Zivilprozessrecht

Umfang der Begründungspflicht im Beschwerdeverfahren (Art. 321 Abs. 1 ZPO)


Im Beschwerdeverfahren ist die Kognition der Rechtsmittelinstanz auf Rechtsverletzungen sowie offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen beschränkt. Dies gilt, anders als unter bisherigem kantonalem Recht, auch bei Beschwerden betreffend unentgeltliche Rechtspflege (E. 1.2-1.5).


Bei der Beurteilung der Mittellosigkeit des um unentgeltliche Rechtshilfe Ersuchenden ist gebundenes Vorsorgeguthaben (Säule 3a) wie Liegenschaftsvermögen als illiquides Vermögen zu behandeln und daher bei der Vermögensfeststellung zu berücksichtigen, sofern eine Liquidation zumutbar ist. Bei der Berechnung des sog. Notgroschens ist illiquides Vermögen aber unbesehen der Aussichten bezüglich der Verfügbarkeit der Mittel bei der Vermögensfeststellung anzurechnen, wenn der Gesuchsteller daneben über ein liquides Vermögen verfügt, das ausreichend ist, um die absehbaren Kosten des Verfahrens zu decken (E. 2.3.1-2.3.3).



Erwägungen

1.1 ( … )


1.2 Mit ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 2011 hat die Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO, SR 272) die bisherigen kantonalen Zivilprozessordnungen ersetzt. Gemäss Art. 320 ZPO können mittels Beschwerde die unrichtige Rechtsanwendung sowie die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts gerügt werden. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage, die bezüglich Beschwerden betreffend die unentgeltliche Prozessführung eine unbeschränkte Überprüfung des angefochtenen Entscheids zuliess (§ 73 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Zivilprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 21. September 1961 [im Folgenden: ZPO BL]), gilt hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung eine beschränkte Kognition. "Offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 320 ZPO ist dabei - analog zu Art. 97 Abs. 1 BGG - gleichbedeutend mit willkürlich im Sinne von Art. 9 BV (vgl. Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7377). Willkür liegt vor, wenn der festgestellte Sachverhalt qualifiziert falsch, das heisst die Feststellung schlechthin unhaltbar ist (vgl. Reich, Art. 320 N 8, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010; Adrian Staehelin / Daniel Staehelin / Pascal Grolimund, Zivilprozessrecht, 2008, 447). Sie ist beispielsweise gegeben, wenn die Vorinstanz ohne Begründung vom Ergebnis einer gerichtlichen Expertise abweicht oder eine von einer Partei behauptete, von der anderen Seite jedoch bestrittene Tatsache trotz Fehlens jeglicher Beweise als bewiesen erachtet (Freiburghaus/Afheld, Art. 320 N 5, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2010).


1.3 Aufgrund der Begründungspflicht gemäss Art. 321 Abs. 1 ZPO muss in der Beschwerde dargelegt werden, inwiefern der angefochtene Entscheid eine Rechtsnorm verletzt oder auf einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung beruht. Insbesondere genügt rein appellatorische Kritik nicht. Die beschwerdeführende Partei hat vielmehr im einzelnen aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid an einem Beschwerdegrund krankt, andernfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten wird (Staehelin/Staehelin/Grolimund, a.a.O., 449 f.; Christoph Leuenberger / Beatrice Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, 397). Bei mangelhaften Begründungen ist keine Nachfrist zur Verbesserung gemäss Art. 132 ZPO anzusetzen, vielmehr ist nicht einzutreten (vgl. Staehelin, Art. 132 N 4, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, a.a.O.). Bei anwaltlich vertretenen Beschwerdeführern ist ein strengerer Massstab bezüglich der Anforderungen an die Beschwerdebegründung anzuwenden als bei Laieneingaben (Freiburghaus/Afheldt, a.a.O., Art. 321 N 15).


1.4 ( … )


1.5 Mit den dargestellten Vorbringen rügt die Beschwerdeführerin weder eine Rechtsverletzung, noch macht sie eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend. Moniert wird ausschliesslich eine mangelhafte Feststellung des Sachverhalts in rein appellatorischer Weise. Die Beschwerdeschrift kritisiert die Beweiswürdigung der angefochtenen Verfügung betreffend die Vermögenssituation der Beschwerdeführerin, erläutert aber nicht, inwiefern diese Recht verletze oder offensichtlich unrichtig wäre. Abgesehen davon wird sachlich unzutreffend beanstandet, das Bezirksgericht C. gehe in der Verfügung vom 18. März 2011 davon aus, die Beschwerdeführerin werde im Rahmen der unterzeichneten Vereinbarung über die Scheidungsfolgen noch CHF 36'000.00 von ihrem Ehemann erhalten. Die Eingabe genügt damit den qualifizierten Rügeanforderungen einer Beschwerde in keiner Weise. Daher ist auf diese nicht einzutreten.


2.1 Selbst wenn auf die Beschwerde eingetreten werden könnte, müsste sie aus folgenden Gründen abgewiesen werden: Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 117 ZPO hat eine Person, die nicht über die zur Prozessführung nötigen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Der Begriff der Mittellosigkeit ist dem der Bedürftigkeit (vgl. § 71 Abs. 1 ZPO BL) bedeutungsgleich (vgl. Emmel, Art. 117 N 4, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, a.a.O.), wobei unter neuem Recht das blosse Glaubhaftmachen der Mittellosigkeit nicht mehr genügt. Im Übrigen ist an der bisherigen basellandschaftlichen Gerichtspraxis zu § 71 Abs. 1 ZPO BL aufgrund dieser Bedeutungsgleichheit bei der Anwendung von Art. 117 ZPO aber festzuhalten. Demnach gilt eine Partei nicht als mittellos, wenn ihr Einkommen grösser als das um 15 % des Grundbetrages und die laufende Steuerbelastung erweiterte betreibungsrechtliche Existenzminimum ist (vgl. Amtsbericht 1995, 56). Ist die Mittellosigkeit aufgrund der Einkommensverhältnisse der gesuchstellenden Partei zu bejahen, so ist zu prüfen, ob allenfalls bestehendes Vermögen der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege entgegensteht. Dabei ist zu beachten, dass ein gewisser Umfang an Vermögen als "Notgroschen" beansprucht werden darf und nicht zur Prozessführung angetastet werden muss. Bei ungenügendem Einkommen wird ein Vermögen von etwa CHF 20'000.00 bis maximal CHF 25'000.00 als noch verhältnismässig gering und deshalb einem Kostenerlassbegehren nicht entgegenstehend betrachtet (vgl. Amtsbericht 1996, 57). Soweit das Vermögen diesen "Notgroschen" übersteigt, ist dem Gesuchsteller unbesehen der Art der Vermögensanlage zumutbar, dieses zur Finanzierung des Prozesses zu verwenden. Die Art der Vermögensanlage beeinflusst allenfalls die Verfügbarkeit der Mittel, nicht aber die Zumutbarkeit, sie vor der Beanspruchung des Rechts auf unentgeltliche Prozessführung anzugreifen. Soweit es die eigenen Mittel erlauben, einen Prozess zu finanzieren, ist der Zugang zur Justiz gewährleistet, und es rechtfertigt sich nicht, öffentliche Mittel dafür bereit zu stellen (vgl. BGE 119 Ia 11, E. 5).


2.2 ( … )


2.3.1 Im vorliegenden Fall verfügte die Beschwerdeführerin Ende 2010 unbestrittenermassen über ein Barvermögen von CHF 14'172.00. Daneben gehört ihr das Auto Audi A4 Avant 1,9 TDI. Bei Betrachtung allein dieser zwei Vermögenspositionen ergibt sich selbst bei einer defensiven Schätzung ein Vermögen der Beschwerdeführerin von CHF 20'000.00.


2.3.2 Ferner verfügt die Beschwerdeführerin aber auch über eine Säule-3a-Anlage von rund CHF 30'000.00 bei der Vorsorgestiftung der Bank X. In ihrer Beschwerde vom 31. März 2011 macht die Beschwerdeführerin geltend, gebundene Vorsorgeguthaben hätten bei der Feststellung des Vermögens ausser Betracht zu fallen, ohne weitere Ausführungen hierzu zu machen. Es stellt sich daher die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise ein in einem Säule-3a-Guthaben gebundenes Vermögen im Rahmen der Beurteilung eines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege zu berücksichtigen ist. In der Lehre führt Alfred Bühler dazu aus, bei in der Säule 3a gebundenen Guthaben handle es sich um freiwillige, steuerbegünstigte Ersparnisse, die anzulegen der Vorsorgenehmer nicht verpflichtet war und die ihm nach Eintritt der Fälligkeit zur freien Verfügung stünden. Sie seien daher bei der Feststellung der Mittellosigkeit im Rahmen von Gesuchen um unentgeltliche Prozessführung als Vermögen anzurechnen (Alfred Bühler, Die Prozessarmut, in: Christian Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, 151). Stefan Meichssner erklärt lediglich, fällige Leistungen aus der gebundenen Vorsorge der Säule 3a seien grundsätzlich als Vermögen anzurechnen; über die Behandlung des gebundenen Vermögens vor Fälligkeit führt er nichts aus (Stefan Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], 2008, 85; vgl. auch BGE 135 I 288, E. 2.4.2).


2.3.3 Gebundenes Guthaben der Säule 3a ist wie Liegenschaftsvermögen als illiquid zu betrachten, da der Vorsorgenehmer wie der Grundeigentümer in der Regel nicht unmittelbar, aber doch nach einer gewissen Frist bzw. nach der Erhöhung der Hypothek oder der Veräusserung der Liegenschaft über die entsprechenden Mittel frei verfügen kann. Nach der Praxis des Bundesgerichts darf von einem Grundeigentümer verlangt werden, einen Kredit auf sein Grundstück aufzunehmen, soweit dieses noch belastet werden kann (BGE 119 Ia 11, E. 5). Ist keine höhere Belastung möglich, ist zu prüfen, ob eine Veräusserung zumutbar ist. Zumutbarkeit ist anzunehmen, wenn eine gewinnbringende Veräusserung tatsächlich möglich ist und hierfür eine angemessene Frist angesetzt wird. Bis zu deren Ablauf ist die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen (Urteile des Bundesgerichts 5A_294/2008 vom 18. August 2008, E. 3.4.1 mit Hinweisen; 4P.313/2006 vom 14. Februar 2007, E. 3.3). Für den Fall von in einem Säule-3a-Guthaben gebundenen Vermögenswerten könnte die Zumutbarkeit, diese Mittel im Prozess einzubringen, beispielsweise anhand der Frist bis zur Fälligkeit der Einlage beurteilt werden. In eine Liegenschaft investiertes oder als Vorsorgeguthaben gebundenes Vermögen ist aber unbesehen der Aussichten bezüglich der Verfügbarkeit der Mittel bei der Vermögensfeststellung anzurechnen, wenn der Gesuchsteller daneben über ein liquides Vermögen verfügt, das ausreichend ist, um die absehbaren Kosten des Verfahrens zu decken. Da die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ein liquides bzw. leicht verfügbares Vermögen von mindestens CHF 20'000.00 besitzt, was für ein unstrittiges Scheidungsverfahren ohne weiteres als ausreichend erscheint, sind die in der Säule 3a gebundenen Werte bei der Feststellung des Vermögens anzurechnen. Somit erweist sich, dass die Beschwerdeführerin über ein Vermögen von gesamthaft rund CHF 50'000.00 verfügt, weshalb die Voraussetzungen des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege nicht gegeben sind und die Beschwerde im Falle eines Eintretens abzuweisen gewesen wäre.


3. ( … )


KGE ZR vom 03. Mai 2011 i.S. L.W. gegen M.W. (410 2011 72/VHP)


Dieser Entscheid ist rechtskräftig.



Back to Top