Zivilprozessrecht

Zulässigkeit und Anfechtbarkeit der Sistierung eines Verfahrens nach Art. 85 SchKG


Gegen Sistierungsverfügungen ist - selbst bei Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils - nicht die Beschwerde nach § 233 ZPO sondern einzig die Rechtsverzögerungsbeschwerde zulässig (§ 233 ZPO; E. 1 und 2).


Rechtsnatur und Gegenstand der Rechtsverzögerungsbeschwerde; die Sistierung als mögliche unzulässige Verfahrensverzögerung (Art. 29 Abs. 1 BV; E. 3).


Voraussetzungen, unter welchen die Sistierung eines Verfahrens nach Art. 85 SchKG wegen der Hängigkeit eines anderen Verfahrens zulässig sein kann (Art. 85 SchKG, § 262 ZPO; E. 4).



Sachverhalt

A. Im Rahmen des von A. L. gegen Ch. K. vor dem Bezirksgerichtspräsidium Arlesheim angestrengten Verfahrens auf Aufhebung der Betreibung gemäss Art. 85 SchKG ordnete die instruierende Bezirksgerichtspräsidentin nach Durchführung des Schriftenwechsels mit Verfügung vom 27. Oktober 2009 die Sistierung des Verfahrens bis zum Abschluss des von der Beklagten gegen den Kläger veranlassten Strafverfahrens an. Zur Begründung der Verfügung führte die Bezirksgerichtspräsidentin an, gemäss telephonischer Auskunft des ermittelnden Staatsanwaltes sei davon auszugehen, dass das Strafverfahren eine direkte Auswirkung auf das Zivilverfahren habe.


B. Gegen diese Verfügung erhob der Rechtsvertreter von A. L. mit Eingabe vom 02. November 2009 Beschwerde mit dem Begehren, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, das Verfahren beförderlich fortzuführen; eventualiter sei festzustellen, dass die Sistierung eine unzulässige Rechtsverzögerung darstelle, so dass die Vorinstanz anzuweisen sei, die Sistierung aufzuheben und das Verfahren beförderlich fortzuführen.



Erwägungen

1. Gemäss § 233 ZPO können nichtappellable Entscheide in Zivilsachen mittels Beschwerde bei der Dreierkammer des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht (vgl. § 11 Ziff. 3 lit. a ZPO) angefochten werden. Beschwerden gegen prozessleitende Verfügungen des Gerichtspräsidenten und Dekrete des Gerichts können in der Regel nur zusammen mit der Hauptsache dem Bezirksgericht oder dem Kantonsgericht vorgebracht werden. Vorbehalten bleiben gemäss § 233 Abs. 6 ZPO einzig Beschwerden gegen Verfügungen gemäss den Artikeln 137 und 281 ff. ZGB.


Die in casu angefochtene Sistierungsverfügung ist unbestrittenermassen eine klassische prozessleitende Massnahme, welche nicht zu den Ausnahmen gemäss § 233 Abs. 6 ZPO zählt, so dass sie der Beschwerde gemäss § 233 ZPO grundsätzlich nicht zugänglich ist (vgl. S. Schweizer, Das Rechtsmittelsystem im basellandschaftlichen Zivilprozessrecht, Diss. Oberdorf 1988, S. 109). Der Beschwerdeführer hält dafür, dass die Beschwerde gemäss § 233 ZPO schon deshalb zulässig sein müsse, weil die Sistierungsverfügung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil für ihn bewirke. Dazu ist festzuhalten, dass das Kriterium des nicht wieder gutzumachenden Nachteils keinen Ausnahmetatbestand für die Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine prozessleitende Verfügung bildet. Entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdeführers ist auch dem Beschluss des Kantonsgerichts vom 13. November 2007 (200 07 750, E. 2.3) nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Darin wird zwar das Fehlen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils festgestellt, ohne indes die Beschwerdefähigkeit einer prozessleitenden Verfügung im Falle des Vorliegens eines solchen zu bejahen. Ferner ist der Umstand, dass die fehlende Beschwerdefähigkeit zu einer direkten Anrufung des Bundesgerichts führen kann, für das Kantonsgericht kein Grund, von der bewährten und restriktiven Praxis, wonach über die gesetzlichen Ausnahmen hinaus keine weiteren Anwendungsfälle der Anfechtbarkeit prozessleitender Verfügungen zuzulassen sind, abzuweichen. Soweit sich die Eingabe vom 02. November 2009 als Beschwerde im Sinne von § 233 ZPO versteht, kann auf das Begehren somit nicht eingetreten werden.


2. Der Beschwerdeführer qualifiziert seine Eingabe vom 02. November 2009 eventualiter als Rechtsverzögerungsbeschwerde und macht geltend, die mit der angefochtenen Verfügung angeordnete Sistierung des Verfahrens stelle eine unbotmässige Rechtsverzögerung dar.


Die Beschwerde wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung ist eine Unterart der Aufsichtsbeschwerde, die an keine Frist gebunden ist (vgl. BJM 1981 S. 279; VGE BL 2002/2003 Nr. 15.2). Sie kann daher grundsätzlich jederzeit erhoben werden, insbesondere dann, wenn sich die behauptete Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung in einer Untätigkeit der Behörde äussert (vgl. VGE BL 1994 Nr. 11). Gemäss § 11 Abs. 3 lit. b ZPO ist zu deren Behandlung die Dreierkammer des Kantonsgerichts sachlich zuständig. Die Eingabe vom 02. November 2009 ist folglich gemäss dem Eventualbegehren als Rechtsverzögerungsbeschwerde entgegenzunehmen. In diesem Sinne ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten.


3. Die Rechtsverzögerungsbeschwerde hat nicht Rechtsmittel-, sondern Disziplinarcharakter. Es kann damit gerügt werden, dass eine gerichtliche Instanz auf ein ordnungsgemässes Ansuchen um die Vornahme einer in den Kreis ihrer Zuständigkeit fallenden Handlung untätig bleibt oder dass sie die Vornahme der Handlung aus unsachlichen Gründen ablehnt. Da diese Beschwerde kein eigentliches Rechtsmittel ist, kann der Beschluss darüber auch nicht anstelle des Richters, gegen den sie sich richtet, eine eigene und neue Sachentscheidung treffen, sondern bloss den unterstellten Richter anweisen, die ihm obliegende Handlung vorzunehmen (vgl. H. Weibel / M. Rutz, Gerichtspraxis zur basellandschaftlichen Zivilprozessordnung, 4. Auflage, S. 297). Rechtsverzögerung kann nicht nur durch blosse richterliche Unterlassung, sondern auch durch eine positive Anordnung des Richters bewirkt werden. Eine solche Situation liegt vor, wenn der Richter zu Unrecht eine Sistierungsverfügung erlässt und das Verfahren damit ungerechtfertigterweise zum Stillstand kommt (vgl. A. Staehelin / Th. Sutter, Zivilprozessrecht, Basel 1992, § 21 N 137). Lehre und Rechtsprechung lassen in einem solchen Fall eine Beschwerde bereits in diesem Zeitpunkt zu, so dass der Betroffene nicht zuwarten muss, bis die Rechtsverzögerung tatsächlich eintritt, sondern sofort geltend machen kann, die Verfügung habe eine ungerechtfertigte Verzögerung zur Folge (BGE 126 V 248, E. 2d ).


Einer Verfahrenssistierung wohnt das Risiko inne, das Verfahren unnötig zu verzögern, weshalb die Sistierung mit Blick auf den in Art. 29 Abs.1 BV verankerten Anspruch auf Beurteilung der Sache innert angemessener Frist nur ausnahmsweise - wenn sie sich auf sachliche Gründe stützen lässt - zulässig ist (vgl. BGE 130 V 94 E. 5, 119 II 389 E. 1b; A. Kölz / J. Bosshart / M. Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1999, Vorbem. zu §§ 4-31 N 29; U. P. Cavelti / Th. Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen - dargestellt an den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, 2. Auflage, St. Gallen 2003, S. 545 N 1093; L. Meyer, Das Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, Diss. Bern 1982, S. 73 f. und 76 f.). Nach der Rechtsprechung werden unter anderem die Vornahme zweckmässiger zusätzlicher Abklärungen (BGE 127 V 231 E. 2a) oder die Hängigkeit eines anderen Verfahrens, dessen Ausgang von präjudizieller Bedeutung ist (Praxis des Bundesgerichts [Pra] 1996 Nr. 141 S. 473 E. 3b; BGE 123 II 3, 122 II 217 mit Hinweisen), als zureichende Gründe für eine Sistierung anerkannt.


Ob die Sistierung eines Prozesses zu einer Verfahrensverzögerung führt, welche sich mit dem in Art. 29 Abs. 1 BV verankerten Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist nicht vereinbaren lässt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen. Massgebend sind dabei namentlich die besondere Bedeutung und die Art des Verfahrens, die Komplexität der Sache und das prozessuale Verhalten der Parteien (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 17. Juli 2006, B 5/05, E. 3.4; G. Müller, in Kommentar aBV, Rz 93 zu Art. 4 BV).


4. Beim sistierten Verfahren handelt es sich um ein Verfahren auf Aufhebung der Betreibung gemäss Art. 85 SchKG. Dieses ist von Bundesrechts wegen ein summarisches Verfahren, das aufgrund der Beweismittelbeschränkung als reiner Urkundenprozess geführt wird (vgl. B. Bodmer, in: A. Staehelin / Th. Bauer / D. Staehelin [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Art. 1 - 87, Basel 1998, zu Art. 85, N 31 ff., S. 830 f.; vgl. § 263 Ziff. 1 ZPO). Auch wenn das Verfahren nach Art. 85 SchKG - im Gegensatz zum Verfahren nach Art. 85a SchKG (vgl. § 261 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) - nicht gleichzeitig auch im beschleunigten Verfahren durchgeführt wird, so ist doch bereits aufgrund der summarischen Natur des Verfahrens eine zeitliche Straffung des Ablaufes gesetzlich vorgesehen. Gemäss § 262 ZPO erfolgt die Vorladung der Parteien - soweit vorgesehen - mit verkürzten Fristen, eine Prozesseinleitung findet nicht statt und ein materieller Entscheid wird auch bei Ausbleiben der Parteien gefällt. Bereits die Art des Verfahrens gebietet damit, Massnahmen, die den Ablauf des Verfahrens verzögern, nur zurückhaltend anzuordnen. Wird eine Sistierung wegen der Hängigkeit eines anderen Verfahrens angeordnet, so muss der Abschluss jenes anderen Verfahrens zeitlich absehbar und dessen präjudizielle Bedeutung unzweifelhaft sein.


Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt offensichtlich ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet. Über den Gegenstand und Umfang des Strafverfahrens ist indes weder der angefochtenen Verfügung noch den Akten Näheres zu entnehmen. Die angefochtene Verfügung beschränkt sich auf den Verweis, der kontaktierte Staatsanwalt habe die telephonische Auskunft erteilt, es müsse davon ausgegangen werden, dass das Strafverfahren eine direkte Auswirkung auf das Zivilverfahren habe. Gestützt darauf hat die Bezirksgerichtspräsidentin das Verfahren nach Art. 85 SchKG bis zum Abschluss des Strafverfahrens sistiert. Nachdem Gegenstand und Umfang des Strafverfahrens unbekannt sind, ist nicht nur die zeitliche Dauer der Sistierung sondern auch der Einfluss des Strafverfahrens auf das sistierte Zivilverfahren völlig unklar. Auch die Beschwerdevernehmlassung hat diesbezüglich keine weiteren Aufschlüsse gebracht. Folglich sind die Voraussetzungen für eine terminlich unbegrenzte Sistierung - die zeitliche Absehbarkeit des Strafverfahrens und dessen unzweifelhafte präjudizielle Bedeutung - nicht erfüllt. Unter diesen Umständen bewirkt die angefochtene Sistierung eine unzulässige Rechtsverzögerung, so dass die Verfügung vom 27. Oktober 2009 aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen ist, das sistierte Verfahren fortzusetzen.


5. ( … )


KGE ZS vom 09. März 2010 i.S. A. L. gegen BGPA und Ch. K. (200 09 1230/NOD)



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