Zivilprozessrecht

Beschwerdelegitimation gegen die gerichtliche Bemessung einer Parteientschädigung im Sinne von § 72 Abs. 2 ZPO


Die Entschädigung aus der Gerichtskasse gemäss § 72 Abs. 2 ZPO stellt eine Parteientschädigung dar, auf welche die obsiegende Prozesspartei - und nicht deren Rechtsvertreter - einen Anspruch hat. Anders als bei der unentgeltlichen Prozessführung, bei welcher ein Rechtsverhältnis zwischen dem Parteivertreter der bedürftigen Partei und dem Kanton entsteht, entsteht im Falle von § 72 Abs. 2 ZPO keine rechtliche Beziehung zwischen dem Anwalt der obsiegenden Partei und dem Staat. Lediglich bei der Bemessung der Parteientschädigung gemäss § 72 Abs. 2 ZPO sind die Kriterien zur Berechnung des Honorars bei unentgeltlicher Prozessführung massgeblich. Der Rechtsvertreter einer Partei, welche eine Parteientschädigung im Sinne von Art. 72 Abs. 2 ZPO zugesprochen erhält, darf die Differenz zum ordentlichen Honorar gemäss Tarifordnung bzw. gemäss entsprechender Honorarvereinbarung von seiner Klientschaft nachfordern. Ein Abweichen vom Normalfall, in welchem der obsiegenden Partei eine ordentliche Parteientschädigung zulasten der Gegenpartei zugesprochen wird, ist nicht gerechtfertigt. Da eine Verpflichtung der obsiegenden Partei zu weiteren Honorarleistungen an ihren Rechtsvertreter grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, ist sie durch die gerichtliche Bemessung einer Parteientschädigung im Sinne von § 72 Abs. 2 ZPO potentiell beschwert und daher beschwerdelegitimiert (§ 72 Abs. 2 ZPO; E. 1.3).



Sachverhalt

A. Im Rahmen des mietrechtlichen Verfahrens zwischen O. und B. E. als Vermieterschaft einerseits und R. J.-S. als Mieterin andererseits stellte der Bezirksgerichtspräsident Arlesheim in teilweiser Gutheissung der Klage der Vermieterschaft mit Urteil vom 21. November 2008 fest, dass die Kündigung per 30. Juni 2008 gültig sei, und gewährte der beklagten Mieterin eine einmalige Erstreckung des Mietverhältnisses bis 30. September 2009. Die Gerichtskosten von pauschal CHF 500.00 auferlegte der Bezirksgerichtspräsident der Beklagten und verpflichtete diese ferner, den Klägern eine Parteientschädigung von CHF 3'658.40 (inkl. Spesen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen. In Bezug auf die Kosten hielt der Bezirksgerichtspräsident in Ziffer 3 Absatz 3 des Dispositivs ausserdem fest, dass zufolge Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung an die Beklagte die Gerichtskosten und ein Honorar an die Vertreterin der Kläger von CHF 3'658.40 (inkl. Spesen und Mehrwertsteuer) sowie ein Honorar an die Vertreterin der Beklagten von CHF 1'300.00 (inkl. Spesen und Mehrwertsteuer) zu Lasten des Staates gehen würden. In Bezug auf den Umfang der Parteientschädigung zugunsten der Klägerschaft führte der Bezirksgerichtspräsident aus, dass die Honorarnote der Parteivertreterin der Kläger mit einem Betrag von CHF 6'565.00 überhöht sei. ( … )


B. Gegen das Kostenbetreffnis dieses Urteils erklärte die Rechtsvertreterin der Kläger in deren Namen mit Eingabe vom 27. November 2008 Beschwerde mit dem Begehren, es sei Ziffer 3 Absatz 3 des angefochtenen Urteils teilweise aufzuheben und es sei der Parteivertreterin der Kläger ein Honorar von CHF 7'515.85 (inkl. Spesen und Mehrwertsteuer) zuzusprechen, unter o/e Kostenfolge. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vorinstanz die geltend gemachte Parteientschädigung um mehr als die Hälfte gekürzt habe, was den Rahmen des richterlichen Ermessens in jedem Falle sprenge. Die in Rechnung gestellten Leistungen seien gemäss dem Leistungsjournal ausgewiesen und tatsächlich erbracht worden. Ferner seien die erbrachten Leistungen für eine bestmögliche Wahrung der Interessen der Beschwerdeführer erforderlich gewesen. ( … )


C. Mit Vernehmlassungen vom 28. Januar bzw. 05. Februar 2009 beantragen sowohl der Bezirksgerichtspräsident als auch die Beschwerdegegnerin die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. ( … )



Erwägungen

1.1 ( … )


1.2 Als weitere Beschwerdevoraussetzung ex officio zu prüfen ist ferner die Legitimation der Beschwerdeführer. Zur Beschwerdeführung legitimiert ist grundsätzlich nur eine Partei, welche durch den angefochtenen Entscheid beschwert ist, d.h. durch diesen einen tatsächlichen oder rechtlichen Nachteil erleidet. Im vorliegenden Fall stellt sich in diesem Zusammenhang die konkrete Frage, ob die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer über den aus der Gerichtskasse als Parteientschädigung gemäss § 72 Abs. 2 ZPO zugesprochenen Betrag hinaus den ungedeckten Teil ihrer Aufwendungen direkt bei den Beschwerdeführern geltend machen kann. Nur wenn diese Frage zu bejahen ist, sind die Beschwerdeführer beschwert und dadurch beschwerdelegitimiert.


1.3 Gemäss § 72 Abs. 2 ZPO wird in Fällen, in welcher einer Partei, die die unentgeltliche Prozessführung geniesst, gemäss § 211 ZPO eine Parteientschädigung an die Gegenpartei aufzuerlegen wäre, dieser Gegenpartei auf ihr Gesuch hin eine angemessene Parteientschädigung aus der Gerichtskasse zugesprochen, wobei diese Parteientschädigung ein Honorar für unentgeltliche Prozessführung nicht übersteigen darf.


Eine Partei, die gegen eine bedürftige Prozesspartei obsiegt und dadurch Anspruch auf eine Parteientschädigung hat, steht damit vor der Wahl, entweder die volle Parteientschädigung zu beanspruchen mit dem Risiko, diese von der bedürftigen Gegenpartei nicht erhältlich machen zu können, oder aber eine Parteientschädigung aus der Gerichtskasse zu beziehen, wobei der Umfang dieser Parteientschädigung auf den Betrag eines Anwaltshonorars für unentgeltliche Prozessführung beschränkt ist. Fraglich ist nun, ob in letzterem Fall der Rechtsvertreter der obsiegenden Partei sich mit diesem Betrag zufrieden geben muss oder ob er dennoch sein ordentliches Honorar von seiner Klientschaft einfordern darf.


Die Bestimmung von § 72 Abs. 2 ZPO wurde im Rahmen einer Teilrevision der Zivilprozessordnung eingeführt und ist seit dem 01. Juli 1995 in Kraft. Anlass zur Revision von § 72 ZPO gab der Umstand, dass der Minimalanspruch auf ungehinderten Zugang zur Justiz und damit auf unentgeltliche Prozessführung gemäss BV und EMRK einer bedürftigen Partei lediglich die Deckung der Gerichtskosten sowie der eigenen Rechtsvertretungskosten garantiert, vom Minimalanspruch unberührt bleibt die Pflicht der bedürftigen Partei, im Falle ihres Unterliegens die Parteikosten der Gegenpartei zu tragen. Dieser im Ergebnis stossenden Konsequenz wollte der kantonale Gesetzgeber mit der Bestimmung von § 72 Abs. 2 ZPO begegnen. Die Bestimmung wurde ursprünglich somit zum Schutz der bedürftigen Partei eingeführt, diese sollte vor Ansprüchen der Gegenpartei geschützt werden. Gleichzeitig wurde durch § 72 Abs. 2 ZPO aber auch das Inkasso-Risiko für die Parteientschädigung derjenigen Parteien, welche gegen bedürftige Parteien prozessieren, minimiert.


Gemäss dem klaren Wortlaut von § 72 Abs. 2 ZPO stellt die Entschädigung aus der Gerichtskasse eine Parteientschädigung dar, auf welche die obsiegende Prozesspartei - und nicht deren Rechtsvertreter - einen Anspruch hat. Alleine aufgrund des Umstands, dass die Parteientschädigung aus der Staatskasse ausbezahlt wird, wird diese nicht zum Anwaltshonorar, auf welches - wie bei der unentgeltlichen Prozessführung - ein direkter Anspruch des Rechtsvertreters besteht. Anders als bei der unentgeltlichen Prozessführung, bei welcher ein Rechtsverhältnis zwischen dem Parteivertreter der bedürftigen Partei und dem Kanton entsteht, entsteht im Falle von § 72 Abs. 2 ZPO keine rechtliche Beziehung zwischen dem Anwalt der obsiegenden Partei und dem Staat. Lediglich bei der Bemessung der Parteientschädigung gemäss § 72 Abs. 2 ZPO sind die Kriterien zur Berechnung des Honorars bei unentgeltlicher Prozessführung massgeblich. Dem klaren Wortlaut von § 72 Abs. 2 ZPO entsprechend hat somit die Partei und nicht deren Anwalt die Wahlmöglichkeit, sich mit einer Parteientschädigung auf der Basis eines Honorars für unentgeltliche Prozessführung zufrieden zu geben oder aber sich eine volle Parteientschädigung zusprechen zu lassen mit dem Risiko, dass diese uneinbringlich bleibt.


Im Zeitpunkt der Inkraftsetzung von § 72 Abs. 2 ZPO, am 01. Juli 1995, war bei der Entschädigung von Anwälten die damals geltende Tarifordnung vom 29. November 1977 beachtlich. In dieser war ein sogenannter Zwangstarif verankert, so dass in der Regel ausgeschlossen war, dass der Anwalt von seinem eigenen Klienten über die gerichtlich zugesprochene Parteientschädigung hinaus weitere Honorarleistungen verlangen konnte. Dieser Zwangstarif ist indessen heute nicht mehr anwendbar. Vielmehr steht es heute im Belieben der Anwälte, mit ihren Klienten freie Honorarvereinbarungen zu treffen. Es ist daher heute ohne Weiteres möglich, dass sich ein Anwalt über den Betrag der gerichtlich zugesprochenen Parteientschädigung hinaus - entsprechend der getroffenen Honorarvereinbarung - von seinem Klienten zusätzlich entschädigen lässt.


Dass bei Einführung von § 72 Abs. 2 ZPO der Anwalt in der Regel kein über die zugesprochene Parteientschädigung hinausgehendes Honorar vom eigenen Mandanten verlangen konnte, lag somit nicht am Wortlaut der Bestimmung, sondern vielmehr am Zwangstarif gemäss der damals geltenden Tarifordnung. Folglich bleibt es - nach Aufhebung des Zwangstarifs - einem Anwalt auch im Falle einer Parteientschädigung gemäss § 72 Abs. 2 ZPO unbenommen, seinem Mandanten das ordentliche Honorar in Rechnung zu stellen. Hätte dies der Gesetzgeber bei Parteientschädigungen gemäss § 72 Abs. 2 ZPO ausschliessen wollen, so hätte er nach Aufhebung des Zwangstarifs den unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung anpassen müssen, was indes nicht geschehen ist. Dass der Rechtsvertreter einer Partei, welche eine Parteientschädigung im Sinne von Art. 72 Abs. 2 ZPO zugesprochen erhält, die Differenz zum ordentlichen Honorar gemäss Tarifordnung bzw. gemäss entsprechender Honorarvereinbarung von seiner Klientschaft nachfordern kann, ist nach Dafürhalten des Kantonsgerichts auch im Ergebnis nicht zu beanstanden, zumal der eigene Klient ja nicht bedürftig ist und deshalb ein Abweichen vom Normalfall - der Zusprechung einer ordentlichen Parteientschädigung zulasten der Gegenpartei - nicht gerechtfertigt ist.


Aus den bisherigen Erwägungen ergibt sich somit, dass eine Verpflichtung der Beschwerdeführer zu weiteren Honorarleistungen an ihre Rechtsvertreterin nicht auszuschliessen ist, so dass sie durch den angefochtenen Kostenentscheid potentiell beschwert sind. Die Beschwerdevoraussetzung der Beschwer ist folglich gegeben.


( … )


KGE ZS vom 12. Mai 2009 i.S. O. und B. E. gegen R. J.-S.(200 08 1139/NOD)



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