Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE)

Anordnung einer zeitlich beschränkten, längerfristigen FFE


Anforderungen an die sachverständige Person bei der gerichtlichen Überprüfung der FFE:


Diese darf sich insbesondere nicht im gleichen Verfahren über den Gesundheitszustand der von der Massnahme betroffenen Person geäussert haben. An ihre Unabhängigkeit sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an das urteilende Gericht (Art. 397e Ziff. 5 ZGB; E. 2).


Eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung kann auch dann vorliegen, wenn diese erst mit der Entlassung verwirklicht würde. Ist aufgrund der Krankengeschichte der betroffenen Person konkret damit zu rechnen, dass es ohne längerfristige ambulante Behandlung zu einer Serie von ständig wiederkehrenden kurzfristigen Einweisungen kommen würde, kann der Eingriff in die persönliche Freiheit bei einem einmaligen längerdauernden zwangsweisen Klinikaufenthalt im Ergebnis geringfügiger sein und sich auch unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit als vorzugswürdiger und gerechtfertigt erweisen (E. 3.3.2).


Anforderungen an die Anstalt hinsichtlich Organisation und Therapiemöglichkeiten unter dem Aspekt der Geeignetheit der Massnahme (Art. 397a Abs. 1 ZGB; E. 3.4.4)


Die Voraussetzungen für eine FFE müssen sowohl im Zeitpunkt der Anordnung als auch im Zeitpunkt der Überprüfung gegeben sein. Massgeblicher Zeitpunkt im vorliegenden Fall (E. 4)


Im Zeitpunkt der Anordnung der Massnahme lag bei der Beschwerdeführerin ein Schwächezustand im Sinne einer Geisteskrankheit wie auch einer Trunksucht vor. Auch eine akute Selbstgefährdung war gegeben (Art. 397a Abs. 1 ZGB; E. 5).


Eine zeitlich unbeschränkte Einweisung der Beschwerdeführerin in eine geschlossene Anstalt erwiese sich im vorliegenden Fall als unverhältnismässig. Die Therapieform des betreuten Wohnens in einer speziellen Anstalt ausserhalb der psychiatrischen Klinik ist sachgerechter und als mildere Massnahme vorzuziehen. Zur Gewährleistung einer erfolgreichen Etablierung dieser Therapieform ist allerdings vorerst ein zeitlich beschränkter stationärer Klinikaufenthalt unumgänglich. Eine Dauer von vier Monaten wird im vorliegenden Fall als ausreichend erachtet (E. 6.2)


Die Kantonale Psychiatrische Klinik in Liestal (KPK) erweist sich als geeignete Anstalt im Sinne von Art. 397a Abs. 1 ZGB (E. 7).



Sachverhalt

Am 20. März 2009 verfügte das Kantonale Vormundschaftsamt (KVA) gegen S. eine vorsorgliche fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) und wies sie für die Dauer von höchstens 10 Wochen in die Kantonale Psychiatrische Klinik (KPK) ein. Die Einweisung erfolgte gestützt auf das Arztzeugnis von Dr. med. K., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Darin hielt die Ärztin fest, S. sei seit Tagen verwirrt, kontaktiere aus Angst dauernd verschiedene Institutionen, habe sich mit einem Messer Selbstverletzungen (Schnitte am rechten Arm) zugefügt und in unbekannter Menge Alkohol konsumiert. Die Patientin sei der KPK bekannt, ihre letzte Hospitalisation habe am 13. Februar 2009 stattgefunden und sie leide unter Angstzuständen. Es seien Alkoholprobleme mit Angstzuständen sowie ein fraglicher psychotischer Zustand zu diagnostizieren. Aufgrund der vorliegenden akuten Selbstgefährdung sei S. besonders behandlungsbedürftig und die notwendige Betreuung könne ihr nur in stationärem Rahmen erbracht werden. Die Verfügung des KVA vom 20. März 2009 wurde S. am 21. März 2009 eröffnet und erwuchs in der Folge am 31. März 2009 unangefochten in formelle Rechtskraft. Mit Schreiben vom 20. Mai 2009 beantragte die KPK auf Anfrage des KVA diesem bis auf Weiteres die Weiterführung der am 20. März 2009 verfügten FFE. Gestützt auf das von der KPK gemäss dem Auftrag des KVA erstellte Gutachten vom 20. Mai 2009 verfügte die Kantonale Vormundschaftskommission (KVK) mit Entscheid vom 26. Mai 2009 gemäss dem Antrag ihres Präsidiums vom 22. Mai 2009, dass S. gemäss Art. 397a des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) vom 10. Dezember 1907 in Verbindung mit § 90 des kantonalen Gesetzes über die Einführung des Zivilgesetzbuches (EG ZGB) vom 30. Mai 1911 für unbestimmte Zeit im Rahmen der FFE in der KPK Liestal zurückbehalten werde. Mit Fax vom 28. Mai 2009 erhob S. beim Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Kantonsgericht) Beschwerde gegen den Entscheid des KVA und begehrte sinngemäss die Aufhebung der FFE und ihre sofortige Entlassung aus der KPK. Mit verfahrensleitender Verfügung vom 8. Juni 2009 ernannte die instruierende Gerichtsschreiberin des Kantonsgerichts Dr. med. F., Assistenzärztin bei den Externen Psychiatrischen Diensten (EPD), zur Sachverständigen und Auskunftsperson im vorliegenden Verfahren und ersuchte sie, dem Gericht schriftlich Bericht über die aktuelle Situation von S. zu erstatten sowie anlässlich der Parteiverhandlung zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung zu stehen. Die Sachverständige reichte dem Kantonsgericht ihr Gutachten am 23. Juni 2009 ein. In seiner Vernehmlassung vom 23. Juni 2009 beantragte das KVA die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter o/e-Kostenfolge.



Erwägungen

1. (…) (Eintreten)


2. Gemäss Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf das Gericht über Beschwerden von psychisch kranken Personen nur unter Beizug einer sachverständigen Person entscheiden. Der individuelle Schwächezustand nach Art. 397a Abs. 1 ZGB muss in beweiskräftiger Weise ärztlich festgestellt worden sein, wobei die Ausführungen der sachverständigen Person sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen können (Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Auflage, Zürich 1999, N 337; Alexander Imhof, Der formelle Rechtsschutz, insbesondere die gerichtliche Beurteilung bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, Bern 1999, S. 120). Dabei gilt es zu beachten, dass die sachverständige Person nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung einerseits fachlich ausgewiesen und andererseits unbefangen sein muss. Dies bedeutet, dass diese sich nicht bereits im gleichen Verfahren über die Krankheit der von der Massnahme betroffenen Person geäussert haben darf. So wäre es beispielsweise nicht zulässig, wenn das Gutachten für die gerichtliche Beurteilung von derselben Medizinalperson erstellt würde, die bereits das Einweisungszeugnis verfasst hat. Unabhängig davon, ob die sachverständige Person vom Gericht angehört oder zur Begutachtung bloss als Hilfsorgan des Gerichts beigezogen wird, sind an ihre Unabhängigkeit somit die gleichen Anforderungen zu stellen wie an das urteilende Gericht (Bundesgerichtsentscheid [BGE] 128 III 15 E. 4a, 118 II 250 ff. E. 2; Thomas Geiser, Art. 397a ZGB, in: Honsell/Vogt/Geiser, Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch I, Art. 1 - 456 ZGB, 3. Auflage, Basel/Genf/München 2006, Art. 397e ZGB, N 21).


Da sich die Beschwerdeführerin schon verschiedentlich in der KPK aufgehalten hat und schon mehrmals von den Ärzten dieser Klinik begutachtet wurde, war es erforderlich, eine nicht zum Ärzteteam der KPK gehörenden Psychiaterin zur Sachverständigen im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu bestimmen. Mit Verfügung vom 8. Juni 2009 wurde Dr. med. F., Assistenzärztin der EPD, zur sachverständigen Person im Sinne von Art. 397e Ziff. 5 ZGB ernannt.


3.3.2 Bereits in seinem Entscheid vom 30. Mai 1986 i.S. Y hielt das Verwaltungsgericht (seit 1. Januar 2002 Kantonsgericht) fest, dass Situationen denkbar sind, in denen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit ein einziger, längerdauernder Klinikaufenthalt mehreren Aufenthalten von kürzerer Dauer vorzuziehen ist. Muss aufgrund einer Krankengeschichte mit immer wiederkehrenden, akuten Episoden gerechnet werden, so ist der Eingriff in die persönliche Freiheit des Patienten im Ergebnis geringer, wenn der Kreislauf mit Hilfe einer längerdauernden stationären Behandlung unterbrochen werden kann. Eine solche Massnahme ist allerdings nur zulässig, wenn die Gefahr, dass es ohne längerdauernde Behandlung immer wieder zu kurzfristigen Einweisungen kommt, genügend konkret ist und wenn zumindest eine beachtliche Chance dafür besteht, dass mit einer längerdauernden stationären Behandlung ein fruchtbares Therapie- und Betreuungsverhältnis aufgebaut werden kann (KGE VV vom 8. August 2007 i.S. R., 850 07 225, E. 3.3 und KGE VV vom


22. März 2006 i.S. B., 850 06 64, E. 3b je mit Hinweisen). Auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat erkannt, dass eine Anstaltseinweisung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung gegen den Willen des Patienten selbst dann zulässig sein kann, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung der FFE auf Grund der Behandlung in der Klinik gar keine Gefährdung besteht. Eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung kann also auch dann gegeben sein, wenn diese erst mit der Entlassung verwirklicht würde (Urteil des Bundesgerichts vom 4. Juli 2002, 5C.141/2002, E. 4).


3.4.4 Weiter muss eine Anstalt gemäss Art. 397a Abs. 1 ZGB für den Vollzug geeignet sein. Eine Anstalt ist grundsätzlich nur dann geeignet, wenn sie über die Organisation und die personellen Kapazitäten verfügt, um der eingewiesenen Person die Pflege und Fürsorge


zu erbringen, die diese im Wesentlichen benötigt (BGE 114 II 218 f. E. 7; Spirig, a.a.O.,


Art. 397a ZGB, N 123; Geiser, a.a.O., Art. 397a ZGB, N 24). Das statuierte Kriterium der Geeignetheit ist aufgrund des Zweckes der Freiheitsentziehung auszulegen: Ziel ist es, die betroffene Person auf den Wiedereintritt in ein Leben ausserhalb der Anstalt vorzubereiten. In Ausnahmefällen geht es allerdings auch darum, einer Person schlicht das Leben zu ermöglichen und den status quo zu erhalten. Entscheidend ist immer, ob die Anstalt wenigstens die persönliche Fürsorge, die als unbedingt nötig angesehen wird und nicht anders erwiesen werden kann, erbringen kann oder nicht. Besteht bei einer psychiatrischen Klinik das für den konkreten Fall erforderliche Therapieangebot nicht, ist die Unterbringung oder Zurückhaltung rechtswidrig (Suhr Brunner, a.a.O., S. 116). Die einweisende Stelle und im Beschwerdeverfahren das Gericht haben im Einzelnen zu prüfen, ob das Betreuungs- und Therapieangebot der entsprechenden Anstalt mit den spezifischen Bedürfnissen der betroffenen Person und dem Ziel der FFE übereinstimmt (Geiser, a.a.O., Art. 397a ZGB, N 24; BGE 112 II 487 E. 3).


4. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmässigkeit einer FFE muss stets untersucht werden, ob die in E. 3 erwähnten Voraussetzungen für die Anordnung, resp. Aufrechterhaltung dieser Massnahme gegeben sind - und zwar sowohl im Zeitpunkt der Anordnung als auch im Zeitpunkt der Überprüfung.


Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Verfügung der KVA vom 20. März 2009, mittels welcher der letztmalige und bis heute noch andauernde Anstaltsaufenthalt der Beschwerdeführerin eingeleitet wurde, am 31. März 2009 unangefochten in Rechtskraft erwachsen und in der Folge nicht mehr gerichtlich zu überprüfen ist, wird vorliegend vom Datum des Entscheides der KVK, mit welchem die zeitlich unbeschränkte Zurückbehaltung der Beschwerdeführerin in der KPK verfügt wurde, und somit vom 26. Mai 2009 als Zeitpunkt der Anordnung der Massnahme ausgegangen.


5. Es gilt nun zu prüfen, ob zu diesem Anordnungszeitpunkt die in Art. 397a Abs. 1 ZGB festgehaltenen Voraussetzungen für eine FFE vorgelegen haben und sich die Anordnung dieser Massnahme zu diesem Zeitpunkt verhältnismässig erscheint.


5.1 Im angefochtenen Entscheid vom 26. Mai 2009 hält die KVK fest, dass die Beschwerdeführerin unter einem Schwächezustand im Sinne des Gesetzes leide. Auch unter Klinikbedingungen bestehe akute Selbstgefährdung, wie u.a. die Vorkommnisse bei Urlauben aufgezeigt hätten. Die Erfahrungen der letzten Jahre und die letzten Vorkommnisse in der Klinik hätten bestätigt, dass mit der Beschwerdeführerin zur Zeit der Anordnung der Massnahme keine verbindlichen Absprachen möglich seien. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie bei einer Aufhebung der Massnahme wieder in ihre Wohnung zurückkehren würde und dann wieder mit suizidalen Impulsdurchbrüchen und massivem Alkoholkonsum zu rechnen sei. In den letzten Jahren sei es der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen, sich auf ein tragfähiges ambulantes Setting einzulassen. Sie sei auf die Rahmenbedingungen, wie sie in der KPK gegeben seien, angewiesen. Zusammenfassend sei festzustellen, dass sowohl die stationäre Behandlungsbedürftigkeit als auch die akute Selbstgefährdung bei einem Austritt gegeben seien, weshalb die FFE auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismässigkeit aufrecht zu erhalten sei.


5.2 Zur näheren Begründung des Schwächezustandes und der besonderen Fürsorgebedürftigkeit der Beschwerdeführerin verweist die KVK auf das Gutachten der KPK vom 20. Mai 2009, erstellt von Dr. M, Oberärztin, und P., Psychologe der KPK.


Darin wird bei der Beschwerdeführerin eine Geisteskrankheit im Sinne einer emotionalen instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (ICD-10 F60.31), eine Anorexia nervosa (ICD-10 F50.0) und ein Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10 F10.21) im Sinne einer Trunksucht diagnostiziert.


Das Gutachten bestätigt auch die vom KVA dargestellte langjährige Krankengeschichte der Beschwerdeführerin mit einer Vielzahl von Hospitalisierungen. Die Eintrittsumstände hätten sich immer sehr ähnlich gestaltet. Zu Hause, alleine lebend komme es bei der Beschwerdeführerin zu Alkohol- und Medikamentenintoxikationen. Diese rufe dann in verwirrtem und alkoholisiertem Zustand diverse Behörden, z.B. die Polizei, die Klinik oder Ärzte an. Bei der letzten Einweisung habe die Polizei die Beschwerdeführerin nach einem Anruf aufgesucht und diese mit einer unbestimmten Menge Alkohol intoxikiert und schlafend aufgefunden. Sie habe sich Schnittverletzungen zugefügt.


Die Beschwerdeführerin lebe seit ca. zehn Jahren in ihrer Wohnung in X., habe eine Tagesstätte in Y. besucht und sei später bei Dr. med. D. vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst Liestal in Behandlung gewesen. Seit ca. einem Jahr werde sie von Dr. med. A. von der Drogenberatung Baselland betreut. An ihrem Zustand habe sich in den letzten zehn Jahren insgesamt wenig verändert. Mehrmals jährlich trete sie nach Alkohol- und Tablettenintoxikation in die KPK ein und verhalte sich selbstverletzend (Schnittverletzungen) mit akuter Suizidalität. In stationärem Rahmen stabilisiere sie sich schnell wieder und es komme dort auch zumeist zu keinen weiteren Abstürzen. Allerdings komme es zu suizidalen Impulsdurchbrüchen, wenn die Beschwerdeführerin zurück in ihrer Wohnung sei, wo sie über keine ausreichende Tagesstruktur verfüge. Bisherige Probeübernachtungen an Wochenenden oder Tagesurlaube zu Hause hätten immer wieder in massiven Intoxikationen mit Alkohol und Medikamenten in lebensgefährlicher Art und Weise geendet, so dass momentan weiterhin von einer akuten Selbstgefährdung ausgegangen werden müsse.


5.3 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Anordnung der zeitlich unbeschränkten FFE aufgrund der Ausführungen im Gutachten und unter besonderer Berücksichtigung ihrer langjährigen Krankengeschichte mit einer Vielzahl von Anstaltseinlieferungen, gescheiterten Versuchen kurzfristigen eigenverantwortlichen Wohnens und einer deutlichen Tendenz zu wiederholten gefährlichen Selbstschädigungen in Form von Schnittverletzungen und Intoxikationen einerseits ein Schwächezustand - und zwar sowohl im Sinne einer Trunksucht als auch im Sinne einer Geisteskrankheit - wie auch eine besondere Fürsorgebedürftigkeit im Sinne einer akuten Selbstgefährdung vorlag.


Unter Berücksichtigung des regelmässigen Scheiterns von Versuchen eine andere Betreuungsform (insbesondere betreutes Wohnen) zu etablieren, war die Anordnung einer stationären Massnahme auch verhältnismässig.


Bei der Überprüfung, ob die Anordnung einer zeitlich unbeschränkten definitiven anstelle einer befristeten provisorischen FFE zum Anordnungszeitpunkt verhältnismässig war, sind die gleichen Kriterien zu berücksichtigen wie bei der Überprüfung derselben Frage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung. Es kann diesbezüglich deshalb auf die Ausführungen in den folgenden Erwägungen verwiesen werden.


6. Im Folgenden ist zu prüfen, ob die von der KVK mit Entscheid vom 26. Mai 2009 angeordnete zeitlich unbefristete Zurückbehaltung der Beschwerdeführerin in der KPK sich auch zum vorliegenden Zeitpunkt als rechtmässig und verhältnismässig erweist.


6.1 In ihrem Gutachten vom 22. Juni 2009 kommen die beiden Medizinalpersonen der EPD, Dr. med. A., Oberarzt und Dr. med. F., Assistenzärztin, aus medizinischer Sicht zu den selben Diagnosen wie das Gutachten der KPK vom 20. Mai 2009. Sie halten allerdings fest, dass im Bereich der Anorexie im Moment von einer gewissen Stabilität ausgegangen werden könne. Die Beschwerdeführerin liege mit ihrem aktuellen Gewicht gemäss BMI-Tabellen knapp im unteren Normalbereich. Die Zunahme der Symptomatik mit Intoxikationen und Schnittverletzungen seit ca. Ende 2008 sei durch die Erkrankung der langjährigen ambulanten Therapeutin der Beschwerdeführerin, Frau D., ausgelöst worden. Um eine vertrauensvolle, tragfähige Beziehung zu der jetzigen Therapeutin, Frau Dr. A., aufzubauen, brauche eine Patientin mit einem derartigen Krankheitsbild lange Zeit. In Bezug auf die schützende Wirkung durch einen stationären Aufenthalt in der Klinik zeige sich die Beschwerdeführerin höchst ambivalent. Einerseits schaffe sie es, mit den engen, sehr strukturierten Vorgaben der Klinik, die nur eine sehr kleinschrittige Erweiterung der Ausgangsmöglichkeiten vorsehe, seit kurzem abstinent zu bleiben. Andererseits ängstige sie die Vorstellung die eigene Wohnung, die für sie Inbegriff von Heimat und Autonomie sei, zu verlieren. Es falle ihr deshalb schwer an einer neuen Wohnperspektive mitzuarbeiten. Trotz regelmässiger ambulanter Gespräche und einer Tagesstrukturierung durch den Besuch einer Tagesstätte und Betreuung durch die Spitex habe bis jetzt keine durchgreifende Stabilisierung erreicht werden können, so dass bei einem Austritt in die eigene Wohnung ein Auftreten des bekannten Musters mit häufigen Alkoholrückfällen höchst wahrscheinlich sei.


In seiner Vernehmlassung vom 23. Juni 2009 führt das KVA unter Verweis auf die Akten und auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid an, es handle sich bei der vorliegenden Einweisung von S. um deren 46. Hospitalisation in der KPK. Im Verlauf der letzten Jahre habe sich eine Häufung der Eintritte gezeigt. Allein im Jahr 2008 sei die Patientin sechsmal in der KPK hospitalisiert gewesen. Aufgrund ihrer schweren Erkrankung sei sie nicht in der Lage, ihr Verhalten und die damit verbundenen lebensbedrohenden Konsequenzen zu steuern. Sogar unter Klinikbedingungen sei es bei erlaubten Tagesurlauben oder Probeübernachtungen zu massiven Alkoholintoxikationen gekommen. Somit müsse ihre Krankheitseinsicht als eingeschränkt betrachtet werden. Ein längerer stationärer Aufenthalt sei auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismässigkeit gerechtfertigt, da nach dem ständigen Scheitern der ambulanten Settings nur so ein seriöser Versuch gemacht werden könne, die Einsicht in die Konsequenzen der Krankheit zu steigern und einen Ansatz für eine betreute Wohnform zu finden.


Anlässlich der heutigen Parteiverhandlung führt die vom Gericht bestellte Gutachterin, Dr. med. F., ergänzend zu ihren Darlegungen im schriftlichen Gutachten aus, bei der Beschwerdeführerin könne zum aktuellen Zeitpunkt keine akute Suizidalität und diesbezügliche Selbstgefährdung mehr erblickt werden. Auch ihr Essverhalten habe sich stark verbessert. Ausserhalb des geschützten Rahmens der Klinik sei jedoch mit grosser Wahrscheinlichkeit von einem Wiederauftreten der Problematik der Alkohol- und Tablettenintoxikation auszugehen. Um dieser Gefährdung effizient zu begegnen, sei die Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem betreuten Wohnheim eine in Betracht zu ziehende Möglichkeit und insoweit auch eine gute Alternative zur stationären Behandlung in der KPK. Dies setze allerdings ein entsprechendes ambulantes Setting voraus, welches zwingend noch im geschützten und stationären Rahmen der KPK errichtet werden müsse und dessen Errichtung einige Zeit benötige. Eine Zeitdauer von zwei bis vier Monaten, während derer die Beschwerdeführerin wie anhin stationär in der KPK betreut würde, wäre dafür unumgänglich.


Die Beschwerdeführerin bekräftigt anlässlich der heutigen Parteiverhandlung einerseits ihren Willen, mit ihrer neuen Betreuerin, Frau A., weitere Fortschritte bezüglich ihrer Situation zu machen, und andererseits ihre Bereitschaft, eine Form des betreuten Wohnens als nächstes therapeutisches Ziel anzustreben. Sie erklärt sich nach Rücksprache mit ihrem Rechtsvertreter gegenüber dem Gericht auch bereit, zur Einrichtung eines ambulanten Settings, welches der Vorbereitung des Überganges in eine betreute Wohnform dient, freiwillig für eine begrenzte Zeitspanne in der jetzigen stationären Therapieform in der KPK zu verbleiben.


6.2 Unter Berücksichtigung dieser Aussagen der Beschwerdeführerin und den Einschätzungen der Gutachterin anlässlich der heutigen Parteiverhandlung muss festgestellt werden, dass eine zeitlich unbeschränkte Unterbringung der Beschwerdeführerin in einer geschlossenen Anstalt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit sich als nicht mehr vertretbar erweist. Die von der Gutachterin geschilderte Therapieform des betreuten Wohnens stellt, berücksichtigt man auch die kleinen aber glaubhaften Verbesserungen, welche sich bezüglich der Fürsorgebedürftigkeit der Beschwerdeführerin ergeben haben, eine geeignete, realistische und vor allem weniger einschneidende und somit mildere Massnahme zur Erreichung des Zieles der optimalen therapeutischen Betreuung der Beschwerdeführerin dar. Sie setzt jedoch zwingend eine erfolgreiche Etablierung des erwähnten ambulanten Settings voraus, für welche dem Personal der KPK genügend Zeit einzuräumen ist und welche unbedingt in stationärem Rahmen stattzufinden hat.


Das Gericht erachtet eine viermonatige Dauer dieser restlichen stationären Therapie im geschlossenen Rahmen der KPK für ausreichend und angemessen zur Einrichtung eines entsprechenden Settings.


7. Abschliessend ist die Eignung der KPK als Anstalt für den Vollzug der gegenüber der Beschwerdeführerin angeordneten FFE zu prüfen. Bezüglich dieser Frage ist gerichtsnotorisch, dass die KPK über genügend ausgebildetes psychiatrisches Ärzte- und Pflegepersonal verfügt, welches in der Lage ist, die Beschwerdeführerin zu betreuen und zu überwachen.


Die KPK kann eine optimale, engmaschige Betreuung der Beschwerdeführerin unter Klinikbedingungen gewährleisten und verfügt insbesondere auch über das notwendige Fachpersonal und die nötigen Mittel und Kontakte um das erforderliche ambulante Setting rasch und effizient einzurichten.


Damit steht für das Kantonsgericht fest, dass die KPK für die stationäre Behandlung der Beschwerdeführerin bzw. für die Erweisung der notwendigen Fürsorge im Rahmen der FFE durchaus geeignet ist.


8. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Anordnung der KVK vom


26. Mai 2009, die Beschwerdeführerin im Rahmen der FFE für unbestimmte Zeit in der KPK zurückzubehalten, zum Verfügungszeitpunkt rechtmässig war, sich allerdings unter Berücksichtigung der heutigen Situation der Beschwerdeführerin als unverhältnismässig erweist, da eine mildere Massnahme in Form des betreuten Wohnens nach Einrichtung eines entsprechenden ambulanten Settings, welche noch in stationärem Rahmen in der KPK zu erfolgen hat, zur Verfügung steht.


Die Beschwerde ist folglich teilweise gutzuheissen und die Dauer der FFE auf vier Monate zu befristen.


9. (…) (Kosten)


KGE VV vom 1. Juli 2009 i.S. S. (850 09 191/VOA)


Fürsorgerischer Freiheitsentzug (FFE)
Geeignete Anstalt
Sachverständige Person
Voraussetzungen
Verhältnismässigkeit


ZGB
Art. 397a Abs. 1 Voraussetzungen FFE / Verhältnismässigkeit
Art. 397e Ziff. 5 Gerichtliche Überprüfung einer FFE: Sachverständige Person


EG ZGB
§ 90 Anordnung einer FFE: Zuständigkeit



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