Strafrecht

Begehungsort in der Schweiz bei Mittäterschaft und anwendbares Recht


Ein Verbrechen oder Vergehen gilt da als begangen, wo der Täter das Delikt ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Bei Mittäterschaft begründet inländisches Handeln eines Beteiligten einen Handlungsort für alle anderen. Gleichermassen wirkt der Erfolg jedes Mittäters als Anknüpfungspunkt für alle. Liegt ein Begehungsort in der Schweiz in diesem Sinne vor, so ist schweizerisches Recht anzuwenden und stellt sich die Frage nach der Berücksichtigung von allenfalls milderem ausländischen Recht nicht (Art. 3 Abs. 1 StGB, Art. 6 Abs. 2 StGB, Art. 8 Abs. 1 StGB, E. 3.4).


Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Rückversetzung bzw. für den Vollzug der noch nicht vollständig vollstreckten Strafe eines vor dem 01.01.2007 in Rechtskraft erwachsenen Urteilsgelten grundsätzlich die Bestimmungen des bisherigen Rechts. Ziff. 1 Abs. 3 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 13.12.2002 definiert als lex specialis u.a. im Sinne einer Ausnahme vom vorerwähnten Grundsatz, welche neurechtlichen Bestimmungen über den Vollzug von Freiheitsstrafen auch auf die Täter anwendbar sind, die nach bisherigem Recht verurteilt worden sind. Die Vorschriften über die Nichtbewährung des bedingt Entlassenen während der Probezeit gehören nicht dazu (Art. 89 StGB, Art. 388 StGB, E. 4).



Erwägungen

1.-2. ( … )


3. Strafzumessung


3.1-3.3 ( … )


3.4 Gemäss Art. 3 Abs. 1 StGB ist Schweizer Recht anwendbar, wenn der Täter in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht. Was zu inländischer Tatverübung gehört, bestimmt Art. 8 StGB (BSK Strafrecht I-Popp/Levante, Art. 3 N 5). Laut Art. 333 Abs. 1 StGB gelten diese Bestimmungen auch für strafbare Handlungen gemäss BetmG. Gemäss Art. 8 Abs. 1 StGB gilt ein Verbrechen oder Vergehen da als begangen, wo der Täter das Delikt ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Bei Mittäterschaft begründet inländisches Handeln eines Beteiligten einen Handlungsort für alle anderen. Gleichermassen wirkt der Erfolg jedes Mittäters als Anknüpfungspunkt für alle (BSK Strafrecht I-Popp/Levante, Art. 8 N 13; Trechsel/Vest, StGB PK, Art. 8 N 7; BGer 6S.331/2001 E. 1.c.bb). Da insbes. die Mittäter H.H. und O.L. ihre Tatbeiträge in der Schweiz geleistet haben, wird damit auch für die Tatbeiträge des Angeklagten ein Begehungsort in der Schweiz begründet. Der Angeklagte hat folglich als Mittäter die inkriminierten Taten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 StGB in der Schweiz ausgeführt. Art. 6 StGB ist auf den vorliegenden Fall gar nicht anwendbar. Die Frage, ob das serbische oder kosovarische Recht allenfalls milder ist, stellt sich deshalb nicht.


( … )


4. Nichtbewährung / Rückversetzung


Der Angeklagte wurde per 06.11.2005 aus dem Strafvollzug bedingt entlassen. Der nicht verbüsste Strafrest beträgt 1'199 Tage Zuchthaus bei einer Probezeit von 4 Jahren. Die im vorliegenden Verfahren beurteilten Verbrechen und Vergehen hat der Angeklagte alle während dieser Probezeit begangen. Sachlich zuständig für den Entscheid über die Rückversetzung bei Nichtbewährung ist gemäss Art. 89 Abs. 1 StGB das für die Beurteilung der neuen Tat zuständige Gericht.


Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Rückversetzung bzw. für den Vollzug der noch nicht vollständig vollstreckten Strafe gemäss Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13.06.2002 gelten gemäss Art. 388 Abs. 1 StGB die Bestimmungen des bisherigen Rechts. Vorbehalten sind die Ausnahmen gemäss Art. 388 Abs. 2 und 3 StGB. Nach Art. 388 Abs. 3 StGB sind die Bestimmungen des neuen Rechts über das Vollzugsregime von Strafen und Massnahmen sowie über die Rechte und Pflichten des Gefangenen auch auf Täter anwendbar, die nach bisherigem Recht verurteilt worden sind. Ziff. 1 Abs. 3 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 13.12.2002 definiert als lex specialis u.a., welche neurechtlichen Bestimmungen über den Vollzug von Freiheitsstrafen auch auf die Täter anwendbar sind, die nach bisherigem Recht verurteilt worden sind: Es sind dies die Art. 74-85, 91 und 92 StGB. Die Art. 86 ff. StGB über die bedingte Entlassung fehlen in dieser Aufzählung. Das Bundesgericht hat bezüglich Art. 86 StGB angenommen, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift in Ziff. 1 Abs. 3 der Schlussbestimmungen versehentlich nicht aufführte (BGE 133 IV 202 E. 2.1). Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Voraussetzungen, unter denen ein Gefangener aus dem Strafvollzug vorzeitig entlassen wird, sondern darum, ob im Falle der Nichtbewährung der Rest einer noch nicht vollständig vollstreckten Strafe aus einem rechtskräftigen altrechtlichen Urteil zu vollziehen ist. Dies ist keine Frage des Vollzugsregimes, weshalb nicht von einer versehentlichen Nichtaufführung von Art. 89 StGB in Ziff. 1 Abs. 3 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 13.12.2002 gesprochen werden kann. Daher sind die Voraussetzungen der Rückversetzung gemäss dem alten Recht (Art. 38 Ziff. 4 aStGB) zu prüfen. Danach ist die Rückversetzung zwingend, sobald der Angeklagte für die während der Probezeit begangenen Straftaten zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe verurteilt wird. Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Folglich ist der - ohnehin nicht weiter begründete - Antrag des Angeklagten, eine Gesamtstrafe unter Berücksichtigung des Widerrufs der bedingten Entlassung zu bilden, abzuweisen und es ist in Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids in Bezug auf die noch nicht vollzogene Reststrafe die Rückversetzung anzuordnen.


Selbst wenn das neue Recht anzuwenden wäre, ergäbe sich aus den nachfolgenden Gründen kein anderes Ergebnis. Art. 89 Abs. 6 StGB über die Bildung einer Gesamtstrafe in Anwendung von Art. 49 StGB ist eine ähnliche Regelung wie Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB. Dazu hielt das Bundesgericht in BGE 134 IV 245 E. 4.3 Folgendes fest: "Soweit Art. 46 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 49 StGB zum Ausdruck bringen sollte, dass der Richter für die Gegenstand der früheren Verurteilung bildenden Straftaten einerseits und die während der Probezeit begangenen neuen Straftaten andererseits eine Gesamtstrafe nach dem Asperationsprinzip bilden kann, wie wenn er alle Straftaten gleichzeitig zu beurteilen hätte, erscheint dies als wenig sachgerecht. Der Fall, dass ein Täter nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe während der Probezeit weitere Delikte verübt, unterscheidet sich wesentlich vom Fall eines Täters, der sämtliche Taten begangen hatte, bevor er wegen dieser Taten (siehe Art. 49 Abs. 1 StGB) beziehungsweise zumindest wegen eines Teils dieser Taten (vgl. Art. 49 Abs. 2 StGB betreffend die retrospektive Konkurrenz) verurteilt worden ist. Eine Gleichstellung dieser Fälle bei der Strafzumessung erscheint als sachfremd, weil damit der straferhöhend zu bewertende Umstand, dass der Täter einen Teil der Täten während der Probezeit nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer bedingten Strafe begangen hat, bei der Strafzumessung zu Unrecht unberücksichtigt bliebe." Diese Überlegungen müssen für einen Täter, der nach der rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe einen Teil seiner Strafe sogar bereits verbüsst hat und nach der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug während der Probezeit erneut delinquiert, erst recht gelten. Es kann nicht die mutmassliche Meinung des Gesetzgebers gewesen sein, den Täter im Fall der Nichtbewährung zwingend durch die Bildung einer Gesamtstrafe nach dem Asperationsprinzip zu privilegieren. Das Verfahren nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB ist fakultativ und die Gesamtstrafenbildung bei Nichtbewährung in der Probezeit findet bei bedingten Strafen ohnehin nur Anwendung, wenn die bedingte Vorstrafe und die neue Strafe nicht gleichartig sind (BGE 134IV 246 E. 4.4). Angesichts der Parallelität zu Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB und des weiten Ermessens, das dem Sachrichter bei der Strafzumessung zusteht, ist Art. 89 Abs. 6 StGB als "Kann"-Vorschrift auszulegen. Somit ist es auch nach neuem Recht zulässig, die ausgefällte Strafe für die neuen Straftaten und die Reststrafe zu addieren bzw. den vollständigen nachträglichen Vollzug der noch offenen Reststrafe anzuordnen. Der Angeklagte ist wenige Monate nach der bedingten Entlassung einschlägig und intensiv rückfällig geworden. Deshalb sind keinerlei Umstände ersichtlich, die für eine Privilegierung des Angeklagten beim Entscheid über den Vollzug der Reststrafe sprechen. Die Bildung einer Gesamtstrafe gemäss Art. 49 StGB wäre im vorliegenden Fall geradezu stossend. Folglich wäre auch bei Anwendung des neuen Rechts der Vollzug der gesamten Reststrafe anzuordnen.


5. ( … )


KGE ZS vom 24. November 2009 i.S. S.M. gegen K.B. (100 08 1232/ZWH)



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