Strafprozessrecht

Notwendige Verteidigung


Die §§ 18 und 19 StPO entsprechen den verfassungsrechtlichen Minimalgarantien gemäss Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMKR. Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines amtlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten. Falls kein besonders schwerer Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers zu erwarten ist, müssen zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller - auf sich allein gestellt - nicht gewachsen wäre (sog. relativ schwerer Fall). Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, besteht kein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Erweist sich im Verlauf des Verfahrens, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr erfüllt sind, kann das Mandat gemäss § 18 Abs. 3 StPO eingeschränkt oder beendet bzw. das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Verteidigung für den nächsten Verfahrensabschnitt abgewiesen werden (E. 2).


Die lange Verfahrensdauer ist für sich allein kein Grund für die Bewilligung der notwendigen Verteidigung. Die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sind heute deutlich besser als früher. Dass der Beschwerdeführer die Dauer des betriebenen Hanfkurierdienstes und die seitens der Strafverfolgungsbehörden berechnete angeblich von ihm umgesetzte Menge Marihuana bestreitet, vermag für sich allein keine besonders schwierige Sach- oder Rechtslage zu begründen (E. 3).



Erwägungen

1. ( ... )


2. Gemäss § 18 Abs. 1 lit. c und d StPO ist der Beizug einer Verteidigerin oder eines Verteidigers notwendig, wenn die angeschuldigte Person wegen körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen oder wegen ihrer Jugend oder Unerfahrenheit nicht in der Lage ist, sich selbst hinreichend zu verteidigen oder wenn andere Gründe im Interesse der Rechtsprechung dies verlangen, namentlich bei besonders schwieriger Sach- oder Rechtslage. Laut § 19 Abs. 1 StPO wird einer mittellosen angeschuldigten Person auf Antrag eine unentgeltliche Verteidigung beigegeben, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung gemäss § 18 StPO erfüllt sind. Erweist sich im Verlauf des Verfahrens, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr erfüllt sind, kann das Mandat gemäss § 18 Abs. 3 StPO eingeschränkt oder beendet bzw. das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Verteidigung für den nächsten Verfahrensabschnitt abgewiesen werden.


Die §§ 18 und 19 StPO entsprechen den verfassungsrechtlichen Minimalgarantien gemäss Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (vgl. BJM 1/2005 S. 51). Als besondere Garantie für den Angeschuldigten im Strafprozess gewährleistet Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK die unentgeltliche Bestellung eines amtlichen Verteidigers, falls dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich erscheint und der Angeschuldigte mittellos ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes hat die bedürftige Partei aber auch gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV einen allgemeinen grundrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines amtlichen Rechtsvertreters nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich geboten. Dies trifft insbesondere im Strafprozess zu, wenn dem Angeschuldigten eine schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst (BGE 126 I 196 E. 3a). Droht konkret von vornherein ein tatsächlicher Freiheitsentzug, muss die Grenze jedenfalls wesentlich tiefer liegen. Es genügt, wenn mehr als einige Wochen oder Monate Haft zu erwarten sind (BGE 122 I 52 E. 2c/bb, 122 I 276 E. 3a, 120 Ia 46 E. 2). Falls kein besonders schwerer Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers zu erwarten ist, müssen zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller - auf sich allein gestellt - nicht gewachsen wäre (sog. relativ schwerer Fall). Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint die Bundesgerichtspraxis jeglichen verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung (BGE 122 Ia 51 E. 2c/bb, 120 Ia 43 E. 3; vgl. zum ganzen Abschnitt BGE 1P.627/2002 E. 2).


3. Gemäss Anklageschrift vom 10.07.2007 und Begleitschreiben der Staatsanwaltschaft vom 10.07.2007 hat der Beschwerdeführer eine bedingt vollziehbare Freiheitsstrafe von 11 Monaten als teilweise Zusatzstrafe zu einem früheren Strafurteil bei einer Probezeit von 2 Jahren zu gewärtigen. Hinsichtlich der bedingten Vorstrafe von 6 Monaten Gefängnis beantragt die Staatsanwaltschaft, diese nicht für vollstreckbar zu erklären. Es liegt somit ein relativ schwerer Fall nach der Praxis des Bundesgerichts vor, wobei sich die Strafdrohung im Vergleich zur Einschätzung vor der Anklageerhebung (vgl. Verfahren Nr. 200 05 478, Beschluss des Kantonsgerichts vom 23.08.2005, E. 3 ff.; BGE 1P.675/2005 E. 5.2) stark reduziert hat. Insbesondere muss der Beschwerdeführer nicht mehr mit einer teilweise unbedingten Strafe rechnen. Die lange Verfahrensdauer ist für sich allein kein Grund für die Bewilligung der notwendigen Verteidigung, wurde doch dadurch das Verfahren nicht komplizierter. Im Unterschied zu den Feststellungen in einem früheren Zeitpunkt des Strafverfahrens (vgl. BGE 1P.675/2005 E. 5.4) ist der Beschwerdeführer heute gesund und braucht gemäss eigener Aussage vom 15.08.2006 seit einem halben Jahr keine Psychotherapie mehr. Die Arbeitssituation des Beschwerdeführers hat sich ebenfalls geändert und lässt die Tatsache, dass er über keinen Berufsabschluss verfügt, in den Hintergrund treten: Er arbeitet temporär mit der Aussicht auf eine längere Beschäftigung bei der gleichen Einsatzfirma und verdient dort wöchentlich CHF 700.00 netto (vgl. Strafverfahren Nr. 300 07 283, act. S. 21 und 543). Die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers präsentieren sich damit deutlich besser als früher. Dass der Beschwerdeführer die Dauer des betriebenen Hanfkurierdienstes und die seitens der Strafverfolgungsbehörden berechnete angeblich von ihm umgesetzte Menge Marihuana bestreitet (vgl. Strafverfahren Nr. 300 07 283, act. S. 535 ff. und 639), vermag für sich allein keine besonders schwierige Sach- oder Rechtslage zu begründen. Die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung gemäss § 18 Abs. 1 lit. c und d StPO liegen folglich nicht mehr vor. Gestützt auf diese Feststellung hat die Vorinstanz das Gesuch um Bewilligung der notwendigen Verteidigung für das strafgerichtliche Verfahren zu Recht abgewiesen.


4. ( … )


5. ( … )


KGE ZS vom 21. Dezember 2007 i.S. H.K.T. gegen Strafgerichtspräsidium (200 07 1030/ZWH)



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