Strafrecht

Grobe Verkehrsregelverletzung


Bei einer längeren Rowdyfahrt, einem Rennen oder einer Verfolgungsfahrt ist es nicht sachgerecht, jede einzelne Verkehrsregelverletzung im Hinblick auf deren Qualifikation als einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung zu überprüfen. Sobald feststeht, dass der Täter sich für eine derartige länger andauernde Rowdyfahrt entschlossen hat, welche die schwerwiegende Verletzung mehrerer wichtiger Verkehrsregeln beinhaltet und die Verkehrssicherheit skrupellos gefährdet, ist von einer Tateinheit und einem Gesamtvorsatz auszugehen und ein Schuldspruch wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrsregeln gerechtfertigt, in welchem weitere einfache Verkehrsregelverletzungen aufgehen (Art. 90 Ziff. 1 SVG, Art. 18 StGB; E. 7.1.1).


Die Unverjährbarkeit nach einem erstinstanzlichen Urteil ist nur für Vergehen und Verbrechen, jedoch nicht für Übertretungen vorgesehen (Art. 97 StGB bzw. Art. 70 aStGB, Art. 72 aStGB, Art. 104 StGB, Art. 109 StGB; E. 7.1.2).



Erwägungen

1.-6. ( … )


7.1.1 Konkurrenz einfache und grobe Verkehrsregelverletzung


Das Strafgericht gelangte somit in den Fällen 1 und 2 bezüglich der Geschwindigkeitsüberschreitungen zu Schuldsprüchen wegen mehrfacher einfacher Verkehrsregelverletzungen. Die in der Anklageschrift unter Ziffer 1. b) beschriebene Geschwindigkeitsüberschreitung von "deutlich über der innerorts erlaubten Geschwindigkeit" sowie die unter Ziffer 1. c) erwähnte Geschwindigkeit von ca. 80-90 km/h statt 60 km/h bzw. die unter Ziffer 1. d) aufgeführte Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h statt 80 km/h wurden somit entgegen der übrigen Verkehrsregelverletzungen lediglich als einfache Verkehrsregelverletzungen qualifiziert. Es ist jedoch in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar, weshalb diese Geschwindigkeitsüberschreitungen gesondert zu betrachten und als einfache Verkehrsregelverletzungen zu qualifizieren sind. Entweder man sieht das Verhalten des Angeklagte als einzige rowdyhafte Fahrt bestehend aus mehreren einzelnen Verkehrsregelverletzungen an und qualifiziert diese gesamthaft als grob, da durch die Verfolgungsjagd wichtige Verkehrsregeln in objektiv schwerer Weise missachtet worden sind und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet worden ist. Dann ist es hingegen nicht nachvollziehbar, die einzelnen Verkehrsregelverletzungen im Hinblick auf deren Qualifikation als einfache oder schwere Verletzung zu überprüfen. Oder man prüft bei jeder einzelnen Verkehrsregelverletzung der gesamten Fahrt, ob diese jeweils als grobfahrlässig einzustufen ist oder nicht. Die Vorinstanz hat weder das eine noch das andere getan, sondern nur die geringeren Geschwindigkeitsübertretungen aus der grossen Anzahl von Verkehrsregeln herausgepickt und diese als einfache Verletzung angesehen. Bei einer einzelnen Prüfung der Delikte wäre jedoch zweifellos auch das Betätigen der Lichthupe als einfache Verkehrsregelverletzung zu qualifizieren gewesen. Darüber hinaus wäre es allenfalls möglich, die Verkehrsregelverletzungen aufgrund von unterschiedlichen Sachverhaltsabschnitten differenziert zu betrachten, da bei Beginn der Verfolgungsjagd oder des Rennes möglicherweise geringere Verkehrsregelverletzungen begangen wurden, die sich mit zunehmender Aggressivität und Risikobereitschaft der Lenker gesteigert haben und in groben Verkehrsregelverletzungen endeten. Das Strafgericht hat die Unterscheidung zwischen einfacher und grober Verkehrsregelverletzungen jedoch auch nicht aufgrund verschiedener Sachverhaltsabschnitte vorgenommen, sonst hätten auch die neben der Geschwindigkeitsüberschreitung zu Beginn begangenen anderen Verkehrsregelverletzungen, wie das Nichteinhalten des Sicherheitsabstands oder das Überfahren der Sicherheitslinie, als einfache Verkehrsregelverletzungen qualifiziert werden müssen. Es wurden jedoch nur die Geschwindigkeitsübertretungen als einfache Verkehrsregelverletzungen angesehen.


Nach Ansicht des Kantonsgerichts ist es bei einer längeren Rowdyfahrt, einem Rennen oder einer Verfolgungsfahrt nicht sachgerecht, jede einzelne Verkehrsregelverletzung im Hinblick auf deren Qualifikation als einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung zu überprüfen. Sobald feststeht, dass der Täter sich für eine derartige länger andauernde Rowdyfahrt entschlossen hat, welche die schwerwiegende Verletzung mehrerer wichtiger Verkehrsregeln beinhaltet und die Verkehrssicherheit skrupellos gefährdet, ist von einer Tateinheit und einem Gesamtvorsatz auszugehen und ein Schuldspruch wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrsregeln gerechtfertigt, in welchem weitere einfache Verkehrsregelverletzungen aufgehen. So hat im vorliegenden Fall neben einem Schuldspruch wegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung nicht noch ein Schuldspruch wegen einfacher Verkehrsregelverletzung zu erfolgen, wenn der Täter bei seiner Rowdyfahrt beispielsweise noch die Lichthupe betätigt hat. Die Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts bzw. um 20 km/h ausserorts sind somit Teil der Rowdyfahrt und somit der mehrfachen groben Verkehrsregelverletzung auch wenn diese, wenn sie allein begangen worden wären und isoliert betrachtet als einfache Verkehrsregelverletzung zu qualifizieren wären. Dabei stützt sich das Kantonsgericht auf die Lehre und Rechtsprechung zur sogenannten "Handlungseinheit". Massgebend ist demnach, dass die Delikte gleichartig sind, sich gegen dasselbe Rechtsgut richten und auf einem andauernden pflichtwidrigen Verhalten beruhen, das die anwendbare Strafnorm ihrem Gehalt nach mitumfasst (vgl. BGE 120 IV 6). Bei der vorliegenden Rowdyfahrt mit mehrfachen Verkehrsregelverletzungen ist von einer derartigen Handlungseinheit auszugehen, da die Einzeldelikte auf einem andauernden pflichtwidrigen Verhalten beruhen, sich die Einzelakte gegen das gleiche Rechtsgut, nämlich die Verkehrssicherheit richten, und sämtliche Einzelakten auf denselben Willensentschluss zurückgehen. So hat sich der Angeklagte 1 zur Verfolgungsjagd entschlossen, welche mehrere Verkehrsregelverletzungen, seien sie einfacher oder grober Art, beinhaltete.


Da der Angeklagte 1 mehrfach wichtige Verkehrsregeln in schwerer Weise verletzt und andere Verkehrsteilnehmer und die Mitinsassen massiv und in besonders vorwerfbarer Weise, d.h. rücksichtslos und skrupellos, gefährdet hat, erfolgt ein Schuldspruch wegen mehrfacher grober Verletzung von Verkehrsregeln, in welchem allfällige während der Rowdyfahrt ebenfalls begangene einfache Verkehrsregelverletzungen enthalten sind.


7.1.2 Verjährung der Übertretung


Nicht mitumfasst ist hingegen der Schuldspruch wegen einfacher Verkehrsregelverletzung in Fall 2. Das Kantonsgericht gelangt jedoch zur Auffassung, dass der Anklage in diesem Fall zufolge des Eintritts der Verjährung keine Folge zu geben ist. Gemäss Art. 109 StGB verjährt die Strafverfolgung von Übertretungen in drei Jahren. Die in Fall 2 geschilderte Tat fand am 2. Mai 2003 und somit vor mehr als drei Jahren statt. Das Kantonsgericht ist entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft der Auffassung, dass Art. 97 Abs. 3 StGB bzw. der gleichlautende frühere Art. 70 Abs. 3 aStGB, wonach die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist, bei Übertretungen nicht zur Anwendung gelangt. Das Kantonsgericht lässt sich bei dieser Auffassung zunächst von der Gesetzessystematik leiten. So hält Art. 104 StGB fest, dass die Bestimmungen des Ersten Teils des Strafgesetzbuchs abgesehen von den unter Art. 105ff. StGB erwähnten Änderungen auch für die Übertretungen gelten. Art. 97 StGB regelt entsprechend seiner Marginalie die Fristen der Verfolgungsverjährung. Diese Fristen gelten nur für Vergehen und Verbrechen, da die Frist für die Verfolgungsverjährung der Übertretungen in Art. 109 StGB speziell geregelt ist. Art. 97 Abs. 1 StGB gilt somit nur für Verbrechen und Vergehen. Abs. 2 und 4 des Art. 97 StGB bestimmen zudem noch spezielle Fristen für bestimmte Sexualdelikte. Es ist daher systematisch unlogisch, einzig den dritten Absatz des Art. 97 StGB, welcher grundsätzlich nur für Verbrechen und Vergehen gilt, ebenfalls für Übertretungen anzuwenden. Nach Ansicht des Kantonsgericht ist aufgrund der Gesetzessystematik davon auszugehen, dass die gesamte Verfolgungsverjährung in Art. 109 StGB speziell für Übertretungen geregelt ist und dem Art. 97 StGB als so genannte "lex specialis" vorgeht.


Im Weiteren basiert die kantonsgerichtliche Auffassung auf dem Sinn und Zweck der Verjährungsregelung. Mit dem Instrument der Verjährung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass auch der Zeitablauf dazu führen kann, dass Schuld- und Unrechtsausgleich an Bedeutung verlieren und die Strafverfolgung und -vollstreckung mit Blick darauf als unverhältnismässig erscheinen. Insbesondere aus verfahrensökonomischer Sicht ist eine endgültige Verjährung bei Übertretungen, welche sich durch geringes Verschulden, eine geringe Störung des Rechtsfriedens sowie ein geringes Vergeltungsbedürfnis auszeichnen, nach drei Jahren sinnvoll, da die Verjährung bei leichten Delikten zu einer Entlastung des Strafverfolgungsapparates führt, was mit Blick auf dessen beschränkte Ressourcen zumindest in Bezug auf die leichte und mittlere Kriminalität eine Notwendigkeit darstellt (vgl. Müller Peter, in: Basler Kommentar, StGB I, Vor Art. 70 StGB N 31ff.). Die Unverjährbarkeit von Übertretungen nach einem erstinstanzlichen Schuldspruch wäre zudem schwerlich mit dem geringen Schuldvorwurf in Einklang zu bringen und angesichts des geringen Vergeltungsbedürfnisses und der geringen Präventionswirkung sowie der Tatsache, dass die Durchführung eines Strafverfahrens mit zunehmendem Zeitablauf immer schwieriger wird, da der massgebliche Sachverhalt nicht mehr oder nur mehr unvollständig rekonstruiert werden kann, nicht unbedingt sachgerecht. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die Schaffung des Abs. 3 des Art. 97 StGB auf der Tatsache gründet, dass mit der Revision der Verjährungsbestimmungen die Norm über das Ruhen und die Unterbrechung der Verjährung aufgehoben wurde. Nach früherer Regelung ruhte unter bestimmten Voraussetzungen die Verjährung oder wurde unterbrochen (vgl. Art. 72 aStGB). Eine absolute Verjährung war jedoch auch festgelegt und betrug bei Übertretungen zwei Jahre. Bis zur Änderung der Verjährungsregeln, die am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten sind, waren Übertretungen nach zwei Jahren absolut verjährt. Mit der Revision der Verjährungsbestimmungen wurden die Bestimmungen über die Unterbrechung und das Ruhen der Verjährung sowie die absolute Verjährungsfrist aufgehoben und die Verjährungsfristen entsprechend erhöht. Nach altem Verjährungsrecht waren Übertretungen nach zwei Jahren absolut verjährt und nach neuem Recht tritt die Verjährung nach drei Jahren ein. Da im früheren Verjährungsrecht bei allen drei Deliktskategorien (Verbrechen, Vergehen, Übertretung) zwischen relativer und absoluter Verjährung unterschieden wurde, galt auch der frühere Art. 72 aStGB für die Übertretungen, waren diese in Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 aStGB auch ausdrücklich genannt. Indem man die Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Verjährung aufgegeben und die Verjährungsfristen generell entsprechend erhöht hat, ist die zusätzlich geschaffene Unverjährbarkeit nach Fällung eines erstinstanzlichen Urteils nicht auch zwingend für Übertretungen anzuwenden. Nach Ansicht des Kantonsgerichts entsprach es kaum dem Willen des Gesetzgebers, auch für Übertretungen den neu geschaffenen Abs. 3 des Art. 97 StGB anzuwenden. Wie bereits erwähnt muss der Täter bei derart leichten Delikten im Sinne des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit nach einer gewissen Zeit vor einer Strafverfolgung verschont werden. Dies war gemäss altem Recht nach Eintritt der absoluten Verjährung der Fall und muss auch nach neuem Recht nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist gelten. Ein Zugriff der Gerichte auf einen Täter im Falle einer Übertretung wäre nach mehr als drei Jahren seit der Tat im Hinblick auf das geringe Verschulden des Täters im Einzelfall sicherlich unverhältnismässig und mit dem Beschleunigungsgebot kaum zu vereinbaren. Es ist daher davon auszugehen, dass die Unverjährbarkeit nach einem erstinstanzlichen Urteil nur für schwere Delikte und damit nur für Vergehen und Verbrechen vorgesehen ist, weshalb diese Bestimmung auch in demjenigen Gesetzesartikel untergebracht worden ist, welcher sich mit der Berechnung der Verjährungsfristen für Verbrechen und Vergehen befasst. Aufgrund dieser Erwägungen stellt das Kantonsgericht von Amtes wegen fest, dass der Anklage gegen den Angeklagten 1 in Fall 2 zufolge Verjährungseintritts keine Folge gegeben wird.


KGE ZS vom 6. Februar 2007 i.S. Staatsanwaltschaft gegen S.M und T.Y (100 06 680/AFS)



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