Strafrecht

Rechts- bzw. Verbotsirrtum


Beim Rechtsirrtum (bzw. Verbotsirrtum) ist praxisgemäss die Leitlinie der Abgrenzung die Frage, ob sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Angeklagte von der verfügenden Behörde in eindeutiger Weise auf die Rechtslage hingewiesen worden und der von ihm geltend gemachte Irrtum lediglich durch sein Verhalten, namentlich durch Nichtlesen der Verfügung, entstanden ist (Art. 21 StGB; E. 3.3).



Sachverhalt

Mit Strafbefehl des Statthalteramtes Arlesheim vom 21. April 2008 wurde C. G. des Führens eines Motorfahrzeuges trotz Entzuges des Führerausweises schuldig erklärt und, als Zusatzstrafe zum Urteil des Statthalteramtes Arlesheim vom 5. November 2007, zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von fünf Tagessätzen à CHF 80.--, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von CHF 300.-- verurteilt, wobei für den Fall des schuldhaften Nichtbezahlens der Busse die Ersatzfreiheitsstrafe auf drei Tage festgesetzt wurde. Des Weitern wurden ihm die Verfahrenskosten von CHF 327.-- sowie eine Urteilsgebühr von CHF 250.-- auferlegt. Gestützt wurde dies auf folgenden Sachverhalt: „Am 21. Oktober 2007, 15.55 Uhr, wurde der Angeschuldigte als Lenker des Kleinmotorrades SYM Jet Sport X (BL XXX) in Allschwil auf dem Grabenring in Fahrtrichtung Baslerstrasse anlässlich einer Patrouillenfahrt von der Polizei angehalten und kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass er das eben genannte Fahrzeug führte, obwohl ihm am 15. August 2007 der Führerausweis für 3 Monate entzogen worden war."


Dagegen erhob C. G. mit Eingabe vom 25. April 2008 Einsprache, worauf das Strafgerichtspräsidium Basel-Landschaft mit Urteil vom 14. April 2009 den Strafbefehl des Statthalteramtes Arlesheim vom 21. April 2008 in Anwendung von Art. 95 Ziff. 2 SVG (in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 SVG), Art. 42 Abs. 1 und Abs. 4 StGB, Art. 44 Abs. 1 StGB, Art. 49 Abs. 2 StGB sowie Art. 106 StGB bestätigte. Zusätzlich wurden dem Angeklagten die Verfahrenskosten sowie eine Urteilsgebühr von CHF 600.-- auferlegt.


Gegen dieses Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Landschaft vom 14. April 2009 erklärte der Angeklagte mit Schreiben vom 16. April 2009 die Appellation.


Mit Verfügung des Kantonsgerichts vom 18. Mai 2009 wurde das mündliche Verfahren angeordnet.



Erwägungen

1.( … )


2. ( … )


3. Gemäss Art. 95 Ziff. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer ein Motorfahrzeug führt, obwohl ihm der Lernfahr- oder Führerausweis verweigert, entzogen oder aberkannt worden ist. Nach Art. 37 VZV gilt das Fahrverbot für jene Fahrzeugarten, für die es in der Verfügung angeordnet ist. Dies bedeutet, dass es im konkreten Einzelfall massgeblich ist, welche Fahrzeuge der Betroffene gemäss der individuellen Verfügung lenken darf und welche nicht.


3.1 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass dem Angeklagten mit Verfügung vom 21. August 2007 (act. 53 f.) der Führerausweis für drei Monate - vom 15. August 2007 bis und mit 14. November 2007 - entzogen worden ist. Es ist ebenfalls klar, dass er während dieser Zeit entsprechend der genannten Verfügung kein Kleinmotorrad hätte lenken dürfen, er dies jedoch trotzdem getan hat. Angesichts dieses Sachverhaltes ist der objektive Tatbestand von Art. 95 Ziff. 2 SVG ohne Weiteres erfüllt. Der Angeklagte macht nun aber geltend, er habe nicht gewusst, dass er ein solches Fahrzeug nicht hätte lenken dürfen. Dieser Einwand ist nachfolgend beim subjektiven Tatbestand zu würdigen.


Was die Kritik des Angeklagten anbelangt, wonach in der Verfügung nicht definiert sei, was unter einem „Kleinmotorrad" zu verstehen sei, ist zu entgegnen, dass der Appellant gemäss seinen Angaben offenbar die zweite Seite der Verfügung sowieso nicht gelesen hat (Aussage vom 28. November 2007 vor dem Statthalteramt Arlesheim [act. 69 f.], Protokoll Kantonsgericht), weshalb auch eine Definition nichts am Sachverhalt geändert hätte. Ausserdem hat bereits die Vorinstanz zu Recht festgestellt (E. 2.1 S. 4), dass der Begriff „Kleinmotorrad" in Art. 14 lit. a VTS (recte: Art. 14 lit. b VTS) definiert wird, wonach es sich dabei um zwei- oder dreirädrige Motorfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von höchstens 45 km/h und einem Hubraum von höchstens 50 ccm bei Verbrennungsmotoren handelt. Dass diese Definition auf das vom Angeklagten gelenkte Fahrzeug zutraf, ist unbestritten. Im Übrigen ergibt sich auch aus dem entsprechenden Fahrzeugausweis (act. 145), dass es sich beim fraglichen Roller um ein Kleinmotorrad handelte, womit der Angeklagte spätestens bei der Einlösung des Fahrzeuges über diesen Umstand informiert war.


3.2 Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ist festzuhalten, dass gemäss Art. 100 Ziff. 1 SVG auch die fahrlässige Handlung strafbar ist, soweit es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders bestimmt. Da dies betreffend das dem Angeklagten zur Last gelegten Delikt nicht der Fall ist, kann Art. 95 SVG fahrlässig begangen werden. Das Kantonsgericht geht indessen davon aus, dass dem Angeklagten eine eventualvorsätzliche Tatbegehung vorzuwerfen ist, was sich wie folgt begründet: Der Angeklagte gab seinen Ausweis am 15. August 2007 ab, am 17. August 2007 kaufte er den Roller für den Betrag von CHF 2'700.-- (Aussage vom 28. November 2007 vor dem Statthalteramt Arlesheim [act. 69]), die Verfügung, mit welcher ihm der Führerausweis entzogen worden ist, datiert aber erst vom 21. August 2007. Daraus muss geschlossen werden, dass der Angeklagte den Roller bereits mindestens vier Tage vor dem Erhalt der Entzugsverfügung erworben hat. Dies und der Umstand, dass er nach dem Erhalt der Verfügung nicht nachgelesen hat, welche Fahrzeuge er konkret lenken durfte, obwohl eine entsprechende Auflistung in der Verfügung enthalten war und obwohl der Angeklagte einschlägige Erfahrungen mit Führerausweisentzügen hat, sprechen klarerweise für die Annahme, dass er in Kauf genommen hat, ein ihm verbotenes Motorfahrzeug zu lenken und damit gegen das Gesetz zu verstossen. Somit ist auch der subjektive Tatbestand ohne Weiteres erfüllt, wie im Übrigen auch das Vorliegen der Rechtswidrigkeit zu bejahen ist.


3.3 Der Angeklagte macht im Folgenden geltend, er sei sich nicht bewusst gewesen, etwas Verbotenes getan zu haben, weshalb ein Rechtsirrtum vorliege. Gemäss Art. 21 StGB handelt nicht schuldhaft, wer bei der Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe. Ein solcher Verbotsirrtum kann in verschiedenen Formen auftreten. Zum Ersten kann dem Täter jegliche Kenntnis der übertretenen Norm fehlen (sog. direkter Verbotsirrtum), oder wenn der Täter zwar um den Widerspruch seines Verhaltens zu einer Rechtsnorm weiss, aber irrigerweise einen Rechtfertigungsgrund annimmt (sog. indirekter Verbotsirrtum; vgl. Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2. Auflage, Bern 2009, N 2 zu Art. 21 StGB, mit Hinweisen). Gemäss der Praxis ist die Leitlinie der Abgrenzung die Frage, ob sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen, oder aber der Täter hinreichenden Anlass gehabt hätte, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen oder in Erfahrung zu bringen, sei es durch eigenes Nachdenken, eine Gewissensanspannung oder eine gewissenhafte Überlegung, sei es durch ein Erkundigen bei Behörden oder vertrauenswürdigen Personen. Unter anderem ist man dann gehalten, das eigene Verhalten auf seine Rechtmässigkeit zu überprüfen, wenn die zuständige Behörde den Täter auf die Rechtslage hingewiesen hat (Guido Jenny, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Auflage, Basel 2007, N 16 ff. zu Art. 21 StGB, mit zahlreichen Hinweisen).


Im vorliegenden Fall ist der vom Angeklagten geltend gemachte Irrtum offenbar dadurch entstanden, weil der Appellant die Entzugsverfügung nicht vollständig gelesen und sich anschliessend auf die Auskunft seines Bruders und des Fachhändlers B., wonach er alle Fahrzeuge mit einer Maximalgeschwindigkeit von 45 km/h lenken dürfe, verlassen hat. Dass dieser Sachverhalt jedoch nicht zur Annahme eines Rechtsirrtums führen kann, lässt sich folgendermassen begründen:


Mit (bereits mehrfach genannter) Verfügung vom 21. August 2007 (act. 53 f.) wurde dem Angeklagten der Führerausweis für drei Monate - vom 15. August 2007 bis und mit 14. November 2007 - entzogen (Ziffer 1-3 auf Seite 1 der Verfügung). Diese (inhaltlich klare) Verfügung hat der Angeklagte unbestrittenermassen (act. 67 ff.) erhalten. In Ziffer 1 auf Seite 1 der Verfügung wurde ausserdem festgehalten, dass dem Angeklagten das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien und Unterkategorien während der Dauer des Entzuges untersagt ist. Erst auf Seite 2 der Verfügung - welche der Angeklagte jedoch gemäss eigener Aussage nicht gelesen hat - sind als Ausnahmen diejenigen Motorfahrzeuge festgehalten, die der Appellant berechtigt war, während des Entzuges zu lenken. Unter anderem durfte der Appellant Motorfahrzeuge der Kategorie F mit einer Höchstgeschwindigkeit bis zu 45 km/h lenken, wobei davon wiederum ausdrücklich Motorräder und Kleinmotorräder ausgenommen waren. Wenn der Angeklagte nun geltend macht, lediglich die erste Seite der Verfügung gelesen und deswegen nicht gewusst zu haben, dass er Kleinmotorräder nicht hätte fahren dürfen, muss ihm entgegen gehalten werden, dass auf dieser ersten Seite das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien untersagt wird. Gemäss dieser ersten Seite hätte der Angeklagte überhaupt kein Motorfahrzeug lenken dürfen, also auch nicht eines, das auf eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h beschränkt ist. Erst auf der zweite Seite der Verfügung sind diejenigen Motorfahrzeuge aufgelistet, die der Angeklagte trotz des Entzuges fahren durfte. Dort sind aber auch wiederum die Ausnahmen der zulässigen Motorfahrzeuge aufgeführt. Dies bedeutet mit anderen Worten, entweder hat der Angeklagte tatsächlich nur die erste Seite der Verfügung gelesen, dann hätte er aber davon ausgehen müssen, kein Motorfahrzeug lenken zu dürfen, oder er wusste, dass er bestimmte Fahrzeugkategorien lenken durfte, in dem Fall musste er aber auch die zweite Seite gelesen haben, wo ebenfalls die Ausnahmen aufgelistet waren. Des Weiteren liegt es grundsätzlich in der Verantwortung des Verfügungsempfängers, die Verfügung vollständig zu lesen. Tut er dies nicht, obwohl darin eindeutig festgehalten wird, was erlaubt ist und was nicht, kann er sich nicht dadurch exkulpieren, dass ihm andere - und überdies nicht rechtskundige - Personen unzutreffende Auskünfte gegeben haben. Sollten sich Unklarheiten aus der Verfügung ergeben, ist der Empfänger gehalten, diese Unklarheiten bei der verfügenden Behörde abzuklären. Dies gilt umso mehr, als der Empfänger, wie dies für den Angeklagten zutrifft, nicht zum ersten Mal von einem Führerausweisentzug betroffen ist. Demnach vermag der Angeklagte auch aus dem Umstand, wonach offenbar der Fachhändler D. B. davon ausgegangen ist, dass er während des Entzuges des Führerausweises ein Kleinmotorrad hätte fahren dürfen (act. 75), nichts zu seinen Gunsten abzuleiten, zumal nebst der eindeutigen Regelung in der Verfügung selbst der Angeklagte dem Fachhändler die Verfügung nicht gezeigt und überdies das Kleinmotorrad schon vor Erhalt der Verfügung gekauft hat.


Es mag zutreffend sein, dass es nicht unbedingt einleuchtend erscheint, weshalb der Angeklagte zwar einen plombierten Pkw hätte lenken dürfen, nicht jedoch ein Kleinmotorrad. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in der Verfügung eine entsprechende Regelung festgehalten war und der Angeklagte nun mal beide Seiten der Verfügung hätte lesen müssen. Nicht korrekt ist schliesslich, dass selbst die Kantonspolizei die Rechtslage nicht gekannt habe, wie dies vom Angeklagten behauptet wird. Aus dem Polizeirapport vom 26. Oktober 2007 (act. 47) ergibt sich, dass der Angeklagte zwar der festen Überzeugung gewesen sei, dass er einen Roller mit einer Höchstgeschwindigkeit bis 45 km/h habe lenken dürfen, da die Kategorie F nicht gesperrt sei, andererseits aber machte ihn der zuständige Polizeibeamte darauf aufmerksam, dass die Kategorie F für Motorfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit bis 45 km/h, ausgenommen Motorräder, vorgesehen sei, worauf sich der Angeklagte einsichtig gezeigt und den Sachverhalt anerkannt habe.


Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass der Angeklagte von der verfügenden Behörde in eindeutiger Weise auf die Rechtslage hingewiesen worden und der von ihm geltend gemachte Irrtum lediglich durch sein Verhalten entstanden ist. Demzufolge ist nach dem (objektiven und subjektiven) Tatbestand und der Rechtswidrigkeit auch die Schuld zu bejahen, womit die Appellation in Bestätigung des angefochtenen Urteils abzuweisen ist.


4. ( … )


5. ( … )


KGE ZS vom 15. September 2009 i. S. Staatsanwaltschaft BL / C. G. (100 09 546 [A 75] / NEP)



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