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Ergänzungsleistungen / Anspruchsablehnung und Rückforderung


Der Aufenthalt in einem Untersuchungsgefängnis kann nicht als Heimaufenthalt im Sinne des ELG bezeichnet werden; bei der Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen müssen daher die während der Untersuchungshaft entstandenen Mietkosten für eine private Mietwohnung berücksichtigt werden (Art. 2a - 2d ELG, Art. 3a - 3b ELG, Art. 5 ELG, Art. 12 ELV; E. 4.)


Es rechtfertigt sich, der konkreten Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen die Heimtaxe zugrunde zu legen, weil es Sinn und Zweck des ELG widersprechen würde, wenn durch Ergänzungsleistungen ein nicht den konkreten Lebensbedürfnissen entsprechender Bedarf gedeckt würde. Bei einem Einnahmeüberschuss besteht kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 112 Abs. 2 lit. b i.V.m. 196 Ziff. 10 BV, § 4 der kantonalen Verordnung zum Ergänzungsleistungsgesetz zur AHV und IV; E.5.)



Sachverhalt

Der 1962 geborene X. erhält seit dem 1. Juli 1997 eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Seit 1. Juli 1998 wurden ihm zudem - mit Unterbrüchen - Ergänzungsleistungen durch die Ausgleichskasse ausgerichtet. Letztmals wurde ihm mit Verfügung vom 19. Juni 2003 mit Wirkung ab 1. Juni 2003 ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 1'242.-- pro Monat zugesprochen.


Am 4. März 2004 sistierte die IV-Stelle den Rentenanspruch rückwirkend ab 1. August 2003. Zur Begründung wurde festgehalten, dass X. in der Zeit vom 30. Juni 2003 bis 10. Februar 2004 in Untersuchungshaft gewesen sei und sich ab 11. Februar 2004 im vorzeitigen Massnahmevollzug befinde. Am 16. April 2004 verfügte die IV-Stelle die Aufhebung der Sistierung der Rente ab 1. August 2003, da der Massnahmevollzug überwiegend durch die Invalidität bedingt sei.


Die Ausgleichskasse erliess am 31. März 2004 eine Verfügung, mit welcher sie X. aufforderte, die in der Zeit vom 1. August 2003 bis 29. Februar 2004 zu Unrecht bezogenen Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 8'732.-- zurückzubezahlen. Dieser Entscheid wurde mit Verfügung vom 28. April 2004 annulliert und aufgehoben und der Rückforderungsanspruch auf Fr. 9'974.-- erhöht, da die Neuberechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs einen Einnahmeüberschuss in der Höhe von Fr. 4'511.-- per 1. Juli 2003 ergeben habe. Gleichentags lehnte die Ausgleichskasse den Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. Juli 2003 ab. Die gegen diese Verfügungen erhobene Einsprache wurde am 1. April 2005 abgewiesen.


Hiergegen erhob X. Beschwerde beim Kantonsgericht, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids (Rückforderung und Abweisung).


Die Ausgleichskasse liess sich am 8. August 2005 zur Beschwerde vernehmen und beantragte deren Abweisung.



Erwägungen

1.-3. (...)


4. Strittig ist, ob die Ausgleichskasse berechtigt war, den Anspruch des Beschwerdeführers auf Ergänzungsleistungen ab 1. Juli 2003 rückwirkend abzulehnen und die ab diesem Zeitpunkt bereits ausgerichteten Leistungen zurückzufordern.


4.1 Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben Schweizer Bürger und Bürgerinnen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie eine der Voraussetzungen nach den Art. 2a - 2d ELG erfüllen und die gesetzlich anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) die anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG) übersteigen (Art. 2 Abs. 1 ELG). Ausländern mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz ist wie Schweizer Bürgern ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen einzuräumen, wenn sie sich u.a. unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von welchem an die Ergänzungsleistung verlangt wird, ununterbrochen zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und Anspruch auf eine Rente, eine Hilflosenentschädigung oder ein Taggeld der Invalidenversicherung haben (Art. 2 Abs. 2 lit. a ELG). Dabei entspricht die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 3a Abs. 1 ELG). Bei Personen, die nicht dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital leben (zu Hause wohnende Personen), gehören zu den anrechenbaren Ausgaben namentlich der Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten (Art. 3b Abs. 1 lit. b ELG), und zwar bis zu einem Höchstbetrag von Fr. 12'000.- bei Alleinstehenden (Art. 5 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG). Bei Personen, die dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital leben (in Heimen wohnende Personen), sind als Ausgaben namentlich die Tagestaxe sowie der Betrag für persönliche Auslagen zu berücksichtigen (Art. 3b Abs. 2 ELG).


4.2 Für die Berechnung der Ergänzungsleistungen ist zwischen Heimbewohnern und -bewohnerinnen einerseits und zu Hause lebenden Leistungsansprechern- und -ansprecherinnen andererseits zu unterscheiden. Bei Ersteren sind die Wohnkosten in der Tagestaxe des Heimes eingeschlossen; bei Letzteren sind die Wohnkosten zum erforderlichen Lebensbedarf hinzuzuzählen. Gemäss Rechtsprechung des EVG setzt ein Heimaufenthalt im Sinne des ELG voraus, dass Heimbedürftigkeit besteht und dass die fragliche Institution insbesondere unter organisatorischen, infrastrukturellen und personellen Gesichtspunkten Gewähr dafür bietet, die Heimbedürftigkeit in adäquater Weise befriedigen zu können. Nicht entscheidend ist die Anzahl der betreuten Personen. Unter diesen Voraussetzungen können auch heimähnliche Institutionen, wie Pflegefamilien, heilpädagogische Grossfamilien und Invaliden-Wohngemeinschaften den Heimbegriff gemäss ELG erfüllen, und zwar (aufgrund des bundesrechtlichen Charakters dieser ELG-rechtlichen Regelung für Heimbewohner) auch dann, wenn sie den Heimbegriff nach kantonalem Heim- bzw. Fürsorgerecht nicht erfüllen und daher keine kantonale oder kommunale Bewilligung zur Pflege und Betreuung von Drittpersonen besitzen (vgl. BGE 118 V 147 E. 2b). Diese noch unter altem Recht ergangene Rechtsprechung ist auch im Rahmen des seit dem 1. Januar 1998 geltenden ELG anwendbar. Die Berechnung für Heimbewohner setzt ferner voraus, dass es sich um einen längeren oder dauernden Aufenthalt handelt (vgl. zum Ganzen: Urteil des EVG vom 11. Juli 2001, P 48/99, E. 3a; Art. 1a aELV bzw. Art. 3b Abs. 2 ELG).


4.3 Der Beschwerdeführer befand sich in der Zeit vom 30. Juni 2003 bis 10. Februar 2004 in Untersuchungshaft im Untersuchungsgefängnis in A. Ein Untersuchungsgefängnis bietet weder unter organisatorischen noch unter infrastrukturellen noch unter personellen Gesichtspunkten Gewähr dafür, dass während der Untersuchungshaft einer allfälligen Heimbedürftigkeit der betroffenen Person in adäquater Weise entsprochen werden kann. Ein Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis kann daher nicht einem Aufenthalt in einem Heim oder einer heimähnlichen Institution - wie vorstehend ausgeführt - entsprechen. Zudem spricht die Tatsache, dass es sich bei der Untersuchungshaft in der Regel nicht um einen längeren oder dauernden Aufenthalt handelt, gegen die Annahme, dass ein Heimaufenthalt vorliegt (vgl. Art. 3b Abs. 2 ELG). Damit steht aber fest, dass die Wohnkosten des Beschwerdeführers unter dem Titel der Mietkosten im Sinne von Art. 3b Abs. 1 lit. b ELG bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen zu berücksichtigen sind. Der Umfang der zu berücksichtigenden Mietkosten liegt jedoch bei Fr. 500.--. Dieser Mietzins geht aus dem ursprünglich eingereichten Mietvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Stiefvater hervor und erscheint aufgrund der tatsächlichen Wohnverhältnisse als angemessen (ein Zimmer im elterlichen Wohnhaus, mit eigenem Eingang und Badezimmer, aber ohne Kochgelegenheit). Zudem entspricht er auch der Basis des Eigenmietwertes der elterlichen Liegenschaft (vgl. Art. 12 ELV). Bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen sind demnach für die Zeit, während welcher der Beschwerdeführer sich im Untersuchungsgefängnis aufgehalten hat, Mietkosten in der Höhe von Fr. 500.-- pro Monat bzw. Fr. 6'000.-- pro Jahr zu berücksichtigen.


5. Nachdem feststeht, dass für die Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs ab 1. Juli 2004 der Mietzins zu berücksichtigen ist, müssen nachfolgend die weiteren Ausgaben einer konkreten Überprüfung unterzogen werden.


5.1 Unbestritten steht fest, dass auf der Ausgabenseite die kantonalen Krankenkassen-Durchschnittsprämien in der Höhe von Fr. 3'276.-- und die Beiträge an die AHV/IV/EO für Nichterwerbstätige in der Höhe von Fr. 438.-- zu berücksichtigen sind.


5.2 Zu prüfen ist aber, ob in Bezug auf die täglichen Ausgaben nicht dennoch auf die Heimtaxe abzustellen ist, wie dies das BSV in seinem Schreiben vom 4. Februar 2005 vorgeschlagen hat. Dieses Vorgehen erscheint auf den ersten Blick problematisch, nachdem das Kantonsgericht den Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis nicht als Heimaufenthalt betrachtet. Ergänzungsleistungen werden jedoch ausgerichtet, um Bezügerinnen und Bezügern von Renten der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung das Existenzminimum zu gewährleisten, ohne dass die Versicherten Sozialhilfe beziehen müssen (vgl. Art. 112 Abs. 2 lit. b in Verbindung mit Art. 196 Ziff. 10 BV). Mit den Leistungen gemäss ELG sollen somit der gegenwärtige Grundbedarf und die laufenden Lebensbedürfnisse gedeckt werden (vgl. BGE 130 V 185 ff. E. 4.3.3; BGE 127 V 369 E. 5a; BGE 122 V 24 E. 5a mit Hinweisen). Ein nicht den konkreten Lebensbedürfnissen entsprechender Bedarf kann daher nicht mit Hilfe von Ergänzungsleistungen gedeckt werden, weil dies dem Gesetzeszweck widersprechen würde.


5.3 Unter Berücksichtigung dieses Grundgedankens der Ergänzungsleistungen wird klar, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die für Heimbewohner zu berücksichtigenden persönlichen Auslagen in der Höhe von Fr. 360.-- pro Monat bzw. Fr. 4'320.-- pro Jahr auf der Ausgabenseite anerkannt werden können (vgl. § 4 der kantonalen Verordnung zum Ergänzungsleistungsgesetz zur AHV und IV vom 2. März 1999). Der Beschwerdeführer befand sich ab dem 30. Juni 2003 in Untersuchungshaft. Am 11. Februar 2004 ging er direkt aus der Untersuchungshaft in den vorzeitigen Massnahmevollzug nach Le Landeron. Für die Zeit, in welcher er sich im Untersuchungsgefängnis aufhielt, hatte er neben seinen persönlichen Auslagen keine weitergehenden Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung, welche bei der Berechnung des Anspruchs auf EL zu berücksichtigen wären. Dies bedeutet jedoch, dass auf der Ausgabenseite nicht der für den allgemeinen Lebensbedarf Alleinstehender im Sinne von Art. 3b Abs. 1 lit. a Ziff. 1 ELG geltende Betrag in der Höhe von mindestens Fr. 14'690.-- pro Jahr anzuerkennen ist. Vielmehr muss der vorstehend bereits erwähnte Betrag in der Höhe von Fr. 4'320.-- für persönliche Auslagen im Sinne von Art. 3b Abs. 2 lit. b ELG in Verbindung mit § 4 der kantonalen Verordnung zum Ergänzungsleistungsgesetz zur AHV und IV bei der Berechnung miteinbezogen werden.


5.4 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass bei der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs des Beschwerdeführers auf der Ausgabenseite die Miete im Umfang von Fr. 6'000.--, die kantonalen Krankenkassen-Durchschnittsprämien in der Höhe von Fr. 3'276.--, die Beiträge an die AHV/IV/EO für Nichterwerbstätige in der Höhe von Fr. 438.-- und der Betrag in der Höhe von Fr. 4'320.-- für persönliche Auslagen, gesamthaft Fr. 14'096.-- zu berücksichtigen sind.


5.5 Diesem Betrag stehen Einnahmen in Form einer IV-Rente von Fr. 14'112.-- gegenüber, womit ein Einnahmeüberschuss in der Höhe von Fr. 24.-- resultiert. Damit ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf Ergänzungsleistungen ab 1. Juli 2003 aber zu verneinen und die Verfügung der Vorinstanz vom 5. Juli 2004 ist rechtens. Dies führt auch zur Bestätigung der Rückforderungsverfügung vom 5. Juli 2004, denn nach Art. 25 Abs. 1 ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen - was vorliegend der Fall ist - zurückzuerstatten (Satz 1). Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.


6. (...)


7. (Kosten)


KGE SV vom 28. Oktober 2005 i.S. B. (745 05 198)



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