Strafrecht

Versuchte schwere Körperverletzung


Bestätigung der Praxis, wonach derjenige, welcher massive Gewalt gegen den Kopf bzw. das Gesicht eines Menschen ausübt, aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit von schweren Verletzungen mit dieser Konsequenz rechnen muss und sie daher zumindest in Kauf nimmt. Es muss als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass angesichts der Empfindlichkeit der gesamten Kopfregion grundsätzlich jedes Stossen mit einer gewissen Wucht mit dem Kopf voran gegen eine harte Oberfläche - zusätzlich begleitet von mehreren Faustschlägen an den Kopf bzw. in das Gesicht - irreversible Verletzungen hervorrufen kann (Art. 122 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB; E. 2.7).



Sachverhalt

Mit Urteil vom 18. März 2010 wurde S. D. vom Strafgericht Basel-Landschaft der versuchten schweren Körperverletzung, der Tätlichkeit, der falschen Anschuldigung sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, unter Anrechnung der vom 2. März 2009 bis zum 18. März 2010 ausgestandenen Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft von 382 Tagen, sowie zu einer Busse von CHF 500.-- verurteilt (im Falle der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen); dies alles in Anwendung von Art. 122 Abs. 1 StGB (in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB und Art. 19 Abs. 2 StGB), Art. 126 Abs. 1 StGB, Art. 303 Ziff. 2 StGB, Art. 19a Ziff. 1 BetmG, Art. 40 StGB, Art. 49 Abs. 1 StGB, Art. 51 StGB und Art. 106 StGB. Von der Anklage der Gefährdung des Lebens, der einfachen Körperverletzung im Fall 2 sowie der geringfügigen Sachbeschädigung wurde S. D. freigesprochen, der Anklage wegen Beschimpfung wurde mangels gültigen Strafantrages keine weitere Folge gegeben. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde gemäss Art. 57 Abs. 2 StGB aufgeschoben und es wurden gegenüber dem Angeklagten in Anwendung von Art. 56a Abs. 2 StGB sowie Art. 59 StGB und Art. 61 StGB sowohl die Behandlung von psychischen Störungen als auch Massnahmen für junge Erwachsene angeordnet. Des Weiteren wurde der Angeklagte dazu verurteilt, dem Opfer H. M. eine Genugtuung im Umfang von CHF 1'500.-- zu bezahlen, die Mehrforderung des Opfers wurde abgewiesen und die Zivilforderungen der Zivilpartei C. N. wurden auf den Zivilweg verwiesen.


Gegen dieses Urteil erklärten der Angeklagte mit Eingabe vom 30. März 2010 die Appellation und sowohl die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 7. April 2010 als auch das Opfer mit Eingabe vom 19. April 2010 die Anschlussappellation.



Erwägungen

1. ( … )


2.1-2.4 ( … )


2.5 Bei der Ermittlung des relevanten Sachverhaltes stehen dem Kantonsgericht im vorliegenden Fall in erster Linie die Aussagen des Angeklagten in der Voruntersuchung (act. 805 ff., 811 ff., 933 ff., 1033 ff., 1073 ff., 1181 ff. und 1197 ff.), vor dem Strafgericht (act. 1789 ff.) sowie vor dem Kantonsgericht (Protokoll KG S. 13 ff.), diejenigen des Opfers in der Voruntersuchung (act. 831 ff., 911 ff. und 1053.1 ff.), vor dem Strafgericht (act. 1777 ff.) und vor dem Kantonsgericht (Protokoll KG S. 11 ff.) sowie diejenigen der Zeugen L. W. (act. 775 ff.), S. H. (act. 783 ff.), C. S. (act. 793 ff.), S. W. (act. 821 ff.), J. H. (act. 839 f.), M. D. (act. 895 ff.), L. B. (act. 961 ff.), S. A. (act. 979 ff.), P. A. (act. 997 ff.), C. I. (act. 1015 ff.), O. K. (act. 1121 ff.), L. S. (act. 1231 ff.) und A. H. (act. 1253 ff.), allesamt im Verlaufe der Voruntersuchung zu Protokoll gegeben, sowie die diversen Gutachten bzw. Ergänzungsgutachten des Institutes für Rechtsmedizin Basel (IRM) vom 6. März 2009 (act. 733 ff.), vom 18. Juni 2009 (act. 755 ff.) und vom 12. August 2009 (act. 1265.20 ff.) und ausserdem in zweiter Linie auch das Polizeiprotokoll vom 1. März 2009 (act. 703 ff.) sowie das Protokoll der ärztlichen Untersuchung des Angeklagten vom 2. März 2009 (act. 709) zur Verfügung. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden wird diesbezüglich auf die ausführliche Wiedergabe durch die Vorinstanz (E. 2.2.1.1 S. 10 ff.) verwiesen.


Entgegen den Ausführungen des Angeklagten im Hinblick auf die Heftigkeit der Auseinandersetzung ist es für das Kantonsgericht nicht vorstellbar, dass sich sämtliche Zeugen geirrt bzw. übertrieben haben sollen, während der direkt involvierte Angeklagte im Zustand höchster Erregung als Einziger die gesamte Situation objektiv unverfälscht wahrgenommen haben soll. In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, dass nicht jeder Ausdruck der Zeugen wortwörtlich zu nehmen ist, sondern die einzelnen Aussagen, wie z.B. "Hirn zerbröselt", interpretationsbedürftig und einer sorgfältigen Würdigung zu unterziehen sind. Entscheidend ist denn auch nicht die einzelne Ausdrucksform in der jeweiligen Aussage, sondern der entsprechende Kerngehalt dieser Aussagen und die Übereinstimmung in diesem Kerngehalt zwischen den einzelnen Aussagen der verschiedenen Zeugen. Und hier ist festzustellen, wie dies bereits die Vorinstanz zu Recht getan hat, dass die einzelnen fragmentarischen Ausschnitte insgesamt ein einheitliches Bild erkennen lassen und abgesehen von Abweichungen in Details die Zeugenaussagen in den wesentlichen Bereichen - wie die Fragen, von wem die Gewalt ausgegangen ist, wie heftig die Gewalteinwirkung gewesen ist und wie sie sich geäussert hat und schliesslich auch wie sich das Geschehen abgespielt hat, nachdem das Opfer sich mit dem gezogenen Messer in der Hand vom Boden erhoben hat - ein übereinstimmendes Gesamtbild ergeben. Demgegenüber sind die Aussagen des Angeklagten wenig konsistent und zeugen von einer vorherrschenden Bagatellisierungs- und Verdrängungstendenz. Dies bestätigt sich auch anlässlich der heutigen Verhandlung, als er auf die Frage nach der Schilderung der damaligen Vorkommnisse im Wesentlichen ausführt: Sie hätten sich gegenseitig rumgeschubst und nachdem er das Opfer gegen das Bushäuschen geschubst habe, habe dieses das Messer rausgezogen. Daraufhin habe er es aufgefordert, das Messer wegzulegen. Als das Opfer dies nicht getan habe, sei er aus Angst auf dieses zugegangen und habe ihm zwei Schläge gegeben, worauf das Opfer, nachdem es wieder aufgestanden sei, den Arm um ihn gelegt und zugestochen habe. Der Angeklagte verliert kein Wort über die von verschiedenen Personen bezeugte, von ihm ausgeübte massive Gewaltanwendung gegenüber dem Opfer, bevor dieses sein Messer gezogen hat. Er will das Opfer lediglich dann zweimal geschlagen haben, nachdem dieses das Messer gezogen hat, wobei es seiner Ansicht nach davor nur um eine harmlose Schubserei gegangen ist, was im klaren Widerspruch zu den zahlreichen Zeugenaussagen steht. Im Gegensatz zum Angeklagten hat das Opfer nicht nur vor dem Strafgericht, sondern auch anlässlich der heutigen Verhandlung einen überzeugenden Eindruck hinterlassen. Es hat die Vorkommnisse in sich stimmig und in Übereinstimmung mit seinen bisherigen Aussagen sowie dem wesentlichen Kerngehalt der Zeugenaussagen dargelegt und zu keinem Zeitpunkt den Angeklagten übermässig belastet oder übertrieben dramatische Schilderungen gemacht, weshalb dessen Aussagen im Ergebnis ohne Weiteres als glaubhaft zu bezeichnen sind.


In Würdigung dieser zahlreichen Aussagen und der medizinischen Gutachten bzw. Berichte kommt das Kantonsgericht zum Ergebnis, dass den Schlussfolgerungen der Vorinstanz im Wesentlichen zu folgen ist. Nicht erstellt ist für das Kantonsgericht hingegen, dass ein eigentlicher Gewaltexzess von Seiten des Angeklagten stattgefunden haben soll, da hierfür - unter Berücksichtigung der bereits vom Strafgericht festgestellten Tatsache, wonach die lebensgefährlichen Stauungsblutungen beim Opfer in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht dem Angeklagten zuzurechnen sind - die objektivierten Verletzungen bei H. M. schlicht zu oberflächlich sind, um sie einem solchen Geschehen zuordnen zu können. Der Angeklagte hat diesbezüglich zu Recht eingewendet, dass die Verletzungsfolgen wesentlich gravierender hätten ausfallen müssen, um von einem Gewaltexzess als Ursache sprechen zu können. Gleiches gilt für die Fusstritte gegen den Rumpf des am Boden liegenden Opfers, da diesbezüglich von den medizinischen Experten keine Verletzungen festgestellt werden konnten, welche sich zweifelsfrei solchen Tritten hätten zuordnen lassen und überdies nur eine von den insgesamt dreizehn Zeugen solche Tritte ausdrücklich geschildert hat.


Im Resultat ist somit grundsätzlich von demjenigen rechtserheblichen Sachverhalt auszugehen, wie ihn die Vorinstanz ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt, mit dem Unterschied, dass kein eigentlicher Gewaltexzess stattgefunden hat und auch keine Fusstritte nachgewiesen sind. Demnach erachtet das Kantonsgericht folgenden Sachverhalt als erstellt: Am Sonntag, 1. März 2009, kurz nach 22:15 Uhr, fand auf dem Wasserturmplatz in Liestal eine tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und H. M. statt, welche dadurch ausgelöst wurde, dass die beiden (unabsichtlich) zusammengestossen sind. Unmittelbar nach diesem Zusammenstoss ging der Angeklagte in hochgradig aggressiver Weise auf H. M. los und begann damit den tätlichen Teil dieser Auseinandersetzung. Der aufgrund seiner Vorgeschichte als in tätlichen Auseinandersetzungen erfahren zu bezeichnende und dominanter als H. M. auftretende Angeklagte stiess respektive warf diesen zwei Mal mit dem Kopf voran gegen eine harte Unterlage (jeweils einmal gegen ein Schaufenster und ein Bushäuschen) und verpasste ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht, sodass dieser zwei Mal zu Boden ging. Der Angeklagte übte gegen den Kopf des H. M. massive Gewalt aus, während H. M. im Rahmen dieser Auseinandersetzung sich bloss zu verteidigen versuchte. Als H. M. dann zum zweiten Mal zu Boden ging, liess der Angeklagte zunächst von ihm ab. In diesem Zeitpunkt nahm H. M. im Aufstehen ein Messer hervor. Als der sich entfernende Angeklagte das Messer, welches H. M. deutlich sichtbar gegen diesen gerichtet hatte, sah, liess er sich nicht einmal durch das Messer bremsen, sondern kehrte um, ging in blindwütiger Weise noch einmal auf H. M. zu und verpasste diesem zum wiederholten Male zwei Faustschläge ins Gesicht, bis er dann von H. M. mit dem Messer verletzt wurde und selber ins Spital gebracht werden musste. Der Angeklagte sah sich zu keinem Zeitpunkt einem Angriff oder einer unmittelbaren Bedrohung mit einem Angriff durch das Opfer ausgesetzt, als er noch einmal auf H. M. zuging und diesem, obwohl er ein Messer in der Hand hielt, zwei Faustschläge verpasste, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits vom Opfer distanziert hatte und dieses weder auf den Angeklagten zuging noch diesen verbal oder mit Gesten bedrohte, sondern vielmehr einfach nur mit dem Messer in der Hand dastand. In Folge der Geschehnisse erlitt H. M. ein lebensgefährliches Blutstauungssyndrom im Kopf- und Halsbereich, Schwellungen im Gesicht, Prellungen, Hautverfärbungen und Abschürfungen am rechten Ellenbogen und im Schulterbereich, punktförmige Blutungen auf beiden Schultern sowie diverse oberflächliche Verletzungen an den Unterschenkeln und im Kniegelenk. Der Angeklagte andererseits erlitt eine potentiell lebensbedrohliche Stichverletzung in der linken Brusthälfte in der Mitte zwischen Brustwarze und Schlüsselbein auf Höhe der dritten Rippe.


2.6 Gemäss Art. 122 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt (Abs. 1), wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt (Abs. 2) oder wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht (Abs. 3). Mit der Generalklausel nach Abs. 3 von Art. 122 StGB sollen Fälle erfasst werden, welche den unter Abs. 2 beispielhaft aufgezählten Beeinträchtigungen hinsichtlich ihrer Qualität und ihrer Auswirkungen ähnlich sind. Einzubeziehen sind damit auch gesundheitliche Beeinträchtigungen, welche in den Fallgruppen nach Abs. 2 nicht genannt werden, so z.B. im Falle eines Schädelbruchs, der ein psychoorganisches Syndrom mit Gedächtnisstörungen, hoher Ermüdbarkeit und Sprechstörungen zur Folge hatte. Auf der subjektiven Seite ist Vorsatz gefordert, wobei Eventualdolus genügt. Der Vorsatz muss sich auf die schwere Schädigung selbst beziehen, wobei nicht gefordert ist, dass sich der Täter gerade die tatsächlich eingetretene Folge vorgestellt hat. Da die Abgrenzung des Willensinhaltes gegenüber einem blossen Vorsatz auf einfache Körperverletzung schwierig sein kann, müssen nicht selten vom Tatvorgehen aus Rückschlüsse auf den Willensinhalt des Täters gezogen werden (Andreas A. Roth/Anne Berkemeier, in: Basler Kommentar zum Strafrecht, 2. Auflage, Basel 2007, N 19 und N 24 zu Art. 122 StGB, mit Hinweisen). Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 22 Abs. 1 StGB). Wie beim vollendeten Delikt genügt auch beim Versuch der Eventualvorsatz (Guido Jenny, in: Basler Kommentar zum Strafrecht, 2. Auflage, Basel 2007, N 2 zu Art. 22 StGB, mit Hinweisen). Nach Art. 123 Ziff. 1 StGB wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt.


Gemäss Art. 12 Abs. 2 StGB begeht ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt, wobei bereits vorsätzlich handelt, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt. Für den Nachweis des Vorsatzes darf das Gericht vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter die Verwirklichung der Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolges ausgelegt werden kann. Zu den äusseren Umständen, aus denen dieser Schluss gezogen werden kann, gehört die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (Urteil des Bundesgerichts vom 28. März 2006 [6S.114/2005] E. 4, mit Hinweisen).


2.7 Gemäss den vorstehenden Ausführungen zum massgeblichen Sachverhalt (oben E. 2.5 in fine) erfüllen die vom IRM aufgelisteten Verletzungen des Opfers - unter Berücksichtigung der Tatsache, wonach die lebensgefährlichen Stauungsblutungen in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht dem Angeklagten zuzurechnen sind - ohne Weiteres den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung, nicht jedoch denjenigen der schweren Körperverletzung, weshalb nachfolgend der Versuch zur schweren Körperverletzung zu prüfen ist. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der subjektive Tatbestand von Art. 122 StGB zumindest in Form des Eventualvorsatzes als erstellt zu erachten ist. Diesbezüglich ergibt sich aus den Akten, dass der Angeklagte in hochgradig aggressiver Weise auf H. M. losgegangen ist und gegen dessen Kopf massive Gewalt ausgeübt hat, indem er ihn zwei Mal mit dem Kopf voran gegen eine harte Unterlage stiess (Schaufenster) respektive warf (Bushäuschen) und ihm sowohl bevor das Opfer sein Messer in die Hand nahm als auch danach blindwütig mehrere Faustschläge ins Gesicht verpasste. Wer jedoch eine solch massive Gewalt gegen den Kopf bzw. das Gesicht eines Menschen ausübt, muss aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit von schweren Verletzungen mit dieser Konsequenz rechnen und nimmt sie daher zumindest in Kauf. Es muss als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass angesichts der Empfindlichkeit der gesamten Kopfregion grundsätzlich jedes Stossen mit einer gewissen Wucht mit dem Kopf voran gegen eine harte Oberfläche - zusätzlich begleitet von mehreren Faustschlägen an den Kopf bzw. in das Gesicht - irreversible Verletzungen hervorrufen kann. Es ist somit eigentlich nur dem Zufall zu verdanken, dass auf Seiten des Opfers keine Augenverletzungen durch splitterndes Glas, Schädel-Hirnverletzungen oder sonstige dauerhafte Schädigungen beispielsweise des Kiefers oder der Nase eingetreten sind. Was der Angeklagte dagegen einwendet, ist nicht geeignet, an diesen Feststellungen etwas zu ändern. Insbesondere lässt der Umstand, wonach die Verletzungen des Opfers innert ein paar Tagen folgenlos ausgeheilt sind, nicht den Schluss zu, dass entgegen sämtlichen Zeugenaussagen die einwirkende Kraft gering gewesen sein muss. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Angeklagte in seiner blinden Wut sehr unpräzise zugeschlagen und dadurch keine sensiblen Kopf-, Gesichts- und Halspartien getroffen hat, was aber natürlich keineswegs geplant, sondern schlicht zufällig gewesen ist. Dies gilt im Übrigen auch für das Werfen bzw. Stossen mit dem Kopf voran gegen eine harte Unterlage, wo je nach Art des Aufpralls und Festigkeit der Unterlage grundsätzlich zwischen einer Bagatellverletzung und einer absolut gravierenden Verletzung praktisch jede Folge eintreten kann, was aber, wenn nicht ganz besondere Umstände vorliegen, nicht in der Macht des Täters steht. Im Sinne eines Zwischenergebnisses ist demzufolge nach dem Vorliegen des subjektiven Tatbestandes und dem Fehlen des objektiven Tatbestandes mangels Erheblichkeit der zugefügten Verletzungen der Versuch zu einer schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB zu bejahen. Lediglich als Vergleich dazu wurde in der Praxis auch schon der sogenannte "Schwedenkuss" (Kopfstoss gegen den Kopf eines anderen) als versuchte schwere Körperverletzung qualifiziert (Roth/Berkemeier, a.a.O., N 41 zu Art. 122 StGB, mit Hinweisen).


Was den vom Angeklagten geltend gemachten Rechtfertigungsgrund der Notwehr betrifft, bestimmt das Gesetz in Art. 15 StGB, dass der Angegriffene und jeder andere berechtigt ist, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren, wenn jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht wird. Voraussetzung ist also, dass der Täter in rechtswidriger Weise angegriffen oder zumindest unmittelbar mit einem Angriff bedroht wird. Im vorliegenden Fall stellt der Angeklagte den Sachverhalt so dar, dass er habe damit rechnen müssen, dass ein Angriff mit dem Messer auf ihn bevorstehe, weshalb er dem Opfer zuvorgekommen sei und selbst einen Angriff gestartet habe. Für diese Sachverhaltsvariante finden sich jedoch gemäss den vorstehenden Ausführungen zum massgeblichen Sachverhalt (oben E. 2.5 in fine) keinerlei Hinweise in den Akten, weshalb sie als Schutzbehauptung zurück zu weisen ist. Es ist zwar zutreffend, dass das Opfer - nachdem es vom Angeklagten verprügelt und zu Boden geschlagen bzw. geworfen wurde - ein Messer hervor nahm und sich dabei aufrichtete, es ist jedoch nicht dokumentiert, dass es sich mit dem Messer in der Hand in irgendeiner Weise dem Angeklagten genähert oder diesen verbal oder mit Gesten bedroht hätte. Insofern ist es ohne Weiteres glaubhaft und nach dem ersten massiven Angriff des Angeklagten nachvollziehbar, dass das Opfer das Messer zu seinem Selbstschutz gezückt hat. Die Frage, ob sich das Opfer bei seinem anschliessenden Messerstich gegen den Angeklagten tatsächlich in einer Notwehrsituation befunden und dabei die Grenzen der zulässigen Notwehr eingehalten hat, ist allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, sondern vom Strafgericht im entsprechenden Verfahren gegen H. M. zu beurteilen. Demgegenüber sind die Erklärungsversuche des Angeklagten, weshalb er zu diesem Zeitpunkt zum wiederholten Male und trotz des Messers auf das Opfer zuging und diesem zwei Faustschläge ins Gesicht verpasste, widersprüchlich und unbehelflich. Anlässlich der heutigen Verhandlung führt er in diesem Zusammenhang auf die entsprechenden Fragen zunächst aus, er sei aus Angst auf das Opfer zugegangen, habe ihm zwei Schläge gegeben und später habe das Opfer den Arm um ihn gelegt und zugestochen. Danach gibt er zu Protokoll, er habe mit dem Opfer reden wollen, weil dieses ein Kollege seiner Mutter gewesen sei, er habe aber das Messer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gesehen und sei nicht davon ausgegangen, dass das Opfer ihn habe stechen wollen, nachdem es mit ihm habe reden wollen; auch wisse er nicht mehr, warum er schliesslich das Opfer doch nicht entwaffnet habe, obwohl dies das Ziel gewesen sei. Für das Kantonsgericht erscheint insbesondere die Behauptung des Angeklagten, er habe das Opfer aus Furcht vor einem Angriff entwaffnen wollen, als wenig plausibel, nachdem er sich zunächst vom Opfer entfernt hatte und erst dann gezielt zurück kam, als er das Messer in der Hand des Opfers wahrgenommen hatte, wobei sich dieses nicht auf den Angeklagten zu bewegte und diesen auch nicht verbal oder mit Gesten bedrohte. Es ist des Weiteren auch nicht einsichtig, dass der Angeklagte zwar das Opfer entwaffnen wollte, allerdings keine Erklärung dafür liefern kann, weshalb er dies dann doch nicht getan und abgesehen von den Schlägen ins Gesicht offenbar auch nicht wirklich versucht hat. Unter diesen Umständen ist vielmehr davon auszugehen, dass der Angeklagte in Rage geriet und das Opfer quasi bestrafen wollte, weil dieses es gewagt hatte, ein Messer in die Hand zu nehmen. Da durch nichts belegt und im Übrigen auch vom Angeklagten nicht ernsthaft geltend gemacht wird, dass das Opfer Anstalten gemacht hätte, ihn anzugreifen oder mit einem unmittelbaren Angriff zu bedrohen, fehlt es bereits am rechtswidrigen Angriff des Opfers, womit für den zweiten Angriff des Angeklagten klarerweise kein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer Notwehrsituation nach Art. 15 StGB vorgelegen hat. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich auch eine Prüfung des Strafmilderungs- bzw. Strafausschlussgrundes der entschuldbaren Notwehr gemäss Art. 16 StGB. Demzufolge ist nebst der Tatbestandsmässigkeit auch die Rechtswidrigkeit der Handlungen des Angeklagten zu bejahen.


In Bezug auf die Schuld ist festzuhalten, dass von keiner Partei diesbezüglich Fragen aufgeworfen worden sind und auch von Seiten des Kantonsgerichts die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht angezweifelt wird, weshalb auf die entsprechenden und zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz zu verweisen (E. 2.2.1.3 S. 31 ff.) und festzustellen ist, dass der Angeklagte hinsichtlich der versuchten schweren Körperverletzung schuldhaft gehandelt hat.


Nach Gesagtem ist der Angeklagte in Bestätigung des angefochtenen Urteils und in Abweisung seiner entsprechenden Appellation der versuchten schweren Körperverletzung schuldig zu erklären.


3.-7. ( … )


KGE ZS vom 7. Dezember 2010 i. S. Staatsanwaltschaft BL / S. D. (100 10 491 [A 59] / NEP)


Gegen das Urteil des KG ZS wurde die Beschwerde in Strafsachen erhoben (6B_161/2011).



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