Ausländerrecht

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht


Haftanordnung und Haftüberprüfung (Art. 80 Abs. 2; E. 1)


Voraussetzungen für die Anordnung der Ausschaffungshaft gemäss Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziffer 3 und 4 AuG (E. 2)


Verhältnismässigkeitsprinzip (E. 3)


Gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG darf die Ausschaffungshaft nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist (E. 4)



Erwägungen

1. Gemäss Art. 80 Abs. 2 AuG in Verbindung mit den §§ 3 und 7 EG ZWAR sind die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit einer durch das Amt für Migration (AfM) angeordneten Ausschaffungshaft spätestens nach 96 Stunden durch die präsidierende Person der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Dabei beginnt die Frist von 96 Stunden nicht erst von dem Moment an zu laufen, in dem die ausländische Person an das Amt für Migration überstellt wird oder dieses formell die Haft anordnet; entscheidend ist vielmehr, ab wann die betroffene Person tatsächlich aus ausländerrechtlichen Gründen festgehalten wird (vgl. BGE 127 II 175 f. E. 2b/aa mit zahlreichen Hinweisen).


Gemäss dem vom AfM ausgestellten Haftbefehl zur Ausschaffungshaft wurde die Antragsgegnerin am 20. August 2009 um 11.13 Uhr in Haft genommen. Die gesetzlich vorgeschriebene 96 Stunden-Frist wurde somit vorliegend eingehalten.


2. Das AfM als zuständige kantonale Behörde kann eine ausländische Person in Ausschaffungshaft nehmen, soweit die Voraussetzungen von Art. 76 AuG erfüllt sind. Danach ist im Einzelnen unter anderem erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt (BGE 125 II 374 E. 3a, 121 II 61 E. 2), dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (BGE 128 II 104 E. 1, 125 II 374 E. 3a). Sodann muss einer der in Art. 76 Abs. 1 lit. b AuG genannten Haftgründe bestehen (BGE 125 II 374 E. 3a, 124 II 3 E. 1), die Haft verhältnismässig erscheinen (BGE 126 II 440 E. 4b mit weiteren Hinweisen, 125 II 383 E. 4, 119 Ib 198 E. 2c) und die Ausschaffung rechtlich und tatsächlich möglich sein (vgl. Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG; dazu BGE 125 II 220 E. 2). Auf Seiten der Behörden sind die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehrungen (wie Identitäts- und Herkunftsabklärungen, Papierbeschaffung) umgehend zu treffen (Art. 76 Abs. 4 AuG, Beschleunigungsgebot; vgl. BGE 124 II 49 ff.). Schliesslich sind die gesetzlichen Anforderungen an die Haftbedingungen (vgl. Art. 80 Abs. 4 sowie Art. 81 Abs. 2 AuG; BGE 125 II 374 f. E. 3a, 123 I 229 E. II.1, 122 II 302 E. 3a) zu beachten.


Mit Wegweisungsanordnung des AfM vom 11. Juni 2004 wurde festgestellt, dass die Antragsgegnerin über keine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz verfügt und die Schweiz bis zum 20. Juni 2004 zu verlassen hat. Zudem erliess das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) (seit dem 1. Januar 2005 Bundesamt für Migration [BFM]) mit Datum vom 31. August 2004 gegenüber der Antragsgegnerin ein Einreiseverbot für die Schweiz vom 1. September 2004 bis zum 31. September 2007 wegen illegalen Aufenthalts. Demnach liegt ein Wegweisungsentscheid im Sinne von Art. 76 Abs. 1 AuG vor, dessen Vollzug im heutigen Zeitpunkt wegen fehlender Reisepapiere noch nicht möglich, aber absehbar ist.


Nachdem ihr Touristenvisum vom 22. Juli 2003 abgelaufen war, hätte die Antragsgegnerin die Schweiz spätestens am 7. August 2003 verlassen müssen. Abklärungen der Fremdenpolizei Bern haben ergeben, dass sie dieser Pflicht nicht nachgekommen war. Schliesslich wurde mit der Fremdenpolizei Bern vereinbart, dass die Antragsgegnerin nach ihrem Arzttermin vom 18. Mai 2004 die Schweiz freiwillig verlassen würde. Auch dieser zweiten behördlichen Anordnung hat sich die Antragsgegnerin widersetzt und konnte von den Behörden anschliessend nicht mehr ausfindig gemacht werden. Demgemäss ist die Antragsgegnerin bis zum heutigen Datum ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, indem sie insbesondere nicht bereit gewesen ist, bei der Beschaffung gültiger Identitäts- oder Reisepapiere mitzuwirken und ihren angeblich verloren gegangenen Reisepass den Behörden auszuhändigen.


Gemäss den obigen Ausführungen ist ersichtlich, dass sich die Antragsgegnerin seit mehr als fünf Jahren illegal in der Schweiz aufhält, eine Untertauchensgefahr vorliegt und sie geneigt ist, sich behördlichen Anordnungen zu widersetzen.


Die Haftgründe nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AuG sind somit gegeben.


3. Wie alle Massnahmen, welche in die persönliche Freiheit eingreifen, muss auch die Anordnung der Ausschaffungshaft verhältnismässig sein (BGE 126 II 440 E. 4b, 125 II 383 E. 4a mit Hinweisen). Die Antragsgegnerin gibt zwar an der heutigen Parteiverhandlung an, die Schweiz freiwillig verlassen und in ihr Heimatland zurückreisen zu wollen. Aufgrund ihres bisherigen Verhaltens, insbesondere des zeitweisen Untertauchens, kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass sie sich im Falle einer Entlassung aus der Ausschaffungshaft unverzüglich und ernsthaft um die Beschaffung ihrer Reisepapiere bemühen, respektive deren Eintreffen abwarten würde und sich zu gegebener Zeit, d.h. bei Vorliegen der erforderlichen Papiere, den Behörden für den Vollzug der Ausschaffung zur Verfügung halten wird. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Anordnung der Ausschaffungshaft die einzige geeignete Massnahme darstellt, mit welcher der Vollzug der Wegweisung sichergestellt werden kann.


Die Dauer der Haft ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein weiterer Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (BGE 126 II 440, E. 4b mit weiteren Hinweisen). Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die beantragte Haftdauer erforderlich ist und nicht gegen das Übermassverbot, d.h. das sachgerechte und zumutbare Verhältnis von Mittel (hier: Haft) und Zweck (hier: Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs), verstösst. Vorliegend beantragt das AfM die maximale (erstmalige) Haftdauer von drei Monaten. Diese Dauer erweist sich als durchaus angemessen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsgegnerin mehrere Jahre untergetaucht war, ihre Anwesenheit den Behörden erst gerade wieder zur Kenntnis gekommen ist und sie keine ernsthaften Bemühungen unternommen hat, die Behörden bei der Papierbeschaffung zu unterstützen. All dies erschwert die Arbeit des AfM beim Vollzug der Wegweisung.


Ein Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip liegt demnach nicht vor.


4. Gemäss Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG darf die Ausschaffungshaft nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Die Haft ist im Sinne dieser Bestimmung unzulässig, wenn für die Undurchführbarkeit des Vollzugs der Wegweisung triftige Gründe vorliegen oder praktisch feststeht, dass er sich innert der gesetzlich vorgesehenen Haftdauer nicht realisieren lässt (BGE 125 II 384 E. 5a, 122 II 152 E. 3). Dabei haben die Behörden die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen (Art. 76 Abs. 4 AuG; Beschleunigungsgebot; vgl. BGE 124 II 50 ff.). Solche Umstände, welche die Ausschaffungshaft als unzulässig erscheinen liessen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Vollzug der Wegweisung innert der angeordneten Haftdauer ist absehbar.


5. (…)


KGE VV vom 24. August 2009 i.S. M. (860 09 316)



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