Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

Übertriebener Formalismus


Das Rechtsöffnungsverfahren ist als summarischer Urkundenprozess ausgestaltet, in welchem der Kläger eine Urkunde als Titel produzieren muss (E. 2).


Ausnahmen vom Grundsatz, dass der Richter nicht verpflichtet ist, von Amtes wegen Aktenergänzungen anzuordnen und fehlende Unterlagen einzuholen: Ergibt sich aus dem Beilagenverzeichnis einer Partei, dass es lediglich einem Irrtum ihrerseits entspricht, dass gewisse Akten nicht mitgeschickt wurden, muss der Richter sie nach Treu und Glauben hierüber in Kenntnis setzen und ihr Gelegenheit geben, die Akten nachzureichen. Wenn sich aus dem Rechtsöffnungsgesuch oder der Gesuchsantwort klar und eindeutig ergibt, dass und zu welchem Zeitpunkt ein Urteil, welches die Partei nicht selbst einreichte, vom betreffenden Gericht ausgefällt wurde, darf dem Rechtsöffnungsrichter zugemutet werden, das fragliche Urteil beizuziehen (E. 3).



Sachverhalt

Mit Urteil vom 05.06.2007 wies der Bezirksgerichtspräsident Waldenburg das Gesuch der Klägerin um definitive Rechtsöffnung in der Betreibung Nr. (…) des Betreibungsamtes Waldenburg ab. Das Rechtsöffnungsverfahren sei als summarisches Verfahren ausgestaltet, in welchem sich die Beweismittel auf die von den Parteien eingereichten Schriftstücke beschränkten. Die Klägerin habe zwar das Urteil des Bezirksgerichts Waldenburg vom 19.10.2006 samt Rechtskraftbescheinigung vorgelegt, habe es jedoch versäumt, die integrierender Zusatz zu diesem Urteil bildende Scheidungskonvention beizulegen. Demgemäss liege kein definitiver Rechtsöffnungstitel vor, weshalb das Gesuch unter entsprechender Kostenfolge abzuweisen sei.


Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin mit Schreiben vom 11.06.2007 die Appellation. Die vom Vertreter der Klägerin eingereichte Scheidungskonvention zum Urteil des Bezirksgerichts Waldenburg vom 19.10.2006 wurde von der Dreierkammer des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht, gestützt auf § 130 Abs. 1 ZPO mangels Novenqualität aus dem Recht gewiesen.



Erwägungen

1. ( ... )


2. Das Rechtsöffnungsverfahren ist als Urkundenprozess ausgestaltet, in welchem der Kläger eine Urkunde als Titel produzieren muss (vgl. SchKG-Staehelin, Art. 80 N 53 und Art. 84 N 53). Weiter ist das Rechtsöffnungsverfahren gemäss Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG summarischer Natur, wobei die Kantone befugt sind, Prozessbestimmungen für das summarische Verfahren zu erlassen (vgl. SchKG-Staehelin, Art. 84 N 5). Von Bundesrechts wegen kann das Gesuch mündlich oder schriftlich eingereicht werden. Ansonsten unterstehen die Formvorschriften für das Rechtsöffnungsverfahren dem kantonalen Recht (vgl. SchKG-Staehelin, Art. 84 N 36). Gemäss § 262 Ziff. 1 ZPO sind die erforderlichen Beweismittel zusammen mit dem Rechtsöffnungsgesuch dem Gerichtspräsidium einzureichen. Die Vorinstanz ging davon aus, dass die als Rechtsöffnungstitel erwähnte Scheidungskonvention von der Klägerin nicht eingereicht wurde. Die Klägerin bestreitet dies. Dieser Punkt kann letztlich offen gelassen werden.


3. Den Parteien obliegt dafür zu sorgen, dass der Richter in den Besitz der für seinen Entscheid notwendigen Unterlagen gelangt. Der Richter ist nicht verpflichtet, von Amtes wegen Aktenergänzungen anzuordnen und fehlende Unterlagen einzuholen. Ergibt sich indessen aus dem Beilagenverzeichnis einer Partei, dass es lediglich einem Irrtum ihrerseits entspricht, dass gewisse Akten nicht mitgeschickt wurden, muss der Richter sie nach Treu und Glauben hierüber in Kenntnis setzen und ihr Gelegenheit geben, die Akten nachzureichen (vgl. SchKG-Staehelin, Erg. Bd., Art. 84 N 52; RBOG TG 1996 Nr. 18). Genau so verhält es sich im vorliegenden Fall, hat doch die Klägerin die Scheidungskonvention sowohl in ihrem schriftlichen Gesuch vom 30.04.2007 als auch im diesbezüglichen Beilagenverzeichnis als Bestandteil der Beilage Nr. 2 aufgeführt. Dass der Vorderrichter trotz dieser allenfalls versehentlich unterlassenen Einreichung das Urteil gefällt hat, ohne die Klägerin darauf hinzuweisen und ohne ihr vorgängig Gelegenheit zur Nachreichung der Scheidungskonvention einzuräumen, widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben und stellt einen übertriebenen Formalismus dar.


Eine weitere Ausnahme von der grundsätzlich nicht bestehenden Verpflichtung des Richters, von Amtes wegen Aktenergänzungen anzuordnen und fehlende Unterlagen einzuholen, liegt dann vor, wenn sich aus dem Rechtsöffnungsgesuch oder der Gesuchsantwort klar und eindeutig ergibt, dass und zu welchem Zeitpunkt ein Urteil, welches die Partei nicht selbst einreichte, vom betreffenden Gericht ausgefällt wurde: In diesen Fällen darf dem Rechtsöffnungsrichter zugemutet werden, das fragliche Urteil beizuziehen (vgl. SchKG-Staehelin, Art. 84 N 51; RBOG TG 1995 Nr. 17). Die Klägerin berief sich in ihrem Gesuch ausdrücklich auf das vom Bezirksgericht Waldenburg gefällte Scheidungsurteil vom 19.10.2006 samt Scheidungsvereinbarung. Es wäre folglich dem mit dem Scheidungsrichter identischen Rechtsöffnungsrichter zuzumuten gewesen, die Bestandteil des Scheidungsurteils bildende und seines Erachtens fehlende Scheidungskonvention aus dem Archiv des Bezirksgerichts Waldenburg beizuziehen. Dass der Vorderrichter dies unterlassen hat, verstösst ebenfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.


Zufolge dieses Verfahrensfehlers ist das Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Eine Behebung dieses Mangels ist im Verfahren vor dem Kantonsgericht nicht möglich, weshalb der Fall an die Vorinstanz zur erneuten Behandlung und Beurteilung zurückzuweisen ist (vgl. Weibel/Rutz, Gerichtspraxis zur basellandschaftlichen ZPO, 4. Aufl., Liestal 1986, S. 256 f.).


4. ( … )


5. ( … )


KGE ZS vom 13. August 2007 i.S. A.V. gegen T.V. (100 07 526/ZWH)



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