Zivilgesetzbuch

Rückwirkende Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen im Scheidungsverfahren


Willkürbegriff (§ 233 Abs. 1 lit. c ZPO, E. 3.1)


Eine rückwirkende Festlegung von Unterhaltsbeiträgen ist nur dann möglich, wenn vor dem Scheidungsverfahren kein Eheschutzverfahren durchgeführt worden ist, und sofern für vorsorgliche Massnahmen ein Bedürfnis besteht. Ein solches fehlt u.a., wenn sich die Ehegatten im Rahmen der Parteidisposition über die Regelung ihrer Verhältnisse während der Prozessdauer einig sind (Art. 137 Abs. 2 ZGB, E. 3.2).



Sachverhalt

Anlässlich der Prozesseinleitungsverhandlung vom 18.11.2008 i.S. Ehescheidung beantragte der Ehemann, die Unterhaltsbeiträge rückwirkend per 01.09.2007 neu festzulegen. Die Ehefrau beantragte die Abweisung dieses Antrags unter Verweisung auf eine unter den Ehegatten abgeschlossene Trennungsvereinbarung vom 12.12.2005 und auf die bis dato gestützt auf diese Vereinbarung erfolgten Unterhaltszahlungen des Ehemannes. Mit Verfügung des Bezirksgerichtspräsidenten vom 18.11.2008 wurden die Unterhaltsbeiträge mit Wirkung ab 01.09.2007 neu festgesetzt. Gegen diese Verfügung erhob die Ehefrau mit Eingabe vom 08.12.2008 Beschwerde. Sie beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Festsetzung der vom Ehemann an die Ehefrau für die Dauer des Ehescheidungsverfahrens zu leistenden Unterhaltsbeiträge erst mit Wirkung ab 01.12.2008. Die Beschwerdegegner beantragten die Abweisung der Beschwerde.



Erwägungen

1.-2. ( … )


3.1 In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung wertet das Kantonsgericht einen Entscheid als willkürlich, wenn er schlechthin unhaltbar erscheint, mit der tatsächlichen Situation in offensichtlichem Widerspruch steht, ohne sachlich vertretbare Gründe zustande gekommen ist, in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft oder in Verletzung klaren Rechts ergangen ist. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (vgl. BGE 127 I 56 und dort zit. frühere Entscheide).


3.2 Gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB trifft das Scheidungsgericht die nötigen vorsorglichen Massnahmen, wobei die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft sinngemäss anwendbar sind. Unterhaltsbeiträge können für die Zukunft und für das Jahr vor Einreichung des Begehrens gefordert werden. Eine rückwirkende Festlegung von Unterhaltsbeiträgen ist jedoch nur dann möglich, wenn vor dem Scheidungsverfahren kein Eheschutzverfahren durchgeführt worden ist (FamKomm Scheidung/Leuenberger, Art. 137 ZGB N 10). Ferner sind vorsorgliche Massnahmen nur dann anzuordnen, sofern dafür ein Bedürfnis besteht (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Art. 137 N 11). Ein solches fehlt u.a., wenn sich die Ehegatten im Rahmen der Parteidisposition über die Regelung ihrer Verhältnisse während der Prozessdauer einig sind (FamKomm Scheidung/Leuenberger, Art. 137 ZGB N 8). Im vorliegenden Fall haben die Parteien in der Trennungsvereinbarung vom 12.12.2005 eine Unterhaltsregelung für die Dauer des Getrenntlebens getroffen und diese per 01.01.2008 durch Aussonderung des vom Ehemann direkt an den mündigen Sohn Raphael zu leistenden Beitrages angepasst (vgl. Beschwerdebeilagen 2 und 3). Die in Ziff. 2.2 der Trennungsvereinbarung festgehaltene Abänderbarkeit im Falle der Änderung der zur Zeit beschriebenen Familiensituation bedeutet nicht, dass ein Abänderungsgesuch auch noch rückwirkend gestellt werden kann. Das darin vorgesehene Mediationsverfahren entbindet den Unterhaltspflichtigen nicht davon, zwecks Fixierung des Zeitpunkts der Abänderung rechtzeitig ein entsprechendes Gesuch beim zuständigen Richter einzureichen. Mithin fehlt es an der Notwendigkeit, rückwirkend für die Zeit eines Jahres vor Klageeinreichung bis zur Stellung des Gesuchs um Abänderung vom 18.11.2008 durch das Gericht vorsorgliche Massnahmen zu treffen. Es müssten ganz besondere Gründe vorliegen, um trotzdem rückwirkend vorsorgliche Massnahmen anordnen zu können, z.B. unbekannter Aufenthalt oder Landesabwesenheit des Unterhaltspflichtigen, treuwidriges Verhalten einer Partei, schwere Krankheit des Berechtigten etc. (BGE 111 II 107 E. 4). Die Reduktion der Unterhaltsbeiträge mag schon lange ein streitiges Thema unter den Parteien gewesen sein und der Velounfall der Ehefrau mag die diesbezüglichen Verhandlungen zwischen den Parteien unterbrochen haben. Inwiefern darin ein treuwidriges Verhalten der Ehefrau liegen soll, ist hingegen nicht ersichtlich. Indem der Vorderrichter auf das erst am 18.11.2008 unterbreitete Gesuch des Ehemannes hin trotz Bestehens einer irrtumsfrei, vorbehaltlos und freiwillig erfüllten Parteivereinbarung über die Unterhaltszahlungen rückwirkend Unterhaltsbeiträge für die Zeit von September 2007 bis und mit November 2008 festgesetzt hat, ist er von der tatsächlich vorhandenen Situation offensichtlich abgewichen, ohne dass es dafür vertretbare Gründe gibt. Dieses Ergebnis ist nicht haltbar und damit willkürlich, weshalb die Beschwerde bezüglich der rückwirkenden Unterhaltsfestsetzung gutzuheissen ist.


3.3-4.( … )


KGE ZS vom 17. Februar 2009 i.S. K.M. gegen B.L. und F.M. (200 08 1183/ZWH)



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