Rechtspflege

Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung


Keine sachliche Zuständigkeit des Kantonsgerichts, Abteilung Sozialversicherungsrecht, zur Beurteilung von Streitigkeiten aus privaten Versicherungsverhältnissen, sofern es sich um Kapitalleistungen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Unfallversicherung handelt


Das Kantonsgericht hat wiederholt festgehalten, dass die sachliche Zuständigkeit seiner sozialversicherungsrechtlichen Abteilung im Klageverfahren nach § 54 Abs. 1 lit. d VPO nicht auf Zusatzversicherungen nach den Vorschriften des KVG beschränkt bleibt. Sie umfasst auch Streitigkeiten zwischen Versicherten und privaten Versicherungsträgern, welche die soziale Krankenversicherung nicht durchführen. (§ 54 Abs. 1 lit. d VPO; E. 1 und 2.1 - 2.2).


Art. 85 Abs. 2 und 3 VAG auferlegt den Kantonen, für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung ein einfaches und rasches Verfahren vorzusehen, welches von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird und grundsätzlich kostenlos ist. Im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung der kantonalen Gerichtsorganisation hat sich der Kanton Basel-Landschaft diesbezüglich für die sachliche Zuständigkeit der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts entschieden. Damit wird jedoch das Verfahren nicht zu einem öffentlich-rechtlichen - es bleibt zivilrechtlicher Natur. (§ 54 Abs. 1 lit. d VPO i.V.m. Art. 85 Abs. 2 und 3 VAG; E. 2.2.1).


Allein die Tatsache, dass eine Versicherung auch im Versicherungsangebot der Krankenkassen figuriert, genügt nicht zur Annahme, es handle sich dabei um eine Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung. (Art. 12 Abs. 2 KVG; E. 2.2.2).


Um als Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 KVG zu gelten, muss der soziale Zweck der Versicherung erkennbar sein. Die fragliche Versicherung muss die Leistung der Grundversicherung im Sinne eines integralen sozialversicherungsrechtlichen Schutzes ergänzen und auch in einem Konnex zur Krankenversicherung stehen. Dies trifft insbesondere auf private Zusatzversicherungen, welche eine Unfalldeckung beinhalten, nicht zu. Solche Versicherungen ersetzen funktionell nicht eine fehlende KVG-Deckung, sondern eine fehlende UVG-Deckung. Qualifikation einer privaten Unfallversicherung eines selbständig Erwerbenden als Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung verneint: Es handelt sich vorliegend um eine Zusatzversicherung zur obligatorischen UVG-Versicherung und nicht zu derjenigen des KVG, womit auch prozessual das Recht der Privatversicherung zur Anwendung gelangt. (Art. 12 Abs. 2 KVG; Art. 85 Abs. 2 und 3 VAG; E. 2.2.2 und 2.2.3).



Sachverhalt

J. erhob beim Kantonsgericht, Abteilung Sozialversicherungsrecht (Kantonsgericht), Klage gegen die Versicherungsgesellschaft X., mit dem Begehren, diese sei unter o/e-Kostenfolge zur Zahlung von Fr. 420'000.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 1. Mai 2006 an den Kläger zu verurteilen. Die geltend gemachten Ansprüche stützte der Kläger in seiner Begründung auf einen zwischen ihm und der Beklagten bestehenden Unfall-Versicherungsvertrag. In ihrer Klagantwort beantragte die Beklagte, auf die Klage sei unter o/e-Kostenfolge nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich beim vorliegenden Versicherungsverhältnis um eine freiwillige Einzelunfallversicherung eines Selbständigerwerbenden handle, womit weder eine Zusatzversicherung nach den Vorschriften des KVG, noch eine kollektive Krankentaggeldversicherung und somit kein Konnex zur obligatorischen Grundversicherung bei Krankheit gegeben sei. Dem Kläger bleibe in der Folge der sozialversicherungsrechtliche Verfahrensweg verwehrt.


Mit Verfügung vom 29. April 2009 beschränkte die instruierende Präsidentin des Kantonsgerichts das Verfahren vorläufig auf die Eintretensfrage und räumte dem Kläger die Gelegenheit ein, sich zur Frage der sachlichen Zuständigkeit vernehmen zu lassen.


In seiner Stellungnahme vom 8. Mai 2009 beantragte J., auf seine Klage sei unter o/e-Kosten-folge einzutreten. Zur Begründung führte er Bezug nehmend auf die Rechtsprechung des Kantonsgerichts in 731 07 395 an, die Zuständigkeit der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts sei auch für Streitigkeiten gegeben, welche Zusatzversicherungen beträfen, die von privaten Versicherern angeboten würden, und beschränke sich nicht auf Zusatzversicherungen anerkannter Krankenversicherer. Insbesondere Kapitalversicherungen für Unfall und Krankheit würden sowohl von anerkannten Krankenversicherern wie auch von privaten Versicherern angeboten. Solche Versicherungen könnten sowohl von Selbständigerwerbenden als auch von Lohnempfängern abgeschlossen werden, und in beiden Fällen würde ein Konnex zur sozialen KVG-Grundversicherung bestehen. Es widerspreche der Rechtsgleichheit, derartig gelagerte Fälle ungleich zu behandeln.



Erwägungen

1. Gemäss Art. 85 Abs. 1 VAG entscheidet das Gericht privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten. Für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG sehen die Kantone ein einfaches und rasches Verfahren vor, in dem das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen feststellt und die Beweise nach freiem Ermessen würdigt (Art. 85 Abs. 2 VAG). Welches Gericht für die Beurteilung solcher Streitigkeiten zuständig ist, können die Kantone frei bestimmen. Das entsprechende Gericht übt dann aber Zivilgerichtsbarkeit aus. (…)


Der Gesetzgeber des Kantons Basel-Landschaft hat in § 54 Abs. 1 lit. d VPO für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung gemäss Art. 85 Abs. 2 VAG die Abteilung Sozialversicherungsrecht des Kantonsgerichts als einzige gerichtliche Instanz des Kantons für zuständig erklärt.


2. (…)


2.1 Beide Parteien berufen sich auf das Urteil des Kantonsgerichts vom 2. April 2008. In diesem Urteil hat das Kantonsgericht erwogen, dass die Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts nicht auf Zusatzversicherungen nach den Vorschriften des KVG beschränkt bleibe, sondern auch kollektive Krankentaggeldversicherungsverhältnisse zwischen Versicherten und privaten Versicherungsträgern, welche die soziale Krankenversicherung nicht durchführen, erfasse. Massgebend für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit sei dabei, dass ein genereller Konnex zur KVG-Grundversicherung dahingehend bestehe, dass die Leistung der Grundversicherung im Sinne eines integralen sozialversicherungsrechtlichen Schutzes ergänzt würden. Durch die privatrechtliche Krankentaggeldversicherung gehe der Charakter einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung nicht verloren, da die Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a und Art. 324b des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht, OR) vom 30. März 1911 eine sozialpolitisch begründete Massnahme im Rahmen des Arbeitsrechts darstelle (mit Hinweis auf Ullin Streiff/Adrian von Kaenel, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 6. Auflage, Zürich 2006, N 5 zu Art. 324 a/b OR) und von einem Teil der Lehre gar als Ergänzung zum Sozialversicherungsrecht bezeichnet werde (Manfred Rehbinder, Berner Kommentar, Der Arbeitsvertrag, Art. 319-362 OR, Bern 1985, N 1 zu Art. 324a OR). Ausserdem wäre es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar, wenn die zivilrechtlichen Verfahren aus Krankenzusatzversicherungen von privaten Trägern, die nur die Krankenzusatzversicherungen betreiben, anders behandelt würden als die Verfahren, die aus Streitigkeiten mit anerkannten Krankenversicherern entstehen würden (mit Hinweis auf den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. November 2004, KK.200200016, E. 3.2.3. und 3.4.). Das Kantonsgericht sei daher für die Beurteilung solcher Klagen sachlich zuständig. Diesen Entscheid hat das Kantonsgericht mit Beschluss vom 12. Dezember 2008 (Nr. 731 08 290) bestätigt. In beiden Fällen ging es um Krankentaggeldversicherungen und beide Beklagten waren jeweils private Versicherungsträger.


2.2 Dass die heutige Beklagte ein privater Versicherungsträger ist, schliesst eine mögliche Zuständigkeit des Kantonsgerichts somit nicht aus. (…)


2.2.1 Die rechtliche Regelung des Versicherungssystems in der Schweiz ist komplex. Vereinfacht lässt sich dieses aber unterteilen in den Bereich der Sozialversicherungen und in denjenigen der Privatversicherungen. (…) Sozialversicherungsrecht ist also öffentliches Recht. Damit steht es im Gegensatz zum Privatversicherungsrecht. Dieses ist im VVG geregelt, in seinem Bereich geht es um meist freiwillige Versicherungen und für die Durchsetzung der Ansprüche kommen nicht die Regeln des Verwaltungsverfahrens zur Anwendung. Vielmehr sind die Ansprüche im privatrechtlichen Klageverfahren vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Diese einigermassen klare Trennung zwischen Sozialversicherung und Privatversicherung wird nun durch die Bestimmung von Art. 85 Abs. 2 und 3 VAG etwas verwischt. Demnach müssen die Kantone für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung ein einfaches und rasches Verfahren vorsehen, bei dem die Untersuchungsmaxime zur Anwendung gelangt und das grundsätzlich kostenlos ist. Das Verfahren wird damit nicht zu einem öffentlich-rechtlichen Verfahren, es bleibt ein zivilrechtliches Verfahren, das bloss von der Untersuchungsmaxime beherrscht und überdies kostenlos ist. (…) Der Kanton Basel-Landschaft hat sich gemäss § 54 Abs. 1 lit. d VPO für die Zuständigkeit der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts entschieden. Das Motiv des Gesetzgebers, diesen Zwischenbereich der Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung speziell zu behandeln und die sozialversicherungsrechtlichen Verfahrenselemente der Untersuchungsmaxime und der Kostenlosigkeit zur Anwendung zu bringen, ist im sozialen Charakter dieser Zusatzversicherungen zu sehen (vgl. dazu auch BGE 112 V 309, E. 2).


2.2.2 Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Versicherung als Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung zu qualifizieren ist, muss der soziale Zweck der Versicherung erkennbar sein. Sie muss, wie das Kantonsgericht in den erwähnten Urteilen festgehalten hat, die Leistung der Grundversicherung im Sinne eines integralen sozialversicherungsrechtlichen Schutzes ergänzen.


Rein formal betrachtet muss es sich bei der Zusatzversicherung gemäss Art. 12 Abs. 2 KVG um eine Versicherung handeln, welche im Versicherungsangebot der Krankenkassen figuriert. Dies allein genügt aber nicht, da Krankenkassen inzwischen auch Versicherungen anbieten, die über eine Ergänzung der Leistungen der Grundversicherung weit hinausgehen. Der Wortlaut der erwähnten Bestimmung des KVG lässt darauf schliessen, dass es sich bei den Zusatzversicherungen um solche zur Kranken versicherung handeln muss. Für den vorliegenden Fall ist somit die Frage zu stellen, ob auch eine Unfall versicherung unter diesen Begriff der Zusatzversicherung fallen kann. Obwohl die Unfallversicherung ebenfalls durch das KVG geregelt wird und faktisch ein Grossteil der Bevölkerung betreffend Unfallfolgen durch die Krankenkasse versichert ist, ist die Deckung von Unfallfolgen durch das KVG nur subsidiär zu derjenigen durch das UVG. Zusatzversicherungen, welche eine Unfalldeckung beinhalten, namentlich die beliebten kombinierten Unfall-Privatzusatz-, Taggeld-, Invaliditäts- und Todesfallkapitalversicherungen ersetzen funktionell nicht die fehlende KVG-Deckung, sondern vielmehr eine fehlende UVG-Deckung. Im vorliegenden Fall liegt genau eine solche Versicherung vor. Es handelt sich somit um eine Zusatzversicherung zur obligatorischen UVG-Versicherung und nicht zu derjenigen des KVG (in diesem Sinne auch Felix Hunziker-Blum, Der Rechtsweg bei Zusatzversicherungen zur Krankenversicherung: Eine "Zivilisierung" durch die kantonalen Gesetzgeber liegt im Interesse aller Beteiligten, in: AJP 6/2008, S. 726 ff.). Dieser Aspekt spricht somit klar gegen eine Zuständigkeit der Abteilung Sozialversicherungsrecht des Kantonsgerichts im vorliegenden Fall.


2.2.3 Als selbständig Erwerbender hätte der Kläger gemäss Art. 4 Abs. 1 UVG schliesslich auch über die Möglichkeit verfügt, eine Unfallversicherung nach den Bestimmungen des UVG abzuschliessen, womit eine Zuständigkeit des Kantonsgerichts gestützt auf § 54 Abs. 1 lit. a VPO begründet worden wäre, was er allerdings vorliegend nicht getan hat. Er hat vielmehr willentlich eine Unfallversicherung mit Invaliditäts- und Todesfallkapitalzusatz abgeschlossen. Eine solche Versicherung untersteht hingegen nicht dem UVG, sondern dem VVG und fällt folglich in den Bereich der Privatversicherungen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht nur in Art. 21 der allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten deutlich festgehalten, sondern entspricht auch konstanter Rechtsprechung und Lehre (vgl. Christoph Graber, in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG), Basel 2001, N 10 zu Art. 96).


2.2.4 (…)


Des Weiteren würde - selbst bei Annahme eines hinreichenden Konnexes der umstrittenen Unfallversicherung zum KVG - die eingeklagte Unfallzusatzversicherungsleistung deutlich über eine blosse Ergänzung der Grundversicherungsleistungen im Sinne eines integralen sozialversicherungsrechtlichen Schutzes hinausgehen. Eine Subsumption der Versicherung unter den Begriff der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung würde diesen eindeutig überdehnen, da die geforderte Kapitalleistung keinerlei Bezug zum Sozialversicherungsrecht aufweist. Es würde in der Folge auch nicht als gerechtfertigt erscheinen, wenn dieser Anspruch in einem kostenlosen Verfahren und mit dem verfahrensrechtlichen Privileg des Untersuchungsgrundsatzes verfolgt werden könnte.


3. Auf die vorliegende Klage ist somit mangels sachlicher Zuständigkeit nicht einzutreten.


(…)


4. (Kosten)


KGE SV vom 24. Juli 2009 i.S. J. (731 08 383)



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