Strassen und Verkehr

Anspruch auf vorgängige Anhörung beim Erlass eines Sicherungsentzugs


Inhalt und Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör, vor allem des Anspruchs auf vorgängige Anhörung, sowie Voraussetzungen der Heilung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, § 13 VwVG BL; E. 3.1-3.4.5).


Der Führerausweis kann vorsorglich entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der Fahreignung einer Person bestehen. Der vorsorgliche Entzug während eines Sicherungsentzugs-Verfahrens bildet zum Schutz der allgemeinen Verkehrssicherheit die Regel (Art. 16 Abs. 1 und 16d Abs. 1 lit. b SVG, Art. 30 VZV, § 7 VwVG BL; E. 3.5.1 - 3.8).


Durch den Erlass des "ordentlichen" Sicherungsentzugs des Führerausweises ohne vorgängige Anhörung des Betroffenen, wurde vorliegendenfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Eine Heilung der Verletzung desselben kommt vorliegendenfalls nicht in Betracht (E. 3.9 - 4.2).


Ist der Betroffene gezwungen, ein Rechtsmittel zur ergreifen, um sich erstmals Gehör verschaffen zu können, darf ihm die Rechtsmittelinstanz - unter Vorbehalt der Trölerei und des Rechtsmissbrauchs - auch bei Abweisung der Beschwerde keine Kosten auferlegen (E. 6).



Sachverhalt

Aufgrund einer Anzeige durch die Drogenfahndung der Polizei Basel-Landschaft gegen X., geboren 1964, wegen Kaufs und Konsums von Marihuana gelangte die Polizei, Hauptabteilung Verkehrssicherheit, Administrativmassnahmen (HVA), mit Schreiben vom 12. Februar 2009 an X. und forderte ihn dazu auf, sich im Sinne der Verkehrssicherheit einer Fahreignungsuntersuchung zu unterziehen. X. meldete sich mit Formular vom 18. Februar 2009 bei der Firma Z. zur Abklärung der Fahreignung an. Mit Gutachten vom 18. Mai 2009 kam die Z. zum Schluss, dass aus verkehrspsychischer/verkehrspsychologischer Sicht eine Teilnahme von X. am motorisierten Strassenverkehr derzeit nicht vertretbar sei. Gestützt auf dieses Gutachten verfügte die HVA am 19. Mai 2009 einen sofortigen Sicherungsentzug des Führerausweises von X. Die Wiederzulassung zum motorisierten Strassenverkehr wurde von einem positiven verkehrsmedizinischen Gutachten abhängig gemacht. X. wurde empfohlen, vor einer Neubegutachtung den Nachweis einer kontrollierten, dokumentierten Drogen- und Hypnotikaabstinenz über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr beizubringen. X. erhob gegen diese Verfügung mit Schreiben vom 28. Mai 2009 Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Regierungsrat). Er beantragte sinngemäss den Verzicht auf den Sicherungsentzug seines Führerausweises mit der Begründung, dass bei ihm weder eine Drogen- noch eine Hypnotikaproblematik bestehe und er aus beruflichen und gesundheitlichen Gründen (Invalidität) auf das Führen eines Fahrzeugs angewiesen sei. Mit Beschluss Nr. 1242 vom 25. August 2009 wies der Regierungsrat die Beschwerde von X. ab. Mit Eingabe vom 9. November 2009 hielt der Beschwerdeführer an der am 4. September 2009 vorsorglich beim Kantonsgericht, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Kantonsgericht), erhobenen Beschwerde fest und beantragte die Aufhebung des Regierungsratsbeschlusses vom 25. August 2009 und der Verfügung der HVA vom 19. Mai 2009. Er rügte unter anderem, dass die angefochtene Verfügung und der angefochtene Entscheid des Regierungsrates den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie Bundesrecht verletzen und gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip verstossen würden.



Erwägungen

1. …


2. …


3.1. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, er hätte vor Erlass der Verfügung und nach Eingang des Gutachtens der Z. angehört werden müssen. Dadurch, dass dies nicht erfolgt sei, sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.


3.2. Der Regierungsrat führt in seinem Entscheid aus, dass die HVA auf das Gutachten der Z. vom 18. Mai 2009 und die darin enthaltenen Empfehlungen unmittelbar mit der Verfügung vom 19. Mai 2009 reagiert habe. Die Vorinstanz habe aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit und dem grossen öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit rasch handeln müssen, weshalb sie zu Recht auf eine vorgängige Anhörung des Beschwerdeführers zum beabsichtigten Sicherungsentzug verzichtet habe. Sie habe ihm aber auch nachträglich keine Gelegenheit gegeben, sich zum Ausweisentzug zu äussern. Es sei fraglich, ob die HVA durch den vollständigen Verzicht auf Anhörung des Betroffenen dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Eine solche nachträgliche Gehörsgewährung hätte jedoch an der heutigen Situation kaum etwas geändert. Der Beschwerdeführer habe unmittelbar nach Eröffnung der Verfügung vom 19. Mai 2009 Beschwerde beim Regierungsrat erhoben, so dass die Sache gar nicht mehr in die Zuständigkeit der Vorinstanz gefallen sei. Dem Regierungsrat komme volle Kognition zu und er verfüge über den gleichen Ermessenspielraum wie die Vorinstanz. Der Beschwerdeführer habe sich in der Beschwerde zum Ausweisentzug äussern können, so dass sich der Regierungsrat in seinem Entscheid mit seiner Position vollumfänglich habe auseinandersetzen können. Ein allfälliger formeller Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens liesse sich somit als geheilt betrachten. Dem Beschwerdeführer sei durch eine allfällige Gehörsverletzung kein Nachteil entstanden.


In seiner Vernehmlassung vom 7. Dezember 2009 an das Kantonsgericht erklärt der Regierungsrat, der Beschwerdeführer rüge eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die HVA. Er mache geltend, dass die HVA ihn vor Erlass der angefochtenen Verfügung hätte anhören müssen. Eine zeitliche Dringlichkeit beim Erlass dieser Verfügung stelle er in Abrede. Dem sei zu widersprechen: Fehlende Fahreignung führe zwangsläufig zum sofortigen Entzug des Führerausweises. Als die Polizei das Gutachten der Z. vom 18. Mai 2009 erhalten habe, aus welchem unzweideutig hervorgehe, dass die Fahreignung beim Beschwerdeführer nicht gegeben sei, habe sie unverzüglich handeln müssen. Vor diesem Zeitpunkt habe keine Meinung von Experten vorgelegen, so dass auch keine ernsthaften Bedenken an der Fahreignung des Beschwerdeführers bestanden hätten, die zu einem vorsorglichen Entzug im Sinne von Art. 30 VZV geführt hätten. Dies erkläre auch, weshalb die HVA mit dem Erlass ihrer Verfügung bis zum Vorliegen des verkehrspsychologischen Gutachtens gewartet habe. Beim sofortigen Sicherungsentzug handle es sich um eine Massnahme der Polizei, die zum Schutz polizeilicher Rechtsgüter sofort und ohne vorherige Anhörung vollzogen werden müsse (vgl. § 42 Abs. 1 PolG). Die HVA habe sich denn in ihrer Verfügung auch auf § 42 des PolG berufen und festgehalten, dass der Beschwerde an den Regierungsrat keine aufschiebende Wirkung zukomme.


3.3. Als erstes ist folglich zu prüfen, ob die Tatsache, dass die HVA nach Erhalt des Gutachtens und vor Erlass des Sicherungsentzuges ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs den Entzug des Führerausweises verfügt hat, eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellt. Anschliessend ist allenfalls zu beurteilen, ob eine allfällige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im regierungsrätlichen Verfahren geheilt wurde.


3.4.1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert dem Einzelnen, in allen Verfahren staatlicher Einzelfallentscheidungen mitzuwirken, soweit der in Frage stehende Hoheitsakt ihn belasten könnte (BGE 127 I 56 E. 2b, 127 I 215 f. E. 3a; Müller Jörg Paul, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 509 f.; vgl. auch § 13 VwVG BL). Die Garantie des rechtlichen Gehörs hat für das rechtsstaatliche Verfahren eine zentrale Bedeutung und wird von Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistet (siehe dazu auch René Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, Basel 2003, Rz. 2737 ff.; Michel Hottelier, Les garanties de procédure, in: Thürer/Aubert/Müller, Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 51, Rz. 10 ff.). Zum gefestigten Bestand des rechtlichen Gehörs zählen in Rechtsprechung und Lehre (Überblick Müller J.P., a.a.O., S. 509 ff.; Georg Müller, Art. 4 aBV, in: Kommentar zur Bundesverfassung, Basel/Bern/Zürich 1987, Rz. 98 ff.; Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, S. 202 ff.): die Ansprüche auf vorgängige Äusserung und Anhörung, der Anspruch auf Berücksichtigung der Vorbringen, der Anspruch auf Teilnahme am Beweisverfahren unter Einschluss des Rechts, Beweisanträge zu stellen, das Recht auf Akteneinsicht und das Recht auf einen begründeten Entscheid.


3.4.2. Zum rechtlichen Gehör gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 131 II 494 E. 3.2, 132 V 368 E. 3.1, 127 I 56 E. 2b, 126 I 21 E. 2a, 124 I 241 E. 2, 123 I 66 E. 2a, 123 II 183 f. E. 6c, 122 I 55 E. 4a, 112 E. 2a, 122 II 469 E. 4a, 122 V 158 E. 1a, 121 V 152 E. 4a, 120 Ib 383 E. 3b, 120 V 360 E. 1a). Das Recht auf vorgängige Äusserung und Anhörung („Anspruch auf rechtliches Gehör i.e.S."; siehe Müller J.P., a.a.O., S. 520) weist einen engen Bezug zur Menschenwürde auf (Lorenz Kneubühler, Gehörsverletzung und Heilung, in: ZBl 1998, S. 99). Der Mensch ist nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt staatlicher Verfahren ernst zu nehmen; es soll nicht über ihn "verfügt" werden, sondern er ist in den ihn betreffenden Entscheidprozess einzubeziehen mit der Möglichkeit, seine Sicht, Argumente und Widersprüche frühzeitig äussern zu können (Müller J.P., a.a.O., S. 510; René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 288). Der Anspruch auf vorgängige Äusserung und Anhörung verkörpert somit in seinen Ausprägungen die Vorstellung des mündigen Menschen, der den Behörden als ein ebenbürtiger und geachteter Gesprächspartner gegenübertritt (Thomas Cottier, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, in: recht 1984, S. 2). Die beteiligte Privatperson soll im Hinblick auf ihre persönliche Eigenwürde nicht ohne vorherige Anhörung rechtlich belastet werden (statt vieler BGE 117 Ia 262 E. 4b). Es geht mithin um ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht des Verfahrensbeteiligten. Das Recht auf vorgängige Äusserung dient im Weiteren als Mittel zur Sachverhaltsaufklärung. Der Bürger soll vor Erlass einer Verfügung oder eines Urteils angehört werden, damit die Sachlage möglichst optimal aufgeklärt, das heisst die Entscheidgrundlage möglichst umfassend bereit gestellt werden kann (Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 325). Indem das rechtliche Gehör sowohl ein Mittel zur Sachverhaltsaufklärung als auch ein Instrument zur Mitwirkung am Prozess der Entscheidfindung darstellt, verwirklicht es zwei verschiedene, aber miteinander verbundene Funktionen (vgl. Albertini, a.a.O., S. 123 ff. und S. 261 f.).


3.4.3. Der Anspruch auf vorgängige Anhörung ist formeller Natur (BGE 127 I 132 f. E. 4c). Dies bedeutet, dass seine Missachtung die Aufhebung des angefochtenen Entscheides zur Folge hat, ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst (BGE 126 V 132 f. E. 2b, 122 II 469 E. 4a, 121 I 232 E. 2a, 121 III 334 E. 3c, 121 V 155 f. E. 6, 120 Ib 383 E. 3b, 120 V 362 E. 2a, 115 Ia 10 E. 2a). Es kommt demnach nicht darauf an, ob irgendwelche Aussichten bestehen, dass die Behörde nach richtiger Anhörung des Beschwerdeführers zu einer Änderung ihres Entscheides gelangen könnte (BGE 126 V 132 E. 2b, 125 I 118 E. 3, 124 V 389 E. 1, 183 E. 4a mit Hinweisen; Rhinow/Koller/Kiss, a.a.O., Rz. 325). Wird der Anspruch auf vorgängige Anhörung und Äusserung verletzt, anerkennen sowohl die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 122 II 286 E. 6b, 112 Ia 5 E. 2c, 104 Ia 69) als auch ein Teil der Lehre (Müller G., a.a.O., Rz. 107; Cottier, a.a.O., S. 11 f.), dass die Anhörung unter gewissen Voraussetzungen nachgeholt werden darf (sog. Heilung). Dieser Ansicht steht allerdings entgegen, dass die Behörde den Betroffenen durch die Gehörsverweigerung zum Verfahrensobjekt macht und nicht als Partner behandelt, was im Grundsatz nicht "geheilt" werden kann, sondern sanktioniert werden muss (Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrechts, 5. Auflage, Zürich 2006, Rz. 1711). Davon unberührt bleibt die Möglichkeit des Betroffenen, auf die Anhörung aus verfahrensökonomischen Gründen zu verzichten und sie erst in einem Einspracheverfahren (als Rechtsmittelverfahren) geltend zu machen, falls das im Interesse eines rationellen Verwaltungsganges wie etwa bei Massenverfügungen (Renten- oder Stipendienentscheide) angezeigt ist bzw. auch dem Interesse des Betroffenen entspricht (Müller G., a.a.O., Rz. 107, Cottier, a.a.O., S. 12). Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes lässt zum Beispiel eine nachträgliche Anhörung zu, wenn eine Verfügung durch Einsprache anfechtbar ist (Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG).


3.4.4. Nach der Praxis des Bundesgerichts kann die Verletzung der vorgängigen Anhörung unter der Voraussetzung geheilt werden, wenn der in erster Instanz nicht angehörte Beschwerdeführer Gelegenheit hat, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu äussern, die zur freien Prüfung aller Fragen befugt ist, welche der unteren Instanz hätten unterbreitet werden können (BGE 114 Ia 312). Dabei darf dem Beschwerdeführer durch die Heilung kein Nachteil erwachsen (BGE 126 I 72 E. 2, 125 I 219 f. E. 9, 107 Ia 2 E. 1; zusammenfassend zur Praxis Rhinow/Koller/Kiss, a.a.O., Rz. 330). Dies führt dazu, dass eine Rückweisung an die Vorinstanz erfolgen muss, wenn Ermessensgesichtspunkte zur Diskussion stehen und im Beschwerdeverfahren der angefochtene Entscheid nicht frei auf seine Angemessenheit überprüft werden kann. Die praktisch automatische Heilung des rechtlichen Gehörs unter den soeben genannten Voraussetzungen wird in der Lehre stark kritisiert (Albertini, a.a.O., S. 463 ff.; Müller J.P., a.a.O., S. 517 ff.; Kneubühler, a.a.O., S. 107 ff.; Müller G., a.a.O., Rz. 103; Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 131; Rhinow/Koller /Kiss, a.a.O., Rz. 332). Das EVG lässt eine Heilung nur unter der Voraussetzung zu, dass eine nicht besonders schwerwiegende (BGE 126 V 132 E. 2b mit Hinweisen) oder nicht regelmässige (BGE 124 V 183 E. 4a; 116 Ia 187 E. 3c) Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt. Aus der Sicht der Lehre und der Rechtsprechung des EVG ist somit zusammenfassend eine Heilung des rechtlichen Gehörs zumindest in folgenden Fällen nicht gerechtfertigt (siehe auch Kneubühler, a.a.O., S. 112 ff.):


1 Wenn die Vorinstanzen in schwerwiegender Art und Weise gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstossen haben;


2 falls Gehörsverletzungen in Verfahren erfolgen, die schwere Eingriffe in die Rechtspositionen des Betroffenen zur Folge haben;


3 sofern die Verletzung des rechtlichen Gehörs regelmässig oder bezüglich gewisser Aspekte systematisch erfolgt ist.


3.4.5. Das Kantonsgericht hat zu dieser Frage eine strenge Praxis entwickelt und sich in den Urteilen vom 5. September 2007 (810 06 199), vom 11. September 2002 (2002/137) und vom 9. März 2005 (2004/333) an die erwähnte Rechtsprechung des EVG angelehnt, es aber schliesslich offen gelassen, ob ihr in allen Punkten zu folgen sei. Das Kantonsgericht begründet seine Praxis wie folgt: Der Anspruch auf vorgängige Anhörung stehe in einem engen Zusammenhang mit dem Grundrecht der Menschenwürde. Durch die Gehörsverweigerung werde der Rechtssuchende sozusagen zum Verfahrensobjekt degradiert. Ein solches Vorgehen könne nicht leichthin geheilt werden; im Grunde genommen müsse der Entscheid der Vorinstanz sanktioniert bzw. aufgehoben werden. Die Verletzung elementarer Verfahrensrechte könne ferner für den Betroffenen einschneidende Konsequenzen zur Folge haben. Die Heilung eines allfälligen Mangels solle daher die Ausnahme bleiben, wie es auch das EVG in seiner Rechtssprechung betone. Dem Betroffenen sei es aber unbenommen, auf die Rückweisung der Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs zu verzichten und sich mit der Nachholung im Rechtsmittelverfahren zu begnügen, wenn ihm mehr an einer raschen Erledigung als an der Ausschöpfung seiner Verfahrensrechte liege (siehe zum Ganzen KGE VV, vom 5. September 2007, 810 06 199, E. 9.1 - 9.5).


3.5.1. Nach Art. 16 Abs. 1 SVG sind Führerausweise zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen. Der Führerausweis wird einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn diese an einer die Fahreignung ausschliessenden Sucht leidet (Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG). Eine solche wird bejaht, wenn die Abhängigkeit von der Droge derart ist, dass der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich in einem Zustand ans Steuer eines Fahrzeugs zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet (BGE 127 II 122 E. 3c mit Hinweisen). Im Interesse der Verkehrssicherheit setzt die Rechtsprechung den regelmässigen Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit gleich, sofern dieser seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen. Dabei darf auf fehlende Fahreignung geschlossen werden, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, Betäubungsmittelkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die nahe liegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (Urteil des Bundesgerichts vom 7. Februar 2007, 6A.72/2006; BGE 129 II 82 E. 4.1, 127 II 122 E. 3c, 124 II 559 E. 3d und 4e). Die Regeln über die Wiedererteilung des Führerausweises finden sich in Art. 17 SVG.


3.5.2. Nach Art. 30 VZV kann der Führerausweis (bereits vor dem Abschluss eines Administrativverfahrens betreffend Sicherungsentzug) vorsorglich entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der Fahreignung bestehen. Angesichts des grossen Gefährdungspotentials, welches dem Führen eines Motorfahrzeuges eigen ist, erlauben schon Anhaltspunkte, die den Fahrzeugführer als besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und ernsthafte Zweifel an seiner Fahreignung erwecken, den vorsorglichen Ausweisentzug. Der strikte Beweis für die Fahreignung ausschliessende Umstände ist nicht erforderlich; wäre dieser erbracht, müsste unmittelbar der Sicherungsentzug selbst verfügt werden. Können die notwendigen Abklärungen nicht rasch und abschliessend getroffen werden, soll der Ausweis schon vor dem Sachentscheid provisorisch entzogen werden können und braucht eine umfassende Auseinandersetzung mit sämtlichen Gesichtspunkten, die für oder gegen einen Sicherungsentzug sprechen, erst im anschliessenden Hauptverfahren zu erfolgen (Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 2010, 1C_459/2009, 1C_461/2009; vom 6. April 2005, 6A.8/2005, E. 2.1; jeweils mit Hinweisen).


Der vorsorgliche Entzug während eines Sicherungsentzugs-Verfahrens bildet zum Schutz der allgemeinen Verkehrssicherheit die Regel (BGE 127 II 122 E. 5; 125 II 396 E. 3). Dies ergibt sich aus dem genannten Sinn und Zweck des Sicherungsentzugs. Es verhält sich hier entsprechend wie beim Entscheid über die Gewährung der aufschiebenden Wirkung bei einer Beschwerde gegen den Sicherungsentzug selbst. Einer derartigen Beschwerde ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die aufschiebende Wirkung zu verweigern (Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 2010, 1C_459/2009, 1C_461/2009; vom 6. April 2005, 6A.8/2005, E. 2.1 mit weiteren Hinweisen).


3.5.3. Der vorsorgliche Führerausweisentzug stellt somit eine vorsorgliche Massnahme zur Sicherstellung gefährdeter Interessen bis zum Abschluss des Hauptverfahrens dar (BGE 125 II 401 E. 3; 122 II 362 E. 1a; vgl. auch § 7 VwVG BL). Die Verfügung über den vorsorglichen Führerausweisentzug schliesst das Verfahren betreffend den Sicherungsentzug folglich nicht ab. Sie stellt vielmehr einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Endverfügung - betreffend den Sicherungsentzug - dar (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Februar 2008, 1C_233/2007, E. 1.1 und 1.2).


3.6. Es gibt im materiellen Recht zahlreiche Bestimmungen über vorsorgliche Massnahmen. Auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung ist jedoch vorsorgliches Handeln in der Regel zulässig, obwohl denkbar ist, dass das Gesetz im Einzelfall eine abschliessende Regelung enthält.


Die Anordnung vorsorglicher Massnahmen setzt kumulativ voraus, dass


- unverzügliche Vorkehrungen nötig sind, um überwiegende öffentliche oder private Interessen zu wahren (Notwendigkeit);


- der Verzicht auf Massnahmen einen Nachteil bewirken kann, der nicht leicht wieder gutzumachen ist (Verhältnismässigkeit);


- die zu erlassende Verfügung nicht präjudizierend oder gar verunmöglichen wird.


Vorsorgliche Massnahmen ergehen als selbständig anfechtbare Zwischenverfügungen, da sie regelmässig einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil für die Betroffenen zur Folge haben (siehe auch § 28 Abs. 1 lit. f VwVG BL). Erfordert es die Dringlichkeit, so darf eine vorsorgliche Massnahme ohne vorgängige Anhörung aufgrund der Akten erlassen werden. Alsdann liegt eine superprovisorische Massnahme vor. Die Anhörung ist möglichst bald nachzuholen und die superprovisorische durch eine vorsorgliche Massnahme zu ersetzen. Mit Eintritt der formellen Rechtskraft der Hauptverfügung fallen die vorsorgliche Massnahmen dahin (Rhinow/Koller/Kiss, a.a.O., Rz 1091 f.; Kölz/Häner, a.a.O., Rz 337).


3.7. § 42 PolG befindet sich im Kapitel E. des PolG (§ 20 - 42a), welcher die Legitimation, die polizeilichen Massnahmen, den polizeilichen Zwang und den Rechtsschutz regelt. § 42 PolG statuiert, dass gegen Massnahmen der Polizei, die zum Schutz polizeilicher Rechtsgüter sofort und ohne vorherige Anhörung vollzogen werden müssen, innert zehn Tagen seit Kenntnis beim Regierungsrat Beschwerde erhoben werden kann (Abs. 1). Der Lauf der Beschwerdefrist und die Beschwerdeerhebung haben keine aufschiebende Wirkung (Abs. 2). Die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten sinngemäss (Abs. 3).


3.8. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 30 VZV und § 42 PolG kann - wie nachfolgend aufgezeigt wird - offen gelassen werden. Ebenso braucht die Frage, inwieweit auch ein vorsorglicher Sicherungsentzug nach Art. 30 VZV erst nach Gewährung des rechtlichen Gehörs erlassen werden kann, hier nicht behandelt zu werden.


3.9. Vorliegendenfalls wurde der Beschwerdeführer am 12. Februar 2009 zur Abklärung der Fahreignung aufgefordert. Anzumerken ist, dass auf dem entsprechenden Aufforderungsschreiben der HVA, welches sich in den Akten befindet, keine Rechtsmittelbelehrung steht. Diese Aufforderung erfolgte nicht etwa deshalb, weil der Beschwerdeführer in fahrunfähigem Zustand angetroffen worden war, sondern aufgrund einer Anzeige wegen Kaufs und Konsums von Marihuana. Der Beschwerdeführer kam der Aufforderung der HVA unverzüglich nach und meldete sich mit Formular vom 18. Februar 2009 bei der Z. an. Der Beschwerdeführer wurde am 3. und 6. April 2009 untersucht, die labormedizinischen Ergebnisse datieren vom 24. April 2009. Das Gutachten wurde am 18. Mai 2009 verfasst. Zwischen der Aufforderung, sich einer Fahreignungsuntersuchung zu unterziehen und dem Verfassen des Gutachtens vergingen mehr als drei Monate, während denen der Beschwerdeführer sein Fahrzeug lenken durfte. Im Gutachten wurde ganz klar festgehalten, dass sich aus der Aktenlage, der klinischen Untersuchung und dem Gesamteindruck während der Exploration keine Hinweise auf das Vorliegen von kognitiven Defiziten ergeben hätten, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage stellen könnten. Diagnostisch liege bei X. eine Polytoxikomanie einschliesslich Heroin bei gegenwärtiger Abstinenz vor, wobei THC bis vor 2 Monaten konsumiert worden sei. Daneben bestehe eine Alkoholabhängigkeit bei gegenwärtiger Abstinenz. Ausserdem liege diagnostisch ein Konsum von Psychostimulanzien mit Missbrauchspotential (Zoldorm, Ritalin) vor. Das Gutachten bejaht ein Missbrauchspotential, nicht jedoch eine bestehende Fahrunfähigkeit. Des Weiteren wird im Gutachten festgehalten, dass die Laboruntersuchungsergebnisse einer Haaranalyse vom 24. April 2009 bei der untersuchten Haarlänge von ca. 4 cm keine Anhaltspunkte für einen gewohnheitsmässigen Abusus von Kokain oder Amphetamin zeigen würden. Der immunologische Opiat-Test habe zwar zu einem ("schwach") positiven Ergebnis geführt, habe aber in der chromatographischen Bestätigungsanalyse nicht erhärtet werden können. Der positive Nachweis von THC 0.07 ng/mg habe für einen stattgefundenen Cannabiskonsum gesprochen. Die im Haar ermittelte Ethylglucuronid Konzentration von weniger als 8 pg/mg spreche nach dem heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand für eine Alkoholabstinenz oder eine äusserst seltene Alkoholaufnahme in dem Zeitraum, welcher der untersuchten Haarlänge entsprochen habe (ca. 4 Monate).


Aufgrund des Gutachtens (keine Hinweise auf das Vorliegen von kognitiven Defiziten, Drogen- und Alkoholabstinenz seit Jahren, die für den Beschwerdeführer sehr günstige Ergebnisse der Haaranalyse) und des Geschehensablaufs (Grund für die Anordnung der Abklärung der Fahreignung, der Beschwerdeführer fuhr zwischen Anordnung der Abklärung und Gutachten über drei Monate sein Fahrzeug) ist äusserst fraglich, ob eine Dringlichkeit vorlag, die den Erlass eines vorsorglichen Sicherungsentzuges ohne vorherige Anhörung gerechtfertigt hätte. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da vorliegendenfalls ohne vorherige Anhörung ein ordentlicher Sicherungsentzug (und nicht etwa ein vorsorglicher Sicherungsentzug) erlassen wurde. Es lagen keine Gründe vor, die den Erlass eines Sicherungsentzuges ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerechtfertigt hätten. Nach Eingang des Gutachtens hätte die HVA allenfalls einen vorsorglichen Sicherungsentzug erlassen können. Daraufhin hätte sie dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör gewähren müssen und erst dann wäre der Erlass der Verfügung betreffend Sicherungsentzug in formeller Hinsicht rechtens gewesen. Die HVA hat dadurch, dass sie den Sicherungsentzug erlassen hat, ohne dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu gewähren, sich zum Gutachten, auf den sich der Sicherungsentzug vollumfänglich stützt, vernehmen zu lassen, zweifelsohne den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.


4.1. Der Regierungsrat erklärt in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2009, dass fehlende Fahreignung zwangsläufig zum sofortigen Entzug des Führerausweises führe. Als die Polizei das Gutachten der Z. vom 18. Mai 2009 erhalten habe, aus welchem unzweideutig hervorgehe, dass die Fahreignung beim Beschwerdeführer nicht gegeben sei, habe sie unverzüglich handeln müssen. Vor diesem Zeitpunkt habe keine Meinung von Experten vorgelegen, so dass auch keine ernsthaften Bedenken an der Fahreignung des Beschwerdeführers bestanden hätten, die zu einem vorsorglichen Entzug im Sinne von Art. 30 VZV geführt hätten. Dies erkläre auch, weshalb die Polizei mit dem Erlass ihrer Verfügung bis zum Vorliegen des verkehrs-psychologischen Gutachtens gewartet habe. Beim sofortigen Sicherungsentzug handle es sich um eine Massnahme der Polizei, welche zum Schutz polizeilicher Rechtsgüter sofort und ohne vorherige Anhörung vollzogen werden müsse. Die Polizei habe sich denn in ihrer Verfügung auch auf § 42 PolG berufen und festgehalten, dass der Beschwerde an den Regierungsrat keine aufschiebende Wirkung zukomme.


4.2. Bei der von der Polizei am 19. Mai 2009 erlassenen Verfügung betreffend Sicherungsentzug des Führerausweises handelt es sich nicht um einen vorsorglichen Entzug. Die Überschrift lautet "Verfügung Sicherungsentzug des Führerausweises". Sie wurde gemäss Ziffer 1 der Verfügung gestützt auf Art. 16 Abs. 3 i.V.m. Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG sowie Art. 33 VZV (Umfang des Entzugs) und nicht auf Art. 30 VZV, welcher den vorsorglichen Entzug regelt, erlassen. Auch die Begründung und das weitere Vorgehen lassen keinen Zweifel daran, dass die Polizei diese Verfügung nicht als vorsorglichen Sicherungsentzug betrachtete und nicht vorgehabt hatte, dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu gewähren. Die Verfügung per se und die Begründung der Polizei und des Regierungsrates lassen den Schluss zu, dass die Polizei bei einem Sicherungsentzug des Führerausweises aufgrund des gefährdeten Gutes "Leib und Leben" die Ansicht vertritt, es könne ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs verfügt werden und zwar nicht nur beim Erlass eines vorsorglichen Sicherungsentzuges, sondern auch beim Erlass eines "ordentlichen" Sicherungsentzuges und ohne Berücksichtigung der Besonderheit des Einzelfalles. Damit ist davon auszugehen, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs regelmässig oder bezüglich gewisser Aspekte systematisch erfolgt, womit eine Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ausser Betracht fällt. Der Sicherungsentzug wegen Trunksucht oder anderer Suchtkrankheiten gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 17 Abs. 1bis SVG wird auf unbestimmte Zeit angeordnet und ist mit einer Probezeit von mindestens einem Jahr verbunden. Nach Ablauf der Probezeit kann der Ausweis bedingt und unter angemessenen Auflagen wieder erteilt werden; in der Regel wird hiefür der Nachweis der Heilung durch eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts greift dieser Sicherungsentzug tief in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein (BGE 127 II 125 E. 3.b). Eine Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist demzufolge auch aus diesem Grund zu verneinen und die Beschwerde gutzuheissen.


5.1. …


5.2. …


6. Bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfolgen für das vorinstanzliche Verfahren wird die Sache zur neuen Entscheidung an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft zurückgewiesen. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass für den Fall, dass der Betroffene gezwungen ist, ein Rechtsmittel zur ergreifen, um sich erstmals Gehör verschaffen zu können, ihm nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Rechtsmittelinstanz - unter Vorbehalt der Trölerei und des Rechtsmissbrauchs - auch bei Abweisung der Beschwerde keine Kosten auferlegen darf (Urteil der Bundesgerichts vom 14. Februar 2008, 1C_233/2007, E. 2.1.3).


KGE VV vom 28. April 2010 i.S. K. (810 09 339)


Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.



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