Zivilprozessrecht

Antrag der Vormundschaftsbehörde auf Herausgabe eines Gutachtens, das im Rahmen eines Scheidungsverfahrens ergangen ist - Beschwerdelegitimation


Zur Einlegung eines Rechtsmittels ist nur befugt, wer durch den angefochtenen Entscheid beschwert ist. Zur Beschwerde legitimiert sind grundsätzlich nur die am erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Haupt- und Nebenparteien. Ausnahmsweise sind auch Dritte zur Beschwerdeerhebung zugelassen, wenn sie vom angefochtenen Entscheid unmittelbar betroffen sind resp. ihre Rechtsposition durch den Entscheid berührt wird (E. 2.1. - 2.3).


Keine Beschwerdelegitimation einer Vormundschaftsbehörde, die im erstinstanzlichen Scheidungsverfahren die Herausgabe eines vom Bezirksgerichtspräsidum in Auftrag gegebenen Gutachtens verlangt hat (E. 3 - 3.3).



Sachverhalt

A. Anlässlich der Audienz vor dem Bezirksgerichtspräsidenten vom 22. September 2010 einigten sich die Ehegatten A. und F.M. im hängigen Scheidungsverfahren über das Besuchs- und Ferienrecht für die gemeinsame Tochter. Der Bezirksgerichtspräsident erliess in der Folge die Verfügung vom 22. September 2010, in der er das Besuchs- und Ferienrecht für die Tochter im Sinne der Einigung der Ehegatten regelte (Ziffer 1 - 4). Im Weiteren ordnete der Bezirksgerichtspräsident an, dass das Gutachten der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik (KJPK) der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel ( … ) dem Erziehungsbeistand ( … ) zur Kenntnis zugestellt wird. Der Antrag der Vormundschaftsbehörde ( … ) um Zustellung dieses Gutachtens wies der Bezirksgerichtspräsident hingegen ab (Ziffer 5). ( … )


B. Mit Eingabe vom 4. Oktober 2010 reichte die Vormundschaftsbehörde ( … ) Beschwerde gegen diese Verfügung ein. Sie beantragt, es sei die Verfügung vom 22. September 2010 aufzuheben und ihrem Antrag um Zustellung des Gutachtens der KJPK stattzugeben. Zumindest seien ihr die kindsrelevanten und entscheidenden Befunde sowie die Zusammenfassung zuzustellen. ( … )


C. ( … )



Erwägungen

1. ( … )


2. Die angefochtene Verfügung ist im Rahmen des Scheidungsverfahrens, das zwischen den heutigen Beschwerdegegnern 2 und 3 hängig ist, ergangen. Da es also vorliegend um ein Zivilverfahren zwischen zwei Privatpersonen geht, stellt sich - vor der Prüfung der weiteren formellen Voraussetzungen - vorab die Frage, ob die Vormundschaftsbehörde überhaupt zur Beschwerdeerhebung legitimiert ist.


2.1 Gerichtliche Beurteilung und staatlicher Rechtsschutz können und sollen nur gewährt werden, wenn die prozessual geltend gemachten Ansprüche ein schutzwürdiges Interesse betreffen. Dementsprechend ist zur Einlegung eines Rechtsmittels nur befugt, wer durch den angefochtenen Entscheid beschwert ist, wer also durch den Entscheid einen tatsächlichen oder rechtlichen Nachteil erleidet und daher ein schützenswertes Interesse an dessen Korrektur besitzt. Die sogenannte Beschwer ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Fehlt sie, so wird auf das Rechtsmittel nicht eingetreten (Staehelin/Sutter, Zivilprozessrecht, Zürich 1992, § 20 N 25; vgl. auch Entscheide des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, KGE ZS vom 12. Mai 2009, Nr. 10 E. 1.2).


2.2 Zur Beschwerde legitimiert sind grundsätzlich nur die am erstinstanzlichen Verfahren beteiligten Haupt- und Nebenparteien. Ausnahmsweise sind auch Dritte zur Beschwerdeerhebung zugelassen, wenn sie vom angefochtenen Entscheid unmittelbar betroffen sind resp. ihre Rechtsposition durch den Entscheid berührt wird (Staehelin/Sutter, a.a.O., § 20 N 27 sowie § 21 N 66). Ausserdem müssen sie - wie die Hauptparteien - ein schutzwürdiges Interesse an der Überprüfung des angefochtenen Entscheids geltend machen können.


2.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Vormundschaftsbehörde ( … ) im erstinstanzlich hängigen Scheidungsverfahren keine Parteistellung hat. Zu prüfen ist daher, ob ihre Rechtsposition durch die Abweisung ihres Antrags auf Herausgabe resp. Zustellung des Gutachtens der KJPK vom 28. Juli 2009 derart berührt wird, dass eine Beschwerdelegitimation zu bejahen ist und ob sie ein hinreichendes schutzwürdiges Interesse an der Überprüfung des angefochtenen Entscheids geltend macht.


3. Bei Streitigkeiten über die Ausübung des Besuchsrechts ist gemäss Art. 275 Abs. 1 ZGB grundsätzlich die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz des Kindes für dessen Festsetzung zuständig. Diese Kompetenz wird durch die Zuständigkeit des Gerichts eingeschränkt, das gemäss Art. 275 Abs. 2 ZGB den persönlichen Verkehr zu regeln hat, wenn es im Rahmen eines Eheschutz- oder Scheidungsverfahrens Anordnungen zu treffen hat. Die gleiche Zuständigkeitsregelung gilt aufgrund des Prinzips der Einheit des Scheidungsurteils auch im Zusammenhang mit Kindesschutzmassnahmen. Diese werden gemäss Art. 315 ZGB grundsätzlich von den vormundschaftlichen Behörden angeordnet. Hat das Gericht indessen in einem Scheidungs- oder Eheschutzverfahren die Beziehungen der Eltern zu den Kindern zu gestalten, so trifft es gemäss Art. 315a Abs. 1 ZGB auch die nötigen Kindesschutzmassnahmen und betraut die vormundschaftlichen Behörden mit dem Vollzug (vgl. Breitschmid, Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, Art. 1 - 456 ZGB, 3. Aufl., Basel/ Genf/München 2006, Art. 315/315a/315b N 1 ff.). Vorbehalten bleibt in diesen Fällen die Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde, wenn ein vor dem Eheschutz- oder Scheidungsverfahren eingeleitetes Kindesschutzverfahren weiterzuführen ist oder wenn zum Schutz des Kindes sofort notwendige Massnahmen anzuordnen sind (Art. 315a Abs. 3 ZGB).


3.1 Wie bereits mehrfach erwähnt, ist im vorliegenden Fall ein Scheidungsverfahren am Bezirksgericht ( … ) hängig. Die notwendigen Kindesschutzmassnahmen wurden durch die Einsetzung eines Erziehungsbeistandes vom Gericht angeordnet. Überdies haben sich die Ehegatten anlässlich der Audienz vom 22. September 2010 über das Besuchs- und Ferienrecht für die gemeinsame Tochter M. geeinigt. Der persönliche Verkehr zwischen Eltern und Kind ist damit geregelt, die nötigen Kindesschutzmassnahmen wurden getroffen. Nebst der grundsätzlichen Zuständigkeit des Gerichts besteht also auch kein Anlass für eine Intervention der Vormundschaftsbehörde. Die Beschwerdeführerin ist daher vom angefochtenen Entscheid nicht unmittelbar betroffen.


3.2 Es ist im Weiteren auch kein schutzwürdiges Interesse zu erkennen. In ihrer Eingabe an das Bezirksgericht vom 20. August 2010 schreibt die Vormundschaftsbehörde ( … ) lediglich Folgendes: "Zur Vervollständigung unserer Unterlagen bitten wir Sie um die Zustellung des kinder- und jugendpsychiatrischen Gutachtens ( ... )" Eine weitergehende Begründung fehlt. Die blosse Absicht, die eigenen Akten mit einem Bericht zu ergänzen, der verschiedene heikle und sehr vertrauliche Daten und Angaben enthält, ist nicht schützenswert. Die Vormundschaftsbehörde macht aber auch in ihrer Beschwerdebegründung keine triftigen Gründe geltend, die auf ein schützenswertes Interesse schliessen lassen. So ist namentlich ihr Argument, dass sie Entscheide bezüglich des Besuchsrechts nicht fällen könne, wenn sie nicht im Besitze der relevanten Unterlagen sei, unbeachtlich, zumal sie derartige Entscheide - wie zuvor dargelegt - im heutigen Zeitpunkt gar nicht fällen muss. Da das Gutachten der KJPK vom 28. Juli 2009 massgeblich auf Gesprächen und Abklärungen beruht, die mittlerweile schon vor mehr als 1 1/2 Jahren erfolgten, ist überdies auch fraglich, ob nach Abschluss des Scheidungsverfahrens überhaupt noch auf die damals festgehaltenen Befunde und Schlussfolgerungen abgestellt werden kann. Die Vormundschaftsbehörde ist daher durch den angefochtenen Entscheid nicht beschwert und deshalb auch nicht zur Beschwerdeerhebung legitimiert.


3.3 Schliesslich ist hier darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall eine Weiterleitung des Gutachtens der KJPK auch unter dem Aspekt des Datenschutzes als heikel erscheint. Gemäss § 8 Abs. 1 des kantonalen Datenschutzgesetzes (SGS 162) dürfen Personendaten unter Vorbehalt besonderer Geheimhaltungsbestimmungen nur dann anderen Behörden und ausserkantonalen Amtsstellen bekanntgegeben werden, wenn entweder hiezu eine gesetzliche Verpflichtung oder Ermächtigung besteht, die Personendaten zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe benötigt werden und es sich nicht um Personendaten aus der Intimsphäre handelt oder es im Interesse der betroffenen Person liegt und diese ausdrücklich zugestimmt hat resp. falls sie dazu nicht in der Lage ist, ihre Zustimmung vorausgesetzt werden darf. Da zur Zeit keine Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde besteht und der Beschwerdegegner 2 sich in seiner Beschwerdeantwort klar gegen eine unbeschränkte Weitergabe des Gutachtens ausspricht, ist in casu keine der genannten Voraussetzungen erfüllt.


4. Auf die Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden. ( … )


KGE ZS vom 30. November 2010 i.S. VB B. gegen F.M und A.M. (200 10 1306/SCN)



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