Unfallversicherung

Erfüllung des Unfallbegriffs bei medizinischen Massnahmen


Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors ist bei medizinischen Massnahmen erfüllt, wenn die ärztliche Vorkehr vom medizinisch Üblichen erheblich abweicht und dadurch entsprechende Risiken in sich schliesst (Art. 4 ATSG, E. 3.1).


Ein ärztlicher Behandlungsfehler kann ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen, wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigungen handelt, mit denen niemand rechnet noch zu rechnen braucht (Art. 4 ATSG; E. 2.3).


Eine bei einer Weisheitszahnextraktion eingetretene Beschädigung des Zungennervs kann ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen, wenn der Eingriff eine erhebliche Verletzung der Regeln der zahnärztlichen Wissenschaft und Praxis darstellt. Im Falle eines Behandlungsfehlers muss ein grober Verstoss gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht vorliegen (E. 5.2).


Einem vom Haftpflichtversicherer in Auftrag gegebenen medizinischen Gutachten ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung grundsätzlich Beweiswert beizumessen (Art. 61 lit. c ATSG; E. 4.)


Dem Versicherer ist aufgrund einer Unfallmeldung, deren Ereignis vor 11 Jahren stattgefunden hat, nicht mehr zuzumuten, den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären (Art. 43 Abs. 1 ATSG; E. 5.4).


Das Kriterium der Freiwilligkeit für den Unfallbegriff bei medizinischen Massnahmen ist gemäss Rechtsprechung nicht massgebend (E. 6.1).



Sachverhalt

Der 1964 geborene X. unterzog sich am 22. Juli 1996 einer Weisheitszahnextraktion im hinteren rechten Unterkiefer. Bei diesem Eingriff wurde der Zungennerv beschädigt. Am 29. August 2007 meldete der Versicherte am Schalter der SUVA, dass er seit der Operation des Weisheitszahnes an verschiedenen Beeinträchtigungen leide. Die SUVA lehnte ihre Leistungspflicht ab. Die gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies die SUVA mangels Vorliegen eines Unfallereignisses mit Einspracheentscheid ab. Gegen diesen Einspracheentscheid erhob X. durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde ans Kantonsgericht, Abteilung Sozialversicherungsrecht.



Das Kantonsgericht zieht i n E r w ä g u n g :

1. (Eintretensvoraussetzungen)


2.1 Nach Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) vom 20. März 1981 gewährt die Unfallversicherung Leistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten. Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt voraus, dass zwischen dem versicherten Ereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher (vgl. dazu BGE 119 V 337 E. 1, 118 V 289 E. 1b, je mit Hinweisen) und ein adäquater (vgl. dazu BGE 125 V 461 E. 5a, 123 III 112 E. 3a, 123 V 103 E. 3d und 139 E. 3c, 122 V 416 E. 2a, je mit Hinweisen) Kausalzusammenhang besteht.


2.2 Als Unfall gilt nach Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte und schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet. Ob dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich nur die objektiven Umstände in Betracht fallen (BGE 129 V 402 E. 2.1, 122 V 233 E. 1, 121 V 38 E. 1a, je mit Hinweisen).


2.3 Die Grundsätze zum Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit gelten auch, wenn zu beurteilen ist, ob ein ärztlicher Eingriff den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllt. Die Frage, ob eine ärztliche Vorkehr als mehr oder weniger ungewöhnlicher äusserer Faktor zu betrachten sei, ist auf Grund objektiver medizinischer Kriterien zu beantworten. Sie ist nur dann zu bejahen, wenn die ärztliche Vorkehr als solche den Charakter des ungewöhnlichen äusseren Faktors aufweist; denn das Merkmal der Aussergewöhnlichkeit bezieht sich nach der Definition des Unfallbegriffs nicht auf die Wirkungen des äusseren Faktors, sondern allein auf diesen selber. Nach der Praxis ist es mit dem Erfordernis der Aussergewöhnlichkeit streng zu nehmen, wenn eine medizinische Massnahme in Frage steht. Damit eine solche Vorkehr als ungewöhnlicher äusserer Faktor qualifiziert werden kann, muss ihre Vornahme unter den jeweils gegebenen Umständen vom medizinisch Üblichen ganz erheblich abweichen und zudem, objektiv betrachtet, entsprechend grosse Risiken in sich schliessen. Im Rahmen einer Krankheitsbehandlung, für welche die Unfallversicherung nicht leistungspflichtig ist, kann ein Behandlungsfehler ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen, nämlich wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigungen handelt, mit denen niemand rechnet noch zu rechnen braucht (vgl. Urteil des Bundesgerichts, sozialrechtliche Abteilung, vom 29. April 2008, 8C_526/2007, E. 3). Ob ein Unfall im Sinne des obligatorischen Unfallversicherungsrechts vorliegt, beurteilt sich unabhängig davon, ob der Arzt oder die Ärztin einen Kunstfehler begangen hat, der eine (zivil- oder öffentlichrechtliche) Haftung begründet. Ebenso wenig besteht eine Bindung an eine allfällige strafrechtliche Beurteilung des ärztlichen Verhaltens (vgl. Alexandra Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2003, S. 23 ff., mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre; BGE 121 V 38 E. 1b, 118 V 284 E. 2b).


2.4 Der Sozialversicherungsprozess ist gemäss Art. 61 lit. c ATSG vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Das Gericht hat den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen, aus eigener Initiative und ohne Bindung an die Vorbringen oder Beweisanträge der Parteien abzuklären und festzustellen (vgl. BGE 117 V 263 E. 3b). Der Untersuchungsgrundsatz gilt aber nicht uneingeschränkt, sondern wird durch die Mitwirkungspflicht der Parteien ergänzt (vgl. E. 1a mit Hinweisen). Dazu gehört auch die Substantiierungspflicht, welche besagt, dass die wesentlichen Tatsachenbehauptungen und -bestreitungen in den Rechtsschriften enthalten sein müssen (vgl. Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 20).


2.5 Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Eine Beweislast besteht nur in dem Sinne, dass im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (vgl. Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrecht, Bern 2003, § 68 N 3 ff. mit weiteren Hinweisen). Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf dem Wege der Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264). Das schweizerische Sozialversicherungsrecht kennt demnach keinen Grundsatz, wonach die Versicherungsorgane im Zweifel zu Gunsten der Versicherten zu entscheiden haben. Ein Anspruch auf Leistungen besteht nur, wenn die Voraussetzungen dafür mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfüllt sind (vgl. ZAK 1983 S. 259).


2.6 Beweise sind im Sozialversicherungsprozess vom Gericht frei (vgl. Art. 61 lit. c ATSG) frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Expertin oder des Experten begründet sind. Das Gericht darf unter diesen Voraussetzungen in seiner Beweiswürdigung auch Arztberichten folgen, welche die SUVA im Administrativverfahren selber einholt, denn in diesem Verfahrensstadium handelt sie nicht als Partei, sondern tritt als ein dem Gesetzesvollzug dienendes Verwaltungsorgan auf (BGE 104 V 209; Urteil des Bundesgerichts vom 15. Mai 2008, U 484/06. E. 4.1.2. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 E. 3a, 122 V 160 E. 1c). Was Parteigutachten anbelangt, rechtfertigt der Umstand allein, dass eine ärztliche Stellungnahme von einer Partei eingeholt und in das Verfahren eingebracht wird, nicht Zweifel an ihrem Beweiswert (ZAK 1986 S. 189 E. 2a in fine).


3.1 Es ist unbestritten, dass im Rahmen der Weisheitszahnextraktion vom 22. Juli 1996 der Nervus lingualis des Versicherten verletzt wurde und es dadurch zu den geklagten Beschwerden und Sensibilitätsstörungen der Zunge kam. Streitig ist hingegen, ob dieses Geschehen den Unfallbegriff, insbesondere das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors, erfüllt. Ein solcher liegt bei medizinischen Massnahmen gemäss Rechtsprechung nur dann vor, wenn die ärztliche Vorkehr vom medizinisch Üblichen erheblich abweicht und dadurch entsprechende Risiken in sich schliesst. Bei einem Behandlungsfehler ist insbesondere zu prüfen, ob dem Arzt oder der Hilfsperson des Arztes, für welche dieser einzustehen hat, eine grobe oder ausserordentliche Verwechslung oder Ungeschicklichkeit vorzuwerfen ist, mit welcher die versicherte Person nicht rechnen musste (vgl. E. 2.3). Diesfalls kann ein Behandlungsfehler ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen.


3.2 Die SUVA stützte ihren ablehnenden Einspracheentscheid auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. und Dr. Z. vom 6. November 1998. Dieses Gutachten wurde im Auftrag des Haftpflichtversicherers der Zahnarztpraxis von Dr. A. erstellt. Dem Gutachten ist in der Anamnese zu entnehmen, dass die am 22. Juli 1996 vorgenommene Weisheitszahnextraktion von einem in der Praxis von Dr. A. tätigen Assistenzarzt vorgenommen wurde. Der Versicherte erinnere sich nicht an ein Aufklärungsgespräch über die Risiken der Weisheitszahnextraktion. Der Eingriff selbst habe erst nach der zweiten Lokalanästhesie durchgeführt werden können. Soweit der Versicherte mitbekommen habe, habe nebst dem Einsatz von normalen Extraktionsinstrumenten auch am Knochen geschliffen werden müssen. Es sei ihm aber nicht bewusst gewesen, dass eine Teilung des Zahnes stattgefunden habe. Dagegen habe er bemerkt, dass es zu einer Instrumentenfraktur gekommen sei. Am gleichen Tag habe die Operationswunde nachgeblutet und Schmerzen sowie ein Brennen hätten in der rechten Unterlippe eingesetzt. Diese Schmerzen habe er erst nach Einnahme von Schmerzmitteln knapp aushalten können. Im Laufe des ersten postoperativen Monats hätten sich die akuten stechenden Schmerzen in einen Dauerschmerz mit Ausstrahlung in die Zähne des rechten Unterkiefers geändert. Eine Wahrnehmungsstörung im Bereich der rechten Zungenhälfte sowie ein vermindertes Geschmacksempfinden seien geblieben. Zum Gutachterzeitpunkt habe der Versicherte angegeben, an einem dumpfen ohne Analgetika erträglichen Dauerschmerz im Unterkiefer zu leiden, welcher durch scharfe Speisen verstärkt würde. Seit der Operation habe der Versicherte vermehrt Kopfschmerzen. Er fühle sich nervös und empfinde seine Belastbarkeit als reduziert. Als Diagnose hielten die begutachtenden Zahnärzte eine residuale Hypästhesie/Hyperalgesie des Nervus lingualis rechts bei Status nach operativer Entfernung des Zahnes 48 fest. Der radiologische Befund war normal. Bei den vom Haftpflichtversicherer gestellten Fragen wurde ausgeführt, dass die Beschwerden des Versicherten nicht zwangsläufig als Folge eines Behandlungsfehlers betrachtet werden könnten. Iatrogene Schädigungen des Nervus lingualis könnten zwar bei Entfernung eines unteren Weisheitszahnes durch geeignete intraoperative Massnahmen weitgehend vermieden werden, seien jedoch nicht vollständig auszuschliessen. Der Versicherte leide unter chronischen, allerdings ohne Analgetika erträglichen Dauerschmerzen im rechten Unterkiefer. Diese würden bei Bewegungen des Kiefers sowie Einnahme von scharfen Speisen verstärkt. Weiterhin bestehe eine leichte Hypästhesie in der rechten Zungenhälfte. Es käme zu keinen gehäuften Bissverletzungen. Die durch den Dauerschmerz gesteigerte Nervosität und die verminderte Belastbarkeit seien nachvollziehbar. Es sei jedoch unklar, inwieweit andere Faktoren in den Lebensumständen des Versicherten dabei eine Rolle spielen würden. Der Versicherte sei im normalen Rahmen arbeitsfähig. In der ergänzenden Stellungnahme vom 28. Oktober 1999 führten die Gutachter aus, dass eine orientierende Geschmacksprüfung durchgeführt worden sei. Für eine detaillierte Abklärung würden sie eine neurologische Untersuchung empfehlen, wobei sich ein weiterer Geschmackstest nicht zwingend aufdränge. Die seelische Mitverarbeitung somatischer Schäden sei medizinisch bekannt. Zur präzisen Diagnostik einer Depression sei eine fachärztliche Untersuchung indiziert.


4. Der Versicherte macht geltend, dass auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. und Dr. Z. vom 6. November 1998, welches im Rahmen eines Haftpflichtverfahrens erstellt worden ist, in beweisrechtlicher Hinsicht nicht abgestellt werden könne.


Entgegen der vom Versicherten vertretenen Auffassung schliesst der Umstand, dass das Gutachten von Prof. Dr. Dr. S. und Dr. Z. vom 6. November 1998 im Auftrag des Haftpflichtversicherers erstellt worden ist und deshalb vorwiegend haftpflichtrechtliche Fragen beantwortet, dessen Berücksichtigung im vorliegenden Verfahren nicht aus. Weil die SUVA bei der Beweiswürdigung ein zur Objektivität verpflichtetes gesetzesvollziehendes Organ ist, kann auch von ihr beigezogenen Privatgutachten Beweiswert beigemessen werden, sofern sie schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen. Die gegenteilige Auffassung widerspräche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wonach alle Beweisunterlagen, unabhängig von wem sie stammen, in die Beurteilung einzubeziehen sind (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a. mit Hinweisen). Die den Sachverständigen zu stellenden Fragen unterscheiden sich im Haftpflicht- und Unfallversicherungsrecht bezüglich ärztlichen Behandlungen nicht wesentlich, ist doch in beiden Verfahren grundsätzlich zu prüfen, ob der behandelnde Arzt seine Sorgfaltspflicht verletzt hat (vg. André Largier, Schädigende medizinische Behandlung als Unfall, Basel/Genf 2002, S. 122). Ein vom Haftpflichtversicherer in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten kann daher im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren durchaus aufschlussreich sein.


5.1 Weiter führt der Versicherte an, dass das Gutachten für das vorliegende Verfahren relevante Fragen nicht beantworte und damit unvollständig sei. Insbesondere könne dem Gutachten nicht entnommen werden, welche konkreten Massnahmen der Zahnarzt zur Vermeidung der Verletzung hätte ergreifen sollen, ob tatsächlich eine Instrumentenfraktur stattgefunden habe und in welchem Umfang der Versicherte über die Risiken der Operation aufgeklärt worden sei. Die Beantwortung der vom Versicherten aufgeworfenen Fragen ist jedoch nicht entscheidrelevant. Die Beurteilung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt und der Eingriff vom 22. Juli 1996 vom medizinisch Üblichen abweicht, lässt sich aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. S. und Dr. Z. durchaus rechtsgenüglich beurteilen. Anlass für detaillierte Abklärungen würde allenfalls bestehen, wenn die Operation eine erhebliche Verletzung der Regeln der zahnärztlichen Wissenschaft und Praxis darstellt und somit vom medizinisch Üblichen abweicht. Im Falle eines Behandlungsfehlers müsste ein grober Verstoss gegen die Sorgfaltspflichten des operierenden Arztes vorliegen. Wie sich im Folgenden zeigen wird, erreicht ein allfälliger Behandlungsfehler oder eine Abweichung vom medizinisch Üblichen nicht das erforderliche Ausmass, um als ungewöhnlicher äusserer Faktor qualifiziert werden zu können.


5.2 Ausgehend von den Ausführungen im Gutachten vom 6. November 1998 besteht der einzige Vorwurf, welcher gegenüber dem operierenden Zahnarzt gemacht werden könnte, darin, dass die Schädigung des Zungennervs durch geeignete Vorkehren hätte weitgehend vermieden werden können. Anhaltspunkte für andere Fehler ergeben sich nicht aus den Akten; der Versicherte führt auch keine solchen an. Es ist zwar festzustellen, dass die Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliege, von den Gutachtern nur grundsätzlich verneint wird. In einem weiteren Satz relativieren sie diese Aussage mit dem Hinweis, dass die Verletzung des Zungennervs durch geeignete intraoperative Massnahmen hätte weitgehend vermieden werden können. Es lässt sich daher nicht eindeutig feststellen, ob der Assistenzzahnarzt bzw. der für die Hilfsperson verantwortliche Dr. A. in jeder Hinsicht seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. Diese nicht ganz klare Aussage bewegte wohl auch den Haftpflichtversicherer dazu, mit dem Versicherten die Entschädigungsvereinbarung vom 27. Juni 2002 abzuschliessen. Indem die Gutachter aber das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verneinen, ist davon auszugehen, dass dem operierenden Zahnarzt mit der Unterlassung zumindest keine grobe und ausserordentliche Ungeschicklichkeit oder sogar eine absichtliche Schädigung vorzuwerfen ist. Andernfalls hätten die Gutachter die Vornahme von intraoperativen Massnahmen als unerlässlich einstufen müssen, was hier aber nicht zutrifft.


Die Frage, ob der Zungennerv verletzt worden ist, weil die intraoperativen Massnahmen nicht vorgenommen wurden, ist nicht entscheidend. Ebenso wenig relevante Bedeutung ist der Abklärung, um welche Massnahmen es sich genau handelt, beizumessen. Wesentlich ist vielmehr, ob die unterlassene Vornahme solcher Vorkehren eine erhebliche Abweichung vom medizinisch Üblichen darstellt und dadurch das Verletzungsrisiko vergrössert. Aufgrund der Beurteilung der Gutachter, welche das Ergreifen von intraoperativen Massnahmen ausdrücklich nur als eine Möglichkeit zur Vermeidung von Nervenschädigungen erachten, ist zu schliessen, dass die Unterlassung dieser Massnahmen nicht einen groben Verstoss gegen die Regeln der Kunst darstellt. Damit steht gleichzeitig fest, dass damit auch der Rahmen des medizinisch Üblichen unfallversicherungsrechtlich nicht in erheblicher Weise überschritten worden ist. Der operierende Arzt hätte möglicherweise dem Versicherten eine bessere Behandlung zukommen lassen können, worauf aber der Versicherte aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht keinen Anspruch hat. Denn die Frage, ob eine bestimmte medizinische Massnahme einer Ärztin oder eines Arztes einen Kunst- und Behandlungsfehler darstellt, wird aus der Sicht eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittszahnarztes beurteilt (Thomas Grieder, Zahnarzt - Recht und Risiko, Ein praxisbezogener Beitrag zur Haftung des Zahnarztes, in HAVE 2006, S. 211). Dazu kommt, dass selbst bei Ergreifen der fraglichen Massnahmen die Schädigung des Zungennervs nicht unbedingt hätte verhindert werden können. Die Extraktion eines Weisheitszahnes im Unterkiefer ist erfahrungsgemäss mit dem Risiko verbunden, dass die in der Nähe verlaufenden Nerven, wie unter anderem der Zungennerv, beschädigt werden können. Mit der vorliegenden Verletzung des Nervus lingualis hat sich somit ein Risiko verwirklicht, das bei Vornahme einer Weisheitszahnextraktion bekannt ist.


5.3 Damit gelangt das Gericht zur Überzeugung, dass das Gutachten und die weiteren vorhandenen Unterlagen ein zuverlässiges Bild des relevanten Sachverhaltes ergeben und dieser demnach hinreichend abgeklärt ist. Das Gutachten erfüllt auch die von der Rechtsprechung an ärztliche Berichte und Gutachten gestellten Anforderungen im Sozialversicherungsrecht (vgl. E. 2.6). Es ist für die streitigen Belange umfassend, ist in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden, nachvollziehbar begründet und in sich widerspruchsfrei.


5.4 Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Sachverhaltsermittlung aufgrund der vorliegenden Akten ungenügend ist, wäre von weiteren Abklärungsmassnahmen abzusehen. Mittlerweise 11 Jahre nach der Weisheitszahnextraktion ist nicht mehr zu erwarten, dass zuverlässigere Angaben zum Eingriff vom 22. Juli 1996 gemacht werden können (sog. antizipierte Beweiswürdigung; vgl. dazu BGE 126 V 130 E. 2a, 124 V 94 E. 4b, 122 V 162 E. 1d, 119 V 344 E. 3c in fine mit Hinweisen; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 E. 4b). Zwar ist die SUVA gestützt auf Art. 43 Abs. 1 ATSG verpflichtet, die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vorzunehmen und die erforderlichen Auskünfte einzuholen. Der Untersuchungsgrundsatz wird jedoch durch die Mitwirkungspflicht der versicherten Person begrenzt. Indem der Versicherte erst nach über 11 Jahren eine Unfallmeldung erstattete, erweist es sich für die SUVA äusserst schwierig, Erkundigungen über einen derart lange zurückliegenden medizinischen Eingriff einzuholen. Der Beweisantrag, ein neuro-psychologisches Gutachten in Auftrag zu geben, vermag die Frage der Ungewöhnlichkeit der Operation nicht zu beantworten. Es würde allenfalls Auskunft über den gesundheitlichen Zustand des Versicherten geben. Wie bereits in Erwägung 2.3 dargetan, bezieht sich das Merkmal der Aussergewöhnlichkeit nur auf den äusseren Faktor, aber nicht auf dessen Wirkungen. Demnach ist mit neuro-psychologischen Abklärungen kein sachdienliches Ergebnis zu erwarten. Da aufgrund der vorliegenden Aktenlage dem operierenden Zahnarzt keine grobe Verwechslung und Ungeschicklichkeit nachgewiesen werden kann, sind die Voraussetzungen für den Unfallbegriff nicht erfüllt. Die Folgen der Beweislosigkeit hat somit der Versicherte zu tragen, der aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 117 V 264 E. 3b).


6. Der Versicherte führt weiter an, dass er über die möglichen Folgen der Weisheitszahnoperation nicht aufgeklärt worden sei, weshalb eine grobe und ausserordentliche Ungeschicklichkeit im Sinne der Rechtsprechung vorliege.


6.1 Damit macht der Versicherte geltend, dass für die Beurteilung, ob eine Operation einen Unfall darstelle, das Erfordernis der Freiwilligkeit entscheidend sei. Denn ein Patient kann nicht rechtsgültig in die Behandlung einwilligen, wenn er nicht umfassend über die Risiken einer Operation informiert wird. Diese vom Versicherten postulierte Änderung der Rechtsprechung zum Unfallbegriff bei medizinischen Behandlungen hat das Bundesgericht bis anhin abgelehnt (vgl. Urteil vom 14. Oktober 1987 in: RKUV 1988 U 36 S. 42; Largier, a.a.O., S. 105). Indem die geltende Rechtsprechung das Kriterium der Freiwilligkeit für den Unfallbegriff bei medizinischen Massnahmen als nicht massgebend erachtet, kann aus einer allfälligen Verletzung der Aufklärungspflicht nicht das Vorliegen eines ungewöhnlichen äusseren Faktors abgeleitet werden. Selbst wenn man in Anlehnung an das Haftpflichtrecht davon ausgeht, dass die Einwilligung des Patienten für die Frage, wann der äussere Faktor das im Bereich der ärztlichen Tätigkeit Alltägliche überschreitet, entscheidend ist, ist die Schädigung des Zungennervs anlässlich der Weisheitsextraktion nicht als Unfall zu qualifizieren: Kriterien der Aufklärung sind die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Risiko eintreten sowie die Schädigung, zu der das Risiko führen kann (vgl. Largier, a.a.O., S. 128 f.). Die Beweislast für das Vorliegen einer rechtsgenüglichen Aufklärung liegt grundsätzlich beim Zahnarzt (Grieder, a.a.O, S. 209 - 217). Dieser muss beweisen, dass der Patient auch eingewilligt hätte, wenn er über die Risiken aufgeklärt worden wäre. Vom Patienten kann jedoch verlangt werden, dass er glaubhaft macht oder zumindest behauptet, weshalb er auch bei gehöriger Aufklärung die Einwilligung zur Vornahme des Eingriffes verweigert hätte. Wirkt der Patient nicht mit, kann nach objektiviertem Massstab darauf abgestellt werden, ob die Ablehnung des Eingriffs vom Standpunkt eines vernünftigen Patienten aus verständlich ist (BGE 117 Ib 197 E. 5).


6.2 Eine Befragung des Assistenzarztes bzw. von Dr. A. fand angeblich gemäss den Akten statt (vgl. Schreiben vom 10. Mai 2001). Danach sei es zu keiner Instrumentenfraktur gekommen und der Versicherte sei über die Risiken der Operation aufgeklärt worden (vgl. auch Schreiben vom 2. Mai 2002). Der weitere Inhalt dieses Gesprächs ist jedoch nicht bekannt. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, wie umfassend der Versicherte über die Risiken der Operation informiert worden ist. Ein Nachweis der Aufklärung seitens des Zahnarztes liegt nicht vor. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass der Versicherte auch nicht behauptet oder plausibel dargelegt hat, er hätte bei gehöriger Aufklärung aus damaliger Sicht seine Einwilligung zur Operation verweigert. Es ist deshalb nach objektiviertem Massstab zu prüfen, ob eine vernünftige Person in der gleichen Situation in den Eingriff eingewilligt hätte. Aus den Unterlagen geht hervor, dass der Versicherte die Praxis von Dr. A. wegen seiner Zahnschmerzen im hinteren rechten Unterkiefer aufsuchte. Die dort durchgeführte Untersuchung führte zur Indikation der Extraktion des Weisheitszahnes 48. Dabei handelt es sich um einen verbreiteten Routineeingriff. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass eine vernünftige Person auch bei umfassender Aufklärung die Einwilligung zur Weisheitszahnextraktion gegeben hätte. Verständliche Gründe für die Ablehnung eines solchen Eingriffs sind nicht ersichtlich.


7. Aufgrund dieser Ausführungen ist festzuhalten, dass die beim Versicherten am 23. Juli 1996 vorgenommene Weisheitszahnextraktion nicht als ungewöhnlicher äusserer Faktor und somit nicht als Unfall im Rechtssinne qualifiziert werden kann. Demzufolge kann der Versicherte keine Ansprüche gegenüber der SUVA geltend machen, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.


8. (Kostenentscheid)


KGE SV 28. November 2008 i.S. A. (725 08 086)


Gegen diesen Entscheid hat der Versicherte am 4. März 2009 bei der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht.



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