Strafrecht

Solidarhaftung der gesetzlichen Vertreter für ordentliche Kosten im Jugendstrafverfahren


Der gesetzliche Vertreter hat im Jugendstrafverfahren bis zur Mündigkeit seines Mündels Parteistellung. Wird die jugendliche Person vor Abschluss des Strafverfahrens mündig und werden dem gesetzlichen Vertreter die Kosten solidarisch auferlegt, so ist er trotz formell fehlender Parteistellung zur Appellation legitimiert (§ 32 Abs. 1 lit. b und § 13 lit. a JStVG; E. 1).


Die Solidarhaftung der gesetzlichen Vertretung für die Verfahrenskosten, die Gebühren der Strafverfolgung und der Gerichte, die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie die Vollzugskosten gilt für das gesamte Strafverfahren, auch wenn die jugendliche Person im Verlauf des Verfahrens mündig wird, da auf das Alter zur Tatzeit abzustellen ist (§ 20 JStVG; E. 2. und 3).



Sachverhalt

Mit Urteil des Jugendgerichts vom 5. August 2008 wurde E. des mehrfachen, teilweise versuchten Raubes, der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der Widerhandlung gegen das Waffengesetz schuldig erklärt und zu einem Freiheitsentzug von zehn Monaten, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft und vorsorglichen Unterbringung, verurteilt (Ziffer 1). Die Verfahrenskosten sowie eine Urteilsgebühr von CHF 2'000.-- wurden dem Beurteilten sowie seinem Vater in solidarischer Verbindung auferlegt (Ziffer 5). Der Vater des Beurteilten hat gegen den Kostenentscheid des Jugendgerichts (Ziffer 5 des obgenannten Urteils) die Appellation erklärt. In der Begründung wies er darauf hin, dass sein Sohn seit dem 5. Februar 2008 volljährig sei und er daher nicht bereit sei, die Verfahrenskosten zu übernehmen.



Erwägungen

1. Gegen Entscheide des Jugendgerichts können die Parteien innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils Appellation bei der Dreierkammer der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts erheben, sofern ein Freiheitsentzug oder eine Unterbringung in einer Erziehungs- oder Behandlungseinrichtung angeordnet wurde (§ 32 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über das Jugendstrafverfahren (JStVG)). Da im vorliegenden Fall ein Freiheitsentzug von zehn Monaten verhängt wurde, ist das Urteil des Jugendgerichts vom 5. August 2008 mittels der Appellation anfechtbar. Parteien im Strafverfahren gegen Jugendliche sind die in § 14 der basellandschaftlichen Strafprozessordnung (StPO) genannten Personen und, solange diese nicht mündig sind, deren gesetzliche Vertretungen (§ 13 lit. a JStVG). Der Beurteilte ist am 5. Februar 1990 geboren und wurde somit am 5. Februar 2008 volljährig. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten erfolgten allesamt vor Eintritt der Volljährigkeit. Der Beurteilte ist nach Einreichung der Anklageschrift der Jugendanwaltschaft, aber vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mündig geworden. Bis zum 5. Februar 2008, also während dem Untersuchungs- und Anklageverfahren, war der gesetzliche Vertreter des Angeklagten somit zwingend Partei. Gemäss dem Wortlaut von § 13 JStVG ist der Vater des Beurteilten zum heutigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr Partei im vorliegenden Strafverfahren, was zur Konsequenz hätte, dass er nicht zur Appellation legitimiert wäre. Da dem Vater des Beurteilten jedoch die erstinstanzlichen Verfahrenskosten in solidarischer Verbindung mit seinem Sohn auferlegt wurden, ist er zweifellos beschwert. Auch wenn er formell nicht mehr Partei ist und er gemäss dem Wortlaut von § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 JStVG nicht zur Appellation legitimiert ist, muss ihm ein Rechtsmittel gegen den ihn belastenden Kostenentscheid eingeräumt werden. Dieser Schluss drängt sich umso mehr auf, als beispielsweise auch der Zivilpartei in jedem Fall dann ein Rechtsmittel eingeräumt wird, wenn sie im Gerichtsurteil mit Prozesskosten belastet worden ist (§ 32 Abs. 3 JStVG sowie auch § 177 Abs. 1 lit. c StPO). Die Legitimation des Vaters zur Appellation ist somit zu bejahen. Da die Appellationsfrist gewahrt und die übrigen Formalien erfüllt sind, ist auf die vorliegende Appellation einzutreten.


2. Das Jugendstrafgericht hat die Verfahrenskosten dem Angeklagten sowie dessen Vater in solidarischer Verbindung auferlegt. In der Urteilsbegründung führt die Vorinstanz aus, dass gemäss § 20 des Gesetzes über das Jugendstrafverfahren (JStVG) der Jugendliche und ihre gesetzliche Vertretung die Verfahrenskosten, die Gebühren der Strafverfolgung und der Gerichte, die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie die Vollzugskosten solidarisch zu tragen hätten. Das Gesetz über das Jugendstrafverfahren (und folglich auch dessen § 20) regle unter anderem die Verfolgung und Beurteilung der von Jugendlichen verübten Straftaten (§ 1 Abs. 1 JStVG). Jugendliche im Sinne des JStVG bzw. des gesamten Jugendstrafrechts seien Personen, die zwischen dem vollendeten 10. und dem vollendeten 18. Altersjahr eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hätten (§ 1 Abs. 1 JStVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, Jugendstrafgesetz (JStG)). Da Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts somit nicht etwa das Alter des Täters im Urteilszeitpunkt, sondern im Tatzeitpunkt sei, müsse dieses Recht auch dann angewendet werden, wenn der Täter nach der Tatbegehung volljährig werde. Dies habe zur Folge, dass volljährige Straftäter gelegentlich weiterhin als Jugendliche im Sinne des Jugendstrafrechts zu bezeichnen seien. Als Bestandteil des Jugendstrafrechts müsse somit auch § 20 JStVG - mangels eines entsprechenden Vorbehalts - insbesondere gegenüber solchen Straftätern angewendet werden, die - obwohl im Urteilszeitpunkt volljährig - als Jugendliche im vorerwähnten Sinne zu bezeichnen seien. Da der Täter im Zeitpunkt der von ihm verübten und hier zur Last gelegten Delikte noch nicht volljährig gewesen sei, sei er als Jugendlicher im Sinne des Jugendstrafrechts zu qualifizieren. Deshalb sei in casu dieses Recht und damit auch § 20 JStVG anzuwenden, unabhängig davon, dass E. vor dem Urteilszeitpunkt volljährig geworden sei. Gleiches müsse für die Auslegung des in § 20 JStVG verwendeten Begriffs "gesetzliche Vertretung" gelten. Massgeblich müssten auch hier die Verhältnisse in jenem Zeitpunkt sein, die für die Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts resp. des § 20 JStVG massgeblich seien. Bis zu seiner Volljährigkeit sei E. von seinem Vater gesetzlich vertreten worden (vgl. act. I/649f.). Folglich würden E. sowie sein Vater die im Zusammenhang mit diesem Jugendstrafverfahren entstandenen Auslagen und Verfahrenskosten sowie eine Urteilsgebühr von CHF 2'000.-- gemäss § 20 JStVG solidarisch tragen. Der Vollständigkeit halber hat das Strafgericht darauf hingewiesen, dass sich die vorstehende Gesetzesauslegung auch mit dem Wortlaut von Art. 40 Abs. 3 JStG vertrage. Diese Bestimmung sehe ausdrücklich vor, dass dem Jugendlichen (im vorerwähnten Sinne) oder seinen Eltern die Kosten der amtlichen Verteidigung ganz oder teilweise auferlegt werden könnten, wenn sie über die entsprechenden Mittel verfügten. Auch hier bestehe also die Möglichkeit, den Eltern eines im Urteilszeitpunkt bereits volljährigen Straftäters Kosten aufzuerlegen (vgl. Art. 40 Abs. 3 JStG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 JStG).


3. Gemäss § 20 JStVG tragen Jugendliche und ihre gesetzlichen Vertreter die Verfahrenskosten, die Gebühren der Strafverfolgung und der Gerichte, die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie die Vollzugskosten solidarisch. Es gilt im Folgenden zu prüfen, ob diese Solidarhaftung auch uneingeschränkt gilt, wenn jugendliche Täter im Verlauf des Strafverfahrens volljährig werden oder allenfalls nur für diejenigen Verfahrenskosten, die vor dem Eintritt der Volljährigkeit entstanden sind.


Gemäss § 1 JStVG regelt das Jugendstrafverfahrensgesetz die Verfolgung und Beurteilung der von Jugendlichen im Sinne von Art. 3 JStG verübten Straftaten sowie den Vollzug der gegen Jugendliche verhängten Sanktionen. Das Jugendstrafgesetz gilt für Personen, die zwischen dem vollendeten 10. und dem vollendeten 18. Altersjahr eine mit Strafe bedrohte Tat begangen haben. Beide Gesetze, das Jugendstrafgesetz und das kantonale Verfahrensgesetz zielen auf das Alter des Täters zur Tatzeit ab. Nach Ansicht des Kantonsgerichts gilt daher auch die in § 20 JStVG geregelte Solidarhaftung für das gesamte Verfahren und somit für sämtliche Verfahrenskosten, auch wenn der Jugendliche im Verlauf des Strafverfahrens volljährig wird, da das Alter der jugendlichen Person zur Tatzeit ausschlaggebend ist. Das Jugendstrafgesetz ist auch anwendbar, wenn der Jugendliche im Verlauf des Verfahrens volljährig wird. So wird ein Jugendlicher auch dann nach dem Jugendstrafrecht bestraft, wenn er zum Urteilszeitpunkt bereits mündig ist, was vorliegend der Fall war. Die Anwendbarkeit des materiellen Jugendstrafrechts und folglich auch des entsprechenden Verfahrensrechts richtet sich einzig nach dem Alter des Täters zur Tatzeit. Diese Regelung muss für sämtliche - formelle und materielle - jugendstrafrechtliche Normen und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gelten.


Ausserdem gilt es den Zweck der im Jugendstrafverfahren normierten Solidarhaftung zu beachten, wonach die gesetzlichen Vertreter für diejenigen Kosten zumindest mitverantwortlich gemacht werden, die ihre unmündigen Kinder verursacht haben. Dies in Anlehnung an Art. 333 ZGB, wonach die gesetzlichen Vertreter auch zivilrechtlich für Schäden haften, welche ihre unmündigen Kinder verursachen (Haftung des Familienoberhauptes). Etwa die Hälfte der Verfahrenskosten, nämlich die Kosten der Jugendanwaltschaft (CHF 2'630.--), ist bereits vor dem Eintritt der Volljährigkeit entstanden, weshalb die gesetzlichen Vertreter hierfür einzustehen haben. Bei den anschliessend verursachten Kosten rechtfertigt sich eine solidarische Haftung der vormaligen gesetzlichen Vertreter ebenfalls, da die eigentliche Kostenverursachung die Straftat ist und es sich bei den Verfahrenskosten um Folgekosten dieses Delikts handelt. Die im Jugendstrafverfahrensgesetz statuierte Solidarhaftung beruht demnach auf der elterlichen Verantwortung für deliktische Handlungen ihrer unmündigen Kinder bzw. für sämtliche dadurch entstandenen Kosten.


Der Wortlaut von § 20 JStVG greift zwar streng genommen ins Leere, wenn jugendliche Täter im Verlauf des Verfahrens volljährig werden, da der "Jugendliche" zum Zeitpunkt des Kostenentscheids gar nicht mehr ein "Jugendlicher" im Sinne des Gesetzes ist und auch kein gesetzlicher Vertreter mehr existiert. Diese formelle Argumentation vermag jedoch die Weitergeltung der Solidarhaftung der Eltern über die Mündigkeit von deren Kindern hinaus nicht zu vereiteln. Das Kantonsgericht schliesst sich somit der vorinstanzlich ausgesprochenen Solidarhaftung des Appellanten und den entsprechenden Urteilserwägungen an und weist die Appellation des Vaters des Beurteilten ab.


( … )


KGE ZS vom 16. Dezember 2008 i.S. Jugendanwaltschaft gegen E. (100 08 805/AFS)



Back to Top