3 Ergänzungsleistungen

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Zulässigkeitsvoraussetzung des nicht wieder gut zu machenden Nachteils bei einer Beschwerde gegen eine verfahrensleitende Sistierungsverfügung


Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt davon ab, ob aus der angefochtenen Sistierungsverfügung ein nicht wieder gut zu machender Nachteil droht (Art. 45 Abs. 1 und 2 VwVG; E. 4b).


Werden bei einer Neufestsetzung die Ergänzungsleistungen massgebend um rund 40% gekürzt, ist ein nicht wieder gut zu machender Nachteil zu bejahen, obschon die Rechtsprechung den nicht wieder gut zu machenden Nachteil bei Sistierungsverfügungen in der Regel verneint (E. 4c).


Die Sistierung des Einspracheverfahrens betreffend die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen im Hinblick auf eine IV-Rentenrevision ist prima facie in casu unzulässig (E. 5b).



Sachverhalt

Der am 27. Juli 1954 geborene H. reiste am 1. September 1990 in die Schweiz ein und heiratete am 6. November 1990 B., worauf er eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau in der Schweiz erhielt. Am 20. Mai 1993 kam die gemeinsame Tochter J. zur Welt. Im September 1995 erhielt er die Niederlassungsbewilligung C. Mit Urteil des Bezirksgerichts Arlesheim vom 3. Juli 1996 wurde die Ehe geschieden. Mit Verfügung vom 6. Juli 1998 sprach die IV-Stelle Basel-Landschaft (IV-Stelle) H. eine befristete ganze Rente der Invalidenversicherung zuzüglich einer Zusatzrente für die Ehegattin und einer Kinderrente mit Wirkung ab 1. März bis 31. Juli 1997 zu. Ein Gesuch um Familiennachzug von H. wurde mit Urteil des Kantonsgerichts, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 23. Juli 2003 gutgeheissen. Es wurde angeordnet, dass dessen am 16. Januar 2001 in M geheiratete zweite Ehefrau und deren gemeinsames Kind eine Einreise- und Aufenthaltsbewilligung zu erteilen sei.


Nachdem H. am 8. November 1999 bei der IV-Stelle sein Leistungsgesuch erneuert hatte, sprach ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom 22. Juli 2002 ab 1. Mai 1999 eine halbe und ab 1. Januar 2002 eine ganze Rente der IV zu. Mit Verfügungen vom 5. September 2002 wies die Ausgleichskasse Basel-Landschaft (Kasse) H. darauf hin, dass er Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL) besitze. Nachdem in der Folge diverse Anpassungen bezüglich der Höhe der EL erfolgten waren, teilte die Kasse dem Versicherten mit Verfügung vom 10. November 2003 mit, dass zufolge Bewilligung des Familiennachzugs mit Wirkung ab Oktober 2003 eine Neuberechnung der EL erfolgen müsse. Zugleich wurde festgehalten, dass wenn die Ehefrau des Versicherten bis Juni 2004 keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich nicht genügend um eine zumutbare Arbeitsstelle bemühen sollte, ab Juni 2004 ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden müsse, so dass sich der Ergänzungsleistungsanspruch monatlich von CHF 4'304.-- auf CHF 2'578.-- reduzieren werde.


Nachdem die Kasse in der Folge keine Nachweise für Arbeitsbemühungen der Ehefrau des Versicherten erhalten hatte, reduzierte sie am 18. August 2004 die monatlichen EL auf CHF 2'576.--. Mit Eingabe vom 27. August 2004 erhob der Versicherte, vertreten durch W., Advokat, dagegen Einsprache und beantragte jährliche Ergänzungsleistungen in der Höhe von CHF 53'000.--. Am 30. August 2004 verfügte die Kasse die Sistierung des Einspracheverfahrens. Begründend führte sie an, dass aufgrund des bereits eingeleiteten Verfahrens zunächst der Revisionsentscheid betreffend den Anspruch auf eine IV-Rente abzuwarten sei. Mit Eingabe vom 30. September 2004 erhob der Versicherte, wiederum vertreten durch W., Advokat, beim Kantonsgericht, Abteilung Sozialversicherungsrecht, Beschwerde gegen die Sistierungsverfügung vom 30. August 2004 und beantragte die sofortige Aufhebung der Sistierung. Die Kasse schloss in ihrer Vernehmlassung vom 8. November 2004 auf Abweisung der Beschwerde.



Erwägungen

1.-3. (…)


4.a) Gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 56 Abs. 1 ATSG ist gegen prozess- und verfahrensleitende Verfügungen direkt Beschwerde bei der kantonalen Gerichtsinstanz einzureichen, wobei - vorbehältlich spezialgesetzlicher Bestimmungen - eine Frist von 30 Tagen gilt (vgl. Art. 60 Abs. 1 ATSG). Ein besonderer Vorbehalt hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen wurde weder in Art. 52 ATSG noch in Art. 56 ATSG verankert. Damit könnte der Eindruck entstehen, die Möglichkeit einer Beschwerdeerhebung würde grundsätzlich gegen alle Arten von Zwischenverfügungen offen stehen, ohne dass besondere Eintretensvoraussetzungen beachtlich wären. Dies widerspricht indessen der bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Beschwerden gegen Zwischenverfügungen zusätzlich die besondere Eintretensvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils zu berücksichtigen ist. Nach der überwiegend in der Lehre vertretenen Meinung strebte der Gesetzgeber für das sozialversicherungsrechtliche Beschwerdeverfahren nicht an, für Zwischenverfügungen die besondere Eintretensvoraussetzung aufheben zu wollen (vgl. Kieser, a.a.O., Art. 56, Rz. 8). Damit steht die Beschwerde bei prozess- und verfahrensleitenden Verfügungen an eine kantonale Gerichtsinstanz in Sozialversicherungssachen nur offen, wenn ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht.


b) Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde hängt somit davon ab, ob dem Beschwerdeführer aus der angefochtenen Sistierungsverfügung ein nicht wieder gut zu machender Nachteil erwachsen könnte (vgl. auch Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. g des Verwaltungsverfahrensgesetzes [VwVG] vom 20. Dezember 1968, gilt doch der grundsätzliche Vorbehalt des nicht wieder gutzumachenden Nachteils als Voraussetzung für die Zulässigkeit eines selbständigen, dem Endentscheid vorangehenden Beschwerdeverfahrens insbesondere auch für alle in Art. 45 Abs. 2 VwVG - nicht abschliessend - aufgezählten Zwischenverfügungen; vgl. BGE 117 V 187 E. 1a, 116 V 132 E. 1, 110 V 354 E. 1a, 109 V 231 E. 1, 105 V 267 E. 1, 104 V 176 E. 1, 98 V 220 f. mit Hinweisen). Dieses Erfordernis liegt mit Bezug auf das Verfahren der Beschwerde in Sozialversicherungssachen indessen nicht erst dann vor, wenn sich die nachteiligen Folgen des Zwischenentscheides selbst durch ein für den Beschwerdeführer günstig ausfallendes Endurteil nicht mehr abwenden liessen. Vielmehr genügt bereits ein als schutzwürdig erachtetes Interesse, wobei die Rechtsprechung für dessen Beurteilung nicht nur ein einziges Kriterium gelten lässt (vgl. insbesondere BGE 126 V 247 E. 2c, 124 V E. 4, 121 V 116). Für die Begründung eines im Sinne von Art. 45 Abs. 1 VwVG irreparablen Nachteils genügt bereits ein tatsächliches, insbesondere auch wirtschaftliches Interesse (vgl. BGE 126 V 246 E. 2a, 125 II 620 E. 2a). Nach der Rechtsprechung liegt ein derartiger Nachteil insbesondere dann vor, wenn die plötzliche Einstellung finanzieller Unterstützung eine Person aus dem wirtschaftlichen Gleichgewicht bringen und zu kostspieligen oder sonstigen unzumutbaren Massnahmen zwingen würde (vgl. BGE 110 V 44 E. 4a, 109 V 233 E. 2b).


c) Vorliegend geht es um die Neufestsetzung der Ergänzungsleistung. Mit Verfügung vom 1. September 2004 sind die EL von CHF 4'304.-- auf CHF 2'576.-- reduziert worden. Es geht damit im Hauptverfahren um die Kürzung von Leistungen, die zuvor in einem ungekürzten Ausmass ausgerichtet worden sind. Auch wenn die Rechtsprechung den nicht wieder gutzumachenden Nachteil bei Sistierungsverfügungen in der Regel verneint hat (vgl. SVR 1996 IV Nr. 93, 1997 ALV Nr. 84; BGE 97 V 248; ZAK 1973 S. 513; Kieser, a.a.O., Art. 56 Rz. 9), ist im vorliegenden Fall indessen zu beachten, dass es in den dazu veröffentlichen Fällen des EVG gerade nicht um den Entzug von bereits ausgerichteten Leistungen gegangen ist. In der hier zu beurteilenden Konstellation wurden die dem Versicherten ehemals zugesprochenen Ergänzungsleistungen um rund 40% und damit in einem massgebenden Umfang gekürzt, weshalb der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu bejahen gewesen wäre und demzufolge auf die Beschwerde hätte eingetreten werden können.


5.a) Die Sistierung ist rechtmässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist, insbesondere wenn dem Ausgang des Verfahrens für den Entscheid im eingestellten Prozess eine wesentliche präjudizielle Bedeutung zukommt (vgl. BGE 122 II 217 mit Hinweisen, Alfred Kölz, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1978, S. 146 N 27 ff.; Lorenz Meyer, Das Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, Diss. Bern 1985, S. 73).


b) Vorliegend sind die Ergänzungsleistungen nach einer Übergangsfrist reduziert worden, weil die Ehefrau des Versicherten sich nicht angemessen um eine Erwerbstätigkeit bemüht habe. Eine zusätzliche Frage ist, ob dem Versicherten weiterhin eine ganze IV-Rente ausgerichtet werden kann, was auch wieder Auswirkungen auf die Höhe der Ergänzungsleistungen haben kann. Im vorliegenden Hauptverfahren steht indes einzig die Frage zur Diskussion, ob nach entsprechender Androhung und mit der Ausgangslage bezüglich Familiennachzug, wie sie die Kasse in ihrer Vernehmlassung erwähnt hat, der Ehefrau ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden kann, woraus die entsprechende Reduktion der Ergänzungsleistungen resultieren würde. Diese Frage kann nun aber beantwortet werden, ohne dass das IV-Rentenrevisionsverfahren rechtskräftig abgeschlossen oder überhaupt entschieden sein muss. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus zuzugestehen, dass die Sorge der Verwaltung bezüglich der Uneinbringlichkeit von EL-Leistungen unberechtigt ist. Insofern die Kasse mittels angefochtener Verfügung das Einspracheverfahren bis zum Vorliegen des Revisionsentscheids bezüglich IV-Rentenanspruchs sistieren wollte, ist ihr entgegen zu halten, dass gemäss Art. 88 bis Abs. 2 lit. a der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) vom 17. Januar 1961 eine Herabsetzung oder Aufhebung von IV-Renten frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an erfolgt. Entsprechend sieht die revisionsweise erlassene IV-Verfügung vom 18. November 2004 auch vor, dass die reduzierte IV-Rente erst per 1. Januar 2005 ihre Wirkung entfaltet. Richtet sich die Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Ergänzungsleistungen unter anderem nach der Höhe der ihm zugesprochenen IV-Rente ist damit zugleich gesagt, dass eine Reduktion der Ergänzungsleistung ebenfalls frühestens mit Wirkung per 1. Januar 2005 hätte verfügt werden können. Dem Beschwerdeführer ist daher zuzustimmen, dass der Kasse genügend Zeit verblieben wäre, zwischen dem Erlass der revisionsweise erlassenen IV-Verfügung am 18. November 2004 bis zu deren Wirkung ab 1. Januar 2005 auch den Anspruch auf Ergänzungsleistungen anzupassen.


Auch wenn bei entsprechendem Verlauf der IV-Rentenrevision eine weitere Anpassung der Ergänzungsleistungshöhe unumgänglich werden könnte, erscheint es daher als unzulässig, den Einsprache-Entscheid betreffend die Anpassung infolge Anrechnung eines hypothetischen Einkommens der Ehefrau zu verzögern und diese Anpassung mit einer Sistierung zu verhindern. Die Sistierung wäre im Gegenteil für die Beantwortung hierzu nicht notwendig gewesen, weshalb die Beschwerde nach dem mutmasslichen Prozessausgang hätte gutgeheissen werden müssen und der Beschwerdeführer obsiegt hätte. (…)


KGE SV vom 12. Januar 2005 i.S. H. (745 04 218)



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