6 Zivilprozessrecht

Unentgeltliche Prozessführung


Eine den Entscheid über das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung aufschiebende Verfügung ist - trotz ihres bloss prozessleitenden Charakters - beschwerdefähig (§ 233 Abs. 6 i.V.m. § 73 Abs. 2 ZPO; E. 1b).


Ein Abtretungsgläubiger im Sinne von Art. 260 SchKG kann die unentgeltliche Prozessführung beanspruchen, falls er bedürftig und der Prozess nicht aussichtslos ist (§ 71 ZPO, Art. 29 Abs. 3 BV ; E. 2a).


Ob ein Prozess genügende Erfolgsaussichten hat, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung. In verfahrensmässiger Hinsicht hat der Richter nach Eingang des Gesuchs die Verhältnisse zu prüfen und ohne Aufschub einen Entscheid zu fällen. Die unentgeltliche Prozessführung würde ihres Sinnes entleert, wenn vor dem Entscheid über das Gesuch andere Prozesshandlungen vorgenommen werden müssten, für welche anwaltliche Hilfe - in Form eines unentgeltlichen Rechtsvertreters - notwendig wäre (§ 71 ZPO, Art. 29 Abs. 3 BV; E. 2c-e).


Die Ausarbeitung der schriftlichen Begründung einer aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsklage übersteigt in der Regel die Fähigkeit juristischer Laien, weshalb dafür anwaltliche Hilfe erforderlich ist (§ 71 ZPO, Art. 29 Abs. 3 BV; E. 2f).


Ist die Aussichtslosigkeit eines Klagbegehrens nicht bereits aus formellen Gründen (wie etwa wegen offensichtlicher Verjährung oder Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts) klar erkennbar, so ist zur Beurteilung der Prozessaussichten zumindest eine summarische Beweisaufnahme unerlässlich (§ 71 ZPO, Art. 29 Abs. 3 BV; E. 2g).


An den Begriff der Aussichtslosigkeit darf kein strenger Massstab angelegt werden. Wo ein Sachverhalt - wenn auch nur rudimentär - erkennen lässt, dass einem Gesuchsteller gewisse Ansprüche zustehen könnten, beziehungsweise solche nicht gerade ausgeschlossen werden, ist die Aussichtslosigkeit zu verneinen. Im Gegensatz zur Bedürftigkeit darf das Glaubhaftmachen der Nichtaussichtslosigkeit nicht im Sinne einer Beweislast der gesuchstellenden Partei überbunden werden. Vielmehr hat der Richter anhand der summarischen Beweisaufnahme im Rahmen einer Einleitungsverhandlung eine vorläufige Einschätzung der Prozessaussichten vorzunehmen. Bestehen Zweifel, so hat der Richter keine Möglichkeit, die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege zu verweigern (§ 71 ZPO, Art. 29 Abs. 3 BV; E. 2h-i).



Sachverhalt

Mit Eingabe vom 30. Juli 2004 erhob M. A. als ehemalige Arbeitnehmerin bei der Restaurant H. R. AG und Abtretungsgläubigerin der Konkursmasse Restaurant H. R. AG beim Bezirksgericht Gelterkinden gegen den ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten der Restaurant H. R. AG, H. F., aktienrechtliche Verantwortlichkeitsklage mit den Begehren, der Beklagte sei zu verurteilen, der Konkursmasse der Fallitin respektive der Klägerin als deren Abtretungsgläubigerin mindestens CHF 22'000.00 zu bezahlen; ferner sei der Klägerin im Anschluss an das Beweisverfahren im Sinne einer Stufenklage Gelegenheit zu geben, die Schadenersatzforderung neu zu beziffern, allenfalls auch zu erhöhen; schliesslich sei der Klägerin die vollständige unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, unter o/e Kostenfolge.


Im Anschluss an die am 21. September 2004 durchgeführte Einleitungsverhandlung nahm die Bezirksgerichtspräsidentin Sissach den Fall in Bedacht und stellte den Erlass einer Verfügung in Aussicht.


Mit Verfügung vom 23. November 2004 setzte die Bezirksgerichtspräsidentin der Klägerin Frist zur Einreichung der Klagbegründung und hielt fest, dass der definitive Entscheid über das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung nach Eingang der Klagbegründung erfolge. Zur Begründung der Verfügung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die zur Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung erforderliche fehlende Aussichtslosigkeit der klägerischen Begehren im vorliegenden Prozessstadium nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden könne, weshalb der Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege noch ausstehend bleiben müsse. Es sei indes davon auszugehen, dass sich die Voraussetzung der mangelnden Aussichtslosigkeit anhand der Klagbegründung werde überprüfen lassen, so dass der definitive Entscheid nach Eingang derselben gefällt werde.


Gegen diese Verfügung erhob der Vertreter der Klägerin mit Eingabe vom 28. November 2004 Beschwerde mit den Begehren, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und der Beschwerdeführerin die vollständige unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.



Erwägungen

1. a) ( … )


b) Vorab umstritten ist die Beschwerdefähigkeit der angefochtenen Verfügung. Der Beschwerdegegner vertritt unter Hinweis auf ein Präjudiz des Obergerichts (heute: Kantonsgericht) aus dem Jahre 1965 (publ. in BJM, S. 105) die Ansicht, dass der verfügte Aufschub des Entscheides über ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung eine rein prozessleitende Verfügung darstelle, so dass deren Beschwerdefähigkeit fraglich sei.


In der Tat hat das Obergericht mit Beschluss vom 12. Januar 1965 die selbständige Beschwerdefähigkeit einer den Entscheid über die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung aufschiebenden Verfügung verneint. Auf diesen Entscheid ist das Kantonsgericht indessen in der Folge zurückgekommen, letztmals mit nicht publiziertem Beschluss vom 27. August 2002. Die dort angeführten Gründe sind auch im vorliegenden Fall beachtlich: Es ist zwar richtig, dass die Vorderrichterin das klägerische Begehren um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung mit der angefochtenen Verfügung formell noch nicht beurteilt hat, im Ergebnis kommt die Anordnung gemäss Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung indes einer einstweiligen Abweisung des Begehrens gleich. Auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass die Bezirksgerichtspräsidentin nach Eingang der Klagbegründung die unentgeltliche Prozessführung bewilligt und damit nachträglich Kostengarantie auch für den zur Klagausarbeitung erforderlichen Bemühungsaufwand anordnet, darf dennoch nicht übersehen werden, dass der Rechtsvertreter der Klägerin bei der durch die angefochtene Verfügung geschaffenen Sachlage - im Hinblick darauf, dass die Klagbegründung den Hauptteil der prozessualen Bemühungen ausmacht - aufgrund der fehlenden Kostengarantie entweder das Mandat niederlegen oder von der unbestrittenermassen bedürftigen Klägerin einen Kostenvorschuss verlangen müsste. Die Klägerin wird durch die angefochtene Verfügung somit in ihrer Rechtsverfolgung nachhaltig behindert, so dass die für die Beschwerdefähigkeit erforderliche Beschwer klar zu bejahen ist. Nachdem auch die übrigen Beschwerdeformalien im vorliegenden Fall erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.


2. ( … )


a) Die Klägerin gründet ihre Aktivlegitimation zum Prozess, für welchen sie die unentgeltliche Prozessführung beantragt, auf die Verfügung der Konkursverwaltung Sissach vom 09. Juli 2004, mit welcher die Konkursverwaltung im Konkurs über die Restaurant H. R. AG die Rechtsansprüche der Konkursmasse gemäss Art. 260 SchKG an die Klägerin abtritt. Die Verfügung ermächtigt die Klägerin ausdrücklich zur Geltendmachung der Massarechte an Stelle der Konkursmasse und zur Führung entsprechender Prozesse in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr. Aufgrund des Umstands, dass der Abtretungsgläubiger die Rechtsansprüche auf eigene Rechnung verfolgen muss, stellt sich die Frage, ob die unentgeltliche Prozessführung in einem entsprechenden Prozess nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Mit dieser Frage hat sich das Bundesgericht auseinandergesetzt und in BGE 109 Ia 7 f. festgehalten, dass ein Abtretungsgläubiger die unentgeltliche Prozessführung beanspruchen kann, falls er bedürftig und der Prozess nicht aussichtslos ist. Das Kostenerlassbegehren der Klägerin ist somit grundsätzlich zulässig.


b) ( … )


c) ( … )


d) Ob ein Prozess genügende Erfolgsaussichten hat, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung. Gegenteilige Auffassungen sind bundesrechtswidrig (BGE 124 I 307, 101 Ia 37). Wird der Entscheid über die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege aufgeschoben um etwa eine weitergehende Substantiierung der Klage zu verlangen, so kann diese Vertagung den Beurteilungsstandpunkt nicht verschieben. Es bleibt bei der Sicht ex ante (W. Düggelin, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Luzern, Diss. Zürich 1986, S. 107 f.).


e) Die Erfolgsaussichten einer Klage dürfen gemäss bundesgerichtlicher Praxis nur am Anfang des Verfahrens beurteilt werden, weil sie sich häufig nach Abschluss des Beweisverfahrens klären. Könnte mit dem Entscheid über diesen Punkt zugewartet werden, würde dem Gesuchsteller die unentgeltliche Prozessführung bei erkennbar gewordenem Verlust des Prozesses unzulässigerweise rückwirkend entzogen (BGE 122 I 6 f.). In verfahrensmässiger Hinsicht hat der Richter nach Eingang des Gesuchs die Verhältnisse zu prüfen und ohne Aufschub einen Entscheid zu fällen. Die unentgeltliche Prozessführung würde ihres Sinnes entleert, wenn vor dem Entscheid andere Prozesshandlungen vorgenommen werden müssten, für welche anwaltliche Hilfe - in Form eines unentgeltlichen Rechtsvertreters - notwendig wäre (B. Ries, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Diss. Zürich 1990, S. 127, 131).


f) Im vorliegenden Fall hat die Vorderrichterin den Entscheid bis zum Eingang der schriftlichen Klagbegründung aufgeschoben, was nach dem Gesagten allenfalls dann zulässig ist, wenn die Klägerin für die Ausarbeitung der Klage keine anwaltliche Hilfe benötigt. Da die schriftliche Begründung einer aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsklage die Fähigkeiten juristischer Laien regelmässig übersteigt, steht ausser Frage, dass die Beschwerdeführerin zur Klagbegründung anwaltlicher Hilfe bedarf. Die Vorderrichterin hätte daher die materielle Beurteilung des Armenrechtsgesuchs nicht bis dahin aufschieben dürfen.


g) Die Aussichtslosigkeit eines Klagebegehrens kann aus formellen Gründen - unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen - bereits klar erkennbar sein; in diesen Fällen ist eine Abschätzung der Prozessaussichten unter Verzicht auf die Erhebung von Beweisen durchaus angängig. Dies trifft etwa zu bei Ansprüchen, die offensichtlich bereits verjährt sind, oder bei einer klaren Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Liegen - wie in casu - keine derartigen Gründe vor, ist zur Beurteilung der Prozessaussichten zumindest eine summarische Beweisaufnahme unerlässlich. Eine solche hat denn auch im Rahmen der Einleitungsverhandlung vom 21. September 2004 stattgefunden. Wie aus dem Protokoll der Einleitungsverhandlung ersichtlich ist, hat der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Vorbringen entsprechend den eingereichten - sechs Seiten umfassenden - Plädoyernotizen zur Begründung der Klage vor der Bezirksgerichtspräsidentin ausgeführt und zu Beweiszwecken insgesamt 21 Urkunden ins Recht gelegt. Die Bezirksgerichtspräsidentin ist indessen der Auffassung, dass die Klägerin damit die fehlende Aussichtslosigkeit ihrer Begehren nicht mit der wünschbaren Klarheit hinreichend glaubhaft gemacht habe.


h) Dazu ist vorab festzuhalten, dass an den Begriff der Aussichtslosigkeit kein strenger Massstab angelegt werden darf. Wo ein Sachverhalt - wenn auch nur rudimentär - erkennen lässt, dass einem Gesuchsteller gewisse Ansprüche zustehen könnten, beziehungsweise solche nicht gerade ausgeschlossen werden, ist die Aussichtslosigkeit zu verneinen (vgl. B. Ries, a.a.O., S. 102, 104). Sodann kann - im Gegensatz zur Bedürftigkeit - das Glaubhaftmachen der Nichtaussichtslosigkeit nicht im Sinne einer Beweislast der gesuchstellenden Partei überbunden werden. Vielmehr hat der Richter anhand der summarischen Beweisaufnahme im Rahmen einer Einleitungsverhandlung eine vorläufige Einschätzung der Prozessaussichten vorzunehmen (B. Ries, a.a.O., S. 128). Bestehen Zweifel, so hat der Richter keine Möglichkeit, die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege zu verweigern (B. Ries, a.a.O., S. 102).


i) Aufgrund der Ausführungen des Vertreters der Beschwerdeführerin an der Einleitungsverhandlung in Verbindung mit den eingereichten Beweisurkunden ergibt sich nach Dafürhalten des Kantonsgerichts zumindest ein grobes Bild des Sachverhalts und der darauf gestützten Anspruchsgründe der Klägerin. Der Vorderrichterin ist insofern zuzustimmen, dass damit - angesichts der notorischen Komplexität aktienrechtlicher Verantwortlichkeitsverfahren und der Vielzahl von Anspruchsgründen - noch keine hinreichend gesicherte Prognose über den Prozessausgang gestellt werden kann. Dies ist aber nach dem Gesagten auch gar nicht erforderlich, vielmehr genügt es, dass der summarisch dargelegte Sachverhalt die Möglichkeit erkennen lässt, dass der Beschwerdeführerin gewisse Ansprüche zustehen könnten. Dies ist in casu zweifellos der Fall. Selbstverständlich lässt sich nicht ausschliessen, dass sich die Prozessaussichten künftig nach Eingang der Klagbegründung insofern verändert darstellen, als sich die Verlustgefahren dann möglicherweise deutlich stärker manifestieren denn die Gewinnchancen. Solange solches im gegenwärtigen Prozessstadium indes nicht klar erkennbar ist, muss im Zweifel die unentgeltliche Prozessführung vorläufig bewilligt werden. Da das Verfahren auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ein Verwaltungsverfahren und der entsprechende instruktionsrichterliche Entscheid rechtlich als Verwaltungsverfügung zu qualifizieren ist, erwächst - wie jede Verwaltungsverfügung - auch die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht in materielle Rechtskraft, sondern ist vielmehr unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Abänderbarkeit von Verwaltungsakten jederzeit widerrufbar (H. Weibel/M. Rutz, Gerichtspraxis zur Basellandschaftlichen Zivilprozessordnung, 4. Auflage, 1986, S. 106; B. Ries, a.a.O., S. 122/123 und 256; W. Düggelin, a.a.O., S. 187). Dieser Grundsatz findet denn auch seinen Niederschlag in § 71 Abs. 3 ZPO. Sollten sich mithin die Begehren der Klägerin nach Eingang der Klagschrift als aussichtslos erweisen, darf die Vorderrichterin die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ohne weiteres pro futuro für den weiteren Fortgang des Verfahrens entziehen. Ferner bleibt es dem vorinstanzlichen Präsidium unbenommen, die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung vorläufig betragsmässig zu beschränken. Dies könnte sich vorliegend angesichts der Vielzahl der Anspruchsgründe und der für eine aktienrechtliche Verantwortlichkeitsklage vergleichsweise bescheidenen Klagsumme unter Umständen aufdrängen, um präventiv auszuschliessen, dass die anwaltlichen Bemühen und damit die Parteikosten in ein Missverhältnis zum Streitwert geraten.


KGE ZS vom 15. Februar 2005 i.S. M. A. gegen BGPG und H. F. (200 04 1012/NOD)



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