Invalidenversicherung

Anspruchsentstehung der Hilflosenentschädigung im Sinne von Art. 42 Abs. 3 IVG


Nach der Rechtsprechung stellt die lebenspraktische Begleitung im Sinne von Art. 42 Abs. 3 IVG ein zusätzliches und eigenständiges Institut der Hilfe dar. Ziel der lebenspraktischen Begleitung ist es, zu verhindern, dass Personen schwer verwahrlosen und/oder in ein Heim oder eine Klinik eingewiesen werden müssen, bzw. den Eintritt in eine stationäre Einrichtung nach Möglichkeit hinauszuschieben (E. 2.1 - 3.1)


Voraussetzungen für die lebenspraktische Begleitung (Art. 38 Abs. 1 und Abs. 3 IVV; E. 3.2 -3.3)


Der Entscheid über die Regelmässigkeit der lebenspraktischen Begleitung im Sinne von Art. 38 Abs. 3 Satz 1 IVV hängt wesentlich mit der Frage zusammen, in welchem zeitlichen Umfang, die (Haushalt-)Tätigkeiten, welche durch Drittpersonen für die versicherte Person - oder zusammen mit der versicherten Person - erledigt werden, bei der Bemessung der erforderlichen lebenspraktischen Begleitung zu berücksichtigen bzw. anzurechnen sind (E. 5.1 - 5.4)


Wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass der Aufwand von mindestens zwei Stunden lebenspraktischer Begleitung wöchentlich in den einzelnen Teilaspekten zusammengenommen erfüllt ist, kann davon abgesehen werden, den tatsächlichen Zeitaufwand der erforderlichen lebenspraktischen Begleitung (erneut) vor Ort abklären zu lassen (E. 5.5)


Die Erledigung des grössten Teils der im Haushalt anfallenden Tätigkeiten - zusätzlich zur aufwändigen Begleitung der versicherten Person zu Hause und bei der Pflege von Kontakten und Aktivitäten ausser Haus - überschreitet das, was gemeinhin unter zumutbarer Mithilfe von Familienangehörigen zu subsumieren ist. Geht es um die Mitarbeit von Familienangehörigen, ist stets danach zu fragen, wie sich eine vernünftige Familiengemeinschaft einrichten würde, sofern keine Versicherungsleistungen zu erwarten wären. Keinesfalls darf aber unter dem Titel der Schadenminderungspflicht die Bewältigung der Haushalttätigkeit in einzelnen Funktionen oder insgesamt auf die übrigen Familienmitglieder überwälzt werden (E. 5.6.1 - E. 5.6.2)



Sachverhalt

Die 1957 geborene C. hatte sich am 20. April 2006 unter Hinweis auf verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug angemeldet. Nachdem sie die gesundheitlichen, erwerblichen und hauswirtschaftlichen Verhältnisse abgeklärt hatte, ermittelte die IV-Stelle Basel-Landschaft bei der Versicherten in Anwendung der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung ab April 2005 einen Invaliditätsgrad von 81 % und ab Januar 2008 einen solchen von 84 %. Gestützt auf diese Ergebnisse sprach die IV-Stelle C. mit Verfügung vom 28. Oktober 2008 rückwirkend ab 1. April 2005 eine ganze IV-Rente zu. Nebst dem Rentenanspruch prüfte die IV-Stelle auch einen Anspruch der Versicherten auf eine Hilflosenentschädigung der IV. Nachdem sie die Verhältnisse vor Ort hatte abklären lassen, lehnte die IV-Stelle - nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom 7. Oktober 2008 einen Anspruch von C. auf eine Hilflosenentschädigung ab.


Gegen diese Verfügung vom 7. Oktober 2008 erhob Advokatin S. namens und im Auftrag von C. Beschwerde beim Kantonsgericht. Darin beantragte sie, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und es sei der Beschwerdeführerin ab 1. Januar 2005 eine Hilflosenentschädigung auszurichten. Die IV-Stelle liess sich zur Beschwerde vernehmen, wobei sie ausdrücklich auf eine Antragstellung verzichtete.



Erwägungen

1.1 - 1.2 (…)


2. (…)


2.1 Gemäss Art. 42 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) vom 19. Juni 1959 haben Versicherte mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die hilflos sind, Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Als hilflos gilt nach Art. 9 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 eine Person, die wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit für alltägliche Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Das Gesetz unterscheidet zwischen schwerer, mittelschwerer und leichter Hilflosigkeit (Art. 42 Abs. 2 IVG). Als hilflos gilt ebenfalls eine Person, welche zu Hause lebt und wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit dauernd auf lebenspraktische Begleitung angewiesen ist. Ist nur die psychische Gesundheit beeinträchtigt, so muss für die Annahme einer Hilflosigkeit mindestens ein Anspruch auf eine Viertelsrente gegeben sein. Ist eine Person lediglich dauernd auf lebenspraktische Begleitung angewiesen, so liegt immer eine leichte Hilflosigkeit vor (Art. 42 Abs. 3 IVG).


2.2 Nach Art. 38 Abs. 1 der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) vom 17. Januar 1961 liegt ein Bedarf an lebenspraktischer Begleitung im Sinne von Art. 42 Abs. 3 IVG vor, wenn eine volljährige versicherte Person ausserhalb eines Heimes lebt und infolge Beeinträchtigung der Gesundheit ohne Begleitung einer Drittperson nicht selbständig wohnen kann (lit. a), für Verrichtungen und Kontakte ausserhalb der Wohnung auf Begleitung einer Drittperson angewiesen ist (lit. b) oder ernsthaft gefährdet ist, sich dauernd von der Aussenwelt zu isolieren (lit.c). Zu berücksichtigen ist nur diejenige lebenspraktische Begleitung, die regelmässig und im Zusammenhang mit den in Abs. 1 erwähnten Situationen erforderlich ist. Nicht darunter fallen insbesondere Vertretungs- und Verwaltungstätigkeiten im Rahmen vormundschaftlicher Massnahmen nach Art. 398 bis 419 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) vom 10. Dezember 1907 (Art. 38 Abs. 3 IVV).


3.1 Nach der Rechtsprechung beinhaltet die lebenspraktische Begleitung weder die (direkte oder indirekte) "Dritthilfe bei den sechs alltäglichen Lebensverrichtungen" noch die Pflege oder Überwachung. Vielmehr stellt sie ein zusätzliches und eigenständiges Institut der Hilfe dar (BGE 133 V 466 E. 9). Ziel der lebenspraktischen Begleitung ist es zu verhindern, dass Personen schwer verwahrlosen und/oder in ein Heim oder eine Klinik eingewiesen werden müssen (Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen [BSV] über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH], gültig ab 1. Januar 2008, Randziffer [Rz.] 8040), bzw. den Eintritt in eine stationäre Einrichtung nach Möglichkeit hinauszuschieben (BGE 133 V 461 E. 5). Für einen Anspruch auf lebenspraktische Begleitung ist nicht vorausgesetzt, dass die versicherte Person alleine wohnt. Abgesehen davon, dass sie ausserhalb eines Heims wohnen muss (Art. 38 Abs. 1 IVV), ist unerheblich, in welcher Umgebung sich die versicherte Person aufhält und ob sie auf die Hilfe des Ehegatten, der Kinder oder Eltern zählen kann. Die Frage, ob eine entsprechende Hilfsbedürftigkeit besteht, ist objektiv, nach dem Zustand der versicherten Person, zu beurteilen (BGE 133 V 461 E. 5 mit Hinweisen). Nicht erforderlich ist sodann, dass die lebenspraktische Begleitung durch fachlich qualifiziertes oder speziell geschultes Betreuungspersonal erbracht wird (Rz. 8047 KSIH).


3.2 Rz. 8050 KSIH umschreibt die Voraussetzungen für die lebenspraktische Begleitung im Rahmen der Ermöglichung des selbstständigen Wohnens (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. a IVV). Sie ist notwendig, damit der Alltag selbstständig bewältigt werden kann, und liegt vor, wenn die betroffene Person auf Hilfe bei mindestens einer der folgenden Tätigkeiten angewiesen ist: Hilfe bei der Tagesstrukturierung; Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagssituationen (z.B. nachbarschaftliche Probleme, Fragen der Gesundheit, Ernährung und Hygiene, einfache administrative Tätigkeiten etc.); Anleitung zur Erledigung des Haushalts sowie Überwachung/Kontrolle. Nach Rz. 8051 KSIH ist bei ausserhäuslichen Verrichtungen (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. b IVV) die lebenspraktische Begleitung notwendig, damit die versicherte Person in der Lage ist, das Haus für bestimmte notwendige Verrichtungen und Kontakte zu verlassen (Einkaufen, Freizeitaktivitäten, Kontakte mit Amtsstellen oder Medizinalpersonen, Coiffeurbesuch etc.). Es muss sich um eine tatsächliche Begleitung handeln. Diese vom BSV vorgenommene Konkretisierung der Anwendungsfälle der lebenspraktischen Begleitung ist vom Bundesgericht grundsätzlich als sachlich begründet und damit gesetzes- und verordnungskonform bezeichnet worden (BGE 133 V 466 E. 9). Ferner hat das Bundesgericht im genannten Entscheid festgehalten, dass sich die Begleitung zur Ermöglichung des selbstständigen Wohnens (Art. 38 Abs. 1 lit. a IVV) auch auf die Haushaltsarbeiten erstreckt (BGE 133 V 466 E. 9 mit Hinweisen), und dass im Rahmen dieser Verordnungsbestimmung neben der indirekten auch die direkte Dritthilfe zu berücksichtigen ist (BGE 133 V 467 E. 10.2). Dies bedeutet, dass die Begleitperson die notwendigerweise anfallenden Tätigkeiten auch selber ausführen kann, wenn die versicherte Person dazu gesundheitsbedingt trotz Anleitung oder Überwachung nicht in der Lage ist. Massgebend ist nicht die Art der Dritthilfe, sondern ausschliesslich die durch die Dritthilfe zu erreichende Selbstständigkeit des Wohnens (Urteil K. des Bundesgerichts vom 9. November 2007, I 1013/06, E. 5.4).


3.3 Schliesslich ist nach Rz. 8053 KSIH die lebenspraktische Begleitung regelmässig im Sinne von Art. 38 Abs. 3 IVV, wenn sie über eine Periode von drei Monaten gerechnet im Durchschnitt mindestens zwei Stunden pro Woche benötigt wird. Auch diese Verwaltungsweisung ist vom Bundesgericht ausdrücklich als sachlich gerechtfertigt sowie gesetzes- und verordnungskonform bezeichnet worden (BGE 133 V 461 f. E. 6.2). Die zeitliche (Mindest-)Grenze stellt auch keine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV), des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) oder des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG) vom 13. Dezember 2002 dar (Urteil S. des Bundesgerichts vom 23. Juli 2007, I 735/05, E. 5.3.1).


3.4 - 4.3 (…)


5.1 Unterschiedliche Auffassungen bestehen zwischen den Parteien jedoch in Bezug auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin die lebenspraktische Begleitung während mindestens zweier Stunden wöchentlich und damit regelmässig im Sinne von Art. 38 Abs. 3 Satz 1 IVV benötigt. Der Entscheid darüber hängt wesentlich mit der Frage zusammen, in welchem zeitlichen Umfang, die (Haushalt-)Tätigkeiten, welche vorliegend durch Drittpersonen für die Versicherte - oder zusammen mit der Versicherten - erledigt werden, bei der Bemessung der erforderlichen lebenspraktischen Begleitung zu berücksichtigen bzw. anzurechnen sind. Die IV-Stelle führt dazu in ihrer Vernehmlassung aus, es sei aufgrund des Abklärungsberichts vom 13. August 2008 nicht zu bestreiten, dass die tatsächlich geleistete Dritthilfe die Grenze von zwei Stunden pro Woche überschreite. Zahlreiche der Haushalttätigkeiten, welche durch Dritte erbracht würden, müssten allerdings auch im Falle eines Heimaufenthaltes der Beschwerdeführerin erledigt werden. Zu nennen seien etwa die Reinigungsarbeiten, das Waschen, das Bügeln, das Einkaufen von Lebensmitteln und das Kochen für die restlichen Familienmitglieder. Bei der Bemessung des Zeitaufwandes für die notwendige lebenspraktische Begleitung sei deshalb eine modifizierte Betrachtungsweise angebracht. In deren Rahmen dürfe nur der effektive "Mehraufwand" an lebenspraktischer Begleitung berücksichtigt werden, der dadurch entstehe, dass die Versicherte zu Hause und nicht in einem Heim lebe.


5.2 Wie oben aufgezeigt (vgl. E. 3.1 hiervor), ist es für einen Anspruch auf lebenspraktische Begleitung unerheblich, in welcher Umgebung sich die versicherte Person aufhält - vorausgesetzt ist einzig, dass sie ausserhalb eines Heims wohnt. Nicht entscheidend ist, ob sie alleine lebt oder ob sie auf die Hilfe des Ehegatten, der Kinder oder Eltern zählen kann. Die Frage, ob eine entsprechende Hilfsbedürftigkeit besteht, ist objektiv, nach dem Zustand der versicherten Person, zu beurteilen (BGE 133 V 461 E. 5 mit Hinweisen). Im Lichte dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung erscheint es fraglich, ob der vorstehenden Betrachtungsweise der IV-Stelle gefolgt werden kann. Wie es sich damit verhält, kann nun aber im Rahmen dieses Verfahrens aus den nachfolgenden Erwägungen offen bleiben.


5.3 Um den ihrer Ansicht nach einzig massgebenden effektiven "Mehraufwand" an lebenspraktischer Begleitung zeitlich bemessen zu können, hat die IV-Stelle einen ergänzenden Bericht des Abklärungsdienstes in Auftrag gegeben, welchen dieser am 10. Dezember 2008 erstattete. Dabei gelangte die Abklärungsperson zum Ergebnis, dass sich dieser "durch die Wohnsituation der Versicherten zu Hause anfallende Mehraufwand" auf 85 Minuten pro Woche belaufe.


5.4 Eine Würdigung der Berichte des Abklärungsdienstes vom 13. August 2008 und vom 10. Dezember 2008 zeigt nun allerdings, dass sich diese - insbesondere bei der Beurteilung des Erfordernisses der "Konkreten Begleitung im Alltag" - in einzelnen Punkten als unvollständig und teilweise auch als widersprüchlich erweisen. So wird etwa in der Rubrik "Bewältigung der Alltagssituationen" im Textteil ausgeführt, die Versicherte habe Mühe, mit Geld umzugehen bzw. dessen Wert einzuschätzen, und Botengänge seien nur beschränkt möglich. Es ist deshalb kaum nachvollziehbar, dass der Versicherten in der tabellarischen Übersicht in diesem Bereich volle Selbständigkeit attestiert und die Notwendigkeit einer Erledigung durch Dritte bzw. einer Anleitung und/oder Kontrolle durch Dritte verneint wird. Bezüglich der Frage, ob die Versicherte aufgrund ihres Gesundheitszustandes für Verrichtungen und Kontakte ausserhalb der Wohnung auf die tatsächliche Begleitung einer Drittperson angewiesen sei, gibt der Bericht an, dass der Ehemann in der Regel den Tagesbedarf an Lebensmittel einkaufe. Im Bereich "Einkauf" sei deshalb keine Begleitung notwendig. Diese Einschätzung erweist sich als unvollständig, berücksichtigt sie doch nicht, dass nebst der Besorgung von Lebensmitteln auch zwingend durch die Versicherte selbst zu tätigende Einkäufe (wie Kleider, Schuhe etc.) anfallen, bei denen davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin der Begleitung bedarf. Erstaunlich ist sodann die Angabe in der Tabelle, dass die Versicherte Kleineinkäufe selbständig erledigen könne, obwohl im Textteil dieser Rubrik erklärt wird, dass sie bei alleiniger Besorgung regelmässig falsche Waren nach Hause bringe. Fragen kann man sich ferner, ob es richtig ist, der Versicherten in der tabellarischen Übersicht unter "Pflege der Sozialkontakte" volle Selbständigkeit zu attestieren, obwohl im Textteil ausgeführt wird, Sozialkontakte ausser Haus würden fast ausschliesslich mit "Personen mit negativer Beeinflussung" stattfinden, was kontraproduktiv sei; ansonsten sei die Versicherte "etwas isoliert" und bezüglich Freizeitaktivitäten rede sie zwar immer vom Hundesport, sie gehe aber mit dem Hund nicht dort hin. In der Rubrik "Hilfe bei der Tagesstrukturierung" wiederum wird unter anderem ausgeführt, die Versicherte verschlafe sich regelmässig und die Kinder würden deshalb zu spät in die Schule kommen. Trotzdem wird der Beschwerdeführerin auch in diesem Punkt volle Selbständigkeit attestiert und die Notwendigkeit einer Anleitung und/oder Kontrolle durch Dritte verneint. Schliesslich erscheint auch der durch die Abklärungsperson ermittelte "effektive Mehraufwand" von 85 Minuten wöchentlich, eher als unrealistisch. Insbesondere dürfte der im Bereich "Haushalterledigung (Reinigungsarbeiten/Waschen/Bügeln/Mahlzeiten organisieren/Kochen)" angegebene Zeitaufwand von 30 Minuten pro Woche - was nicht einmal 4  1 / 2 Minuten pro Tag entspricht - auch dann zu knapp bemessen sein, wenn man mit der Abklärungsperson nur den "durch die Wohnsituation der Versicherten zu Hause anfallenden Mehraufwand" erfassen will.


5.5 Die beiden Berichte des Abklärungsdienstes vom 13. August 2008 und vom 10. Dezember 2008 weisen nach dem Gesagten zu viele Unklarheiten und Widersprüche auf, als dass bei der Beurteilung des strittigen Punktes, ob die Beschwerdeführerin regelmässig im Sinne von Art. 38 Abs. 3 Satz 1 IVV der lebenspraktischen Begleitung bedarf, entscheidend darauf abgestellt werden könnte. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Angelegenheit an die IV-Stelle zurückzuweisen ist, damit diese den tatsächlichen Zeitaufwand der erforderlichen lebenspraktischen Begleitung erneut vor Ort abklären lassen kann. Von einer solchen Rückweisung kann nun aber abgesehen werden. Die kritisierten Berichte des Abklärungsdienstes machen - in Verbindung mit den massgebenden medizinischen Unterlagen - immerhin deutlich, dass die Beschwerdeführerin in verschiedenen Alltagsbereichen wie etwa bei der Tagesstrukturierung, bei der Besorgung des Haushaltes, bei der Vornahme einzelner Einkäufe, bei der Erledigung von Geldangelegenheiten oder etwa bei der Bewältigung administrativer Arbeiten zumindest punktuell - sei es in Form der Begleitung, der Anleitung und/oder der Kontrolle - der Dritthilfe bedarf. Gestützt auf die vorhandenen Berichte ist es zwar nicht möglich, den tatsächlichen Zeitaufwand für die genannten erforderlichen Verrichtungen im Einzelnen exakt zu beziffern, wie es sich damit verhält, bedarf jedoch keiner weiteren, abschliessenden Prüfung. Bei der festgestellten Notwendigkeit einer Dritthilfe in den vorstehend erwähnten Bereichen kann nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass im Fall der Beschwerdeführerin der Aufwand von mindestens zwei Stunden lebenspraktischer Begleitung wöchentlich in den einzelnen Teilaspekten zusammengenommen erfüllt ist (vgl. zu dieser Art der Beweiswürdigung: Sozialversicherungsrecht - Rechtsprechung [SVR] 2009, IV Nr. 23 E. 4.3, Urteil M. des Bundesgerichts vom 21. Juli 2008, 9C_28/2008, E. 3.4). Diese Feststellung gilt, was nochmals klarzustellen ist, auch dann, wenn man der Auffassung der Abklärungsperson und der IV-Stelle (vgl. E. 5.2 hiervor) folgt, wonach nur der effektive Mehraufwand an lebenspraktischer Begleitung berücksichtigt werden dürfe, der dadurch entstehe, dass die Versicherte zu Hause und nicht in einem Heim lebe.


5.6.1 An diesem Ergebnis ändert auch der von der IV-Stelle in ihrer Vernehmlassung erhobene Einwand nichts, wonach bei der Bemessung des erforderlichen Aufwandes an lebenspraktischer Begleitung auch die der Versicherten obliegende Schadenminderungspflicht gebührend zu berücksichtigen sei. Der IV-Stelle ist zwar beizupflichten, dass alle Versicherten der Schadenminderungspflicht unterliegen und die Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die Einsatzfähigkeit durch geeignete organisatorische Massnahmen und die Mithilfe der Familienangehörigen - denen dadurch keine unverhältnismässige Belastung entstehen darf - möglichst zu mildern sind. Diese Mithilfe geht weiter als die ohne Gesundheitsschaden üblicherweise zu erwartende Unterstützung. Geht es um die Mitarbeit von Familienangehörigen, ist stets danach zu fragen, wie sich eine vernünftige Familiengemeinschaft einrichten würde, sofern keine Versicherungsleistungen zu erwarten wären. Keinesfalls darf aber unter dem Titel der Schadenminderungspflicht die Bewältigung der Haushalttätigkeit in einzelnen Funktionen oder insgesamt auf die übrigen Familienmitglieder überwälzt werden mit der Folge, dass gleichsam bei jeder festgestellten Einschränkung danach gefragt werden müsste, ob sich ein Familienmitglied finden lässt, das allenfalls für eine ersatzweise Ausführung der entsprechenden Teilfunktion in Frage kommt (Urteil K. des Bundesgerichts vom 9. November 2007, I 1013/06, E. 7.2 mit zahlreichen Hinweisen).


5.6.2 Soweit die IV-Stelle mit dem Hinweis auf die Schadenminderungspflicht zum Ausdruck bringen will, dass sich die Versicherte bei der Bewältigung der Haushalttätigkeiten, die sie gesundheitsbedingt nicht mehr selbständig ausführen kann, der Mithilfe nächster Angehöriger, hier konkret des Ehemannes oder allenfalls der ältesten Tochter, zu bedienen habe, kann ihr nicht beigepflichtet werden. Die Erledigung des grössten Teils der im Haushalt anfallenden Tätigkeiten - zusätzlich zur aufwändigen Begleitung der Versicherten zu Hause und bei der Pflege von Kontakten und Aktivitäten ausser Haus - überschreitet das, was gemeinhin unter zumutbarer Mithilfe von Familienangehörigen zu subsumieren ist. Würde man sich Auffassung der IV-Stelle anschliessen, würde ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung wegen lebenspraktischer Begleitung in der Regel nur für Alleinlebende in Frage kommen. Versicherte, welche mit Familienangehörigen (Ehegatten, Kinder oder Eltern) zusammenleben, hätten dagegen kaum je Anspruch auf eine Entschädigung. Eine solche Einschränkung kann Gesetz und Verordnung aber nicht entnommen werden (Urteil K. des Bundesgerichts vom 9. November 2007, I 1013/06, E. 7.3) Der Anspruch ist vielmehr, wie bereits oben aufgezeigt (vgl. E.3.1 und 5.2 hiervor), objektiv nach dem Zustand der versicherten Person zu beurteilen. Es ist zu entscheiden, ob eine entsprechende Hilfsbedürftigkeit besteht. Grundsätzlich unerheblich ist, vorbehältlich eines Heimaufenthalts, die Umgebung, in welcher die versicherte Person lebt (BGE 133 V 461 E. 5).


6.1 - 6.3 (…)


7.1 - 7.2 (Kosten)


KGE SV vom 17. April 2009 i.S. C. (720 08 332)



Back to Top