5 Krankenversicherung

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Geschlechtsumwandlung


Bei echtem Transsexualismus ist die operative Geschlechtsumwandlung grundsätzlich Pflichtleistung der Krankenkassen (Art. 25 KVG; E. 2 und 3).


Vorausgesetzt ist, dass nach Durchführung eingehender psychiatrischer und endokrinologischer Untersuchungen und nach mindestens zweijähriger Beobachtung vom 25. Altersjahr hinweg die Diagnose gesichert ist und der Eingriff im konkreten Fall die einzige Behandlungsmethode darstellt, mit welcher der psychische Zustand der versicherten Person bedeutend verbessert werden kann (E. 3).


Die von der Rechtsprechung verlangte zweijährige Beobachtungsphase soll gewährleisten, dass - angesichts der Schwere des Eingriffs - eine Geschlechtsumwandlungsoperation nur vorgenommen wird, wenn die diesbezügliche Indikation mit möglichst hoher Zuverlässigkeit feststeht (E. 4 und 6).



Sachverhalt

X ersuchte die Krankenversicherung um Kostenübernahme für eine operative Geschlechtsumwandlung (von Mann zu Frau) sowie für die damit verbundene Psychotherapie und Hormonbehandlung. Die Krankenversicherung lehnte die Kostenübernahme einer operativen Geschlechtsumwandlung und Hormontherapie mangels Vorliegen einer psychisch stabilen Situation ab. Sie wies darauf hin, dass eine Leistungspflicht nur bestehe, wenn nach Durchführung eingehender psychiatrischer und endokrinologischer Untersuchungen und nach mindestens zweijähriger Beobachtung die Diagnose (Transsexualismus) gesichert sei und der Eingriff im konkreten Fall die einzige Behandlungsmethode darstelle, mit welcher der psychische Zustand der versicherten Person eindeutig verbessert werden könne. Dagegen brachte X vor, dass genau die psychisch instabile Situation der Grund für ihre Probleme sei und nur die beantragten Behandlungen zu einer Heilung beitragen könnten. Sie lebe längst als Frau und werde von der Umwelt als Frau wahrgenommen, weshalb die verlangten zwei Jahre längstens verstrichen seien.



Erwägungen

1. (…)


2.a) Gemäss Art. 25 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und deren Folgen dienen. Nach Art. 3 Abs. 1 ATSG gilt als Krankheit jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit, welche nicht Folge eines Unfalls ist, und welche eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Indem Art. 3 Abs. 1 ATSG den Begriff der Krankheit durch die dadurch ausgelösten Folgen umschreibt, zieht er objektivierende Elemente heran. Das Vorliegen einer Krankheit beurteilt sich somit nach objektiven Kriterien und nicht nach den subjektiven Wertungen des Patienten (vgl. Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Koller/Müller/Rhinow/Zimmerli, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, Basel/Genf/München 1998, S. 40 f. N 77 f.). Zugleich wird mit der in Art. 3 Abs. 1 ATSG gewählten Definition erkennbar, dass die Ursache der Beeinträchtigung nicht von Bedeutung ist. Die Beeinträchtigung allein reicht indes noch nicht aus, um eine Krankheit im juristischen Sinne anzunehmen; erst wenn durch den Hinzutritt der in Art. 3 Abs.1 ATSG genannten Kriterien der Krankheitswert erreicht ist, liegt eine Krankheit im Rechtssinne vor (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, S. 47 ff.).


b) Die in den Art. 25 - 31 KVG umschriebenen Leistungen gehen gemäss Art. 24 KVG zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, wenn die in den Art. 32 - 34 KVG festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Art. 32 Abs. 1 KVG müssen die Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein (vgl. Eugster, Krankenversicherung, a.a.O., Rz 184 ff.). Die Versicherer dürfen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine anderen Kosten als diejenigen für die Leistungen nach den Art. 25 bis 33 KVG übernehmen (Art. 34 Abs. 1 KVG).


Eine medizinische Leistung ist wirksam, wenn sie objektiv geeignet ist, auf den angestrebten diagnostischen, therapeutischen oder pflegerischen Nutzen hinzuwirken. Wirksamkeit bezeichnet die kausale Verknüpfung von Ursache (medizinische Massnahme) und Wirkung (medizinischer Erfolg). Sie meint die einfache Tatsache der Eignung zur Zielerreichung und stellt insofern einen Teilgehalt der Zweckmässigkeit dar, welche voraussetzt, dass die Massnahme geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen (vgl. statt vieler: Urteil B. des EVG vom 24. Juni 2004 [K 142/03] E.1.2). Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit schliesslich verlangt einen Kostenvergleich der möglichen Behandlungsalternativen mit ungefähr gleichem medizinischem Nutzen. Wenn mit einer Behandlungsvariante das Therapieziel erheblich kostengünstiger erreicht werden kann, besteht kein Anspruch auf Übernahme der teureren Behandlung.


3. Das EVG hat bei echtem Transsexualismus die operative Geschlechtsumwandlung grundsätzlich als Pflichtleistung der Krankenkassen bezeichnet, wenn nach Durchführung eingehender psychiatrischer und endokrinologischer Untersuchungen und nach mindestens zweijähriger Beobachtung vom 25. Altersjahr hinweg die Diagnose gesichert ist und der Eingriff im konkreten Fall die einzige Behandlungsmethode darstellt, mit welcher der psychische Zustand der versicherten Person bedeutend verbessert werden kann (BGE 114 V 162 E. 4 mit weiteren Hinweisen).


4.a) Bevor die Diagnose eines echten Transsexualismus gestellt werden kann, ist nach der Rechtsprechung somit eine zweijährige Beobachtungsphase durchzuführen. Diese Diagnose bildet eine notwendige Bedingung der Übernahme der Kosten des chirurgischen Eingriffs (Geschlechtsumwandlungsoperation) durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (Urteil B. des EVG vom 24. Juni 2004 [K 142/03] E. 2.1 mit weiteren Hinweisen).


b) Die von der Rechtsprechung verlangte zweijährige Beobachtungsphase soll gewährleisten, dass - angesichts der Schwere des zur Diskussion stehenden Eingriffs - eine Geschlechtsumwandlungsoperation nur vorgenommen wird, wenn die diesbezügliche Indikation mit möglichst hoher Zuverlässigkeit feststeht. Zu diesem Zweck ist umfassend abzuklären, ob tatsächlich ein schwerer Fall von echtem Transsexualismus vorliegt, der mit Psychotherapie und Hormontherapie allein nicht angegangen werden kann (BGE 114 V 159 E. 4a, 114 V 167 E. 4) und deshalb die Vornahme des chirurgischen Eingriffs erfordert. Während der Beobachtungsphase beginnt die versicherte Person im Rahmen eines Alltagstests zunehmend in allen Lebensbereichen in der angestrebten Geschlechtsrolle zu leben. Dieser Test wird begleitet von medizinischen Massnahmen und Untersuchungen insbesondere psychiatrisch-psycho-therapeutischer und endokrinologischer Art. Die beteiligten Spezialärztinnen und Spezialärzte sind gehalten, einander gegenseitig über ihre Aktivitäten zu orientieren und offene Fragen auszudiskutieren, um eine interdisziplinär abgestimmte Prognose zu gewährleisten (nicht veröffentlichtes Urteil Z. vom 12. Juni 1995 [K 40/95]). Die Beobachtungsphase dient also in erster Linie dem Zweck, das Vorliegen eines echten Transsexualismus und die Notwendigkeit des chirurgischen Eingriffs mit hinreichender Zuverlässigkeit zu bestätigen oder auszuschliessen, und hat somit primär diagnostischen Charakter. Haben der Alltagstest und die erforderlichen medizinischen Untersuchungen stattgefunden und werden gestützt darauf, nach Ablauf der mindestens zweijährigen Beobachtungsphase, die Diagnose eines echten Transsexualismus und die Indikation einer Geschlechtsumwandlungsoperation bestätigt, ist anschliessend im Rahmen eines gesamtheitlichen therapeutischen Programms zu entscheiden, welche Behandlungsmassnahmen (mit Einschluss derjenigen zur Veränderung der sekundären Geschlechtsmerkmale) in welcher Reihenfolge vorzunehmen und wie sie auf einander abzustimmen sind (vgl. Urteil B. des EVG vom 24. Juni 2004 [K 142/03] E. 2.2., BGE 120 V 469 ff. E. 5 und 6).


c) Die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit medizinischer Massnahmen sind mit Blick auf das angestrebte Ziel zu beurteilen. Da die zweijährige Beobachtungsphase in erster Linie eine hinreichend zuverlässige Diagnosestellung ermöglichen soll, sind während dieses Zeitraums grundsätzlich nur Massnahmen zweckmässig, welche die diagnostische Zielsetzung befördern. Dieser Anforderung werden einerseits diejenigen Vorkehren gerecht, welche der Begleitung des Patienten oder der Patientin und der laufenden Beurteilung seines oder ihres Zustandes dienen. Zudem können auch Massnahmen angezeigt sein, welche geeignet und notwendig sind, um die effektive Durchführung des Alltagstests zu ermöglichen, indem sie der versicherten Person erleichtern, in der angestrebten Geschlechtsrolle aufzutreten. Demgegenüber sind eigentliche Behandlungsmassnahmen in Richtung einer Geschlechtsumwandlung mit eigener therapeutischer Zielsetzung innerhalb dieses Krankheitsbildes während der Beobachtungsphase - soweit nicht eine Akutsituation vorliegt - nur insoweit indiziert, als sie keine irreversiblen Folgen zeitigen und dem Zweck dienen, abzuklären, ob die eigentliche Geschlechtsumwandlung durchgeführt werden muss oder eine erhebliche Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes der versicherten Person auch durch andere, weniger schwerwiegende Massnahmen erreicht werden kann (vgl. Urteil B. des EVG vom 24. Juni 2004 [K 142/03] E. 2.3.).


5. Im Folgenden ist zu prüfen, ob bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen im Sinne der vorstehenden Ausführungen - insbesondere die zweijährige Beobachtungsphase im Zusammenhang mit der gesicherten Diagnosestellung "Transsexualismus" - erfüllt sind.


a) Die Versicherung bringt diesbezüglich insbesondere vor, die von der Rechtsprechung zwingend geforderten Voraussetzungen seien klar nicht erfüllt und verweist dazu auf die vertrauensärztliche Stellungnahme vom 13. September 2004. Die Kostenübernahme einer operativen Geschlechtsumwandlung und der Hormontherapie wurden mangels Vorliegen einer psychisch stabilen Situation denn auch abgelehnt.


b) Dagegen führt die Beschwerdeführerin an, dass genau die psychisch instabile Situation der Grund für ihre Probleme sei und nur die beantragten Behandlungen zu einer Heilung beitragen könnten. Der Nachweis einer Therapie bzw. der Beweis des echten Transsexualismus habe nicht erbracht werden können, weil ihr eine eingehende psychiatrische und endokrinologische Abklärung verweigert worden sei. Sie lebe längst als Frau und werde von der Umwelt auch als Frau wahrgenommen, weshalb sie die von der Rechtsprechung verlangte zweijährige Beobachtungsphase längstens bestanden habe.


c) Im Zusammenhang mit dem Nachweis der Diagnose "Transsexualismus" bzw. der von der Rechtsprechung dafür verlangten zweijährigen Beobachtungsphase liegen dem Gericht die folgenden Berichte vor:


c/aa) (…)


c/bb) (…)


c/cc) (…)


6.a) Die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet der Zeitpunkt des Einspracheentscheides (vgl. BGE 129 V 4 E. 1.2) und somit der 29. Oktober 2004. Auch wenn der Beschwerdeführerin durchaus Verständnis entgegengebracht wird, sind die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht aufgestellten Richtlinien zu berücksichtigen. Demnach wird der schwere Eingriff der Geschlechtsumwandlung nur vorgenommen, wenn die Diagnose erstellt ist. Diesbezüglich ergibt sich aus den Akten einzig, dass ein Verdacht auf das Vorliegen eines echten Transsexualismus vorliegt und die Diagnose sehr wahrscheinlich sei. Zumindest aufgrund der Akten ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin einer fundierten psychiatrischen Evaluation, welche unabdingbare Grundlage für eine gesicherte Diagnosestellung sowie eine ebenso notwendige Stabilisierung der Persönlichkeitssituation bilde, aus verschiedenen Gründen mehrmals entzogen hat, so dass sich nicht sagen lässt, es sei vorliegend konsequent eine Beobachtung bzw. adäquate Therapie während der - von der Rechtsprechung - geforderten zwei Jahre durchgeführt worden. Solange sich die Beschwerdeführerin jedoch fundierten und regelmässigen psychiatrischen Untersuchungen und Behandlungen entzieht und nach kurzer Behandlungsphase immer wieder neue Psychotherapeuten aufsucht, ist die Grundvoraussetzung der gesicherten Diagnosestellung nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit möglich, zumal verlangt wird, dass die Untersuchungen in einem gesamtheitlichen therapeutischen Rahmen stattzufinden haben und der häufige Wechsel der Therapeuten eine gesicherte Diagnose vorliegendenfalls geradezu verhindert hat (vgl. dazu BGE 120 V 469). Der Versicherung ist deshalb dahingehend zuzustimmen, dass sie sich mangels einer gesicherten Diagnosestellung nicht über ihre Leistungspflicht für allfällige weitere Behandlungen im Zusammenhang mit dem Wunsch einer gegengeschlechtlichen Umwandlung auseinandersetzen konnte. Daran vermag auch der Einwand der Beschwerdeführerin - sie lebe längst als Frau und werde von ihrer Umwelt auch als solche wahrgenommen - nichts zu ändern.


Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Diagnosestellung "Transsexualismus" erarbeiteten Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Einspracheentscheides nicht gegeben waren, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt abzuweisen ist.


b) Werden dagegen nach Abschluss der Beobachtungsphase und der erforderlichen Untersuchungen die Diagnose eines echten Transsexualismus und die Indikation einer Geschlechtsumwandlungsoperation bestätigt, sind praxisgemäss (BGE 120 V 471f. E. 6) auch die ergänzenden Massnahmen zur Anpassung der sekundären Geschlechtsmerkmale durch den obligatorischen Krankenpflegeversicherer zu übernehmen, sofern sie Teil eines gestützt auf sämtliche gewonnenen Erkenntnisse erstellten Behandlungsplans bilden und innerhalb dieses Plans als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich gelten können. In diesem Zusammenhang kommt - im Sinne der Rechtsprechung zum Behandlungskomplex (RKUV 1998 Nr. K 991 S. 305 f. E. 3) - prinzipiell auch die Übernahme der Kosten von Massnahmen in Frage, welche für sich allein genommen keine Pflichtleistung darstellen. Ob der obligatorische Krankenpflegeversicherer die Kosten einer diesen Kriterien entsprechenden Hormonbehandlung zu tragen hätte, kann vorliegend jedoch offen bleiben.


7. (…)


KGE SV vom 20. April 2005 i.S. H. (730 04 269).





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