Obligationenrecht - Werkeigentümerhaftung

Ein natürlich gewachsener Baum ist kein Werk im Sinne von Art. 58 OR; ob er - wenn er an ein Werk angrenzt - eine Einheit mit diesem bildet, kann offen bleiben (Art. 58 Abs. 1 OR; E. 4.1).


Die Anlage eines Grillplatzes unter höheren und älteren, gesunden Bäumen stellt noch keinen Mangel bei der Erstellung des Werks dar (Art. 58 Abs. 1 OR; E. 4.2).


Die Unterhaltspflicht des Werkeigentümers bezieht sich auch auf die ans Werk angrenzenden Bäume, soweit diese eine Gefahr für den Benützer des Werks darstellen können. Bezüglich Unterhalt öffentlicher Grillplätze ist eine analoge Anwendung der Bestimmungen für den Strassenunterhalt - namentlich eine Prüfung der Zumutbarkeit des finanziellen Aufwandes - zulässig (Art. 58 Abs. 1 OR; E. 4.1 und 4.3).


Der Unterhalt eines Grillplatzes hinsichtlich Gefährdung durch umliegende Bäume ist hinreichend und mängelfrei, wenn die angrenzenden Bäume und deren Äste regelmässigen Sichtkontrollen vom Boden aus unterzogen werden; der Einsatz technischer Hilfsmittel (Drehleitern, Hebebühnen etc.) zur Prüfung der Bäume und Äste auf vom Boden aus nicht erkennbare Mängel ist dem Werkeigentümer nicht zumutbar (Art. 58 Abs. 1 OR; E. 4.5).


Gefahrensatz: Definition (Art. 41; E. 4.6).



Sachverhalt

A. Mit Urteil vom 10. Mai 2007 wies das Bezirksgericht Liestal die von A. A. am 29. Dezember 2005 beim Friedensrichteramt X. gegen die Bürgergemeinde X. angehobene Teilklage auf Leistung eines Forderungsbetrages von CHF 10'913.00 ab, auferlegte die friedensrichterlichen sowie bezirksgerichtlichen Kosten der Klägerin und sprach der Beklagten zulasten der Klägerin eine Parteientschädigung zu. Zur Begründung seines Urteils führte das Bezirksgericht im Wesentlichen aus, in tatsächlicher Hinsicht sei erstellt und unbestritten, dass sich die Klägerin am Nachmittag des 03. Juli 2005 bei sonnigem und windstillem Wetter an einer fest installierten Tischgarnitur auf dem Grillplatz "Y." in X. aufgehalten habe, als von der neben dem Tisch befindlichen Buche in ca. 10 m Höhe ein Ast mit ca. 30 cm Durchmesser und 5 m Länge abgebrochen sei und der Länge nach auf dem Tisch aufgeschlagen habe. Dabei habe der Ast die Halswirbelsäule der Klägerin getroffen und eine Abrissfraktur des Processus spinosi HWK 7 / BWK 1 verursacht. Ferner habe die Klägerin eine Commotio cerebri und eine Scapulafraktur rechts erlitten. ( … )


B. Gegen dieses Urteil hat der Rechtsvertreter der Klägerin mit Eingabe vom 11. Mai 2007 die Appellation erklärt. Mit Eingabe vom 16. Juli 2007 liess die Appellantin beantragen, es sei festzustellen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin für den dieser beim Ereignis vom 03. Juli 2005 entstandenen Schaden hafte, eventuell sei in Gutheissung der Appellation die Beklagte zu verpflichten, an die Klägerin einen Betrag von CHF 10'913.00 - Mehrforderung vorbehalten - zu bezahlen, unter o/e Kostenfolge. ( … )


C. Mit Appellationsantwort vom 30. Oktober 2007 beantragte der Rechtsvertreter der Beklagten, das angefochtene Urteil sei in Abweisung der Appellation vollumfänglich zu bestätigen, unter o/e Kostenfolge. ( … )



Erwägungen

1. - 3. ( … )


4. In rechtlicher Hinsicht macht die Klägerin zunächst eine Haftung der Beklagten als Werkeigentümerin gestützt auf Art. 58 OR, sekundär aber auch eine Haftung der Beklagten in Anwendung des Gefahrensatzes gemäss Art. 41 OR geltend. Unbestritten ist zunächst, dass die Beklagte Eigentümerin des Grillplatzes sowie des Unfallbaumes ist, ebenso unbestritten blieb der Umstand, dass der Appellantin Schaden erwuchs. Umstritten ist indessen vorab, ob in casu ein Werk im Sinne von Art. 58 OR vorliegt.


4.1 Ein Werk im Sinne von Art. 58 OR ist nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung ein materielles Objekt, das von Menschenhand geschaffen oder gestaltet wurde und mit dem Erdboden direkt oder indirekt fest verbunden ist (BGE 130 III 740; R. Brehm, Berner Kommentar, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band VI, Obligationenrecht, 1. Abteilung Allgemeine Bestimmungen, 3. Teilband, 1. Unterteilband, Die Entstehung durch unerlaubte Handlungen, Art. 41-61 OR, 3. Auflage, Bern 2006, N 26 ff. zu Art. 58, S. 858). Als natürliches Erzeugnis ist ein Baum nicht als Werk zu betrachten, so dass der Eigentümer eines Waldes ebenso wenig aufgrund von Art. 58 OR haftet wie der Eigentümer eines einzelnen Baumes. Wird indessen ein Baum von Menschenhand versetzt, um in ein Werk integriert zu werden, oder beschränkt sich der menschliche Eingriff auch nur auf das Zurückschneiden der Äste, so ist die Werkeigenschaft eines Baumes zu bejahen (R. Brehm, a.a.O., N 30 zu Art. 58, S. 859). Im vorliegenden Fall wurde der Unfallbaum weder von Menschenhand versetzt noch zurückgeschnitten, so dass dessen Werkeigenschaft klar zu verneinen ist. Unbestritten ist sodann, dass der Grillplatz "Y.", bestehend aus einer gemauerten Grillstelle sowie aus im planierten Boden verankerten Tischen und Bänken, als Werk zu qualifizieren ist. Kontrovers ist hingegen die Frage, ob in casu die den Grillplatz umgebenden Bäume mit dem Grillplatz eine Einheit bilden. Nach Dafürhalten des Kantonsgerichts ist diese Frage im Hinblick darauf, dass sich der Verantwortungsbereich des Werkeigentümers in jedem Falle auf die Umgebung des Werks erstreckt (vgl. dazu BGE 4C.45/2005) bloss semantischer Natur. Der Unfallbaum und dessen Zustand sind somit als Umgebung des Werks nachfolgend in die Erörterung des Mangelbegriffs einzubeziehen.


4.2 Vorab gilt es festzuhalten, dass - entgegen dem Dafürhalten der Appellantin - allein der Umstand des Schadeneintritts noch keinen Rückschluss auf die Mangelhaftigkeit des Werks erlaubt (vgl. BGE 4C.209/1991, E. 6a). Die Schadensverursachung muss auf einen Werkmangel oder auf einen mangelhaften Unterhalt zurückzuführen sein. Ob ein Werk fehlerhaft angelegt ist oder mangelhaft unterhalten wird, hängt vom Zweck ab, den es zu erfüllen hat (BGE 4C.386/2004, E. 2.1).


Die Appellantin räumt in ihrer Appellationsbegründung zwar explizit ein, dass kein sog. Erstellungsmangel des Werks vorliege, impliziert indessen gleichzeitig mit der Feststellung, die Einrichtung eines Grillplatzes unter alten Bäumen sei per se als Werkmangel zu qualifizieren, das Vorliegen eines Erstellungsmangels. Die Anlage eines Grillplatzes unter höheren und älteren, gesunden Bäumen stellt nach einhelliger Meinung des Kantonsgerichts noch keinen Mangel bei der Erstellung des Werks dar. Namentlich ist in casu weder behauptet noch bewiesen, dass der abgebrochene Ast des Unfallbaumes bereits bei der Erstellung des Grillplatzes dessen Sitzplätze überragte.


Zu prüfen ist somit, ob ein Mangel aufgrund mangelhaften Unterhalts auszumachen ist, wobei es in casu weniger um den Unterhalt der festen Installation als vielmehr der nächsten Umgebung - im Sinne der Gefahr eines Astabbruchs als Risiko für die Grillplatzbenützung - geht.


4.3 Der Unterhalt eines Werkes ist dann mangelhaft, wenn es dem Eigentümer zumutbar gewesen wäre, den Mangel festzustellen und ihn zu beheben. Dabei ist ein objektiver Massstab anzulegen. Entscheidend ist daher allein, wie oft und wie genau ein bestimmtes Werk in Anbetracht seiner Gefährlichkeit und seiner Anfälligkeit für Mängel kontrolliert werden soll und wie rasch ein dabei entdeckter Mangel behoben werden kann. Im Rahmen der Zumutbarkeit ist auch das Kosten- / Nutzenverhältnis zu berücksichtigen, wobei aber nicht die finanziellen Ressourcen des Eigentümers massgeblich sind. Entscheidend ist vielmehr, dass ein vernünftiges Verhältnis zwischen dem Schutzinteresse des Benützers und der wirtschaftlichen Bedeutung des Werks besteht. Soweit es indessen um die Verpflichtung des Gemeinwesens zur Leistung des Strassenunterhalts geht, spielen für die Frage der Zumutbarkeit des Aufwandes die Finanzen der öffentlichen Hand eine wichtige Rolle (vgl. R. Brehm, a.a.O., N 59 ff. zu Art. 58, S. 872 f.). Angesichts der Vielzahl von Wald angrenzenden Werken des Gemeinwesens (Waldwege, Ruhebänke, Aussichtspunkte, Grillplätze), erscheint in casu die Prüfung einer analogen Anwendung der Bestimmungen für den Strassenunterhalt zulässig.


4.4 Für den vorliegenden Fall ist vorauszuschicken, dass an die Unterhaltsansprüche für einen Grillplatz - verglichen mit einem Waldspazierweg - aufgrund der längeren Verweildauer höhere Anforderungen zu stellen sind. Wie häufig und in welcher Art die Kontrollen konkret vorzunehmen sind, kann in casu aus den nachstehend erörterten Gründen letztlich aber offen bleiben.


Gemäss dem Gutachten des Kantonsforstingenieurs vom 28. März 2006 machen der Waldbestand sowie der "Unfallbaum" einen gesunden und stabilen Eindruck. Die Kronen seien gut ausgebildet und vollständig belaubt. Es seien keine schiefen Bäume vorhanden und vom Boden aus seien keine typischen Schwächungsmerkmale wie Spechthöhlen, Pilzfruchtkörper, Astungswunden oder "Wassertaschen" erkennbar. Kleinere Verletzungen würden in der Regel noch überwallt, und die nicht überwallten Flächen mit blossem, sichtbarem Holzkörper seien klein. Der einzige Hinweis auf eine reduzierte Stabilität sei die recht grosse Höhle auf der dem Grillplatz abgeneigten Seite des Unfallbaumes (Stammfuss). Die feststellbare Eingrenzung dieser Höhle auf den Stammfuss lasse allerdings nur den Schluss zu, dass die Stabilität des gesamten Baumes im Hinblick auf einen Stammbruch abzuklären wäre. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Höhle am Stammfuss und dem Astabbruch sei nicht ableitbar. Die für den Abbruch verantwortliche Schwächung sei eine Folge der Verletzung auf der Oberseite des Astes. Aufgrund der Höhe der Abbruchstelle kämen als Verursacher der Verletzung primär natürliche Vorgänge in Frage. Die Faulstelle sei selbst bei einer eingehenden Inspektion des Baumzustandes vom Boden aus nicht erkennbar gewesen. Dazu hätte es des Einsatzes einer Hebebühne oder einer Drehleiter bedurft. Rückblickend könne indes nicht beurteilt werden, ob der Schaden bzw. dessen Ausmass selbst mit derart erhöhtem Aufwand erkennbar gewesen wäre. Insgesamt liege deshalb der Schluss nahe, dass das Abbrechen des Astes mit vernünftigem bzw. vertretbarem Aufwand nicht vorhersehbar gewesen sei (Gutachten, S. 3 f.).


Bei der Frage, welche Schlüsse aus der gutachterlichen Einschätzung zu ziehen sind, kommt der Beweislastverteilung erhebliche Bedeutung zu. Gemäss Art. 8 ZGB obliegt der geschädigten Partei der Nachweis des Unterhaltsmangels. Sie muss im Ergebnis beweisen, dass die Beklagte den Mangel hätte erkennen können. Diesen Beweis vermag die Appellantin indessen im Hinblick auf den vom Experten gezogenen Schluss, dass eine Entdeckung der Gefahrenquelle selbst bei Einsatz einer Hebebühne oder Drehleiter ungewiss gewesen wäre, nicht in rechtsgenüglicher Weise zu erbringen.


4.5 Doch selbst wenn von der Erkennbarkeit des Mangels auszugehen wäre, wäre noch zu prüfen, ob der Appellatin die dafür erforderlichen Massnahmen - wie der Einsatz einer Hebebühne oder Drehleiter - zumutbar gewesen wären.


In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Appellatin den Grillplatz dem Publikum unentgeltlich zur Verfügung stellt und keinen eigentlichen wirtschaftlichen Nutzen aus ihm schöpft. Sodann ist zu beachten, dass die periodische Kontrolle von öffentlichen Grillplätzen im Hinblick auf die Vielzahl weiterer gleich zu behandelnder Werke des Gemeinwesens (Ruhebänke, Aussichtspunkte etc.), zeitlich enorm aufwendig ist. Er erscheint daher klar unverhältnismässig, an allen derartigen Plätzen regelmässig sämtliche angrenzenden Bäume, deren Äste den Platz überragen, mittels Hebebühnen oder Drehleitern auf das Bestehen von Schwachstellen zu untersuchen. Nach Dafürhalten des Kantonsgerichts darf in casu - in analoger Anwendung der Praxis beim Unterhalt öffentlicher Strassen - auch der finanzielle Aufwand derart eingehender Kontrollmassnahmen gewichtet werden. Angesichts des doch sehr geringen Risikos, dass ein belaubter, vom Boden aus nicht als geschädigt erkennbarer Ast spontan abbricht, ist eine regelmässige, kostenintensive Kontrolle der Oberseite von Ästen mittels Hebebühnen, Drehleitern oder gar Erklettern des Baumes dem Eigentümer eines angrenzenden Werkes nicht zumutbar. Auch wenn das Risiko spontanen Abbrechens grüner Äste gemäss Gutachten vom 28. März 2006 bei eingeschränkter Wasserversorgung namentlich bei älteren Bäumen zunimmt, so ist das entsprechende Risiko doch noch immer sehr gering, andernfalls müssten in der Gerichtspraxis vergleichbare Verfahren dokumentiert sein, was indes nicht der Fall ist. Da ein Zurückschneiden von Ästen gemäss Gutachten unnatürliche Eintrittspforten für Schädlinge begründen und damit ein Unfallrisiko noch erhöhen würde, wären als wirksame Massnahmen zur erkennbaren Reduktion des (geringen) Unfallrisikos nur das Entfernen älterer Bäume oder das Entfernen der Einrichtung aus dem Bereich älterer Bäume denkbar. Derart drastische Massnahmen sind angesichts des geringen Risikos von Spontanabbrüchen belaubter Äste weder vertretbar noch zumutbar. Das Kantonsgericht erachtet den Unterhalt eines Grillplatzes hinsichtlich Gefährdung durch umliegende Bäume als hinreichend und mängelfrei, wenn die angrenzenden Bäume und deren Äste regelmässigen Sichtkontrollen vom Boden aus unterzogen werden. Ob solche Kontrollen in casu tatsächlich stattgefunden haben, kann offen bleiben, da die für den Unfall kausale schadhafte Stelle am abgebrochenen Ast vom Boden aus gar nicht erkennbar war.


4.6 Die Appellantin macht ferner geltend, die Appellatin hafte eventualiter aufgrund des sog. Gefahrensatzes für den entstandenen Schaden. Der Gefahrensatz - als Norm des ungeschriebenen Rechts - verlangt, dass derjenige, der einen Zustand schafft, welcher einen anderen schädigen könnte, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen Vorsichtsmassnahmen treffen muss (vgl. R. Brehm, a.a.O., N 51 zu Art. 41, S. 43 ff.). Während ein Teil der Lehre und das Bundesgericht in seiner jüngerer Praxis den Gefahrensatz nur als Kriterium für die Verschuldensfrage anwenden (BGE 124 III 297, 300 f.), vertritt ein anderer Teil der Lehre die Auffassung, dass der Gefahrensatz - das Bestehen einer Garantenstellung bzw. das Vorhandensein einer Verkehrssicherungspflicht - schon bei der Widerrechtlichkeit zu prüfen sei (vgl. I. Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, Bern 2006, N 50.33, S. 349; A.K. Schnyder, in: H. Honsell / N.P. Vogt / W. Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1 - 529, 4. Auflage, Basel 2007, N 38 zu Art. 41, S. 347). In casu kann diese Frage letztlich offen bleiben, da es in jedem Falle am erforderlichen Verschulden fehlt. Die für ein Verschulden vorausgesetzte Fahrlässigkeit verlangt nämlich, dass das schädigende Ereignis für den Schädiger voraussehbar war. Nachdem - wie bereits oben ausgeführt - die für den Astabbruch kausale Schwachstelle an der Oberseite des Astes für die Appellatin nicht erkennbar war, ist die Voraussehbarkeit des Ereignisses und damit das Verschulden klar zu verneinen.


Ursächlich für den Unfall und die Verletzung der Appellantin war somit weder ein mangelhafter Werkunterhalt im Sinne von Art. 58 OR noch eine unerlaubte Handlung bzw. Unterlassung im Sinne von Art. 41 OR, sondern die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos ( … ).


5. ( … )


KGE ZS vom 04. März 2008 i.S. A. A. gegen Bürgergemeinde X. (100 07 538/NOD)



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