Zivilprozessrecht

Unentgeltliche Prozessführung


Grundsätzlich darf die unentgeltliche Prozessführung nicht rückwirkend, sondern nur für die künftige Prozessführung entzogen werden. Die Partei bzw. der unentgeltliche Rechtsbeistand darf nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass bis zur Fällung eines Entzugsentscheids die bewilligte unentgeltliche Rechtspflege Geltung hat (§ 71 Abs. 3 ZPO; E. 2.2).


Ein rückwirkender Entzug der unentgeltliche Prozessführung ist zulässig, falls ein Gesuchsteller nachweislich falsche oder unvollständige Angaben über seine finanzielle Situation gemacht hat (§ 71 Abs. 3 ZPO; E. 3.2).


Der Entzug der unentgeltlichen Verbeiständung wirkt grundsätzlich ex nunc, d.h. er darf nur für die künftige Prozessführung entzogen werden und nicht rückwirkend erfolgen (§ 71 Abs 3 ZPO; E. 3.3).



Erwägungen

1. ( … )


2.1 ( … )


2.2 Grundsätzlich darf die unentgeltliche Prozessführung nicht rückwirkend, sondern nur für die künftige Prozessführung entzogen werden. Die Partei bzw. der unentgeltliche Rechtsbeistand darf nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass bis zur Fällung eines Entzugsentscheids die bewilligte unentgeltliche Rechtspflege Geltung hat. Soweit diese Annahme jedoch nicht mehr berechtigt ist, kommt ein Entzug auch rückwirkend für Rechtsvorkehren in Betracht, welche nicht im Vertrauen auf die gewährte unentgeltliche Rechtspflege vorgenommen werden konnten, also etwa für offensichtlich aussichtslose oder mutwillige Rechtsbegehren oder für Prozesshandlungen, die nach Einleitung des Entzugsverfahrens erfolgten. Ein rückwirkender Entzug ist sodann immer zulässig, wenn eine Partei die unentgeltliche Prozessführung durch nachweislich falsche oder unvollständige Angaben erschlichen hat. Das Verfahren auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ist nämlich ein Verwaltungsverfahren und der entsprechende instruktionsrichterliche Entscheid ist rechtlich als Verwaltungsverfügung zu qualifizieren. Wie grundsätzlich jede Verwaltungsverfügung erwächst auch die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht in materielle Rechtskraft, sondern ist vielmehr unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Abänderbarkeit von Verwaltungsakten jederzeit widerrufbar. Ein Widerruf ist namentlich dann zulässig, wenn die Voraussetzungen zur Bewilligung des Kostenerlasses gar nie erfüllt waren. Der Widerruf wegen nie gegebener Voraussetzungen entspricht der Rücknahme einer fehlerhaften Verfügung und dient damit der richtigen Durchführung des objektiven Rechts. Stellt sich im Lauf des Prozesses heraus, dass die Voraussetzungen für die unentgeltliche Prozessführung nie gegeben waren, so kann diese rückwirkend auf den Zeitpunkt der Erteilung entzogen werden. Dass dem Widerruf bei Bösgläubigkeit des Gesuchstellers rückwirkende Kraft zukommt, bedarf keiner weitern Erläuterungen. Dass ein rückwirkender Entzug auch bei gutem Glauben angeordnet werden kann, stellt im Bereich des Leistungsverwaltungsrechts nichts Aussergewöhnliches dar, insbesondere im Sozialversicherungsrecht sind unrechtmässig bezogene Leistungen auch von gutgläubigen Empfängern zurückzuerstatten (vgl. Amtsbericht 1995 S. 55f.).


3.1 Im vorliegenden Falle begründete der Bezirksgerichtspräsident Liestal den rückwirkenden Entzug der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung im Wesentlichen damit, dass der Beklagte seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, indem er seine Liegenschaft in Bosnien-Herzegowina nicht hinreichend dokumentiert habe. Die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung seien ab Beginn nie gegeben gewesen. Es stehe mittlerweile ausser Zweifel, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Eigentums an der Liegenschaft als vermögend in nicht unbeträchtlichem Umfange zu bezeichnen sei und sämtliche Kosten des Prozesses tragen könne.


3.2 Das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, kommt nach Einsichtnahme in die Akten der Vorinstanz zum Schluss, dass die Rüge des Beschwerdeführers 1 unbegründet ist. Im Verfahren betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gilt ein beschränkter Untersuchungsgrundsatz. Es obliegt grundsätzlich dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen und soweit möglich auch zu belegen. Er hat über seine finanzielle Situation uneingeschränkt Aufschluss zu erteilen und muss das zu deren Feststellung Zumutbare beitragen. Dabei dürfen umso höhere Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen Situation gestellt werden, je komplexer die finanziellen Verhältnisse sind (vgl. BGE 120 Ia 179 E. 3a). Verweigert ein Gesuchsteller die zur Beurteilung seiner aktuellen Gesamtsituation erforderlichen Angaben oder Belege, so kann eine Nachforschung unterbleiben und die zivilprozessuale Bedürftigkeit verneint werden. Dies gilt nicht nur bei Bewilligung des Kostenerlasses, sondern auch im Hinblick auf dessen allfälligen Entzug. Diese Auswirkung hat auch einen Gesuchsteller zu treffen, der nachweislich falsche oder unvollständige Angaben über seine finanzielle Situation gemacht hat. Die unentgeltliche Prozessführung ist jedenfalls dann nicht zu gewähren, wenn auch nach Bekanntwerden der unrichtigen oder unvollständigen Angaben Zweifel über die wirklichen Verhältnisse zurückbleiben (vgl. BJM 1996 S. 163 ff.). Im konkreten Fall erachtet das Kantonsgericht, Abteilung Zivil- und Strafrecht, die zumutbare Mitwirkung des Beschwerdeführers 1 an der Abklärung seiner finanziellen Verhältnisse als ungenügend. Die erforderlichen Belege, welche der Vorinstanz erlaubt hätten, den Verkehrswert der Liegenschaft im Ausland verlässlich zu bestimmen, wurden nicht zeitgerecht beigebracht. Es wurde mithin insbesondere versäumt, das Bezirksgericht über die Lage und den Zustand des fraglichen Objekts in der hiesigen Amtssprache zu dokumentieren. In seinem Zeugnis zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung deklarierte der Beschwerdeführer die Liegenschaft in seiner Heimat in Bosnien-Herzegowina nicht. Die Existenz der fraglichen Immobilie war dem Bezirksgericht Liestal zwar ab Einleitung des Verfahrens bekannt, zumal diese Bestandteil der güterrechtlichen Auseinandersetzung bildete, welche in Ergänzung zum Scheidungsurteil des Amtsgerichts M. verlangt worden war. Grundeigentum schliesst die Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung an den Eigentümer allerdings nicht zum Vornherein aus. Ist die hypothekarische Belastung der Liegenschaft höher als der zu erwartende Verkaufserlös, ändert sich an der finanziellen Situation eines Gesuchstellers durch dessen Veräusserung bekanntlich nichts. Vielmehr werden durch den Verkauf lediglich die latenten Schulden realisiert. Der Vorinstanz wurde nie belegt, ob der Prozess nicht durch eine Aufnahme bzw. Erhöhung eines Hypothekarkredites finanziert werden kann. Da die Sachlage bezüglich der ausschlaggebenden Frage, ob sich aus dem Grundstück flüssige Mittel im benötigten Umfange wirklich beschaffen lassen, auch nach Abnahme aller Beweismittel zweifelhaft blieb, erscheint der rückwirkende Entzug der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ohne weiteres als vertretbar. Die Rückwirkung rechtfertigt sich hier umso mehr, als der heutige Beschwerdeführer selbst für die ursprüngliche Fehlerhaftigkeit der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung verantwortlich ist. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Begünstigte von Anfang an nicht mittellos gewesen ist und durch mangelhafte Angaben über seine wirtschaftliche Situation die unentgeltliche Prozessführung zu Unrecht erlangt hat.


3.3 Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz dem Beklagten den unentgeltlichen Rechtsbeistand rückwirkend ab Prozessbeginn entziehen durfte. Diesen Punkt rügt denn auch Advokat F. S. in seiner im eigenen Namen geführten Beschwerde. Der Entzug der unentgeltlichen Verbeiständung wirkt grundsätzlich ex nunc, d.h. er darf nur für die künftige Prozessführung entzogen werden und nicht rückwirkend erfolgen. Als Begründung wird dafür angegeben, dass sich bei Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung lediglich der Staat und die gesuchstellende Partei gegenüber stehen; sobald aber einmal ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt worden ist, kommt das Verhältnis zwischen Staat und dem amtlichen Rechtsbeistand dazu. Der Staat verbietet nämlich dem amtlichen Rechtsbeistand einerseits, Kostenvorschüsse zu verlangen, garantiert ihm aber andererseits eine angemessene Entschädigung für seine Bemühungen. Ein Entzug des unentgeltlichen Rechtsbeistandes mit Wirkung ex tunc würde dazu führen, dass der amtliche Rechtsbeistand nachträglich der staatlichen Garantie für eine angemessene Entschädigung verlustig ginge, ohne je Gelegenheit erhalten zu haben, von seiner Partei einen Kostenvorschuss für seine Bemühungen zu verlangen. Dieses Ergebnis ist unhaltbar. Soweit sich die Doktrin mit dem Problem beschäftigt, wird denn auch einhellig die Ansicht vertreten, ein Entzug des Rechts auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand mit Wirkung ex tunc sei aus Rücksicht auf den beigeordneten Anwalt nicht zulässig. Der Staat hat zur Wahrung seiner Interessen die Möglichkeit, den gesetzlichen Rückforderungsanspruch gemäss § 76 ZPO geltend zu machen. Für einen ausnahmsweise rückwirkenden Entzug der unentgeltlichen Verbeiständung bestehen im vorliegenden Fall keine genügenden Gründe. Es ist nicht erwiesen und wird vom Bezirksgericht auch nicht geltend gemacht, dass der Vertreter des Beklagten über die Dimensionen und den Ausbaustandard der Liegenschaft in Bosnien-Herzegowina unterrichtet war. Es bestehen mithin keine Anzeichen, welche auf ein widersprüchliches Verhalten des amtlichen Rechtsbeistandes hindeuten. Das Vorgehen des amtlichen Rechtsbeistandes erscheint durchwegs als korrekt, so dass es sich nicht rechtfertigen lässt, ihm nachträglich die staatliche Garantie für eine angemessene Entschädigung zu entziehen. Im Ergebnis ist die Beschwerde des amtlichen Rechtsbeistandes begründet. Sie ist daher teilweise gutzuheissen und in Abänderung von Ziffer 3 des Urteils des Bezirksgerichts Liestal vom 3. April 2008 wird dem Beklagten für das Verfahren betreffend Ergänzung des Scheidungsurteils die unentgeltliche Verbeiständung mit Wirkung bis 22. November 2007 bestätigt. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. Die Angelegenheit ist zur Neubeurteilung der Kostenfolgen an das Bezirksgericht Liestal zurückzuweisen.


4. ( … )


KGE ZS vom 22. Juli 2008 i.S. I. und R. gegen BG Liestal und I. (200 08 381/LIA)



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