10 Strafrecht

Sexuelle Nötigung bzw. Schändung gegenüber einem Kind


Der Tatbestand der sexuellen Nötigung - auch in der Tatbestandsvariante der "Unter-psychischen-Druck-Setzung" - ist nur erfüllt, wenn der Täter bewusst und tatsituativ eine Zwangslage für das Opfer schafft, in welcher das Nachgeben des Opfers unter den konkreten Umständen als verständlich erscheint, wobei bei kindlichen Opfern geringere Anforderungen zu stellen sind. Einerseits muss der Täter eine Zwangssituation schaffen und andererseits muss die Zwangsintensität erheblich sein und somit einen gewissen objektiven Grad erreichen (Art. 189 StGB; E. 4.2).


Art. 191 StGB ist neben Art. 187 StGB nur anzuwenden, wenn neben dem jungen Alter ein zusätzlicher Grund für die Annahme einer Urteilsunfähigkeit gegeben ist (Art. 187 und Art. 191 StGB; E. 4.3).



Sachverhalt

Gemäss den als glaubwürdig qualifizierten Aussagen des neuneinhalb Jahre alten Opfers ist es zwischen dem Angeklagten und dem Kind während dessen kinesiologischen Behandlungen zu zehn sexuellen Handlungen in unterschiedlichem Ausmass gekommen.


In rechtlicher Hinsicht richtete sich die Appellation des Angeklagten gegen den Schuldspruch des Strafgerichts wegen mehrfacher sexueller Nötigung, da das Tatbestandsmerkmal der psychischen "Unter-Druck-Setzung" im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei.



Erwägungen

(…)


4.2 Sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB)


Art. 189 StGB schützt die sexuelle Freiheit und ist mit einer höheren Strafandrohung versehen als Art. 187 StGB, welcher die sexuelle Entwicklung von Kindern schützt. Es besteht echte Konkurrenz zwischen den beiden Tatbeständen, weshalb nachfolgend zu prüfen ist, ob der Tatbestand der sexuellen Nötigung neben dem Schuldspruch wegen sexueller Handlungen mit Kindern anzunehmen ist.


Sowohl die Lehre als auch das Bundesgericht haben sich mit der Abgrenzungsproblematik der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) zur Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit (Art. 188, 192, 193 StGB) sowie zur sexuellen Handlung mit einem Kind (Art. 187 StGB) auseinander gesetzt. Beim Nötigungsdelikt übt die handelnde Person Zwang aus bzw. setzt jemanden unter Druck. Die Nötigungsmittel "Gewalt", "Drohung" und "psychischer Druck" haben eine tatsituative Zwangswirkung, weil sie vom Täter im Moment der Tat erzeugt werden, um den Widerstand des Opfers zu brechen bzw. zu verhindern, dass sich das Opfer überhaupt zur Wehr setzt. Die Tatbestandsmerkmale "Abhängigkeit" und "Notlage" beschreiben hingegen eine nicht tatsituative Zwangswirkung, die bereits auf das Opfer wirkt, wenn der Täter seinen Tatentschluss fasst, einen sexuellen Übergriff auf das Opfer auszuführen (Basler Kommentar, StGB II, Art. 189 StGB N 9 mit Verweis auf Maier, ZStrR 1999, 409f.).


Da es sich beim Tatbestand der sexuellen Nötigung um ein Delikt gegen die Willensfreiheit handelt, muss der Täter aktiv auf den Willen des Opfers einwirken und diesem die Entscheidungsfreiheit in sexueller Hinsicht nehmen. Es handelt sich um ein Handlungsdelikt, weshalb der Täter den Willen des Opfers aktiv brechen muss. Der Täter muss tatsituativ, also kurz vor oder während der sexuellen Handlung eine Zwangssituation schaffen, die das Opfer kapitulieren lässt. Es genügt daher nicht, wenn der Täter bloss eine vorbestehende, nicht selber geschaffene Abhängigkeit oder eine Notlage des Opfers ausnützt. Der Täter muss bewusst Zwang auf das Opfer ausüben, um seinen (allfälligen) Widerstand zu brechen (Basler Kommentar, StGB II, Art. 189 StGB N 20f.). Dass der Täter vor der Tat selber eine Zwangssituation schaffen muss, bedeutet nicht, dass er die Zwangssituation jedes Mal wieder auf die gleiche Weise neu entstehen lassen muss. Bei lang andauernden sexuellen Ausbeutungen von Kindern genügt bereits eine Aktualisierung des Zwangs (vgl. Basler Kommentar, StGB II, Art. 189 StGB N 22 mit Hinweisen). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Ausnützung von Verblüffung und Erschrecken oder die Anwendung einer List den Tatbestand des Nötigungsdelikts mangels einer Nötigungshandlung nicht erfüllen.


In Lehre und Rechtsprechung wird ausgeführt, dass Sexualdelikte als Gewaltdelikte gelten und damit prinzipiell als Akte psychischer Aggression zu verstehen sind. Dabei stellt aber die Tatbestandsvariante des "Unter-psychischen-Druck-Setzens" klar, dass sich die tatbestandsmässige Ausweglosigkeit der Situation auch ergeben kann, ohne dass der Täter eigentliche Gewalt anwendet; es kann vielmehr genügen, dass dem Opfer eine Widersetzung unter solchen Umständen aus anderen Gründen nicht zuzumuten ist. Diese Umstände müssen eine Qualität erreichen, die sie in ihrer Gesamtheit als instrumentalisierte so genannte "strukturelle Gewalt" erscheinen lassen (BGE 128 IV 97, 99; BGE 124 IV 154, 158 f. [mit zahlreichen Verweisen]). Ob die tatsächlichen Verhältnisse die tatbeständlichen Anforderungen eines Nötigungsmittels erfüllen, lässt sich erst nach einer umfassenden Würdigung der relevanten konkreten Umstände entscheiden. Es ist mithin eine individualisierende Beurteilung notwendig, die sich auf hinlänglich typisierbare Merkmale stützen muss. Das Ausmass der Beeinflussung, das für den psychischen Druck erforderlich ist, bleibt aber letztlich unbestimmbar, weshalb diese Bestimmung vorsichtig auszulegen ist (vgl. BGE 128 IV 97, 99 mit weiteren Hinweisen; BGE 124 IV 154, 160; Maier, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, Diss. Zürich 1994, S. 321). Das Bundesgericht berücksichtigte in früheren Entscheiden auf der einen Seite die Persönlichkeit, das Alter, die ablehnende Haltung und die prekäre familiäre Stellung des Opfers und auf der anderen Seite die Autoritätsposition, den Charakter und das Schweigegebot des Täters (vgl. BGE 122 IV 97 sowie 124 IV 154).


Kindern ist im Allgemeinen eine geringere Gegenwehr zuzumuten als Erwachsenen, womit Opfergesichtspunkte in die Beurteilung einbezogen werden und berücksichtigt wird, dass die sexuellen Nötigungstatbestände nach der Konzeption des Gesetzes vorrangig auf Erwachsene ausgerichtet sind. Deshalb sind bei sexuellen Handlungen unter Ausnützung des Erwachsenen-Kind-Gefälles geringere Anforderungen an die Intensität bzw. Erheblichkeit der Nötigungsmittel zu stellen als bei sexuellen Handlungen zum Nachteil von Erwachsenen (vgl. Basler Kommentar, StGB II, Art. 189 StGB N 11, 19 und 21 mit weiteren Hinweisen).


Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung könne je nach den Umständen und den Beziehungen zum Täter ein Kind wegen seiner kognitiven Unterlegenheit und seiner Abhängigkeit in emotionaler und sozialer Hinsicht den Bedürfnissen des Täters mehr oder weniger ausgeliefert sein. Gerade bei der sexuellen Ausbeutung durch Täter im sozialen Nahraum werde körperliche Gewalt vielfach gar nicht erforderlich sein, weil die Täter gezielt die entwicklungsbedingte emotionale Abhängigkeit und Bedürftigkeit der betroffenen Kinder auszunützen pflegten. Kognitive Unterlegenheit und emotionale wie soziale Abhängigkeit könnten bei Kindern einen ausserordentlichen psychischen Druck und damit eine Zwangslage erzeugen, die es ihnen verunmögliche, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren. Dies werde namentlich beim Missbrauch durch Autoritätsträger des gleichen Haushalts in Betracht zu ziehen sein, weil hier Ängste um den Verlust der Zuneigung unmittelbar zur ernsten Bedrohung werden könnten. In solchen Situationen erscheine bereits die gegenüber einem Kind übermächtige Körperlichkeit des Erwachsenen, die alleinige physische Dominanz, geeignet, Elemente physischer Aggression zu manifestieren und das Gewaltkriterium im Sinne physischer oder zumindest struktureller Gewalt zu erfüllen. Eine Tatbestandsmässigkeit setze aber jedenfalls voraus, dass unter den konkreten Umständen das Nachgeben des Kindes verständlich erscheine (BGE 128 IV 97, 99 f.; BGE 124 IV 154, 159 f. mit Hinweisen).


Diese bundesgerichtliche Praxis ist in der Lehre auf Kritik gestossen, da zwischen der Nötigungshandlung des Täters und der sexuellen Handlung ein Kausalzusammenhang bestehen müsse. Eine kognitive Unterlegenheit (z.B. Kinder-Lehrer-Verhältnis) oder eine emotionale bzw. soziale Abhängigkeit (z.B. Vater-Kind-Verhältnis) würden in der Regel nicht vom Täter geschaffen, um auf das Opfer Zwang auszuüben. Diese Verhältnisse seien vielmehr vorbestehend. Von einem nötigenden Verhalten des Täters könne nicht gesprochen werden, denn die Zwangswirkung auf das Opfer sei bereits vorhanden, wenn der Täter seinen Tatentschluss fasse. Ein Altersunterschied oder ein strukturell vorgegebenes Abhängigkeitsverhältnis könnten deshalb für sich allein nie zu einer Nötigungssituation führen. Anders zu bewerten sei die Situation, wenn ein Täter das Opfer zusätzlich unter Druck setze, indem er z.B. seinem Kind androhe, es müsse in ein Kinderheim, wenn es nicht mache, was er (der Täter) verlange. In einem solchen Fall müssten die vorbestehenden strukturellen Zwangswirkungen in die Beurteilung mit einbezogen werden (Basler Kommentar, StGB II, Art. 189 StGB N 10). Das Bundesgericht hat sich wiederum mit der Kritik der Lehre auseinander gesetzt und entgegnet, Art. 189 StGB komme neben Art. 187 StGB nur in Betracht, wenn der psychische Druck auf das Opfer erheblich sei. Das Ausnützen allgemeiner Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse oder gar eine gegenüber jedem Erwachsenen bestehende Unterlegenheit des Kindes für sich genommen genügten regelmässig nicht, um einen relevanten psychischen Druck im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB zu begründen (vgl. BGE 128 IV 97).


Das Kantonsgericht hält fest, dass der Tatbestand der sexuellen Nötigung - auch in der Tatbestandsvariante der "Unter-psychischen-Druck-Setzung" - nur erfüllt ist, wenn der Täter bewusst und tatsituativ eine Zwangslage für das Opfer schafft, in welcher das Nachgeben des Opfers unter den konkreten Umständen als verständlich erscheint, wobei bei kindlichen Opfern geringere Anforderungen zu stellen sind. Einerseits muss der Täter eine Zwangssituation schaffen und andererseits muss die Zwangsintensität erheblich sein und somit einen gewissen objektiven Grad erreichen. Diese Voraussetzungen gilt es in eingehender Würdigung der vorliegenden Umstände zu prüfen.


Im vorliegenden Fall war das Opfer zur Tatzeit erst neuneinhalb Jahre alt, weshalb aufgrund des Erwachsenen-Kind-Gefälles und des jungen Alters des Opfers ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Opfer bestand. Hinzu kommt, dass das Opfer beim Angeklagten in kinesiologischer Behandlung war, was das Abhängigkeitsverhältnis zweifelsohne gestärkt hat. Verstärkt wurde dieses zudem durch die Tatsache, dass sich das Opfer gemäss eigenen Aussagen in den Appellanten verliebt hatte (act. 191, 202). Was die Persönlichkeit des Opfers anbelangt, so sind sicherlich die prekären familiären Verhältnisse sowie die erzieherischen Defizite und die dem Opfer attestierte Distanzlosigkeit zu berücksichtigen. Der Appellant hat diese sozialen und emotionalen Mängel des Opfers, insbesondere den Mangel an Liebe und Zuneigung, spätestens im Verlauf der kinesiologischen Behandlung erkannt und diese Feststellung im Übrigen auch auf dem Patientenblatt notiert (vgl. act. 72: "Mangel an Liebe"). Ausserdem wusste er von seiner Mutter, welche regelmässig Kontakt zur Mutter des Opfers pflegte, von den desolaten sozialen Verhältnissen der Familie sowie von der Alkoholabhängigkeit der Eltern. So sagt er doch auch selber aus, dass er und seine Mutter vermutet hätten, dass die Mutter des Opfers Alkoholprobleme habe, weshalb er später auch die Mutter des Opfers zur Behandlung gebeten habe (Prot. KG S. 3). Für ein starkes Abhängigkeitsverhältnis spricht ferner die Tatsache, dass das Opfer gemäss eigenen Angaben von der Mutter weg wollte, weshalb es wahrscheinlich auch einen engeren Kontakt zum Appellanten suchte. Belastend war für das Mädchen sicherlich auch die Tatsache, dass sich auch ihre eigene Mutter in den Appellanten verliebt hatte. All diese Umstände sprechen für ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Opfer und dem Appellanten. Ausserdem ist davon auszugehen, dass der Appellant Kenntnis von diesem starken Abhängigkeitsverhältnis hatte, zumal er ja sowohl das Alter als auch die problematischen sozialen und familiären Verhältnisse des Mädchens kannte. Im Folgenden gilt es jedoch zu prüfen, ob die Ausnützung dieses Abhängigkeitsverhältnisses das Tatbestandsmerkmal des "Unter-psychischen-Druck-Setzens" erfüllt. In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass der Appellant dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht tatsituativ geschaffen hat, um das Mädchen gegen deren Willen zu sexuellen Handlungen zu verleiten. Der Appellant hat nicht aktiv darauf hingewirkt, eine Abhängigkeit zu schaffen, das Opfer erheblich unter Druck zu setzen und dessen Willen zu brechen, um danach sexuelle Handlungen mit ihm zu begehen, sondern er hat eine bestehende starke Abhängigkeit zu seinen Gunsten ausgenutzt. Wie bereits erwähnt, handelt es sich beim Nötigungstatbestand jedoch um ein Handlungsdelikt, bei welchem der Täter aktiv auf den Willen des Opfers einwirkt; und zwar derart massiv, dass jenes seiner Willensfreiheit beraubt wird. Der Einsatz ausschliesslich nicht-tatsiuativen Zwangs, d.h. das Ausnützen einer bestehenden Abhängigkeit oder Notlage, stellt kein nötigendes Verhalten dar. Es fehlt somit im vorliegenden Fall an einer bewussten und tatsituativen Zwangsschaffung des Appellanten auf das Opfer, da dieser eine bestehende Abhängigkeit ausgenutzt und nicht einen willensbrechenden psychischen Druck auf das Mädchen ausgeübt hat.


Gemäss den obigen rechtlichen Ausführungen wäre eine derartige Ausnutzung einer bestehenden Abhängigkeit allenfalls dann als Nötigung zu qualifizieren, wenn der Täter das Opfer zusätzlich unter Druck gesetzt hat. Aus dem Sachverhalt ergeben sich jedoch keine Hinweise auf eine aktive "Unter-Druck-Setzung" des Angeklagten, zumal er dem Opfer auch kein Schweigegebot auferlegt hat. Auch der Hinweis auf die allfällige Heimeinweisung des Opfers sowie den drohenden Gefängnisaufenthalt des Angeklagten erfolgte erst anlässlich eines Telefongesprächs zwischen dem Appellanten und dem Opfer nach den sexuellen Übergriffen (vgl. act. 197). Das Mädchen hat zwar ausgesagt, dass es Angst vor einer Heimeinweisung gehabt und deshalb der Mutter nichts von den Vorfällen erzählt habe (act. 186), doch liegt keinerlei Hinweis dafür vor, dass der Angeklagte ihr von einer allenfalls drohenden Heimeinweisung erzählt hat. Ausgehend von den Opferaussagen ist anzunehmen, dass das Mädchen nach den Vorfällen von sich aus Angst gehabt hat, in ein Heim zu kommen, da es von anderer Seite her schlimme Geschichten von einem Kinderheim gehört hatte (act. 186). Auch in dieser Hinsicht hat der Appellant vor oder während den Taten somit keinen psychischen Druck auf das Opfer ausgeübt.


Das Kantonsgericht hat aufgrund der Abwehrreaktion des Opfers beim ersten Zungenkuss geprüft, ob in diesem Fall der Tatbestand der sexuellen Nötigung allenfalls erfüllt ist. Es stellt sich somit die Frage, ob der Appellant in diesem Fall einen psychischen Druck oder sogar Gewalt auf das Opfer ausgeübt hat, um es zu küssen. Ausgehend von den glaubwürdigen Aussagen des Opfers, wonach es sich beim Zungenkuss zuerst zurückgezogen habe, ist eine Abwehrhandlung des Mädchens anzunehmen. Sie sei zunächst zurückgeschreckt, habe es aber danach geschehen lassen, weil sie den Angeklagten geliebt habe (vgl. act. 191, 193). Aus dem Sachverhalt ergibt sich auch bei diesem Vorfall weder ein Hinweis auf eine vom Täter geschaffene erhebliche Drucksituation noch auf eine physische Gewaltanwendung. Das Kantonsgericht geht somit - stets basierend auf den Aussagen des Opfers - davon aus, dass jenes beim ersten Zungenkuss überrascht oder überrumpelt worden ist. Das Ausnützen eines Überraschungsmoments erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen eines Nötigungsmittels, weshalb der Tatbestand der sexuellen Nötigung auch im Fall des Zungenkusses zu verneinen ist.


Aufgrund einer Gesamtwürdigung der dafür massgeblichen Umstände geht das Kantonsgericht davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal des "Unter-psychischen-Druck-Setzens", mithin der Tatbestand der sexuellen Nötigung, im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist.


4.3 Schändung (Art. 191 StGB)


(…)


Der Tatbestand der Schändung steht in Parallele zu dem der sexuellen Nötigung, nur dass der Täter hier nicht den Widerstand des Opfers überwindet oder ausschaltet, sondern eine bereits vorhandene Beschränkung der freien Willensbestimmung ausnützt (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht BT I, § 8 N 31). Kinder unter 16 Jahren haben nach Art. 183 Ziff. 2 StGB generell als urteils- und widerstandsunfähig zu gelten, weshalb der Tatbestand der Schändung konsequenterweise auch immer auf Kinder unter 16 Jahren anzuwenden wäre. Das Bundesgericht hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und den Ausweg gefunden, zwischen der Urteilsunfähigkeit im Sinne von Art. 191 StGB und der mangelnden Reife im Sinn von Art. 187 StGB zu unterscheiden, dergestalt, dass eine allein altersbedingte Urteilsunfähigkeit nur zurückhaltend angenommen werden soll (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT I, § 8 N 34 mit Verweis auf BGE vom 24.6.1994). Das Bundesgericht hielt fest, dass in der Ausnützung der durch die Urteilsunfähigkeit bedingten Hilflosigkeit eines Kindes eine weitergehende Rechtsgutsverletzung zu sehen sei, welche nicht vom Schutzbereich des Art. 187 StGB umfasst werde. Entscheidend sei, ob das Kind im Tatmoment in Bezug auf die sexuellen Handlungen seelisch in der Lage gewesen sei, darüber zu entscheiden, ob es die sexuellen Handlungen gewollt habe oder nicht. Die Anwendung von Art. 191 StGB setze bei einem Kind voraus, dass zur Ausnützung der mangelnden Reife offenkundig ein Missbrauch der Urteilsunfähigkeit oder eine anders begründete Widerstandsunfähigkeit des Kindes hinzukomme. Eine allein altersbedingte Urteilsunfähigkeit dürfe nur zurückhaltend angenommen werden (vgl. BGE 120 IB 194).


Diese Auslegung ist in der Lehre mehrheitlich auf Ablehnung gestossen. Neben der Problematik heikler Abgrenzungsfragen wird bemängelt, dass bei dieser Praxis eine unzulässige Konzentration auf die Äusserungen und die Verhaltensweisen des Kindes anstelle des Fehlverhaltens des Täters stattfinde. Eine Urteilsunfähigkeit sollte bei Kindern daher nur angenommen werden, wenn deutliche Gründe vorliegen, dass diese auch unabhängig vom Alter des Kindes gegeben sind. So ist gemäss der von Philipp Maier im Basler Kommentar vertretenen Auffassung Urteils- und Widerstandsunfähigkeit bei Kindern unter 16 Jahren zu vermuten, wenn eine der nachfolgende aufgeführten Situationen gegeben ist; (1) das Kind ist im Tatmoment unter vier Jahre alt; (2) das Kind ist älter als vier Jahre, aber in der geistigen oder körperlichen Entwicklung zurückgeblieben, geistig und/oder körperlich behindert oder in einer Situation, die auch bei einer erwachsenen Person zur Annahme einer Widerstandsunfähigkeit bzw. Urteilsunfähigkeit i.S.v. Art. 191 StGB führen würde. Sind diese Elemente nicht gegeben, so findet einzig Art. 187 StGB Anwendung (Basler Kommentar zu Art. 191 N 7ff).


Das Kantonsgericht folgt der Auffassung, wonach Art. 191 StGB neben Art. 187 StGB nur anzuwenden ist, wenn neben dem jungen Alter ein zusätzlicher Grund für die Annahme einer Urteilsunfähigkeit gegeben ist. Im vorliegenden Fall liegt kein derartiger Hinweis vor, weshalb neben dem Schuldspruch wegen sexueller Handlungen mit einem Kind kein zusätzlicher Schuldspruch wegen Schändung zu erfolgen hat.


(…)


KGE ZS vom 26. April 2005 i.S. Staatsanwaltschaft gegen C.T. (100 04 600/AFS)


Das Bundesgericht hat die vom Angeklagten gegen diesen Entscheid erhobenen Beschwerden hinsichtlich der Strafzumessung (Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) mit Urteil vom 1. Oktober 2005 (6P.85/2005 und 6S.250/2005) abgewiesen.



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