Strafrecht

Dulden von Verletzungen der Chauffeure gegen die ARV1


Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Bestimmungen über die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit einhält, die Kontrollmittel vorschriftsgemäss führt und sie ihm rechtzeitig abgibt. Auch wenn der Appellant von den von seinen Chauffeuren begangenen Widerhandlungen gegen Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung Kenntnis erhält, hat er unmittelbar dafür zu sorgen, dass sich diese gesetzeskonform verhalten (Art. 17 Abs. 2 ARV1, Erw. 2.3.2.).



Sachverhalt

A. Mit Urteil vom 27. Februar 2008 sprach der Vizepräsident des Strafgerichts A. B. (nachfolgend: Appellant) in teilweiser Abänderung des Strafbefehls des Bezirksstatthalteramts C. vom 23. April 2007 der mehrfachen Widerhandlung gegen die Verordnung vom 19. Juni 1995 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen (Chauffeurverordnung, ARV1, SR 822.221) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von CHF 4'000.--.


B. Gegen dieses Urteil erklärte der Appellant mit Schreiben vom 7. März 2008 Appellation. Mit Appellationsbegründung vom 1. Oktober 2008 begehrte der Appellant, er sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils vom Vorwurf der Widerhandlung gegen Art. 16 Abs. 1 ARV1, Art. 17 Abs. 1 ARV1 und Art. 17 Abs. 2 ARV1 freizusprechen, eventualiter sei er im Fall eines Schuldspruchs gemäss Art. 17 Abs. 2 ARV1 nach Art. 21 Abs. 4 ARV1 a.F. mit einer Busse von weniger als CHF 500.-- zu bestrafen.


C. Mit Appellationsantwort vom 15. Oktober 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft, es sei die Appellation in Bestätigung des angefochtenen Urteils abzuweisen.


D. Mit Urteil vom 15. Dezember 2008 stellte das Kantonsgericht das Verfahren gegen den Appellanten zufolge Eintritts der Verfolgungsverjährung ein.


E. Mit Beschwerde vom 9. März 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts vom 15. Dezember 2008 sei in dem Sinn abzuändern, als der Appellant wegen mehrfacher Widerhandlung gegen die ARV1 schuldig zu sprechen und zu einer Busse von CHF 4'000.-- zu verurteilen sei, eventualiter sei das Urteil aufzuheben und zur Neubeurteilung im Sinn des Hauptantrags an das Kantonsgericht zurückzuweisen.


F. Mit Urteil vom 16. Juli 2009 hob das Bundesgericht das Urteil des Kantonsgerichts vom 15. Dezember 2008 auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.


G. Zur heutigen Hauptverhandlung erscheint der Appellant mit seinem Rechtsvertreter und ersucht um Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung.



Erwägungen

1. Formelles


( … )


2. Tatsächliches und Rechtliches


2.1 ( … )


2.2 ( … )


2.3 Dulden von Verletzungen der Chauffeure gegen die ARV1


2.3.1 Der Appellant brachte vor, die Vorinstanz habe richtig festgehalten, dass er die Kontrolle der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit vornehme und seinen Arbeitgeberpflichten nachkomme. Er lasse nämlich die Tachoscheiben durch die X. AG auswerten. Die Auswertungen erfolgten jedoch erst zwei bis vier Wochen nach den Fahrten, da die Chauffeure die Einlageblätter während zwei Wochen in Deutschland mitführen müssten. Es dauere deshalb bis zu einem Monat, bis er die Auswertungen erhalte. Weil die Chauffeure nur unregelmässig und unangemeldet in seinem Büro vorbeikämen, dauere es dann wieder seine Zeit bis er einen Chauffeur wegen begangener Ordnungswidrigkeiten ermahnen könne. Andere Möglichkeiten, als einen Chauffeur persönlich auf die Einhaltung der geltenden Vorschriften hinzuweisen, stünden ihm nicht zur Verfügung. Die von der Vorinstanz aufgeführten weiteren Massnahmen wie schriftliche Abmahnung, Androhung von Kündigung, Entlassung seien nicht praktikabel, da sich die Chauffeure einerseits nicht darum kümmerten, weil sie sofort einen anderen Arbeitgeber fänden, und er andererseits auf die Chauffeure angewiesen sei, weil sonst der entsprechende Lastenzug stillstehe und dadurch die Vertragserfüllung gegenüber der Speditionsfirma fraglich werde. Immerhin habe er in den Arbeitsverträgen darauf hingewiesen, dass Bussen nicht übernommen würden.


2.3.2. Der Arbeitgeber muss gemäss Art. 17 Abs. 2 ARV1 dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Bestimmungen über die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit einhält, die Kontrollmittel vorschriftsgemäss führt und sie ihm rechtzeitig abgibt. Im vorliegenden Fall verübten die vom Appellanten angestellten Chauffeure vom 4. Juli bis 26. August 2005 folgende Widerhandlungen gegen die ARV1 (act. 11 ff.):


Die Kontrolle der Datenblätter durch das KIGA erstreckte sich über einen Zeitraum von knapp acht Wochen und erfolgte nicht bloss stichprobeweise. Bei den festgestellten Widerhandlungen handelt es sich somit nicht um in Ausnahmesituationen begangene Einzelfälle. Zudem wurde der Appellant bereits am 12. Juni 1998 wegen Verletzung einschlägiger Widerhandlungen gegen die ARV1 vom KIGA verwarnt (act. 5 ff. der Strafgerichtsakten Nr. xxx). Mit Beschluss vom 13. Mai 2003 gab das Strafgerichtspräsidium des Kantons Basel-Landschaft überdies einer Anklage gegen den Appellanten wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen die ARV1 zufolge Eintritts der Verjährung keine Folge. In diesem Verfahren wurde dem Appellanten vorgeworfen, dass er es unterlassen habe, die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit eines seiner Arbeitnehmer vom 20. März bis 24. April 2000 in einer Aufstellung festzuhalten und dafür zu sorgen, dass drei seiner Arbeitnehmer die Bestimmungen über die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit einhalten (act. 37 ff., 119 ff. der Strafgerichtsakten Nr. 32256). Unter diesen Umständen hätte der Appellant gewarnt sein sollen und umso mehr für die Einhaltung der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten seiner Chauffeure besorgt sein müssen. Auch wenn der Appellant von den von seinen Chauffeuren begangenen Widerhandlungen gegen Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung Kenntnis erhält, hat er unmittelbar dafür zu sorgen, dass sich diese gesetzkonform verhalten. So kann er den betreffenden Chauffeur sogleich telefonisch zur Einhaltung der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten auffordern und ihn je nach Anzahl und Schwere der begangenen Übertretungen in sein Büro zitieren, schriftlich abmahnen, die Kündigung androhen oder aussprechen. Gemäss dem Schreiben vom 29. August 2005 bat er den Chauffeur G., die vorgeschriebenen Zeiten einzuhalten und den Tachographen stets einzuschalten. Zudem liess er sich von diesem sinngemäss bestätigen, dass er die Arbeits- und Ruhezeit-Verordnung strikte einhalten werde (act. 367). Damit vermag der Appellant jedoch noch nicht darzulegen, dass er seinen Arbeitgeberpflichten gemäss Art. 17 Abs. 2 ARV1 genügte. Denn zum einen erscheint diese Massnahme angesichts der Verurteilungen des Chauffeurs G. vom 11. Oktober 2004 und 7. Februar 2005 (act. 369 ff.) wegen mehrfachen Widerhandlungen gegen die ARV1 sowie der 68 vom 4. Juli bis 26. August 2005 begangenen Verstösse gegen die ARV1 als ungenügend. Vielmehr wäre es vorliegend angebracht gewesen, den Chauffeur G. angesichts der wiederholten Verletzungen der ARV1 zumindest eindeutig zu verwarnen und ihm Sanktionen im Wiederholungsfall anzudrohen. Zum anderen zeigte der Appellant nicht auf, dass er auch bezüglich der weiteren Chauffeure, welche die ARV1 verletzten, entsprechende Massnahmen ergriff. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2005 kündigte der Appellant zwar dem Chauffeur H. unter anderem mit der Begründung, dass er der Tachographen nicht eingeschalte habe (act. 65). Da der Appellant diese Kündigung erst einige Zeit nach der Betriebskontrolle durch das KIGA vom 13. September 2005 und der Verzeigung vom 4. November 2005 ausfällte, vermag diese nicht aufzeigen, dass er damit die vom Chauffeur H. in der Zeit vom 4. Juli bis 26. August 2005 begangenen Verstösse gegen die ARV1 sanktionierte (act. 25 f.). Aus demselben Grund können ihn auch die Abmahnung vom 16. Juli 2007 von Chauffeur G. (act. 379) und vom 17. August 2009 von Chauffeur M. sowie die vom Appellanten ausgesprochene Kündigung vom 24. August 2007 gegen Chauffeur L. (act. 253), vom 27. September 2007 gegen die Chauffeur N. (act. 247) und Chauffeur M. vom 27. August 2009 nicht entlasten. Zudem können die vorerwähnten Kündigungen und die Abmahnung von Chauffeur M. auch nicht zugunsten des Appellanten herangezogen werden, weil ihm im vorliegenden Strafverfahren kein Fehlverhalten dieser Chauffeure vorgeworfen wurde. Ebenso wenig vermögen die vom Appellanten ins Recht gelegten Kündigungen von Chauffeuren selbst darzulegen, dass er seinen Arbeitgeberpflichten nachkam. Denn grundsätzlich vermögen bloss von ihm ausgesprochene Kündigungen zu belegen, dass er als Arbeitgeber um die Einhaltung der ARV1-Vorschriften besorgt war. Nicht gefolgt werden kann zudem der Behauptung des Appellanten, dass schriftliche Abmahnungen, Androhungen von Kündigung und Entlassungen nicht praktikabel seien. Denn der Appellant legte vorliegend weder konkret dar noch wies er nach, dass diese Sanktionen wirkungslos sind. Vielmehr erscheint es so, dass ein Chauffeur, welchem wegen Verletzung gegen die ARV1 gekündigt wurde, bei der Suche nach einer neuen Stelle im Nachteil sein wird. Im Weiteren ist zu beachten, dass der Appellant, selbst wenn ein Chauffeur uneinsichtig sein sollte, Verstösse gegen die ARV1 nicht dulden darf, und in jedem Fall wirksame Sanktionen gegen fehlbare Chauffeure ausfällen und nötigenfalls gar eine Kündigung aussprechen muss. Denn Art. 17 Abs. 2 ARV1 verlangt zum Schutz der Verkehrssicherheit, dass ein Transportunternehmer keine Verstösse seiner Chauffeure gegen die ARV1 duldet. Ferner vermag auch der Umstand, dass der Appellant gemäss den von ihm abgeschlossenen Arbeitsverträgen keine Bussen seiner Chauffeure übernimmt und die Chauffeure in einem Merkblatt über ihre Pflichten gemäss ARV1 informierte, den Appellanten nicht zu entlasten. Denn da diese Massnahme, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, nicht ausreicht, damit die Chauffeure die ARV1-Vorschriften einhalten, war der Appellant vielmehr verpflichtet, fehlbare Chauffeure abzumahnen, diesen gegenüber die Kündigung anzudrohen oder gar auszusprechen. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Appellant den Chauffeuren die Überzeit, welche sie bei der Einhaltung der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten unter Umständen hätten leisten müssen, hätte entschädigen sollen. Da die Chauffeure aufgrund der niedrigen Entlöhnung kaum zur Leistung von Überzeit motiviert sind, hätte eine Entschädigung der Überzeit für die Chauffeure zweifelsohne einen Anreiz für ein gesetzeskonformes Verhalten gebildet. Gesamthaft kann festgehalten werden, dass sieben Chauffeure des Appellanten wiederholt gegen die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit verstiessen, und der Appellant dagegen keine genügenden Massnahmen ergriff. Mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass der Appellant mehrfach seine Arbeitgeberpflichten gemäss Art. 17 Abs. 2 ARV1 verletzte.


3. Strafzumessung


( … )


4. Zusammenfassung und Ergebnis


Gesamthaft ergibt sich, dass der Appellant aufgrund von Art. 21 Abs. 2 ARV1 a.F. (i.V.m. Art. 21 Abs. 4, Art. 2 lit. d und Art. 17 Abs. 2 ARV1) sowie Art. 68 Ziff. 1 StGB a.F. der mehrfachen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen schuldig zu sprechen und zu einer Busse von CHF 1'000.-- zu verurteilen ist. Vom Vorwurf des Verstosses gegen Art. 21 Abs. 1 und 2 ARV1 und Art. 21 Abs. 4 ARV1 a.F. i.V.m. Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 ARV1 ist der Appellant hingegen freizusprechen. Die Appellation ist somit in diesem Sinn teilweise gutheissen.


5. Kosten und Entschädigung


( … )


KGE ZS vom 27. Oktober 2009 i.S. Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft gegen P.D. (100 08 737/STS)



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