Strafprozessrecht

Beschwerde gegen Verfahrenssistierung - Anfechtungsobjekt, Beschwerdelegitimation, Sistierungsgründe, Abgrenzung zur Verfahrenseinstellung


Gemäss Art. 314 Abs. 1 lit. a StPO kann die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung sistieren, namentlich wenn die Täterschaft oder ihr Aufenthalt unbekannt ist oder andere vorübergehende Verfahrenshindernisse bestehen. Demgegenüber verfügt die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 319 Abs. 1 StPO unter anderem dann die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a) beziehungsweise wenn Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d). Von der Möglichkeit der Sistierung ist nur zurückhaltend Gebrauch zu machen, zumal sie leicht mit dem Beschleunigungsgebot in Konflikt gerät. Entsprechend ist die Sistierung auch bloss über eine kurze Zeitdauer anzuwenden. Bei der Abgrenzung zwischen Sistierung und Einstellung des Verfahrens ist entscheidend, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die definitive Einstellung gegeben sind. Bejahendenfalls kann die Einstellung vorgenommen werden; ansonsten ist das Verfahren lediglich zu sistieren (E. 2.2).



Erwägungen

1. Formelles


Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. a der seit 1. Januar 2011 geltenden Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) ist die Beschwerde zulässig gegen die Verfügungen und die Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörden. Art. 322 Abs. 2 StPO, welcher via Verweis in Art. 314 Abs. 5 StPO bei Sistierungen analoge Anwendung findet, sieht zudem die Anfechtungsmöglichkeit innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz ausdrücklich vor. (…) Zur Ergreifung der Beschwerde legitimiert ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat (vgl. Art. 382 Abs. 1 StPO). Als Parteien bezeichnet Art. 104 Abs. 1 StPO die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und die Staatsanwaltschaft. (…)


Den Akten ist zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer im zugrundeliegenden Strafverfahren als Privatkläger konstituiert hat. Er richtet seine Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, wonach das Verfahren gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung zum Nachteil des Beschwerdeführers sistiert wird. Damit sind die Voraussetzungen der Legitimation des Beschwerdeführers wie auch des tauglichen Anfechtungsobjektes erfüllt (…).


2. Materielles


2.1 Vorliegend gründet das seitens der Staatsanwaltschaft sistierte Strafverfahren auf einer Anzeige des Beschwerdeführers, wonach eine unbekannte Täterschaft am 24. Juli 2010 ein rohes Ei an dessen Hausfassade geworfen haben soll. Am 5. September 2010 soll zudem der vor der Wohnliegenschaft des Beschwerdeführers parkierte Personenwagen am linken Aussenspiegel mit Körpergewalt beschädigt worden sein. Der Beschwerdeführer vermutete in seinen Aussagen die Täterschaft bei jugendlichen Kollegen des Nachbarjungen und beantragte am 16. November 2010, seine Tochter M.T. sei mit diesem Nachbarjungen sowie dessen Kollegen einzuvernehmen und miteinander zu konfrontieren.


(…)


2.2 Gemäss Art. 314 Abs. 1 lit. a StPO kann die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung sistieren, namentlich wenn die Täterschaft oder ihr Aufenthalt unbekannt ist oder andere vorübergehende Verfahrenshindernisse bestehen.


Demgegenüber verfügt die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 319 Abs. 1 StPO unter anderem dann die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a) beziehungsweise wenn Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d).


Die Sistierung ermöglicht, Voruntersuchungen, die wegen äusserer Gründe weder weitergeführt noch abgeschlossen werden können, unter bestimmten Voraussetzungen vorläufig ad acta zu legen. Von der Möglichkeit der Sistierung ist nur zurückhaltend Gebrauch zu machen, zumal sie leicht mit dem Beschleunigungsgebot in Konflikt gerät. Entsprechend ist die Sistierung auch bloss über eine kurze Zeitdauer anzuwenden. Die Gründe für eine Sistierung müssen die Fortsetzung und den Abschluss der Voruntersuchung während längerer Zeit verunmöglichen (vgl. Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Art. 314 N 1; BSK StPO-Omlin, Art. 314 N 9). Hingegen versteht man unter Einstellung im Sinne von Art. 319 ff. StPO die Verfügung, mit welcher die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Untersuchung das Strafverfahren ohne weitergehende Strafverfolgungsmassnahmen definitiv beendet (Schmid, a.a.O., Art. 319 N 1). Gemäss Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts (im Folgenden: Botschaft) geht es dabei allgemein ausgedrückt um Gründe, die mit Sicherheit oder doch grösster Wahrscheinlichkeit zu einem Freispruch oder einer in den Wirkungen gleichen Erledigung vor Gericht führen müssten (BBl 2006 1272 f.). Bei der Abgrenzung zwischen Sistierung und Einstellung des Verfahrens ist somit entscheidend, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die definitive Einstellung gegeben sind. Bejahendenfalls kann die Einstellung vorgenommen werden; ansonsten ist das Verfahren lediglich zu sistieren. Bei der blossen Sistierung kann das Verfahren jederzeit wieder aufgenommen werden, sobald der Sistierungsgrund weggefallen ist (BSK StPO-Grädel/Heiniger, Art. 319 N 23; Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, Grundriss für Studium und Praxis, Basel 2009, S. 174).


2.3 Es ist an dieser Stelle zu prüfen, ob die Täterschaft im vorliegenden Strafverfahren noch eruiert werden könnte und damit das Verfahren wieder an die Hand zu nehmen, zu sistieren oder aber einzustellen ist. Dabei ist vorfrageweise über den seitens des Beschwerdeführers gestellten Beweisantrag auf Konfrontationseinvernahme zu entscheiden.


Gemäss Art. 146 Abs. 2 StPO können die Strafbehörden Personen einander gegenüberstellen. Laut Botschaft (BBl 2006 1186) ist diese Bestimmung unter anderem Grundlage für Gegenüberstellungen, die das Erkennen oder den Ausschluss gewisser Personen als angebliche Täterschaft zum Ziel haben.


Wie aus den Akten hervorgeht, wurden in der Zeit vom 3. bis 17. Januar 2011 alle Beteiligten als Auskunftspersonen eingehend befragt. Dabei machte M.T. detaillierte Angaben zum Tathergang, musste jedoch eingestehen, keine der weiteren Parteien erkannt und auch nicht gesehen zu haben, wer das Ei an die Hauswand geworfen hat. Der nach Abschluss aller Einvernahmen abgefasste polizeiliche Bericht vom 19. Januar 2011 ist in Bezug auf die daraus gewonnenen Erkenntnisse deutlich. Demnach "resultieren aus den Befragungen keine klaren Hinweise auf eine Täterschaft. Im Weiteren kommen auch keine neuen Erkenntnisse, welche zur Ermittlung einer Täterschaft führen könnten, zum Vorschein". Diese Tatsachen berücksichtigend sind einerseits von einer Konfrontationseinvernahme, wie sie vom Beschwerdeführer beantragt wurde, keinerlei neuen Erkenntnisse zu erwarten. Der entsprechende Beweisantrag ist daher abzuweisen.


Andererseits ist aber auch nicht nachvollziehbar, wie sich die Staatsanwaltschaft das Vorliegen neuer Erkenntnisse zu einem späteren Zeitpunkt erhofft, ohne weitere Ermittlungen zu führen. Für ein derartiges, dem in Art. 5 StPO ausdrücklich statuierten Beschleunigungsgebot widersprechendes, Untätigsein der untersuchenden Behörde besteht keinerlei Anlass. Im vorliegenden Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft vielmehr zu erwarten, dass sie das Verfahren entweder weiter führt und dabei weitere Beweise erhebt oder aber das Verfahren mangels Erwartens neuer Erkenntnisse definitiv einstellt. In casu erscheint eine Einstellung des Verfahrens als die korrekte Entscheidung, denn es wurde kein Tatverdacht erhärtet, weil die Täterschaft nicht mehr mit zumutbaren Massnahmen eruiert werden kann (vgl. Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO), beziehungsweise die Prozessvoraussetzungen können definitiv nicht erfüllt werden (vgl. Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO). Von einem lediglich vorübergehenden Verfahrenshindernis kann in dieser Konstellation nicht mehr ausgegangen werden. Abgesehen davon erscheint eine Sistierung angesichts des Bagatellcharakters des in Frage stehenden Deliktes (geringfügige Sachbeschädigung) ohnehin als unangemessen (…).


Der Beschwerdeführer rügt daher an sich zu Recht die verfügte Sistierung des Strafverfahrens. Eine Verfahrenseinstellung, wie sie vorliegendenfalls richtigerweise zu erfolgen hätte, läge jedoch weit weniger im Sinne des Beschwerdeführers als die blosse Sistierung. Aus diesen formellen Gründen ist die Beschwerde gleichwohl abzuweisen und die angefochtene Sistierungsverfügung der Staatsanwaltschaft zu bestätigen.


3. Kosten


Da der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Fortsetzung des Strafverfahrens, insbesondere mittels Durchführung einer Konfrontationseinvernahme, nicht durchgedrungen ist, trägt er dem Ausgang des Verfahrens entsprechend in Anwendung von Art. 428 Abs. 1 StPO die Verfahrenskosten. Aus den zuvor dargelegten Billigkeitsgründen rechtfertigt sich jedoch in casu eine Ermässigung. Die dem Beschwerdeführer aufzuerlegende reduzierte Gerichtsgebühr wird gestützt auf § 13 Abs. 1 der Verordnung über die Gebühren der Gerichte vom 15. November 2010 (Gebührentarif, GebT, SGS 170.31) auf Fr. 500.-- festgesetzt. Hinzu kommen Auslagen in der Höhe von Fr. 150.--, welche ebenfalls zu Lasten des Beschwerdeführers gehen.


Beschluss der Dreierkammer des Kantonsgerichts, Abteilung Strafrecht, vom 26. April 2011 (470 11 11/ILM)


Beschwerde gegen Verfahrenssistierung


Anfechtungsobjekt, Beschwerdelegitimation, Sistierungsgründe, Abgrenzung zur Verfahrenseinstellung


SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007


Art. 104: Parteien


Art. 314: Verfahrenssistierung


Art. 319 und 322: Verfahrenseinstellung (Gründe und Rechtsmittel)


Art. 382: Legitimation der übrigen Parteien


Art. 393 ff.: Beschwerde



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