen Grund gegen das Gleichbehandlungsgebot. Wie dargelegt, begründet nicht die frühere Kanalisationsleitung, sondern die neue Sauberwasserleitung, die zu einer erstmaligen GEP-konformen Anlage führt, den Vorteil der Beschwerdeführenden. Werden die Beitragspflichtigen nicht für den bestehenden, sondern für den neu entstandenen Vorteil belastet, so würde es zu einer stossenden Ungerechtigkeit führen, wenn einzelnen Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern Beiträge angerechnet würden, die sie nicht für das vorteilsbegründende, sondern für ein früheres Werk bezahlt haben, für das die Beitragserhebung längst verwirkt ist. Der durch das neue Trennsystem geschaffene Mehrwert bzw. Sondervorteil fliesst allen Beitragspflichtigen im gleichen Masse zu, und gestützt auf das Äquivalenzprinzip muss das Verhältnis der Abgabe zum Wert des Vorteils für alle Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer gleich bleibend sein.


7.3 Die Gemeinde hat das System der indexbereinigten Anrechnung früher geleisteter Beiträge gemäss § 20 Abs. 2 AbwR bereits bei einem Teil der rechtskräftig verfügten Beiträge angewandt, so dass eine Gleichstellung der Beschwerdeführenden mit den übrigen Beitragspflichtigen nur erreicht werden kann, wenn auch ihnen der ursprüngliche Anschlussbeitrag, wie er gemäss Reglement von 1949 (Einführung der obligatorischen Beitragspflicht innerhalb zweier Jahre) geleistet worden ist oder zu leisten gewesen wäre, angerechnet wird. Dabei ist bis 1966 von der einfachen Brandlagerschatzung auszugehen und ab 1966 von der indexierten Schatzung. Der so errechnete ursprüngliche Anschlussbeitrag ("Grundbeitrag") ist dann analog den übrigen vor 1999 geleisteten und indexierten Beiträgen vom Anschlussbeitrag abzuziehen, wie er heute gemäss § 20 Abs. 2 AbwR i.V.m. Anhang 1 zum AbwR Ziffer 1.2 zu erbringen wäre.


Gestützt auf diese Erwägungen wird die Beschwerde teilweise gutgeheissen und an die Vorinstanz zur Ermittlung des geschuldeten Anschlussbeitrags im Sinne der Erläuterungen zurückgewiesen.


8.


(…)


9.


Der obsiegenden Partei kann für den Beizug eines Anwalts bzw. einer Anwältin eine angemessene Parteientschädigung zu Lasten der Gegenpartei zugesprochen werden (vgl. § 21 Abs. 1 VPO).


9.1 Die Beschwerdeführenden haben nur teilweise obsiegt und es ist zu prüfen, wie im vorliegenden Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bemessen ist. Dabei ist insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Gemeinde aufgrund des unvollständigen und widersprüchlichen kommunalen Abwasserreglements nicht in der Lage gewesen ist, die Verfügungen zu begründen und die Rechtmässigkeit der anwendbaren Bestimmungen teilweise erst durch Auslegung ermittelt werden konnte. Für den Erlass von Erschliessungsreglementen bei öffentlichen Werken sind im Kanton Baselland gestützt auf § 37 RBG die Gemeinden selbständig zuständig. Die Gemeinde als Urheberin des Reglements muss sich nicht nur die unklare gesetzliche Grundlage der umstrittenen Verfügung, sondern auch die bei der Eröffnung und Begründung der Beitragsverfügung vorgekommenen Mängel anrechnen lassen. Den Beschwerdeführenden ist zuzubilligen, dass sie anwaltlich vertreten sein mussten, um die sachliche und rechtliche Grundlage sowie die Begründetheit der Verfügung nachvollziehen zu können. Die den Beschwerdeführenden entstandenen Anwaltskosten sind aus diesen Überlegungen vollumfänglich der Beschwerdegegnerin anzulasten. (…)


9.2 Gestützt auf § 21 Abs. 2 VPO haben Gemeinden Anspruch auf eine Parteientschädigung, sofern der Beizug eines Anwalts bzw. einer Anwältin gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall sind die Beschwerdeführenden aufgrund vorstehender Erwägungen bezüglich der ausserordentlichen Kosten so gestellt worden, als ob sie vollumfänglich obsiegt hätten. Eine Prüfung des Anspruchs der Beschwerdegegnerin auf die Entschädigung ihrer Anwaltskosten erübrigt sich damit.


Entscheid Nr. 650 99 68-69 vom 9. August 2004



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