Rechtsmittel gegen Mietausweisungen, die gestützt auf Art. 274g OR ergehen

Entscheidet das Bezirksgerichtspräsidium gestützt auf die in Art. 274g OR vorgesehene Kompetenzattraktion über die Ausweisung aus dem Mietobjekt und über die Gültigkeit der Kündigung, so ist das Urteil mit Appellation anzufechten, soweit der Entscheid über die Kündigungsanfechtung überprüft werden soll.


Entscheidet das Bezirksgerichtspräsidium ausschliesslich über die Ausweisung aus dem Mietobjekt oder soll - bei einem Entscheid gemäss Art. 274g OR - nur die Ausweisung, nicht aber der Entscheid über die Kündigungsanfechtung überprüft werden, so ist das Urteil mit Einsprache bei der Dreierkammer des Bezirksgerichts anzufechten (§ 253 Abs. 3 ZPO; § 17 Abs. 3 Gesetz über die Behörden und das Verfahren bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von unbeweglichen Sachen; E. 1).


Sistierung des Verfahrens gestützt auf § 140 ZPO. Gründe, die trotz Verdachts auf Fälschung eines Dokumentes zur Abweisung des Sistierungsantrages geführt haben (E. 3).



Sachverhalt

Am 26. Januar 2005 haben die Parteien einen Mietvertrag über ein 4,5-Zimmer-Einfamilienhaus abgeschlossen. Mietbeginn war am 1. März 2005. Der monatliche Mietzins wurde auf CHF 3'200.-- festgelegt. Kurz nach seinem Einzug nahm der Appellant diverse bauliche Änderung am Mietobjekt vor. Ferner kam er mit der Zahlung der Mietzinse in Verzug. Der Appellat forderte ihn mit Schreiben vom 6. Juni 2005 auf innert Frist von 30 Tagen die ausstehenden Mietzinse zu bezahlen. Als die Zahlung binnen dieser Frist nicht erfolgte, kündigte der Appellat mit Schreiben vom 19. Juli 2005 das Mietverhältnis auf den 31. August 2005. Im vorliegenden Verfahren geht es in erster Linie um die Gültigkeit dieser wegen Zahlungsverzugs ausgesprochenen Kündigung.


Mit Eingabe vom 5. Dezember 2005 hat der Appellant um Sistierung dieses Verfahrens ersucht.



Erwägungen

1. Gemäss § 9 Abs. 1 lit. a ZPO kann gegen das Urteil des Bezirksgerichtspräsidenten zu Arlesheim, soweit es dabei um die materiellrechtliche Frage der Kündigung resp. der Anfechtung derselben geht, appelliert werden. Die Zuständigkeit der Dreierkammer der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts zur Beurteilung der Appellation ergibt sich aus § 11 Ziff. 2 ZPO. Der vollstreckungsrechtliche Entscheid betreffend Mietausweisung kann gestützt auf § 253 Abs. 3 ZPO grundsätzlich nur mit Einsprache bei der Dreierkammer des Bezirksgerichts angefochten werden, wobei gegen deren Entscheid gemäss § 253 Abs. 5 ZPO die Appellation nicht zulässig ist. In § 17 Abs. 3 des Gesetzes über die Behörden und das Verfahren bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von unbeweglichen Sachen (SGS 223) ist sodann vorgesehen, dass Entscheide des Bezirksgerichtspräsidiums, sofern damit allein die Überprüfung des Entscheides über die Ausweisung verlangt wird, mit Einsprache an die Dreierkammer des Bezirksgerichts weiter gezogen werden können. Aus dieser Bestimmung kann e contrario abgeleitet werden, dass Fälle, in denen nicht nur allein die Ausweisung, sondern auch der gestützt auf Art. 274g OR gleichzeitig ergangene Entscheid über die Kündigung beanstandet wird, mittels Appellation dem Kantonsgericht zur Prüfung beider Fragen unterbreitet werden können.


2. ( … )


3.1 ( … )


3.2 In der erstinstanzlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2005 legte der Vertreter des Appellanten die Kopie einer Vereinbarung zwischen dem Appellanten und dem Appellaten betreffend das Mietobjekt vor. Aus diesem Dokument ergibt sich, dass der Appellat als Vermieter die einzeln aufgeführten Investitionen des Appellanten im Gesamtwert von CHF 49'829.35 anerkenne und sein uneingeschränktes Einverständnis zu diesen Installationen erteile. 20% davon gehe zu Lasten des Mieters, während der Anteil des Vermieters 80% resp. CHF 39'861.90 betrage. In Anrechnung an diesen Betrag würden insgesamt 12,5 Mietzinse a CHF 3'200.-- beginnend ab Mai 2005 erlassen. Im Mai 2006 sei dann erstmals wieder eine Mietzinsrate von CHF 1'600.-- zu bezahlen. Schliesslich geht aus der Vereinbarung hervor, dass der Vermieter seine Kündigung vom 19. Juli 2005 aufhebe. Der Appellat bestritt bereits vor erster Instanz und bestreitet auch vor Kantonsgericht die Echtheit dieser Vereinbarung. Am 18. November 2005 orientierte der Bezirksgerichtspräsident das Statthalteramt Arlesheim darüber und bat um Einleitung eines Strafverfahrens. Damit ist der diesbezügliche Subeventualantrag des Appellanten gegenstandslos geworden.


Wegen des Einwandes der Fälschung der Vereinbarung beruft sich der Appellant nun auf § 140 ZPO und verlangt die Sistierung des Verfahrens bis zum Abschluss der strafrechtlichen Untersuchung. Zur Begründung macht er geltend, dass der Vorwurf der Fälschung von den Strafverfolgungsbehörden besser abgeklärt werden könne. Im Weiteren weist er darauf hin, dass das Strafverfahren bereits eröffnet worden sei und der Einvernahmetermin auch schon feststehe, das Strafverfahren mithin beschleunigt an die Hand genommen werde.


Ergibt sich gerade bei einer Privaturkunde ein hoher Verdacht von Fälschung oder Betrug gegen eine bestimmte Person, so hat das Gericht gemäss § 140 ZPO jede weitere Verhandlung einzustellen und den betreffenden Fall zur strafrechtlichen Untersuchung zu verzeigen, sofern die Erwahrung jenes Verdachts von Einfluss auf den Entscheid des Prozesses ist.


3.3 Nach Ansicht des Kantonsgerichts kommt im vorliegenden Fall eine Berufung auf diese Bestimmung aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Zum einen sind Mietstreitigkeiten gemäss Art. 274d Abs. 1 OR in einem einfachen und raschen Verfahren zu behandeln. Solche Prozesse sollen möglichst schnell erledigt werden. Gerade im vorliegenden Fall, bei dem es um eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs geht, steht die Möglichkeit der Sistierung eines Verfahrens den Grundsatz der schnellen Prozesserledigung geradezu diametral entgegen. Eine Sistierung hätte in casu zur Folge, dass die Frage der Gültigkeit der Kündigung bzw. Fälschung der Vereinbarung monate- bis jahrelang in der Schwebe wäre. Selbst wenn die Einvernahme des Appellanten durch das Statthalteramt Arlesheim bereits am 10. Januar 2006 stattfindet, so kann es den allgemeinen Erfahrungen zufolge dennoch Monate bis Jahre dauern, bis ein rechtskräftiger Endentscheid über die strafrechtliche Frage vorliegt.


Eine Sistierung des Verfahrens hätte sodann schwerwiegende Nachteile für den Appellaten zur Folge, da der Appellant weiterhin im Mietobjekt bleiben könnte und zudem gestützt auf die umstrittene Vereinbarung nicht einmal Mietzins zahlen müsste. Diese Nachteile sind dem Appellaten als Eigentümer der Liegenschaft nicht zuzumuten. Gerade in einem solchen Fall muss sich das Eigentum als dingliches Recht gegenüber dem bloss obligatorischen Mietanspruch durchsetzen. Der Mieter hat daher die Nachteile, die ihm durch den Ausschluss der Verfahrenssistierung bei einem für ihn positiven Ausgang des Strafverfahrens allenfalls entstehen, zu tragen. Das diesbezügliche Risiko geht also zu seinen Lasten.


Im Weiteren kann sich das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung auch selber ein Bild über die Echtheit der umstrittenen Vereinbarung machen. Bei einer derartigen "prima vista"-Prüfung zeigt sich, dass es verschiedene Anzeichen gibt, die Zweifel an der Echtheit der fraglichen Urkunde aufkommen lassen. So ist die Vereinbarung undatiert und ohne Ortsangabe und wurde ausserdem der Vorinstanz nur in Kopie und erst anlässlich der Verhandlung vom 26. Oktober 2005 eingereicht. Aus den Akten geht sodann hervor, dass der Appellant die baulichen Veränderungen ohne Zustimmung des Appellaten vorgenommen hatte. Mit Schreiben vom 24. Februar 2005 übermittelte der Appellat dem Appellanten einen Nachtrag zum Mietvertrag, mit dem die geschaffene unklare Situation geklärt werden sollte. In diesem Nachtrag des Appellaten wurden alle vom Mieter vorgenommenen Änderungen aufgeführt und dann festgehalten, dass die Kosten für diese baulichen Arbeiten voll zu Lasten des Mieters gehen. Angesichts dieser eindeutigen Haltung des Appellaten ist der plötzliche, mit Unterzeichnung der Vereinbarung erfolgte Sinneswechsel sehr erstaunlich und schlicht unerklärlich. Der Appellant bringt denn auch gar keine Begründung für diesen vom Appellaten bestrittenen Meinungsumschwung vor. Geht man von der Darstellung des Appellanten aus, so hat der Appellat nicht nur seine Haltung hinsichtlich der Übernahme der Baukosten geändert, sondern ist darüber hinaus auch auf seine wegen Zahlungsverzugs ausgesprochene Kündigung und damit auch auf sein Räumungsbegehren vom 1. September 2005 zurückgekommen. Ein derart widersprüchliches Verhalten des Appellaten erscheint nicht plausibel. Im Übrigen kann hier auf die weiteren im erstinstanzlichen Urteil diesbezüglich bereits erfolgten Ausführungen verwiesen werden.


Der Antrag des Appellanten, das Verfahren gestützt auf § 140 ZPO zu sistieren, ist demzufolge abzuweisen.


KGE ZS vom 9. Januar 2006 i.S. L.F. gegen H.M.V. (100 05 1091/SCN)


Die vom Appellanten gegen dieses Urteil eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 7. April 2006 abgewiesen.



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