Zivilprozessrecht

Unentgeltliche Prozessführung


Grundsätzlich darf die unentgeltliche Prozessführung nicht rückwirkend, sondern nur für die künftige Prozessführung entzogen werden. Ein rückwirkender Entzug ist immer zulässig, wenn eine Partei die unentgeltliche Prozessführung durch nachweislich falsche oder unvollständige Angaben erschlichen hat (§ 71 Abs. 3 ZPO; E. 2.3).


Unterbliebene Information über höheres Einkommen und wissentlich falsche Angaben anlässlich einer Verhandlung bedeuten jeweils krasse Verletzungen der Mitwirkungspflicht, was den rückwirkenden Entzug der unentgeltlichen Prozessführung rechtfertigt (§ 71 Abs. 3 ZPO; E. 2.4 und 2.6).


Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sind weder Noven zu berücksichtigen noch ergänzende Beweisaufnahmen vorzunehmen. Dies gilt auch in Verfahren, in welchen in freier Kognition über die Beschwerde entschieden wird (§ 73 Abs. 2 ZPO; E. 2.5).



Erwägungen

1. ( … )


2.1 In Ziff. 1 der angefochtenen Verfügung hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer die am 7. Juli 2009 gewährte unentgeltliche Prozessführung rückwirkend entzogen. In der Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die amtliche Erkundigung bei der ehemaligen Arbeitgeberin des Beschwerdeführers vom 6. April 2010 habe ergeben, dass ihm im Jahre 2009 insgesamt CHF 170'654.90 aus dem Verkauf von Aktien, Dividenden und "Credit interest" ausbezahlt worden seien. Dies sei jedoch nicht im Formular zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung unter Ziff. 4 "Vermögenswerte" angegeben worden. Der Ehemann habe sein Vermögen somit nicht korrekt angegeben und so die unentgeltliche Prozessführung zu Unrecht erschlichen. Zudem seien dem Ehemann im Jahr 2009 insgesamt CHF 137'771.45 an Salär ausbezahlt worden, was einem monatlichen Verdienst von CHF 11'480.90 entspreche. Entgegen den Aufforderungen an den Ehemann gemäss Verfügung vom 7. Juli 2009 habe er diese Änderung seines Einkommens der Vorinstanz nicht gemeldet. Anlässlich der Verhandlung vom 4. Februar 2010 habe er wider besseres Wissen behauptet, für September 2009 ein Salär von CHF 6'371.50 und für Oktober bis Dezember 2009 eines von je CHF 5'544.-- erhalten zu haben. Mit Eingabe vom 23. März 2010 habe er behauptet, über kein Vermögen zu besitzen. Auch damit habe er wissentlich unwahre Angaben gemacht und seine Mitwirkungspflicht verletzt.


2.2 Zur Begründung seiner Beschwerde hinsichtlich Ziff. 1 der angefochtenen Verfügung bringt der Beschwerdeführer zunächst vor, alle T.-Aktien seien gesperrt gewesen. Erst mit Aufhebung des Arbeitsverhältnisses per 30. September 2009 seien die Mitarbeiteraktien frei geworden. Der Verkauf derselben sei dann Anfang Oktober 2009 erfolgt. Zudem führt der Beschwerdeführer pauschal aus, verschiedene Zahlungen seiner ehemaligen Arbeitgeberin seien nach Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege erfolgt und hätten folglich im Zeitpunkt des Gesuches noch gar nicht angegeben werden können. Der Beschwerdeführer habe daher nichts unternommen, um die zuständigen Instanzen zu täuschen. Es sei folglich auch nicht statthaft, den Entzug der unentgeltlichen Prozessführung mit solchen Umständen zu begründen.


2.3 Der Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung wird in § 71 ZPO geregelt. Gemäss dieser Bestimmung können Parteien, die infolge Bedürftigkeit ausserstande sind, die Prozesskosten aufzubringen, um Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ersuchen. Die unentgeltliche Prozessführung gewährleistet der bedürftigen Partei den Zugang zum Gericht und die zweckdienliche Wahrung ihrer Parteirechte. Sie dient aber nicht dazu, die bedürftige Partei im Sinne einer allgemeinen Sozialhilfe von entstandenen Prozesskosten zu entlasten.


Die unentgeltliche Prozessführung kann gewährt werden, sofern die Bedürftigkeit glaubhaft gemacht wird und die Rechtsbegehren der gesuchstellenden Partei nicht aussichtslos erscheinen. Nach der basellandschaftlichen Gerichtspraxis gilt eine Partei nicht als bedürftig, wenn ihr Einkommen grösser als das um 15% des Grundbetrages und die laufende Steuerbelastung erweiterte betreibungsrechtliche Existenzminimum ist (vgl. Amtsbericht des damaligen Obergerichts 1995, S. 56). Ist die Bedürftigkeit aufgrund der Einkommensverhältnisse der gesuchstellenden Partei zu bejahen, so ist zu prüfen, ob allenfalls bestehendes Vermögen der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung entgegensteht. Dabei ist zu beachten, dass ein gewisser Umfang an Vermögen als „Notgroschen" beansprucht werden darf und nicht zur Prozessführung angetastet werden muss. Bei ungenügendem Einkommen wird ein Vermögen von CHF 20'000.-- bis maximal CHF 25'000.-- als noch verhältnismässig gering und deshalb einem Kostenerlassbegehren nicht entgegenstehend betrachtet (vgl. Amtsbericht des damaligen Obergerichts 1996, S. 57). Soweit das Vermögen diesen "Notgroschen" übersteigt, ist dem Gesuchsteller unbesehen der Art der Vermögensanlage zumutbar, dieses zur Finanzierung des Prozesses zu verwenden. Die Art der Vermögensanlage beeinflusst allenfalls die Verfügbarkeit der Mittel, nicht aber die Zumutbarkeit, sie vor der Beanspruchung des Rechts auf unentgeltliche Prozessführung anzugreifen.


Grundsätzlich darf die unentgeltliche Prozessführung nicht rückwirkend, sondern nur für die künftige Prozessführung entzogen werden. Die Partei bzw. der unentgeltliche Rechtsbeistand darf nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass bis zur Fällung eines Entzugsentscheids die bewilligte unentgeltliche Rechtspflege Geltung hat. Soweit diese Annahme jedoch nicht mehr berechtigt ist, kommt ein Entzug auch rückwirkend für Rechtsvorkehren in Betracht, welche nicht im Vertrauen auf die gewährte unentgeltliche Rechtspflege vorgenommen werden konnten, also etwa für offensichtlich aussichtslose oder mutwillige Rechtsbegehren oder für Prozesshandlungen, die nach Einleitung des Entzugsverfahrens erfolgten.


Ein rückwirkender Entzug ist sodann immer zulässig, wenn eine Partei die unentgeltliche Prozessführung durch nachweislich falsche oder unvollständige Angaben erschlichen hat. Das Verfahren auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ist nämlich ein Verwaltungsverfahren und der entsprechende instruktionsrichterliche Entscheid ist rechtlich als Verwaltungsverfügung zu qualifizieren. Wie grundsätzlich jede Verwaltungsverfügung erwächst auch die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht in materielle Rechtskraft, sondern ist vielmehr unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Abänderbarkeit von Verwaltungsakten jederzeit widerrufbar. Ein Widerruf ist namentlich dann zulässig, wenn die Voraussetzungen zur Bewilligung des Kostenerlasses gar nie erfüllt waren. Der Widerruf wegen nie gegebener Voraussetzungen entspricht der Rücknahme einer fehlerhaften Verfügung und dient damit der richtigen Durchführung des objektiven Rechts. Stellt sich im Lauf des Prozesses heraus, dass die Voraussetzungen für die unentgeltliche Prozessführung nie gegeben waren, so kann diese rückwirkend auf den Zeitpunkt der Erteilung entzogen werden. Dass dem Widerruf bei Bösgläubigkeit des Gesuchstellers rückwirkende Kraft zukommt, bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Dass ein rückwirkender Entzug auch bei gutem Glauben angeordnet werden kann, stellt im Bereich des Leistungsverwaltungsrechts nichts Aussergewöhnliches dar; insbesondere im Sozialversicherungsrecht sind unrechtmässig bezogene Leistungen auch von gutgläubigen Empfängern zurückzuerstatten (vgl. Beschluss des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 22. Juli 2008 i.S. I. und R. gegen BG Liestal und I. (200 08 381/LIA) in: BLKGE 2008 Nr. 14 S. 73 f., E. 2.2. m.w.H.).


2.4 Der Beschwerdeführer wurde auf seine Pflicht, Änderungen seines Einkommens beziehungsweise seiner Ausgaben unverzüglich mitzuteilen, mit bezirksgerichtlicher Verfügung vom 7. Juli 2009 ausdrücklich aufmerksam gemacht. Darüber hinaus wurde der Ehemann mit Verfügung vom 28. Oktober 2009 aufgefordert, das Gericht über seine künftigen Einkommensverhältnisse umgehend ab Kenntnis zu informieren. Schliesslich wurde der Beschwerdeführer mit Verfügung vom 4. Februar 2010 nochmals verpflichtet, über schriftliche Änderungen in seinem Einkommen die Gegenseite und das Gericht jeweils umgehend zu orientieren.


Nach Eingang des höheren als im Formular bezüglich unentgeltlicher Prozessführung angegebenen Einkommens wäre der Beschwerdeführer daher fraglos verpflichtet gewesen, dieses der Vorinstanz sofort mitzuteilen. Indem er seine Saläreingänge (am 25. September 2009 CHF 5'738.75, am 23. Oktober 2009 CHF 55'045.15 sowie am 2. November 2009 CHF 5'503.85) dem Bezirksgericht nicht meldete, hat er seine Mitwirkungspflicht offensichtlich verletzt. Zudem stellte die Vorinstanz mit Recht fest, dass der Beschwerdeführer durch seine anlässlich der Verhandlung vom 4. Februar 2010 vor der Vorinstanz vorgebrachte Behauptung, er habe für September 2009 ein Salär von CHF 6'371.50 und für Oktober bis Dezember 2009 eines von je CHF 5'555.-- erhalten, auch zu jenem Zeitpunkt wissentlich falsche Angaben gemacht hat. Die unterbliebene Information über das höhere Einkommen und die wissentlich falschen Angaben anlässlich der Verhandlung vom 4. Februar 2010 bedeuten jeweils krasse Verletzungen der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers, was den rückwirkenden Entzug der unentgeltlichen Prozessführung durch die Vorinstanz rechtfertigt.


2.5 Entsprechend dem Wesen der Beschwerde als ausserordentliches Rechtsmittel beurteilt das Kantonsgericht im Beschwerdeverfahren den angefochtenen Entscheid aufgrund der tatsächlichen Situation, wie sie sich der Vorinstanz darbot. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sind daher weder Noven zu berücksichtigen noch ergänzende Beweisaufnahmen vorzunehmen. Dies gilt auch in Verfahren, in welchen in freier Kognition über die Beschwerde entschieden wird (vgl. Adrian Staehelin / Thomas Sutter, Zivilprozessrecht, Zürich 1992, § 21 N 95; Heinrich Weibel / Magdalena Rutz, Gerichtspraxis zur basellandschaftlichen Zivilprozessordnung, 4. Auflage, Liestal 1986, S. 294). Der Beschwerdeführer erhebt den Einwand, es habe sich bei den nicht angegebenen Aktien um gesperrte Aktien gehandelt, erstmals im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Aus der amtlichen Erkundigung bei der T. AG ging hervor, dass der Ehemann auch schon vor dem 30. September 2009 mehrfach Aktien verkauft hat (am 18. Dezember 2006 CHF 18'811.60; am 20. Dezember 2007 CHF 10'608.-- sowie am 9. Februar 2009 CHF 22'295.--). Für die Vorinstanz war somit nicht ersichtlich, dass es sich um gesperrte Aktien gehandelt haben soll. Als verspätet eingebrachtes Novum ist dieser Einwand vorliegend nicht zu berücksichtigen. Die Vorinstanz hat somit zu Recht festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Vermögen im Formular nicht korrekt angegeben hat und so die unentgeltliche Prozessführung erschlichen hat. Im Übrigen wären nach Ansicht des Kantonsgerichts auch gesperrte Aktien als Aktiven im Gesuch anzugeben gewesen, zumal sie bereits kurz nach Gesuchsstellung ausbezahlt werden konnten.


2.6 Auch der Einwand, verschiedene Zahlungen der ehemaligen Arbeitgeberin des Beschwerdeführers seien erst nach Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege erfolgt, geht fehl. Wie in den vorstehenden Ausführungen in Ziff. 2.4 dargelegt wurde, wäre der Beschwerdeführer zur Meldung seiner höheren Saläreingänge (am 25. September 2009 CHF 5'738.75, am 23. Oktober 2009 CHF 55'045.15 sowie am 2. November 2009 CHF 5'503.85) fraglos verpflichtet gewesen; zudem hat er anlässlich der Verhandlung vom 4. Februar 2010 wissentlich falsche Angaben gemacht. Aufgrund dieser krassen Verletzungen der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers war der rückwirkende Entzug der unentgeltlichen Prozessführung durch die Vorinstanz gerechtfertigt. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, kommt somit nach Einsichtnahme in die Akten der Vorinstanz zum Schluss, dass die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich Ziff. 1 der angefochtenen Verfügung unbegründet ist.


3.-8. ( … )


KGE ZS vom 9. November 2010 i.S. M.R. / C.R. (200 10 1154/VOM)



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