Hinsichtlich der Verweisung der Schadenersatzforderung auf den Zivilweg besteht keine Beschwerdelegitimation des Opfers, da es sich dabei nicht um eine "Abweisung der Zivilklage" im Sinne von § 58 Abs. 2 des Jugendstrafrechtspflegegesetzes handelt. Aus dem OHG ergibt sich keine Beschwerdelegitimation des Opfers gegen die Verweisung seiner Ansprüche auf den Zivilweg, da die Kantone gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche die Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren beschränken oder ausschliessen können (§ 58 Jugendstrafrechtspflegegesetz, Art. 8 und 9 OHG; E. 3).

Hat der Strafrichter die Beurteilung der Zivilansprüche auf den Zivilweg verwiesen, so wirkt sich die rechtliche Qualifikation der Tat nicht auf die Höhe der Genugtuung aus, da das strafgerichtliche Erkenntnis mit Bezug auf die Beurteilung der Schuld und die Bestimmung des Schadens für den Zivilrichter nicht verbindlich ist (Art. 8 OHG, Art. 53 OR; E. 4).


Das Opfer ist nur legitimiert, mittels Beschwerde eine andere rechtliche Würdigung der Tat zu beantragen, die sich zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, wenn auch die Jugendanwaltschaft zulasten des Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat (§ 59 Abs. 2 Jugendstrafrechtspflegegesetz; E. 4).


Es lässt sich aus dem OHG nicht das Recht des Opfers ableiten, an der mündlichen Hauptverhandlung persönlich teilnehmen zu dürfen. Aufgrund des Vorbehalts im OHG gilt die kantonale Bestimmung, wonach sich der Zivilkläger im Strafverfahren gegen Jugendliche nur schriftlich am Verfahren beteiligen kann und nicht zur Hauptverhandlung vorgeladen wird (Art. 9 Abs. 4 OHG, § 46 Jugendstrafrechtspflegegesetz; E. 6).



Sachverhalt

Mit Urteil vom 15. Mai 2003 erklärte das Jugendgericht des Kantons Basel-Landschaft T.M. und T.M. des mehrfachen versuchten Totschlags fehlbar und ordnete die besondere Behandlung der beiden Jugendlichen an. Die Schadenersatzforderung des Opfers R. M. wurde im Wesentlichen mangels genügender Substantiierung auf den Zivilweg verwiesen. Der Anspruch des Opfers auf Genugtuung wurde im Grundsatz bejaht. In Bezug auf die Höhe - insbesondere das Ausmass des Selbstverschuldens und den Umfang der Haftung der Jugendlichen - wurde das Verfahren gemäss Art. 9 Abs. 3 OHG auf den Zivilweg verwiesen.


Mit Schreiben vom 27. Mai 2003 erhob das Opfer Beschwerde gegen das Urteil des Jugendgerichts vom 15. Mai 2003 und beantragte, das Urteil des Jugendgerichts aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In der Begründung hielt es im Wesentlichen fest, dass die Vorinstanz fälschlicherweise davon ausgegangen sei, die Voraussetzungen für die Annahme des privilegierten Tatbestands des Totschlags seien erfüllt. Die rechtliche Qualifikation des Deliktes habe Einfluss auf die Höhe der zuzusprechenden Genugtuung. Ferner machte der Beschwerdeführer die Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, da der Opfervertreter von der Teilnahme an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ausgeschlossen worden sei. Dabei habe sich die Vorinstanz zu Unrecht auf das Gesetz über die Jugendstrafrechtspflege gestützt, da das aus der EMRK abgeleitete Opferhilfegesetz (OHG) dem kantonalen Gesetz vorgehe, weshalb die Beteiligung des Opfers im Strafverfahren gegen Jugendliche gleichermassen zu gewährleisten sei wie im Erwachsenenstrafverfahren.



Erwägungen

3. (…) Nach dem Gesetz über die Jugendstrafrechtspflege ist der Zivilkläger beschwerdeberechtigt, wenn eine Verurteilung erfolgte und die Zivilklage abgewiesen worden ist (§ 58 Jugendstrafrechtspflegegesetz). Im vorliegenden Fall wurden die beiden Schwestern wegen mehrfachen versuchten Totschlags fehlbar erklärt, womit die erste Voraussetzung für die Beschwerdelegitimation des Opfers erfüllt ist.


(…)


Bei der Verweisung der Forderung auf den Zivilweg handelt es sich nicht um eine Abweisung, welche zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zivilklägers legitimieren würde. Dies entspricht auch der Regelung im Erwachsenenstrafrecht, wonach ein Zivilkläger nur gegen ein Urteil des Strafgerichts appellieren kann, wenn im Strafgerichtsurteil materiell über die zivilrechtlichen Ansprüche entschieden worden ist und die Voraussetzungen für die Appellation in Zivilsachen erfüllt sind. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Opferhilfegesetz (§ 177 StPO).


Es gilt somit zu prüfen, ob dem Zivilkläger ein darüber hinaus gehendes Beschwerderecht nach dem Opferhilfegesetz (OHG) zusteht, da es sich beim vorliegenden Zivilkläger um ein Opfer im Sinne des OHG handelt. Im Erwachsenenstrafrecht kann das Opfer die gleichen Rechtsmittel gegen einen Gerichtsentscheid erheben wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann (Art. 8 OHG). Das Strafgericht kann die Ansprüche des Opfers nur dem Grundsatz nach entscheiden und das Opfer im Übrigen an das Zivilgericht verweisen, wenn die vollständige Beurteilung der Zivilansprüche einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern würde (Art. 9 OHG).


Aufgrund der Bestimmungen des OHG hat das Opfer einen Anspruch auf Beurteilung seiner Zivilforderungen durch den Strafrichter, sofern deren Beurteilung keinen unverhältnismässigen Aufwand erfordern würde. Das Opfer kann somit in bestimmten Fällen, in welchen die Beurteilung der Zivilansprüche nicht besonders aufwändig ist, ein Rechtsmittel gegen die Verweisung der Opferansprüche auf den Zivilweg erheben.


Das OHG hat jedoch im Bereich des Verfahrens gegen Kinder und Jugendliche einen Vorbehalt zugunsten abweichender kantonaler Bestimmungen statuiert (Art. 9 Abs. 4 OHG). Gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung steht es den Kantonen zu, abweichende Bestimmungen betreffend der Regelung von Zivilklagen im Strafverfahren gegen Kinder und Jugendliche zu erlassen. Der Vorbehalt bezieht sich nach seiner Stellung im Anschluss an Art. 9 Abs. 1-3 OHG und nach seinem Wortlaut, auch unter Berücksichtigung des Randtitels von Art. 9 OHG ("Zivilansprüche"), auf diejenigen Bestimmungen des OHG, welche erstens die Behandlung der Zivilansprüche des Opfers durch den Strafrichter und deren Verweisung auf den Zivilweg und zweitens die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren regeln. Die Kantone können mithin gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche davon abweichende Bestimmungen erlassen. Sie können abweichend von Art. 9 Abs. 1-3 OHG beispielsweise die Verweisung der Zivilansprüche auf den Zivilweg erleichtern oder die Behandlung von Zivilansprüchen in diesen Verfahren ausschliessen. Sie können abweichend von Art. 8 Abs. 1 lit. a OHG die Geltendmachung von Zivilansprüchen in diesen Verfahren beschränken oder ausschliessen (vgl. BGE 122 IV 86 mit weiteren Hinweisen).


Dieser bundesrechtliche Vorbehalt lässt somit abweichende kantonale Regelungen unabhängig von deren zeitlichem Inkrafttreten zu. Gemäss kantonalem Jugendstrafrechtspflegegesetz ist der Geschädigte im Strafverfahren gegen Jugendliche befugt, adhäsionsweise eine Zivilklage einzureichen. Von Bundesrechts wegen wäre es sogar zulässig, wenn der Kanton Zivilansprüche in Strafverfahren gegen Jugendliche gänzlich ausschliessen würde, so wie es der Kanton Basel-Landschaft in Strafverfahren gegen Kinder vorgesehen hat (§ 20 Abs. 4 Jugendstrafrechtspflegegesetz). Da der Kanton sogar befugt wäre, Zivilansprüche in Strafverfahren gegen Jugendliche gänzlich auszuschliessen, so ist es zweifellos zulässig, die Beurteilung von Zivilforderungen auf den Zivilweg zu verweisen.


Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das Jugendgericht im vorliegenden Fall mangels eines Gutachtens über die Frage der Zurechnungsfähigkeit sowie wegen ungenügender Substantiierung der Ansprüche durch das Opfer zu Recht nicht selbst über die Zivilansprüche des Opfers entschieden hat. Das Urteil verstösst somit nicht gegen die Bestimmungen des Opferhilfegesetzes. (…)


Hinsichtlich der Verweisung der Schadenersatzforderung auf den Zivilweg besteht keine Beschwerdelegitimation des Opfers, da es sich bei der Verweisung der Zivilklage auf den Zivilweg nicht um eine "Abweisung der Zivilklage" im Sinne von § 58 Abs. 2 des Jugendstrafrechtspflegegesetzes handelt, weshalb auf die Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist.


4. Gemäss dem Opferhilfegesetz steht dem Opfer auch ein Rechtsmittel gegen die rechtliche Würdigung der Tat zu, wenn sie sich auf die Beurteilung der Zivilansprüche auswirken kann (Art. 8 OHG). Die rechtliche Qualifikation einer Tat als Mord oder Totschlag kann sich durchaus auf die Höhe der Genugtuung auswirken, da deren Höhe verschuldensabhängig ist und aufgrund des qualifizierten Verschuldens im Falle eines Mords höher ausfallen kann. Dies gilt jedoch nur, wenn der Strafrichter die Genugtuung selbst festgelegt hat. Hat der Strafrichter die Beurteilung der Zivilansprüche hingegen auf den Zivilweg verwiesen, so wirkt sich die rechtliche Qualifikation der Tat nicht auf die Höhe der Genugtuung aus, da das strafgerichtliche Erkenntnis mit Bezug auf die Beurteilung der Schuld und die Bestimmung des Schadens für den Zivilrichter nicht verbindlich ist (Art. 53 OR). Aus diesem Grund kann sich die rechtliche Qualifikation der Taten im vorliegenden Fall nicht auf die Beurteilung der Zivilansprüche des Opfers auswirken.


Ausserdem gilt nach Ansicht des Kantonsgerichts auch in diesem Punkt der Vorbehalt im OHG zugunsten abweichender kantonaler Regelungen betreffend der Beurteilung von Zivilansprüchen gemäss Art. 9 Abs. 4 OHG. Aus dem Jugendstrafrechtspflegegesetz ergibt sich, dass eine Aufhebung des Urteils aufgrund eines sich zum Nachteil des Verurteilten auswirkenden Nichtigkeitsgrundes nur dann zulässig ist, wenn der Jugendanwalt zulasten der Verurteilten Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat (§ 59 Abs. 2 Jugendstrafrechtspflegegesetz). Da der Jugendanwalt im vorliegenden Fall keine Beschwerde erhoben hat, ist nicht zulässig, die Beschwerdegegnerinnen wegen einer qualifizierteren Tatbestandsvariante schuldig zu sprechen.


Das Kantonsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht legitimiert ist, Beschwerde gegen die erstinstanzliche rechtliche Würdigung der Tat zu führen, weshalb auch in diesem Punkt nicht auf die Beschwerde einzutreten ist.


(…)


6. Im Weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, dass das rechtliche Gehör des Opfers verletzt worden sei, indem der Opfervertreter von der Teilnahme an der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ausgeschlossen worden sei.


Das Kantonsgericht hat diese Rüge aufgrund des Nichteintretens auf die Beschwerde gar nicht zu prüfen, stellt jedoch fest, dass diese Rüge selbst dann als nicht gerechtfertigt zu betrachten wäre, wenn man auf die vorliegende Beschwerde eintreten würde.


Das OHG hält fest, dass sich das Opfer am Strafverfahren beteiligen kann. Es kann insbesondere seine Zivilansprüche geltend machen; den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird; den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Die Behörden informieren das Opfer in allen Verfahrensabschnitten über seine Rechte. Sie teilen ihm Entscheide und Urteile auf Verlangen unentgeltlich mit (Art. 8 OHG). Der Offizialverteidiger von T.M. weist in seiner Beschwerdeantwort zu Recht darauf hin, dass das OHG lediglich Mindestgarantien vorschreibe und in Art. 8f. OHG in Bezug auf die Verfahrensrechte des Opfers gemäss herrschender Lehre eine abschliessende Aufzählung enthalte (vgl. Gomm/Stein/Zentner, Opferhilfegesetz, N. 3 zu Art. 8 OHG mit Verweis auf die Materialien). Es lässt sich somit auch aus dem OHG nicht das Recht des Opfers ableiten, an der mündlichen Hauptverhandlung persönlich teilnehmen zu dürfen.


Ausserdem gilt aufgrund des bereits oben erwähnten Vorbehalts in Art. 9 Abs. 4 OHG auch in dieser Hinsicht die kantonale Bestimmung, wonach sich der Zivilkläger nur schriftlich am Verfahren beteiligen kann und nicht zur Hauptverhandlung vorgeladen wird (§ 46 Jugendstrafrechtspflegegesetz). Die frühere kantonale Regelung hat trotz des später in Kraft getretenen Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG) weiterhin Geltung, sofern das kantonale Recht nicht gegen Bundesrecht verstösst. Das Kantonsgericht hält somit fest, dass das Opfer sowie dessen Vertreter keinen Anspruch hatten, an der strafgerichtlichen Verhandlung teilzunehmen. Der Opfervertreter musste dies aufgrund der Gesetzesnormen wissen und die Zivilansprüche schriftlich begründen. Der Opfervertreter durfte somit nicht damit rechnen, dass er an der Hauptverhandlung noch weitere Begründungen für die Zivilansprüche werde vorbringen können.


KGE ZS vom 6.1.2004 i.S. M.R. gegen T.M und T.M (57-03/562/AFS)



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