Strafrecht / Strafprozessrecht

Überfall auf Personen im und um den Coop Pronto-Shop Liestal, Eventualvorsatz auf schwere Körperverletzung, Abgrenzung Gehilfenschaft und Mittäterschaft, Beweisverwertung


Abweisung des Antrages auf Entfernung jener Aktenstücke, welche vor dem Beizug des notwendigen Verteidigers angelegt worden sind. Anfänglich kein eindeutiger Fall notwendiger Verteidigung. Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beweisverwertung (§ 41 StPO, Art. 6 EMRK, Art. 32 Abs. 2 BV; E. 2.2).


Bei einem Angriff durch eine Gruppe vermummter und bewaffneter junger Männer auf Personen an einem öffentlichen Platz nehmen es die Täter zumindest in Kauf, dass es auch zu schweren Körperverletzungen kommen kann. Eventualvorsatz (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB; E. 6).


Die irrtümliche Zuordnung der Opfer zu einer bestimmten Zielgruppe stellt unter den konkreten Umständen einen unbeachtlichen error in persona vel objecto oder blossen Motivirrtum dar. Darin, dass bei dem Angriff auf dem Liestaler Bahnhof scheinbar willkürlich herausgepickte Personen zu Schaden kamen, liegt keine relevante Änderung des ursprünglichen Tatplans. Die beiden Appellanten müssen sich die vorsätzliche Schädigung der verletzten Personen zurechnen lassen (E. 7).


Der Tatbeitrag des Fahrers M. wird nicht bloss als Gehilfenschaft, sondern als Mittäterschaft eingestuft. Kriterien zur Abgrenzung zwischen der Gehilfenschaft und der Mittäterschaft sind v.a. die Tatherrschaft, die Kenntnis des Tatplans und die Wesentlichkeit des Tatbeitrags (Art. 25 StGB; E. 8).



Sachverhalt

In der Zeit von Ende 2003 bis im Frühling 2004 kam es in Liestal im Raum Allee / Big Ben-Pub wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Jugendlichen und Anhängern der rechtsradikalen Szene. Aufgrund verschiedener aggressiver Zwischenfälle, bei denen es auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll, fühlten sich die Anhänger der rechtsradikalen Szene derart provoziert, dass B. und S. beschlossen, der Gegengruppierung einen Denkzettel zu verpassen und gegen die jungen Ausländer vorzugehen. Am Montag, 26. April 2004, fragten B. und S. Anhänger der rechtsradikalen Szene einzeln an, ob sie bereit seien, sich am Freitag 30. April 2004 an einer Aktion gegen die Gegengruppierung zu beteiligen. Diejenigen, die zusagten, wurden angewiesen, in neutraler Kleidung zu kommen und nicht mit Springerstiefeln oder Bomberjacke. B. stellte es den Eingeweihten frei, sich an diesem Freitag zu bewaffnen. Er notierte sich die Namen der Eingeweihten. Den Eingeweihten war bewusst, dass die Zielgruppe körperlich geschädigt werden sollte.


Am 30. April 2004 trafen sich die Eingeweihten wie geplant um ca. 20 Uhr beim Parkplatz der Sportbar in Liestal. Sämtliche Beteiligten fuhren daraufhin verteilt auf die vier Fahrzeuge der Fahrer (zu denen auch M. gehörte) auf die Windentaler Höhe, wo B. zu ihnen stiess. B. gab bekannt, dass das Angriffsziel der Liestaler Bahnhof sei. Er sagte bei der Gelegenheit, dass gegen die ausländische Gegengruppierung vorgegangen werden sollte und gab das Startzeichen für den Aufbruch.


Die Beteiligten verteilten sich auf die Fahrzeuge und wurden von den Fahrern zum Bahnhof bzw. zur Parkhauseinfahrt der Kantonalbank gefahren. Dort angekommen, stiegen sämtliche Beteiligten mit Ausnahme der Fahrer aus, maskierten und bewaffneten sich und stürmten auf das Zeichen B.s hin gemeinsam in Richtung Bahnhof. Beim Bahnhof angekommen griff M.B. den 60 jährigen D., von welchem er meinte, es handle sich um ein Mitglied der ausländischen Gegengruppierung, an und schlug mit einem mit Nägeln besetzten Axtstiel auf ihn ein. Als er den Irrtum erkannte, liess er von D. ab und rannte um den Coop Pronto-Shop in Richtung Restaurant Bistro, wo er den G., Jahrgang 1970, erblickte. Wiederum in der Annahme, es handle sich bei ihm um einen der gegnerischen Ausländer, stiess er auch ihn mit den Händen zu Boden. Als G. daraufhin in den Coop Pronto-Shop fliehen konnte, folgte M.B. ihm und schlug im Ladeninnern mehrmals mit seinem mit Nägeln besetzten Axtstiel auf ihn ein. Ein weiterer der beteiligten Rechtsextremen schlug C., Jahrgang 1985, welcher sich zufälligerweise im Coop Pronto-Shop aufhielt und zum Zeitpunkt des Vorfalles heraustrat, seinen Baseball-Schläger an den Kopf. C. gelang es, sich nach dem Sturz wieder zu erheben und in den Coop Pronto-Shop zu fliehen. Die übrigen Angeklagten, bewaffnet mit Baseballschläger, Eisenkette, Eisenstange, Schlagring und Schlagsäcklein verfolgten währenddessen teilweise auf dem Bahnhofplatz zu Fuss fliehende Ausländer oder vermeintliche Ausländer in der Absicht, ihnen "einen Denkzettel zu verpassen" oder begaben sich ebenfalls in den Coop Pronto-Shop. Einige stellten sich in den Eingangsbereich des Coop Pronto-Shops, um zu verhindern, dass die automatischen Schiebetüren schliessen konnten und um damit die Flucht für sich und die Mittäter zu sichern.


Kurze Zeit später rief einer der Beteiligten zum Rückzug, worauf alle wieder zurück zu den wartenden Fahrzeugen rannten und diese bestiegen und via Oristalstrasse in Richtung Büren wegfuhren. Auf dem Ausstellplatz Richtung Seewen hielten sie an, stiegen aus, diskutierten kurz über das Geschehene und trennten sich dann, um nach Hause zu fahren.



Erwägungen

1. ( … )


2. Verfahrensanträge


2.1 ( … )


2.2 Weiter beantragt B. anlässlich der Hauptverhandlung die Entfernung aller Aktenstücke, welche vor dem Beizug der notwendigen Verteidigung erhoben worden sind. Er begründet dies damit, dass der Verfahrensleitung von Anfang an klar gewesen sei, dass er als Rädelsführer mit einer unbedingten Gefängnisstrafe rechnen musste. Der Beizug einer Verteidigerin oder eines Verteidigers ist gemäss § 18 StPO etwa dann notwendig, wenn eine unbedingt vollziehbare Gesamt-Freiheitsstrafe von mehr als 18 Monaten oder eine Verwahrung zu erwarten ist (lit. b) oder wenn andere Gründe im Interesse der Rechtsprechung dies verlangen, namentlich bei besonders schwieriger Sach- oder Rechtslage (lit. d). Die notwendige Verteidigung bei drohendem Freiheitsentzug wird auch durch Art. 32 Abs. 2 BV garantiert. Die mit der Strafverfolgung betrauten Behörden haben je nach Schwere der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Vorwürfe auch ohne entsprechendes Zutun des Betroffenen für eine hinreichende Rechtsvertretung zu sorgen (BGE 6P.216/2006 vom 12. Februar 2007, Erw. 4.2). Gemäss § 41 Abs. 1 StPO dürfen auf unzulässige Weise erlangte Beweise nicht verwertet werden, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung überwiege die rechtlich geschützten Interessen der angeschuldigten Person.


Auch nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist in Fällen, in denen Beweise auf rechtswidrige Weise beschafft worden sind, eine solche Interessenabwägung anzustellen: Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, um so eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (BGE 109 Ia 244 sowie BGE 130 I 126 E. 3.2 S. 132 mit Hinweisen). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Praxis des Bundesgerichts im Ergebnis bestätigt. Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert Art. 6 EMRK das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, enthält aber keine grundsätzlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln. Dies sei in erster Linie eine Angelegenheit nationaler Gesetzgebung. Der Gerichtshof schliesst daher nicht grundsätzlich und abstrakt aus, dass rechtswidrig erlangte Beweismittel im Einzelfall zulässig sein können. Er prüft allein, ob das Strafverfahren insgesamt fair gewesen ist (Urteil i.S. Schenk gegen Schweiz vom 12. Juli 1988, Serie A, Bd. 140, Ziff. 46 = EuGRZ 1988, S. 394;vgl. aus jüngerer Zeit: Urteil i.S. Khan gegen Grossbritannien vom 12. Mai 2000, Recueil CourEDH 2000-V S. 303, Ziff. 34; Urteil i.S. P.G. und J.H. gegen Grossbritannien vom 25. September 2001, Recueil CourEDH 2001-IX S. 233, Ziff. 76; Urteil i.S. Allan gegen Grossbritannien vom 5. November 2002, Recueil CourEDH 2002-IX S. 63, Ziff. 42). Einzelne Lehrmeinungen kritisieren die Vornahme einer Interessenabwägung in diesem Zusammenhang und äussern dabei hauptsächlich rechtsstaatliche Bedenken (Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 249; Roberto Fornito, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, Diss. St. Gallen 2000, S. 248 ff.; Niklaus Ruckstuhl, Technische Überwachungen aus anwaltlicher Sicht, AJP 2005 S. 150 ff., 157). Teilweise wird gefordert, Beweismittel aus Überwachungen, die unter Missachtung der richterlichen Bewilligungspflicht erfolgt sind, müssten stets unverwertbar sein (Fornito, a.a.O., S. 210; Ruckstuhl, a.a.O., S. 157 bei Fn. 35). Eine andere Lehrmeinung hat sogar ein absolutes Verwertungsverbot bei allen rechtswidrig erhobenen Beweisen befürwortet (Walther J. Habscheid, Beweisverbot bei illegal, insbesondere unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts, beschafften Beweismitteln, in: SJZ 89/1993 S. 185 ff., 187). Die herrschende Lehre hat dagegen die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Interessenabwägung als Grundlage für den Entscheid über die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise übernommen (Andreas Auer/Giorgio Malinverni/Michel Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, Bern 2000, Rz. 1371 ff.; J.P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 567 f.; Hans Vest, St. Galler Kommentar zur BV, Rz. 32 zu Art. 32 BV; Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 60 Rz. 6 ff.; Gerard Piquerez, Manuel de procédure pénale suisse, Zürich 2001, Rz. 1210 ff.; vgl. auch Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 609). Die in der Lehre geäusserte Kritik an der Interessenabwägung vermag nach Ansicht des Bundesgerichts nicht zu überzeugen: Zwar wird die staatliche Strafuntersuchung bei der Beweiserhebung durch Art. 5 Abs. 1 BV auf die Beachtung des Rechts und durch Art. 35 Abs. 1 BV auf die Wahrung der Grundrechte des Angeschuldigten verpflichtet. Ist das Beweismittel aber nicht an sich verboten, so genügt eine Interessenabwägung zur Sicherstellung des verfassungsrechtlich gebotenen fairen Verfahrens. In derartigen Fällen ist daran festzuhalten, dass nicht bereits aus dem verfahrensrechtlichen Verstoss bei der Beweisbeschaffung eine absolute Unverwertbarkeit gefolgert werden kann (vgl. BGE 131 I 272).


Der bundesgerichtlichen Praxis lässt sich entnehmen, dass die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise sich nur auf § 41 StPO stützen lässt, wenn eine sorgfältige Interessenabwägung stattgefunden hat und im konkreten Fall geprüft wurde, ob das Verfahren gesamthaft fair verlaufen ist. Eine Verwertbarkeit der Beweise lässt sich somit nicht mit dem pauschalen Verweis auf § 41 StPO und einem nicht näher begründeten Hinweis auf ein überwiegendes Interesse an der Strafverfolgung sowie ohne eine entsprechende Fairnessprüfung rechtfertigen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Urteil des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 15. August 2006 (Verfahrens-Nr. 100 05 983, Ziff. 3) verwiesen.


Im vorliegenden Fall standen anfänglich lediglich die Vorwürfe der einfachen Körperverletzung, des Angriffs und der Sachbeschädigung im Raum. Praxisgemäss war bei dieser Sachlage nicht mit einer unbedingten Freiheitsstrafe zu rechnen. Auch erschien die Sach- oder Rechtslage nicht besonders schwierig. Verschiedene Anträge des Mitangeklagten S. um Gewährung der notwendigen Verteidigung wurden denn anfänglich vom Verfahrensgericht in Strafsachen auch abgewiesen (act. 191, 205, 212.19). Erst als klar wurde, dass auch der Vorwurf einer schweren Körperverletzung im Raum stand, wurde die notwendige Verteidigung bejaht. Das Gericht kommt zum Schluss, dass es sich bei den angesprochenen Beweisen nicht um rechtswidrig erlangte Beweise i.S.v. § 41 Abs. 1 StPO handelt.


Doch selbst wenn man zum Schluss kommen würde, dass bereits zu Beginn des Verfahrens von einem Fall der notwendigen Verteidigung hätte ausgegangen werden müssen, führt eine Interessenabwägung im oben umschriebenen Sinn nicht zu einem Ausschluss der strittigen Aktenstücke. Die Aussagen B.s vor und nach dem Beizug eines Verteidigers sind weitgehend deckungsgleich. Auch anlässlich der Hauptverhandlungen vor der Vorinstanz und vor dem Kantonsgericht blieb B. bei seinen Aussagen. Er unterlässt es, seinen Antrag materiell zu begründen. Es ist völlig unklar, inwiefern ihm durch die Verwendung der Beweise, die zum Zeitpunkt, als er noch keinen Rechtsvertreter hatte, erlangt worden sind, ein Nachteil erwächst. Das Verfahren erscheint insgesamt als fair.


Der Antrag um Entfernung der Aktenstücke, welche vor dem Beizug der notwendigen Verteidigung erhoben worden sind, wird aus diesen Gründen abgewiesen.


2.3 ( … )


3. ( ... )


4. ( … )


5. Qualifikation der Verletzungen G.s als schwere Körperverletzung ( … )


6. Vorsatz in Bezug auf schwere Körperverletzung


6.1 Es stellt sich die Frage, ob der Vorsatz B.s und M.s auch eine allfällige schwere Körperverletzung der anzugreifenden Personen am Liestaler Bahnhof umfasste. Dies wird von beiden bestritten. Ein direkter Wille, durch den Angriff vom 30. April 2004 Menschen schwer am Körper zu verletzen, lässt sich den Appellanten nicht unterstellen. Fraglich ist jedoch, ob sie allfällige schwere Körperverletzungen in Kauf genommen haben. Eventualvorsätzlich handelt, wer die Verwirklichung einer bestimmten Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB).


6.2 Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Beteiligten kann davon ausgegangen werden, dass der Tatplan vom 30. April 2004 im wesentlichen darin bestand, dass elf vermummte junge Männer, bewaffnet mit verschiedenen Schlaginstrumenten, auf den Bahnhof Liestal stürmen sollten um dort Mitglieder einer gegnerischen Gruppierung anzugreifen. Weniger klar ist, gegen welche Personen sich der Angriff genau richten sollte und mit welcher Intensität. Man wollte bestimmte Ausländer "verklopfen" oder "abschlagen" oder "verprügeln" oder "aufs Dach geben" oder "niederschlagen" oder auf sie "einschlagen" (…). Die Täter machten im Nachhinein sehr unterschiedliche Angaben bezüglich allfällig in Kauf genommener körperlicher Schädigungen. Die Rede ist etwa von der Inkaufnahme eines kürzeren Spitalaufenthalts (…), von leichten Verletzungen (…), von schweren Verletzungen (…), von Schlagen, bis sich der andere nicht mehr wehren kann (…), von Schlagen, bis der Gegner am Boden liegt (…) oder von der Inkaufnahme schwerer Körperverletzungen oder gar Tötungen (…). Gemäss Aussage des mitbeteiligten V. sagte B. auf der Windentalerhöhe vor allen, man solle die Ausländer umhauen und alles, was im Weg sei wegklopfen; man solle von den Gegnern erst ablassen, wenn diese am Boden lägen und sich nicht mehr bewegten (…). Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht erklärt B., es sei geplant gewesen, auf die Gegner zuzurennen und falls diese stehenblieben (was nicht erwartet worden sei) zuzuschlagen. Handgreiflichkeiten wie Faustschläge seien in Kauf genommen worden. M. gibt bei der Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht an, er sei nicht genau über den Tatplan informiert gewesen, er sei jedoch aufgrund der Umstände davon ausgegangen, dass gegen die gegnerische Gruppierung vorgegangen werden sollte. Er sei von Einschüchterungen und höchstens Faustschlägen ausgegangen. Beide Angeklagten gaben an, gewisse der mitgeführten Waffen der übrigen Täter gesehen zu haben, sich aber nicht mehr genau zu erinnern, welche Waffen. B. gibt an, er habe den mit Nägeln versehenen Axtstiel M.B.s nur in verpacktem Zustand gesehen. M. ist unsicher, ob er diese Waffe gesehen hat.


6.3 Sämtlichen Tätern war klar, dass Verletzungen passieren konnten. Es war eine gereizte und aufgepeitschte Stimmung, was von B. auch anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht bestätigt wurde. Die Beteiligten waren zum Teil sehr schwer bewaffnet. Als einer der Rädelsführer musste B. mit Verletzungen auch psychosomatischer Art rechnen. Die Gleichgültigkeit und die Bagatellisierungstendenz gegenüber den möglichen Verletzungsfolgen stehen im krassen Gegensatz zu den eingesetzten Mitteln, die den Appellanten bekannt waren. Allen hätte aufgrund dieser Situation klar sein müssen, dass es zu schweren Körperverletzungen hätte kommen können. Nicht mit dieser Möglichkeit zu rechnen, ist unter diesen Umständen sorgfaltswidrig. Das Gericht kommt wie die Vorinstanz zum Schluss, dass aufgrund der Art der Waffen, aufgrund der Anzahl der Beteiligten, die alle vermummt waren und somit den Blick nicht vollumfänglich frei hatten, aufgrund der aufgeheizten, explosiven Stimmung unter den Beteiligten in einer Mischung aus Wut und Angst und auch aufgrund der verschiedensten Vorfälle im Laufe der Wochen vor dem Angriff davon ausgegangen werden muss, dass die Beteiligten es in Kauf nahmen, dass es neben dem Angriff auch zu schweren Verletzungen kommen kann. Gerade weil es den Beteiligten überlassen wurde, welche Waffe sie mitnehmen wollten und die mitgenommenen Waffen - insbesondere die Baseballschläger und der mit Nägeln besetzte Axtstiel - geeignet sind, schwerste Verletzungen herbeizuführen, wenn sie gegen Menschen eingesetzt werden, musste mit schweren Verletzungen gerechnet werden. Wie die Vorinstanz kommt auch das Kantonsgericht zum Schluss, dass es irrelevant ist, ob die Appellanten jede Waffe genau gesehen haben. Selbst wenn B. etwa die Nägel im Axtstiel von M.B. nicht gesehen hat, reichte die Schlagkraft der von ihm eingestandener Massen gesehenen Waffen, für die Herbeiführung von schweren Verletzungen. Ausgehend vom gemeinsamen Tatplan eines gewaltsamen Gegenschlags, bei dem jeder über seine Bewaffnung frei entscheiden konnte, musste jeder der Beteiligten mit deren Einsatz zur Verteidigung aber auch zum Angriff rechnen. B. und M. haben wie die anderen Beteiligten mit schweren Körperverletzungen rechnen müssen und solche zumindest in Kauf genommen. Im Übrigen wird auch diesbezüglich auf das Urteil des Strafgerichts (S. 30 ff.) verwiesen.


7. Vorsatz in Bezug auf allfällig geänderten Tatplan


7.1 Beide Appellanten machen geltend, es sei ein anderer Plan in die Tat umgesetzt worden, als ursprünglich abgemacht. Es sei nie geplant gewesen, gegen unbeteiligte Dritte vorzugehen. Ziel des Angriffs sei die gegnerische Gruppierung gewesen. Die Verletzungen der unbeteiligten Dritten D., G. und C. könnten den Appellanten mangels Vorsatz nicht zugerechnet werden. Es stellt sich deshalb die Frage, wem welche Taten wie zuzurechnen sind.


7.2 Der ursprüngliche Tatplan ist mit der zur Ausführung gelangten Variante zu vergleichen. Wie bereits oben ausgeführt war geplant, vermummt auf den Bahnhof zu stürmen und dort die gegnerische Gruppierung anzugreifen. Die Gegner waren bei diesem Tatplan jedoch nicht genau umrissen und die einzelnen Mitglieder der gegnerischen Gruppierung waren nicht individualisiert. Die Appellanten sagten anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht aus, sie selbst seien nie den Repressionen der gegnerischen Gruppierung ausgesetzt gewesen. Die Zahl und Identität der Mitglieder der gegnerischen Gruppierung war den Tätern scheinbar weitgehend unbekannt. B. gibt an, er habe den übrigen Tätern auf der Windentalerhöhe mitgeteilt, dass sich die Gegner am Bahnhof aufhielten, obwohl er selber nicht sicher war, dass dies zutraf. Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Kantonsgericht gab er an, auf der Windentalerhöhe ein Telefongespräch mit einem fiktiven Komplizen am Liestaler Bahnhof vorgetäuscht zu haben, um seine Mittäter in diesen Glauben zu versetzen. Von einigen Mittätern wurde angegeben, dass die Angriffe auf unbeteiligte Dritte auf Verwechslungen zurückzuführen sind (…). V. gab an, dass Angriffe auf Unbeteiligte im voraus als möglich betrachtet und in Kauf genommen wurden (act. 1469). N. gab an, es sei auch abgemacht gewesen, Flüchtende in Geschäfte zu verfolgen (act. 1255) und dass die meisten einfach nur schlagen wollten (act. 1259). Aufgrund der gesamten Umstände (schnelles Handeln, aufgeheizte Stimmung, Vermummung, Glaube an Präsenz der Gegnerschaft, unklare Identität der Gegnerschaft) sind dies nachvollziehbare, glaubhafte Aussagen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass jene Täter, welche geschlagen haben, glaubten, sie würden tatsächlich auf jene Ausländer einschlagen, welchen sie einen "Denkzettel" verpassen wollten. Kein Indiz spricht für einen geänderten Tatplan. Es wurde auf den Bahnhof gestürmt und es wurde dort auf Leute eingeschlagen, in der Meinung es hielten sich die Ausländer dort auf und man schlage auf sie ein. Es wurden diejenigen Rechtsgüter verletzt, die gemäss Tatplan verletzt werden sollten.


7.3 Die irrtümliche Zuordnung der Opfer zur Zielgruppe der Gegengruppierung stellt einen error in persona vel objecto oder blossen Motivirrtum dar. Ein solcher Irrtum ist hinsichtlich der Strafverfolgung irrelevant. Aufgrund des diffusen Tatplans, der eine solche Verwechslung geradezu begünstigte, ist der Irrtum der Schlagenden auch allen übrigen Mittätern voll zurechenbar (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Auflage 2005, S. 186). Es handelt sich auch nicht um Exzesse Einzelner im Sinne einer Abweichung vom Tatplan. Die Beteiligten hatten insbesondere zur Kenntnis genommen, dass M.B. einiges getrunken hatte und wussten, dass er dadurch enthemmter wurde und damit auch massivere Verletzungen in Kauf zu nehmen waren. Aufgrund ihres Verhaltens und ihres Wissens müssen sich B. und M. eine Unsicherheit über die Auswahl der Opfer entgegenhalten lassen.


8. Beteiligungsart des M.


8.1 M. macht geltend, sein Tatbeitrag als Fahrer sei nicht als Mittäterschaft, sondern als Gehilfenschaft zu qualifizieren. Er habe die Tat insbesondere nicht als seine eigene angesehen, was typisch sei für einen Gehilfen.


8.2 Gemäss Art. 25 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer zu einer Straftat vorsätzlich Hilfe leistet. Als "Hilfe leisten" wird jeder kausale Beitrag verstanden, der die Tat fördert, so dass sich diese ohne Mitwirkung des Gehilfen anders abgespielt hätte (BGE 118 IV 312). Nicht erforderlich ist, dass es ohne die Hilfeleistung nicht zu der Tat gekommen wäre (BGE 121 IV 119). Der Tatbeitrag muss die Tatförderung bezwecken. Die Beihilfehandlung kann vor oder während der Haupttat bis zu deren Vollendung erfolgen. Denkbar ist sowohl physische als auch psychische Hilfeleistung. Die Haupttat muss jedoch tatsächlich gefördert werden. Auf der subjektiven Seite erfordert die Annahme der Gehilfenschaft, dass sich der Gehilfe die objektiven und subjektiven Merkmale der Haupttat vorstellt, wobei er die Einzelheiten nicht zu kennen braucht. Der Gehilfe muss die Haupttat mit Wissen und Willen unterstützen, wobei Eventualvorsatz genügt.


Mittäter ist dahingegen, wer gemeinschaftlich in gewollter Zusammenarbeit eine Straftat verübt. Jeder auf diese Weise Beteiligte wird als Täter bestraft, auch in Bezug auf Tatbestände, die er nicht oder nicht vollständig durch eigenes Handeln verwirklicht hat (Andreas Donatsch / Brigitte Tag, Strafrecht I, 8. Auflage 2006, S. 166 m.w.H.). Der Mittäter wirkt bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit, so dass er als Hauptbeteiligter betrachtet werden kann (BGE 118 IV 230; BGE 118 IV 399). Nach der seit BGE 111 IV 53 auch vom Bundesgericht vertretenen Lehre der funktionalen Tatherrschaft kommt es für die Annahme von Mittäterschaft darauf an, ob der jeweilige Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falls für die Ausführung des Delikts so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt. Entscheidendes Kriterium ist die Frage, ob der Beteiligte über Tatherrschaft verfügt oder nicht. Tatherrschaft setzt einen gemeinsam getragenen Tatentschluss voraus, der aber auch bloss konkludent zum Ausdruck kommen kann. Eventualvorsatz genügt; auch ein nachträglicher Beitritt zum Entschluss ist möglich, selbst während der Ausführung der geplanten Tat (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Auflage 2005, S. 359 f.). Auch der Fahrer eines Fluchtfahrzeuges kann Mittäter sein, wenn er Tatherrschaft besitzt. Sein Tatbeitrag sollte dabei so wesentlich sein, dass das Delikt ohne ihn nicht zustande gekommen wäre - zu denken ist etwa an das Gelingen des Bankraubs, der von schneller Flucht abhängig ist (Andreas Donatsch / Brigitte Tag, Strafrecht I, 8. Auflage 2006, S. 172; Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Auflage 2005, S. 364). Ohne Bedeutung ist, ob ein unerlässlicher Tatbeitrag notfalls von jemand anderem hätte erbracht werden können - was zählt ist nur die tatsächlich erfolgte Mitwirkung. Auf der subjektiven Seite erforderlich ist auch beim Mittäter Vorsatz in Bezug auf die mittäterschaftlich verübte Tat. Diese muss jedoch nicht in allen Einzelheiten geplant sein, eine generelle Absprache genügt. Auch ein während der Ausführung des Planes zustande gekommener Konsens reicht aus (Andreas Donatsch / Brigitte Tag, Strafrecht I, 8. Auflage 2006, S. 178). Es reicht für die Annahme der Mittäterschaft auch aus, dass die betreffende Handlung stillschweigend in Kauf genommen wird, sofern ihre Verwirklichung sich im Rahmen der Ausführung des ausdrücklich genehmigten Tatplans hält. Es genügt, dass der einzelne Mittäter seinen persönlichen Beitrag zum Entschluss und zur Planung der Tat erbracht hat. Damit hat er weitere strafbare Handlungen, die sich bei der Ausführung der Straftat ereignen, mit Wissen und Willen im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen (BGE 115 IV 161f. = Pr 79 (1990) Nr. 275).


8.3 M. kannte zugestandenermassen den ungefähren Tatplan, auch wenn ihm dieser nicht im Detail bekannt gegeben worden ist. Er ging davon aus, dass die gegnerische Gruppierung am Bahnhof angegriffen werden sollte. Er konnte auf der Windentalerhöhe die Vorbereitungen der übrigen Beteiligten beobachten, hörte B.s Anordnungen und sah zumindest einzelne der mitgeführten Waffen. Er fuhr in der Folge einen der elf Schläger in die Nähe des Liestaler Bahnhofs und parkierte sein Auto strategisch so, dass er schnell wegfahren konnte. Für das Gelingen der Tat war es äusserst wichtig, dass alle Beteiligten schnell wegbefördert werden konnten, vor allem unter Berücksichtigung dessen, dass sich die Alarmzentrale der Polizei Baselland mit den Polizeifahrzeugen nur wenige 100 Meter vom Tatort entfernt befindet. Demzufolge war es wie bei einem Bankraub unabdingbar, dass die mindestens elf am Angriff unmittelbar Beteiligten von den vier Fahrern gleichzeitig weggefahren werden konnten M. ermöglichte gemeinsam mit den drei Fahrerinnen die Flucht der Schläger, was ihn als wichtiges Glied in der Kette erscheinen lässt. Er machte sich den Tatplan zu eigen, billigte diesen und lieferte seinen nicht unwesentlichen Beitrag. Indem er den Schlägern die schnelle Flucht ermöglichte, trug er wesentlich zur Beendigung der Tat bei. Auch in der Folge verhielt sich M. so, dass man davon ausgehen konnte, dass er die Tat vom 30. April 2004 als seine eigene betrachtete: Er sprach sich mit B. bezüglich eines Alibis ab und beteiligte sich an der Verteilung eines Flugblattes, mit dem von den wahren Tätern abgelenkt werden sollte. M. leistete durch seine Beteiligung auch einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Tatbeitrag, kam ihm doch als Führungsmitglied der "Warriors" eine gewisse Vorbildfunktion insbesondere gegenüber den jüngeren Tatbeteiligten zu. Gesamthaft betrachtet erscheint M.s Tatbeitrag als so wesentlich, dass er vom Gericht nur als Mittäter betrachtet werden kann. Im Übrigen wird auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz (S. 25 ff.) verwiesen.


9. ( … )


10. Strafzumessung ( … )


11. Zusammenfassung


( … ). Mit der Vorinstanz kommt das Kantonsgericht zum Schluss, dass es sich bei den Verletzungen G.s um eine schwere Körperverletzung i.S.v. Art. 122 Abs. 3 StGB handelt. Beide Appellanten hatten nach Ansicht des Gerichts bei der Tat vom 30. April 2004 zumindest Eventualvorsatz in Bezug auf die Begehung schwerer Körperverletzungen. Sie müssen sich auch die konkret zur Ausführung gelangte Tat in vollem Umfang entgegen halten lassen. Schliesslich stuft auch das Kantonsgericht M. als Mittäter und nicht nur als blossen Gehilfen bei der Tat vom 30. April 2004 ein. Unter Anwendung des neuen Rechts wird B. zu einer teilbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren, wovon 1/2 Jahr unbedingt, verurteilt. M. wird zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt sowie zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen a Fr. 110.00. Die Probezeit beträgt jeweils 3 Jahre.


12 Kosten ( … )


KGE ZS vom 16. Mai 2007 i.S. Staatsanwaltschaft gegen B. und M. (100 06 726/BIN)



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