9 Prämienverbilligung

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Legitimation zur Einspracheerhebung von Sozialhilfebehörden im Verfahren betreffend Prämienverbilligung


Die Sozialhilfebehörde ist die mit den Angelegenheiten einer von ihr unterstützten Person befasste Gemeindebehörde. Sie ist zu allen Rechtshandlungen im Zusammenhang mit der Geltendmachung oder Rückforderung von Prämienverbilligungsleistungen ermächtigt (E. 2b).


§ 15 EG KVG i.V. m. §§ 4 und 19 Prämienverbilligungsverordnung gehen der Bestimmung von § 71 Gemeindegesetz vor (E. 2c).


Sozialhilfebehörden sind im Verfahren betreffend Prämienverbilligung bzw. Rückerstattungen von Prämienverbilligungen an Stelle des Gemeinderates zur Einsprache legitimiert, auch wenn die Rückerstattungsverfügung an die Gemeinde gerichtet ist (E. 3).



Sachverhalt

Mit Verfügung vom 20. August 2004 eröffnete die Ausgleichskasse Basel-Landschaft der Sozialhilfebehörde der Stadt Liestal (Sozialhilfebehörde), dass zufolge abgesprochener Ergänzungsleistungen die für A. T. zu Unrecht ausbezahlten Prämienverbilligungsbeiträge für die Bezugsjahre 2000 - 2002 zurückerstattet werden müssten. Gegen diese Verfügung erhob die Sozialhilfebehörde mit Schreiben vom 3. September 2004 Einsprache mit dem Antrag, die Rückforderungsverfügung vom 20. August 2004 sei aufzuheben bzw. die Rückforderungsbeiträge seien bei A. T. direkt einzufordern. Mit Einspracheentscheid vom 7. Oktober 2004 trat die Ausgleichskasse auf die Einsprache nicht ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, gemäss § 40 des Gemeindegesetzes falle die allgemeine Wohlfahrt, zu welcher das Fürsorgewesen zähle, in den Aufgabenkreis der Einwohnergemeinde. Aufgrund der Gemeindeorganisation sei der Gemeinderat die verwaltende und vollziehende Behörde der Einwohnergemeinde. Gemäss § 71 Gemeindegesetz sei der Gemeinderat (und nur dieser) für die Führung von Prozessen und für die Erhebung von Rechtsmitteln zuständig. Der Sozialhilfebehörde komme somit keine Aktivlegitimation im Prozess zu.



Erwägungen

1. (….)


2. Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Einsprache der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist, weil die Einsprache nicht vom Gemeinderat bzw. vom


Stadtrat, sondern von der Sozialhilfebehörde erhoben wurde.


a) Mit Entscheid vom 30. November 2000 hat das Versicherungsgerichtspräsidium des Kantons Basel-Landschaft in einem ebenfalls die Prämienverbilligung betreffenden Fall der Fürsorgebehörde die Aktivlegitimation zur Einspracheerhebung abgesprochen. Dies insbesondere mit Verweis auf § 71 GemG, wonach der Gemeinderat für die Führung von Prozessen und für die Erhebung von Rechtsmitteln zuständig ist. In diesem Wortlaut ist § 71 des Gemeindegesetzes seit 1. Januar 1996 in Kraft.


Seit dem erwähnten Entscheid vom 30. November 2000 sind sowohl im Bereich der Sozialhilfe als auch im Bereich der Prämienverbilligung verschiedene gesetzliche Neuerungen in Kraft getreten. Per 1. Januar 2002 ist das Sozialhilfegesetz in Kraft getreten. Gemäss § 37 Abs. 1 dieses Gesetzes bestellen die Gemeinden eine besondere Behörde für den Vollzug der Gemeindeaufgaben des Sozialhilfegesetzes (kurz: Sozialhilfebehörden). Des Weiteren ist per 1. Januar 2003 der neue § 11a ins EG KVG aufgenommen worden. Darin wird festgehalten, dass der Anspruch auf Prämienverbilligung auf die zuständige Sozialhilfebehörde übergeht, wenn die Versicherten Unterstützungen gemäss dem Sozialhilfegesetz erhalten. Weiter ist auf § 15 Abs. 1 EG KVG zu verweisen, mit welchem dem Regierungsrat der Auftrag erteilt wird, ein Einspracheverfahren vorzusehen. In der Verordnung über die Prämienverbilligung in der Krankenversicherung (Prämienverbilligungsverordnung; SGS 362.12) vom 12. November 2002 in Kraft seit 1. Januar 2003 wird das Einspracheverfahren geregelt. So hält § 19 dieser Verordnung u.a. fest, dass die Einsprache auch gegen Rückforderungsverfügungen möglich ist (§ 19 Abs. lit. c). Des Weiteren werden in § 4 der Prämienverbilligungsverordnung die Sozialhilfebehörden für berechtigt erklärt, anstelle der von ihnen unterstützten Personen alle Rechtshandlungen für die Geltendmachung der Prämienverbilligung vorzunehmen.


b) Ob § 37 des Sozialhilfegesetzes eine genügende Grundlage für die Annahme einer generellen Prozessfähigkeit der Sozialhilfebehörde in ihrem Wirkungsbereich bietet, kann vorliegend offen gelassen werden. Jedenfalls aber sind es gemäss § 4 der Prämienverbilligungsverordnung ausdrücklich die Sozialhilfebehörden, die nunmehr befugt sind, anstelle der von ihnen unterstützten Personen alle für die Geltendmachung des Prämienverbilligungsanspruch erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen. Damit muss die Sozialhilfebehörde auch ohne weiteres ermächtigt sein, nicht bloss anstelle der unterstützten Personen den Anspruch geltend zu machen, sondern auch gegen Rückforderungsverfügungen Einsprache zu erheben. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das Recht zur Geltendmachung der Prämienverbilligung unterlaufen werden könnte, indem die einmal gewährte Prämienverbilligung zurückgefordert werden könnte, ohne dass die Sozialhilfebehörde sich dagegen wehren könnte.


Im vorliegenden Fall fällt allerdings auf, dass die Sozialhilfebehörde formell nicht anstelle der unterstützten Person, sondern anstelle der Stadt gehandelt hat. Die Formulierung in § 4 der Prämienverbilligungsverordnung ("anstelle der von ihnen unterstützten Personen") ist indes weit zu interpretieren. Die Ausgleichskasse hat vorliegend von der Gemeinde Leistungen zurückverlangt, die für die unterstützte Person ausgerichtet wurden. Die Ausgleichskasse führt denn auch aus, dass es "der Sozialhilfebehörde freigestellt ist, den Rückerstattungsbetrag bei Herrn T. wieder einzufordern, bzw. mit laufenden Sozialhilfeleistungen zu verrechnen … ". Auch dies zeigt, dass es sich im vorliegenden Fall faktisch um eine Rückforderung handelt, die im Zusammenhang mit der Unterstützung einer versicherten Person steht. Dieser Sachzusammenhang gebietet, dass die Sozialhilfebehörde als mit den Angelegenheiten der unterstützten Personen befasste Gemeindebehörde, tatsächlich zu allen Rechtshandlungen im Zusammenhang mit der Geltendmachung oder Rückforderung von Prämienverbilligungsleistungen ermächtigt ist. Eine unterschiedliche Beurteilung der Prozessfähigkeit je nach dem, ob die unterstützte Person oder das Gemeinwesen formell Gläubiger bzw. Schuldner eines Prämienverbilligungsanspruchs bzw. einer Rückerstattungspflicht ist, wäre nicht sachgerecht. Einzig erforderlich ist die Konnexität mit der unterstützten Person.


c) Nach dem Gesagten ergibt sich, dass im Bereich des Vollzugs der Prämienverbilligung die später erlassenen und spezielleren Bestimmungen insbesondere § 15 EG KVG i.V.m. §§ 4 und 19 Prämienverbilligungsverordnung der Regel des Gemeindegesetzes, wonach der Gemeinderat für die Führung von Prozessen und für die Erhebung von Rechtsmitteln zuständig ist, vorgeht. Dies folgt aus den Grundsätzen der Gesetzesauslegung, wonach das spezielle Gesetz (lex specialis) dem allgemeinen Gesetz und das spätere Gesetz (lex posterior) dem früheren vorgeht (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, Zürich 2002, Rz. 179).


Im vorliegenden Fall sind die Bestimmungen des EG KVG und die gestützt darauf erlassenen Bestimmungen in der Prämienverbilligungsverordnung sowohl die spezielleren als auch die späteren Bestimmungen, weshalb auf diese abzustellen ist und die Sozialhilfebehörde demzufolge als zur Einsprache legitimiert zu bezeichnen ist.


3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Einspracheverfahren betreffend Prämienverbilligung (dazu gehören auch die Verfahren betreffend Rückerstattung von Prämienverbilligungen) die Sozialhilfebehörde zur Einspracheerhebung legitimiert ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Rückerstattungsverfügungen handelt, die an die Gemeinde oder die Stadt gerichtet sind, inhaltlich aber Leistungen, welche zu Gunsten einer unterstützten Person ausgerichtet wurden, zurückfordern. Diese Regelung geht der allgemeinen Bestimmung von § 71 Gemeindegesetz vor, wonach nur der Gemeinderat zur Führung von Prozessen und Erhebung von Rechtsmitteln zuständig ist. Demzufolge ist die vorliegende Beschwerde gutzuheissen und die Angelegenheit zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.


4. (…)


KGE SV vom 2.2.2005 i.S. Stadt Liestal (740 04 250)



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