Obligationenrecht

Missbräuchliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, Gebot schonender Rechtsausübung


Voraussetzungen, unter denen eine Kündigung missbräuchlich ist (Art. 336 OR, E. 2).


Wer einem Arbeitnehmer wenige Monate vor der ordentlichen Pensionierung aus betrieblichen Gründen kündigt, ohne sich für die bis zur Pensionierung verbleibende Zeit trotz vorhandenem Arbeitsvolumen um alternative betriebsinterne Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer zu bemühen, verletzt seine Fürsorgepflicht und handelt missbräuchlich (Art. 336 und 328 OR, E. 3).


Grundsätze für die Bemessung der Entschädigung (Art. 336c OR, E. 4).



Erwägungen

1. ( … )


2. Zwischen den Parteien ist im vorliegenden Fall umstritten, ob die von der Appellatin gegen den Appellanten ausgesprochene Kündigung als missbräuchlich im Sinne des Tatbestands von Art. 336 OR zu qualifizieren ist.


Für die Rechtmässigkeit einer Kündigung bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Gründe, da das schweizerische Arbeitsrecht vom Prinzip der Kündigungsfreiheit ausgeht (vgl. Art. 335 Abs. 1 OR; BGE 132 III 115, E. 2.1; 131 III 535, E. 4.1; 127 III 86, E. 2a). Missbräuchlich ist die Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, welche in Art. 336 OR umschrieben werden, wobei diese Aufzählung trotz des Wortlautes der Gesetzesbestimmung, der bei der Einführung der Tatbestände das Wort "insbesondere" nicht aufführt, nicht abschliessend ist (Frank Vischer, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., Basel 2005, S. 237; BGE 125 III 70, E. 2a). Die Aufzählung konkretisiert vielmehr den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben und gestaltet diesen mit für den Arbeitsvertrag geeigneten Rechtsfolgen aus. Es geht im Prinzip darum, dass die Arbeitgeberin ihre wirtschaftliche Macht in einer Weise ausübt, welche den gesellschaftlichen Wertvorstellungen widerspricht. Es handelt sich in diesem Sinne um einen verpönten Macht-, nicht um einen Rechtsmissbrauch (Thomas Geiser / Roland Müller, Arbeitsrecht in der Schweiz, Bern 2009, N 571). Anders als bei der Grundnorm des Rechtsmissbrauchsverbots nach Art. 2 Abs. 2 ZGB ist demnach auch nicht erforderlich, dass der Missbrauch ein offenbarer ist (Ullin Streiff / Adrian von Kaenel, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 6. Aufl., Zürich 2006, Art. 336 N 2). Es sind deshalb neben den in Art. 336 OR ausdrücklich aufgeführten durchaus weitere Tatbestände denkbar und vom Bundesgericht auch schon mehrfach anerkannt worden (BGE 134 III 108, E. 7.1; 132 III 115, E. 2.1). Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit setzt indessen voraus, dass die geltend gemachten Gründe eine Schwere aufweisen, die mit jener der in Art. 336 OR aufgeführten vergleichbar ist (Wolfgang Portmann, Basler Kommentar zum OR, 4. Aufl., Basel 2007, Art. 336 N 21; BGE 132 III 115, E. 2.1; 131 III 535, E. 4.2).


3. Die Beantwortung der Frage, ob eine Kündigung missbräuchlich ist, setzt eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles voraus (BGE 131 III 535, E. 4.2). Ausgangspunkt der Bewertung ist der Beweggrund, der zur Kündigung führt. In einem weiteren Schritt ist die Art und Weise, wie die Kündigung vorgenommen wurde, zu untersuchen. Ist der Beweggrund oder die Art und Weise der Kündigung verwerflich, wird die Kündigung als missbräuchlich qualifiziert (Vischer, a.a.O., S. 237).


3.1 Die Appellatin führt als Beweggrund für die Kündigung marktbedingte betriebliche Zwänge an. Im Jahre 2009 sei der Markt regelrecht zusammengebrochen. Sie habe in der Schweiz noch im Jahr 2008 einen Umsatz von CHF (…) Mio. erzielt, dieser sei im Jahr 2009 auf [2/3] gefallen. Das Auftragsvolumen habe sich mehr als halbiert. Die [Abteilung], in der der Appellant gearbeitet habe, sei deshalb auf Ende November 2009 geschlossen worden, wobei auch drei weitere Arbeitnehmer von einer Kündigung betroffen gewesen seien (vgl. Protokoll der Audienz vom 29. Juni 2010, S. 3 ff.). Die Appellatin kann sich aufgrund dieser unbestrittenen Darstellung wegen ihrer schlechten Auftragslage auf eine betriebliche Notwendigkeit der Kündigung und somit auf ein grundsätzlich zulässiges Kündigungsmotiv berufen, was auch vom Appellanten nicht in Abrede gestellt wird.


3.2 Bei einem grundsätzlich zulässigen Kündigungsmotiv kann sich die Missbräuchlichkeit aber auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Selbst wenn eine Arbeitgeberin die Kündigung rechtmässig erklärt, ist sie gemäss Art. 328 OR beispielsweise verpflichtet, die Persönlichkeitsgüter des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen (Portmann, a.a.O., Art. 328 OR N 4). Diese Fürsorgepflicht bildet das Korrelat der Treuepflicht des Arbeitnehmers (vgl. Art. 321a OR; BGE 132 III 257, E. 5.1). In diesem Zusammenhang hat das Bundesgericht festgehalten, dass für einen Arbeitnehmer, der über lange Jahre im Wesentlichen klaglos für eine einzige Arbeitgeberin tätig war, eine erhöhte Fürsorgepflicht gilt. Vorliegend befand sich der Appellant zum Zeitpunkt der Kündigung in einem annähernd zehnjährigen Anstellungsverhältnis mit der Appellatin. Seine jahrelange Treue für denselben Betrieb erhöhte nach dem Gesagten die Fürsorgepflicht der Appellatin. Zu dieser gehört die Sorge dafür, einem wenige Monate vor der ordentlichen Pensionierung stehenden Arbeitnehmer zu ermöglichen, seine Arbeitstätigkeit ohne finanzielle Einbussen zu beenden, sofern nicht gewichtige Gründe nach einer anderen Beendigung des Arbeitsverhältnisses rufen (BGE 132 III 115, E. 5.3). Solche Gründe werden im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht. Die finanzielle Einbusse des Appellanten wird auch durch die von der Appellatin geleistete Zahlung an das Vorsorgewerk nicht vollständig ausgeglichen, weshalb vorliegend von einem Verstoss gegen die Fürsorgepflicht ausgegangen werden muss.


3.3 Weiter hat eine Arbeitgeberin bei der Kündigung aus einem zulässigen Motiv auch dem Gebot schonender Rechtsausübung Rechnung zu tragen (BGE 4C.73/2006 vom 22. Dezember 2006, E. 1.2; Portmann, a.a.O, Art. 336 N 25). Nach dieser Maxime ist für den Fall, dass ein Berechtigter von seinem Recht ohne Nachteil auf verschiedene Arten Gebrauch machen kann, diejenige Art der Rechtsausübung zu wählen, die für den Verpflichteten am wenigsten schädlich ist (BGE 131 III 459, E. 5.3). Konkret bedeutet dies für eine Arbeitgeberin, dass sie nach einer sozial verträglicheren Lösung suchen muss, bevor sie eine Kündigung ausspricht. Die Appellatin musste im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass der Appellant angesichts seines Alters keine andere Anstellung mehr finden konnte und durch die Einkommensersatzleistungen finanzielle Einbussen erleiden würde. Unter diesen spezifischen Umständen durfte von ihr erwartet werden, dass sie sich für die verbleibende Zeit bis zur ordentlichen Pensionierung um alternative betriebsinterne Beschäftigungsmöglichkeiten für den Appellanten bemühen werde. Die tatsächlichen Behauptungen des Appellanten, wonach in der relevanten Zeitspanne bis zur Pensionierung genügend Arbeitsvolumen für ihn angefallen wäre, dass ein Mechaniker sowie ein Schlosser weiterbeschäftigt wurden und dass ein Teil der anfallenden Arbeit sogar extern vergeben wurde (vgl. S. 4 der Klagebegründung), blieben im vorliegenden Verfahren unwidersprochen. Auch der als Auskunftsperson geladene Y. sagte anlässlich der Audienz vom 29. Juni 2010 aus, dass in der Abteilung, in der der Appellant eingesetzt worden war, so viel Arbeit angefallen sei, dass ein Teil habe extern vergeben werden müssen (vgl. Protokoll der Audienz vom 29. Juni 2010, S. 5f.). Es ist aufgrund dieser Sachverhaltsfeststellungen somit erwiesen, dass die Appellatin den Appellanten für die verbleibenden Monate bis zur Erreichung des ordentlichen Pensionsalters ohne Nachteil hätte sinnvoll im Betrieb einsetzen können und die Kündigung für sie daher keineswegs unumgänglich war. Indem die Appellatin dessen ungeachtet unbestrittenermassen keine Bemühungen unternahm, den Appellanten für die bis zur Pensionierung verbleibende Zeit in seiner angestammten Funktion weiterzubeschäftigen oder ihm eine andere zumutbare Arbeit zuzuweisen, verletzte ihr Vorgehen das Gebot schonender Rechtsausübung.


3.4 Unter Berücksichtigung der obengenannten Gesamtumstände kommt die Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts zum Schluss, dass die Appellatin zwar nicht mit dem Kündigungsmotiv als solchem, aber mit der Art und Weise der ausgesprochenen Kündigung gegen gesetzliche Fürsorge- und Treuepflichten verstossen hat. Dementsprechend erweist sich die Kündigung als missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR.


4. Gemäss Art. 336a Abs. 1 OR hat die Partei, die das Arbeitsverhältnis missbräuchlich kündigt, der anderen Partei eine Entschädigung auszurichten. In der Höhe ist die Entschädigung auf maximal sechs Monatslöhne begrenzt (Art. 336a Abs. 2 OR). Der Appellant beantragt eine Entschädigung von drei Monatslöhnen. Nachdem die in Art. 336b OR statuierten verfahrensmässigen Voraussetzungen erfüllt sind, besteht ein grundsätzlicher Anspruch auf Zuspruch einer Entschädigung. Nachfolgend ist über deren Höhe zu befinden.


4.1 Bei der Entschädigung nach Art. 336a OR handelt es sich um einen Schadenersatz sui generis, der einer Konventionalstrafe nahekommt (BGE 123 III 391, E. 3c). Art. 336a Abs. 2 OR räumt dem Gericht bei der Bemessung ein Rechtsfolgeermessen ein, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. Art. 4 ZGB; BGE 131 III 243, E. 5.2; Portmann, a.a.O., Art. 336a N 5). Die Höhe der Entschädigung gemäss Art. 336a Abs. 1 OR richtet sich in erster Linie nach der Schwere des Verstosses gegen die Rechtsethik (Vischer, a.a.O., S. 246). Lehre und Rechtsprechung berücksichtigen als für die Bemessung relevante Umstände aber regelmässig auch die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des gekündigten Arbeitnehmers, seine soziale Situation sowie die Art und Weise der Kündigung des vertraglichen Verhältnisses (BGE 135 III 405, E. 3.1; Streiff / von Kaenel, a.a.O., Art. 336a N 3).


4.2 Nach Ansicht des Kantonsgerichts, Abteilung Zivil- und Strafrecht, ist die der Appellatin vorzuwerfende Verfehlung als leicht zu qualifizieren. Diese Bewertung basiert auf dem Umstand, dass die Appellatin zunächst ein zulässiges Kündigungsmotiv vorweisen kann, dass sie weiter den Appellanten vorgängig über die in Erwägung gezogene Kündigung informierte und diese formell korrekt vollzog sowie mit ihm die Optionen bezüglich einer möglichen Frühpensionierung erörterte. Ferner ist verschuldensmindernd zu berücksichtigen, dass die Appellatin die dem Appellanten durch die Kündigung verursachte Einbusse bei der Rente der zweiten Säule durch eine entsprechende Zahlung an das Vorsorgewerk ausglich. Diese Faktoren mindern zugleich die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Appellanten. Dessen soziale Situation veränderte sich durch die Kündigung nicht wesentlich, da er ohnehin kurz vor der ordentlichen Pensionierung stand und er für die Arbeitslosenversicherungen keinen Nachweis der persönlichen Arbeitsbemühungen erbringen musste. Schliesslich ist ebenfalls in Betracht zu ziehen, dass die durch die Kündigung schlussendlich erlittene effektive finanzielle Einbusse lediglich CHF (…) betrug (…). Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände gelangt das Kantonsgericht, Abteilung Zivil- und Strafrecht, zur Ansicht, dass eine Entschädigung in der Höhe von einem Monatslohn angemessen ist. Massgebend ist der Bruttolohn (Streiff / von Kaenel, a.a.O., Art. 336a N 3), weshalb im vorliegenden Fall CHF (…) nebst 5 % Zins seit 30. November 2009 zuzusprechen sind.


( … )


KGE ZS vom 31.09.2010 i.S. M.L. gegen G. AG (100 10 990/SUS)



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